Aus Davos wird berichtet, unsere Merkel, die sei nun die einzig handlungsfähig verbliebene Anführerin der westlichen Welt.
Trump, als enfant terrible, habe sich ins Abseits manövriert, Macron habe mit den Gelbwesten zu kämpfen, May mit dem BREXIT. Merkel sei noch übrig und habe in Davos die Rolle angenommen und eine kämpferische Rede gehalten. Trump abgewatscht und allen anderen erklärt, einzeln sei man zu schwach, gemeinsam aber stark, während über den Gipfeln von Amselflue, Tiejer Flue und Chüpfenflue die Geier geduldig ihre Runden drehen. Annegret und Wolfgang, Olaf und Friedrich, Jens, ja sogar der Markus, warten zusammen, aber nicht gemeinsam, auf ihre Chance.
Wie alle Plattheiten, wird auch die Binsenweisheit von der Stärke der Gemeinschaft schon lange nicht mehr hinterfragt, sondern mit bedächtigem Kopfnicken zustimmend zur Kenntnis genommen. Man denkt an eines der vielen Beispiele, vielleicht daran, dass ein einzelnes Streichholz leicht zu knicken ist, der Inhalt einer ganzen Schachtel aber nicht mehr, und nimmt die Analogie für bare Münze, als universelles Naturgesetz, das den grundsätzlichen Vorteil von „mehr“ gegenüber „weniger“, von „alle“ gegenüber „einem“, ein für alle Mal korrekt beschreibe.
Beginnen wir den Gegenbeweis mit dem Hinweis auf den einen Fuchs im Stall der hundert Hennen.
Klar, das ist nicht vergleichbar, denn „Fuchs und Hennen“ stellt ja eine ganz andere Situation dar als Streichholz und Streichhölzer.
Stimmt. Aber dann muss auch zugegeben werden, dass die Forderungen nach Kooperation, Zusammenarbeit, Schulterschluss eben auch nicht mit Streichholz und Streichhölzern verglichen werden können – und da haben wir den Salat.
Nehmen wir die EU. Wenn Griechenland das Streichholz ist, und die übrigen Mitgliedsstaaten der Rest aus der Schachtel, warum und von wem wurde Griechenland dann geknickt?
Alleine diese Frage eröffnet den Blick auf die ganze Fragwürdigkeit der Argumentation, auch auf die dem Begriff „Griechenland-Rettung“ diametral entgegengesetzte Wahrheit, die nur als „forciertes Ausblutenlassen“ bezeichnet werden kann.
Es gibt aber noch mehr Fragen.
Wie kommt es, dass sowohl relativ dünne als auch relativ dicke Streichhölzer sich in der gemeinsamen Schachtel so wenig wohl fühlen, dass sie ausbrechen wollen, während einige Schachtelbewohner sich ständig bemühen, andere Schachtelbewohner zu dominieren? Warum baut sich Trump eine eigene Schachtel? Warum wollten die Briten den BREXIT? Warum werden Vertragsverletzungsverfahren wegen uneuropäischer Umtriebe gegen Polen angestrengt? Warum mag niemand mit Orban spielen und warum wird Kurz als viel zu klein angesehen, um ihn ernst zu nehmen?
Als der Begriff „Team“ erfunden wurde, das ist lange her und längst vergessen, ging es darum, Menschen unterschiedlicher Wissensdisziplinen, unterschiedlicher Erfahrungen und unterschiedlicher Temperamente einen „Raum“ zu schaffen, in dem sie Gelegenheit hatten, hierarchfrei und ohne von außen vorgegebene Regeln, das Potential aller Beteiligten zu nutzen, um ein gemeinsam angestrebtes Ziel zu erreichen. Die Idee dahinter: Je mehr unterschiedliches Wissen eingebracht wird, je mehr unterschiedliche Standpunkte eingenommen werden, und je weniger Lösungswege vorgegeben werden, je weniger voreilig Kritik auch an zunächst abstrus erscheinenden Vorstellungen geübt wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass nicht nur eine Lösung gefunden wird, sondern unter den möglichen Lösungen die für den jeweiligen Zweck optimale.
Dieses Ideal wurde selten tatsächlich erreicht, weil sich kaum jemals jemand von den „Hierarchen“, die ein solches Team einsetzten, an die notwendigen Spielregeln hielt. Immer wurde dafür gesorgt, dass jemand mit glasklaren Instruktionen ins Team geschickt wurde, der dafür sorgte, dass nicht der beste, sondern der „gewünschte“ Lösungsweg gefunden und präferiert wurde. Teammitglieder, die das erkannten, schalteten dann entweder frustriert ab oder kündigten empört die Mitarbeit im Team auf. Das „Teamwork“ diente lediglich als Feigenblatt, um einen eigenen Plan als „neutral erarbeitete, bestmögliche Lösung“ ausgeben zu können.
Um es anders zu formulieren: Das Team wurde benutzt, um die beste Lösung zu verhindern, weil sie den Interessen einfluss- und auch sonst reicher Player zuwiderliefen.
Nun kann man sagen: So ist die Welt nun einmal. Das Rentable ist der Feind des Guten. Dagegen anrennen zu wollen, ist wie ein Kampf gegen unkaputtbare Windmühlenflügel.
Was aber, wenn man das Ritual nicht nur durchschaut hat, sondern auch noch die Wahl hat, sich entscheiden kann, sich entweder in die Schachtel pferchen zu lassen, oder auf eigene Faust und ggfs. mit selbst gewählten Partnern einen eigenständigen, selbstbestimmten Weg zu suchen?
Die Interessenunterschiede zwischen den Staaten der „westlichen Wertegemeinschaft“ könnten größer kaum sein. Da ist keine Symbiose zu entdecken, da gibt es keine per Saldo positiven Synergie-Effekte, sondern nur ein gegenseitiges Parasitieren. Einige tun sich als Steueroasen hervor, andere drücken mit Lohn- und Sozialdumping ihre Exporte in den gemeinsamen Markt, wieder andere lassen sich ihr Wohlverhalten alle Jahre wieder mit hohen Subventionen vergelten, manche liegen kraftlos am Boden und können sich nicht mehr dagegen wehren, von den anderen ausgewaidet zu werden …
Und der Effekt: In allen Staaten der „westlichen Wertegemeinschaft“ werden die Reichen reicher, während die Armen mehr und ärmer werden.
In allen Staaten der westlichen Wertgemeinschaft wird der Zusammenhalt der Normalbürger, sei es in ihren Sozialen Sicherungssystemen, sei es in ihren gewerkschaftlichen Organisationen, von genau jenen Figuren, die jetzt in Davos zusammensitzen und ihren Zusammenhalt beschwören, gezielt zerstört, wird bewusst daran gearbeitet, Einigkeit in entscheidenden gesellschaftlichen Fragen zu verhindern, ja sogar jeden Versuch einer vernünftigen Debatte im Keim zu ersticken. Man sorgt über die Medien gewissenhaft dafür, dass bestimmte Geschehnisse nicht über die Grenzen des betroffenen Landes hinaus bekannt werden, und wenn doch, dann wird abgewiegelt, dann heißt es, man dürfe nicht zulassen, dass etwas „instrumentalisiert“ wird.
Der Ruf nach noch engerem Zusammenrücken gilt nicht den Spanieren, den Franzosen, den Deutschen, den Polen, den Dänen, Italienern und Griechen – er gilt nur jener kleinen, elitären Gruppe von Profiteuren, die jetzt in Davos zusammensitzen und die Verteilung künftiger Profite unter sich aushandeln.
Dass Trump nicht mehr mitspielt, weil er erkannt hat, dass die USA – als Staat – an der Ausbeutung der Amerikaner zu zerbrechen drohen, hat Panik ausgelöst. Panik, weil ein großer Teil der gemeinsam angepeilten Beute zu entkommen droht, und man nun sehen muss, wie man aus dem Rest noch mehr herauspressen kann, um nicht hinter die eigenen Ansprüche zurückzufallen.
Dass sie damit – weltweit, wo „westliche Werte“ hochgehalten werden – den in den USA vorgezeichneten Weg – über den point of no return hinaus – weiter beschreiten, die Nationalstaaten, als die letzten von den Völkern gegen Willkür und Ausbeutung errichteten und noch bedingt wirksamen Schutzzonen, mit Gewalt einebnen wollen, um eine globalistische One-World-Herrschaft zu errichten, die von den Menschen weiter entfernt sein wird als Macron von den Gelbwesten, wird vom Gesudel über die Feinde der „westlichen Werte“, über die Gegner der humanitären Interventionen und gerechten Kriege, und die überall lauernden Faschisten nur noch mühsam übertüncht.
Wer sehenden Auges nicht erkennt, dass russisches Erdgas für Europa die weitaus bessere Alternative ist als US-Fracking-Gas, wer nicht erkennt, dass ein Ende der Sanktionen gegen Russland nicht nur die jetzt beschlossenen Steigerungsraten im Verteidigungshaushalt überflüssig, sondern auch massives wirtschaftliches Wachstum möglich machen würden, wer nicht erkennt, dass der Gefahr eines Aufstandes der Bevölkerung nicht mit gemeinschaftlichen Aufstandsbekämpfungstruppen, nicht mit Häuserkampf-Übungszentren, nicht mit der Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren begegnet werden sollte, sondern mit der Rückkehr zur Sozialen Marktwirtschaft und dem Ende des verheerenden Experiments, einen technologisch hochstehenden Staat in einen einzigen Niedriglohnsektor zu verwandeln, aus dessen Schulen Schüler entlassen werden, die nicht einmal für den Einsatz auf Niedriglohnarbeitsplätzen geeignet sind, wird den weiteren Niedergang befördern, statt ihn aufzuhalten.
Das deutsche Volk hätte die Kraft, wohl noch eher als die Bürger der USA, das Land schnell zu neuer Blüte zu bringen. Doch dazu müsste es die Streichholzschachtel, in der es bewegungsunfähig eingequetscht ist, verlassen können. Angela Merkels Wunsch nach mehr Zusammenhalt und einer neuen Weltordnung irritiert mich da.
Im Ernst: Was will man von einer Person erwarten, die es in zwölf Jahren scheindemokratisch-alternativloser Alleinherrschaft geschafft hat, den sozialen und den gesellschaftlichen Frieden zu zerstören, die Sicherheit auf Straßen und Plätzen schwinden zu lassen, die Rechtssicherheit und damit letztlich die staatliche Ordnung überhaupt ins Chaos zu führen, die es also nicht geschafft hat, die Ordnung im eigenen Lande zu erhalten oder wieder herzustellen, wenn sie jetzt – angesichts dieses Scherbenshaufens – nach einer neuen Welt-Ordnung ruft?
Bestenfalls will sie das Ausbleiben der neuen Weltordnung als Entschuldigung für die eigenen Fehlleistungen in Anspruch nehmen.
Sollten die versammelten Davoser jedoch wirklich glauben, diese Person sei die von der Vorsehung auserwählte Anführerin, und sie deshalb zum Gärtner machen, dann wird noch einiges auf uns zukommen.
Im Übrigen werde ich so lange vom deutschen Volke sprechen, wie der Schriftzug am Reichstag so stehen bleibt, wie er seit 1916 dort zu lesen ist.