Des kgl. Ökonomierats
A.R. SCHLOCH
Leben und Werk
erforscht und dokumentiert von Egon W. Kreutzer
erstmals veröffentlicht zum Auftakt der närrischen Zeit am 11.11.2004,
unverändert neu aufgelegt, jedoch mit dem vorangestellten Hinweis, dass nach gewissenhafter Erforschung der Wirkung des Schloch’schen Gedankengutes, die Existenz von „Schloch-Zyklen“ zweifelsfrei erwiesen ist. Wir haben daher, den Abschnitt des aktuellen Zyklus, in welchem wir uns momentan bewegen, durch feuerrote Einfärbung der Schrift kenntlich gemacht. Dies soll nicht nur als STOP-Signal verstanden werden, sondern auch dazu auffordern, das im aktuellen Zyklus bereits Geschehene wieder rückgängig zu machen und niemals nimmer einen neuen Zyklus beginnen zu lassen.
Es ist an der Zeit,
Leben und Werk des hochwohllöblichen kgl. Ökonomierats Alois Rudolf Schloch endlich in angemessener Form zu würdigen; steht der zu Unrecht Vergessene doch von seiner Bedeutung her im Grunde in einer Reihe mit jenen drei anderen hervorragenden Reformern und Geistesgrößen, deren Ideen unser Leben noch heute maßgeblich prägen, als da sind:
- der hochgeschätzte Dr. Johann Andreas Eisenbarth (1663 – 1727), der mit Fug und Recht als Begründer des modernen Medizinbetriebes angesehen wird,
- Albrecht Ludwig Berblinger (1770 – 1829), der am 31. Mai 1811 als „Schneider von Ulm“ mit seinem wagemutigen Sprung vom Turm des Münsters in die Fluten der Donau zum Begründer der modernen Aviatik wurde und, nicht zu vergessen,
- jener unübertroffene Baron, Hieronymus Carolus Fridericus von Münchhausen (1720 – 1797), dessen unerschöpfliches Erzähltalent noch heute Vor- und Leitbild aller Medienschaffenden ist.
A.R. Schlochs Verdienst ist es, als erster – und das schon vor 200 Jahren – die Lehrsätze der modernen Nationalökonomie gefunden und formuliert zu haben, im Grunde ganz genau so, wie sie heute von den führenden Wirtschaftswissenschaftlern der höchstmöglichen Besoldungsgruppen und den Beratungsgroßmeistern der Großindustrie und des Großkapitals erneut postuliert und zu globaler Geltung gebracht werden.
Zwar hat Milton Friedmann bereits in der Mitte des letzten Jahrhunderts eine Denk-Schule gegründet, deren Erkenntnisse den Lehren A.R. Schlochs nicht unähnlich waren, doch erst zu Beginn des dritten Jahrtausends stiegen die wichtigsten Kernsätze A.R. Schlochs – wie Phönixe aus dem Kehrichthaufen der Geschichte – zu neuem Ansehen und Glanz auf.
A.R. Schlochs frühes Hauptwerk: „Von der rechten Haltung der Rindviecher“, war lange Zeit als hochspezialisierte bäuerliche Betriebswirtschaftslehre verkannt. Erst in unseren Tagen setzt sich in Expertenkreisen die Erkenntnis durch, dass A.R. Schlochs Lehre „Von der rechten Haltung der Rindviecher“ auch außerhalb der bäuerlichen Stallung erfolgreich angewendet werden kann.
Genug der Vorrede.
A.R. Schloch erblickte im Jahre 1767 als vierzehnter Sohn des Meiereibesitzers Ottokar Schloch und dessen Eheweib Amalie, auf dem Landgut der Familie Schloch, unweit Schilda, das Licht der Welt.
Seine Kindheit war geprägt vom hautnahen Erleben der Milchwirtschaft, seine Ausbildung erfuhr er in einem privaten Lehrinstitut zu Schilda. Dort erlernte er innerhalb von nur vier Jahren das Lesen, Schreiben und Rechnen. Danach zog er sich auf die elterliche Meierei zurück, wo er seiner geheimen Leidenschaft, der Ökonomie, fortan in autodidaktischer Besessenheit frönte.
Es mag an dieser Stelle, statt eines ausführlicheren Vorwortes, erwähnt sein, dass die noch heute in gutem Gebrauch befindliche Redewendung: „Geld wie Heu haben“, direkt auf A.R. Schloch zurückgeht, der sie 1789 als erste, grundlegende Erkenntnis seines Forschens wie folgt festgehalten hat:
„Dem Rindvieche gibt man, zum Ausgleich für das, was man ihm nimmt, nichts als Heu. So wie der Zimmermann für das Herrichten des Dachgebälkes, der Schneider für das Zuschneiden und kunstvolle Nähen und der Wirt für den Wein Geld nehmen, so nimmt das Rindviech stattdessen Heu. Wasser säuft es zwar auch, doch an Wasser ist hierzulande nie ein Mangel, so dass vom Rindviech als wahre Bezahlung für Milch, Haut, Horn und Fleisch nichts als Heu gefordert wird.
Daraus folgt:
Wem es gelingt, viel Heu zu machen und viele Rindviecher unter seinem Dache zu versammeln, dem machen die Rindviecher das Heu zu Geld, woraus wiederum folgt: Solange es Rindviecher gibt, ist ein gewisses Quantum Heu stets einem gewissen Quantum Gelde gleichzusetzen.“
„Geld ist Heu, Heu ist Geld.“ – A.R. Schloch wurde nicht müde, diese Gleichung auf den Märkten und Plätzen, in den Wirts- und Badehäusern kund- und zum Besten zu geben.
In der Folge sah man viele Zeitgenossen A.R. Schlochs damit beschäftigt, auf eilends angepachteten Wiesen das Gras zu mähen, es fleißig zu wenden, zu trocknen und in großen Körben und Säcken in den Wald und auf die Berge zu tragen, wo an freilebenden Rindviechern kein Mangel war. Jedermann und Jedefrau waren unterwegs, um eben diesen freilebenden Rindviechern auf Gottes weitem Erdenrund das Heu darzubringen, in der von A.R. Schloch wohlbegründeten Hoffnung, dafür von den Rindviechern Milch, Haut und Fleisch zu erhalten.
Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts waren die freilebenden Rindviecher aber, anders als ihre domestizierten Artgenossen heutzutage, weder blöd, noch degeneriert. Sie fraßen zwar das Heu, zumindest wenn kein frisches Gras zu finden war, schlugen sich dann aber schnell wieder in die Büsche, säugten ihren eigenen Nachwuchs mit ihrer Milch und dachten nicht im Traum daran, sich für ein paar Fuder Heu die Haut abziehen und ihr Fleisch fressen zu lassen.
Es kam, wie es kommen musste. Schon bald kamen die enttäuschten Glücksritter wütend zurück, beschimpften A.R. Schloch auf das Wüsteste, hießen ihn einen Quacksalber und Irrlehrer, einen Eisenbart des Wachstums, einen Schneider von Ulm des Aufschwungs und einen Münchhausen der Wirtschaftslehre.
Und nachdem sie ihn ausgiebig beschimpft hatten, verlangten sie Ersatz von ihm, für die Mühe, die sie sich mit dem Heu gemacht hatten.
A.R. Schloch fühlte sich verkannt und ergriff a) sein Diarium und b) die Flucht. Verbittert zog er sich in eine aufgelassene Einsiedelei zurück, wo er verbissen daran arbeitete, sein Theoriegebäude, das im Zusammenprall mit der Realität doch arg ins Wanken gekommen war, seitlich abzustützen.
Als er nach zwei Jahren endlich auf den elterlichen Hof zurückkehrte, war der Vater vor Gram gestorben und der älteste Bruder hatte die Wirtschaft übernommen. Höhnend begrüßte er den Heimkehrer: „Na, du A.R. Schloch, hast du nun endlich Geld wie Heu, oder hast du, wie deine Anhänger, nun auch noch das Heu verloren?“
Da legte A.R. Schloch seinem Bruder triumphierend sein Diarium vor, schlug es ihm auf der zweiundfünfzigsten Seite auf und Bruder Schloch las mit weit aufgerissenen Augen unter der Überschrift: „Von der rechten Haltung der Rindviecher“, die folgenden, weisheitstriefenden Sätze:
„Die rechte Haltung der Rindviecher ist erst möglich, wenn vorher unterschieden wird, in gute und schlechte Rindviecher. Schlechte, ungezogene Rindviecher erkennt man daran, dass sie frank und frei und frech und ungebunden auf Gottes weitem Erdenrund herumspazieren und dabei auffressen, was immer sie finden. Schlechte Rindviecher fressen Heu nur im Notfalle, schlechte Rindviecher sind nicht bereit, für ein paar Gabeln Heu eine Gegenleistung zu erbringen.
Das gute, wohlerzogene Rindviech, hingegen erkennt man daran, dass es bittet und bettelt um in irgendjemandes Stall einen Platz (ugs.: „Stallplatz“) zu erhalten, um dort Milch und Dung geben zu dürfen, für jenes bisschen Heu, das es braucht, um alles das zu schaffen, was letztlich Heu zu Geld macht.Das schlechte Rindviech ist allerdings nicht von Grund auf schlecht.
Es ist der schiere Überfluss, den es in Gottes weiter Welt zu finden glaubt, der es verleitet, sich blindlings und unbedacht einem asozialen, weil nutzlosen Dasein hinzugeben.Daraus folgt der wohlgemeinte Rat:
Nehmt diesen vermeintlich schlechten und nichtsnutzigen Rindviechern die Möglichkeit, sich auf Gottes weitem Erdenrund frei zu bewegen, schützt die Wiesen und Wälder mit Zäunen, treibt die selbsteigenen Rindviecher aus ihrem anarchistischen Paradies und lasst keines jemals wieder hinein, dann werden sie kommen und um einen Stallplatz und um Heu betteln und dafür willig ihre Milch anbieten und ihre Haut, wenn’s sein muss, auch.“
„Potz Blitz!“, rief da des A.R. Schlochs Bruder, „Das ist wohl wahr. Nun will ich schleunigst Zäune schaffen und die Rindviecher bekehren. Sie müssen ja in meinen Stall, wenn nirgends sonst ein ungezäunter Platz mehr ist.“
Das war ein Wachstum und ein Aufschwung und eine Konjunktur. Ganze Wälder wurden zu Zaunpfählen und wo einst der tiefe dunkle Tann das Land bedeckte, breiteten sich duftende Heuwiesen aus, soweit das Auge reicht.
Bis das letzte freilebende Rindviech seinen Stallplatz bekommen hatte, herrschte Vollbeschäftigung. A.R. Schlochs Bruder und dessen Freunde errichteten einen Stall neben dem anderen, schickten Anwerber hinaus in alle Welt, um mehr und noch mehr Rindviecher einzuladen, in ihren Ställen von ihrem Heu zu fressen, bis der ganze Run aufs Rindviech von einem Tag zum anderen in sich zusammenbrach.
Die Milch, die man den Kühen abmolk, war selbst beim besten Willen nicht mehr zu verkaufen; Scheuern und Schuppen quollen über von Butter und Käse; gepökeltes Fleisch faulte in den Fässern, aber die Rindviecher verlangten weiterhin tagtäglich laut brüllend nach ihrem Heu, schrien vor Schmerzen, wenn sie nicht gemolken wurden und waren so urplötzlich vom Segen zur Plage geworden.
Da kamen die alten Widersacher des A.R. Schloch erneut herangezogen und wollten ihn von dannen jagen. Doch A.R. Schloch hatte das vorausgesehen und diesmal war er vorbereitet. So bestellte er das Wald- und Wiesen- und Grundbesitzervolk zu einer Versammlung, gleich nach der Hl. Messe am Sonntag beim Bräuwirt, da wolle er ihnen erläutern, wie es mit der Wirtschaft weitergehen sollte.
Von dieser denkwürdigen Versammlung ist uns der folgende – erst vor wenigen Jahren im geheimen Staatsarchiv entdeckte – Bericht des königlichen geheimen Rates Gerold von Windheim erhalten geblieben:
Euer königliche Gnaden,
wie von Ihro Hochwohlgeboren höchstselbst angeordnet und befohlen, begab ich mich am dritten Sonntag nach Trinitadis im Jahre des Herrn 1793, zuerst zur Hl. Messe und danach, wie es der Brauch gebietet, in das besagte Wirtshaus, wo der Verdächtige Schloch seine Ratschläge zu erteilen versprochen hatte.
Es dauerte nicht lange, bis der Zug der frommen Männer von der Kirche in die Schänke gelangt war und der Schloch sich, nach einem tiefen Schluck vom guten Vollbier, von seinem Platz erhob und sprach:
„Liebe Wiesen-, Wald- und Grundbesitzer!
Ihr glaubt, eure Rindviecher hätten sich über Nacht zu einer Plage entwickelt. Statt Milch und Haut und Fleisch bestens zu verkaufen, werdet ihr nicht fertig damit, immer neue Lagerhallen für immer neue Produkte eurer Rindviecher zu errichten und müsst euren ganzen Ertrag darauf verwenden, den Überfluss zu ernten, haltbar zu machen und einzulagern.“(Die Menge ruft empört und durcheinander: ‚So ist’s. So kann’s nicht weitergehen. Die blöden Rindviecher! Nie hätten wir damit anfangen sollen! Was nun, Schloch, was nun?‘ – als wieder Ruhe einkehrt, fährt Schloch fort: )
„Hört mir zu, ihr braven Leute! Zwei Wege sehe ich, um das Unglück des Überflusses abzuwehren.
Zuerst:
Schickt, was ihr könnt, über die Grenzen und in den Export. Statt den Überfluss mit dem eure Rindviecher euch strafen, mit teurem Gelde zu konservieren und dabei Gefahr zu laufen, den Gewinn ganz dreinzugeben, verkauft in jedem Land und Königreich, in Europa und auf allen Kontinenten, soviel ihr könnt, zu jedem Preis, der euch geboten wird. Ihr spart nicht nur den Aufwand für das Aufbewahren, im Gegenteil: Es kommt an seiner statt noch Geld herein.
Das ist der eine Weg, der großen Nutzen und Ertrag verspricht, doch gilt es, auch den anderen zu gehen.
Damit der Preis der Milch, der Häute und des Fleisches nicht verfällt, verschüttet die Milch, verderbt die Häute und verbrennt das Fleisch, das euch den Preis verdirbt. Schafft künstlich Mangel, und ihr werdet sehn, ihr werdet reicher mit dem Mangel, als mit jedem Überfluss.“
(Kopfschütteln in der Meute, das Murren nimmt zu, der Pfaff erhebt sich und verschafft sich Ruhe: )
„Hört mir zu, ihr Kinder Gottes, und lasst das Murren. Ich denke, der große Sohn unseres Landes, der weise A.R. Schloch, den wir soeben hören durften, hat wohl Recht. Es ist doch keine Sünde, sich einer Plage zu erwehren.
Die Milchplage, die Fleischplage, die Butterplage und die Plage mit dem vielen Leder bringen euch um den Profit, doch nicht nur das! Bedenkt vor allem, wieviel Zeit es kostet, den nutz- und sinnlosen Überfluss zu erzeugen und aufzubewahren. Könntet ihr diese Zeit nicht besser nutzen, um eurem Gott und Herren zu dienen, wär‘ nur die Plage endlich überwunden?
A.R. Schloch ist der vom Herrn in großer Not gesandte Prophet! Folgt seinem Rat, und es wird euch wohlergehen!“(Die Grund-, und Wiesen- und Waldbesitzer merken auf, doch sind sie noch nicht überzeugt, fordern den Schloch auf, es noch genauer zu erklären. Der nimmt erneut das Wort: )
„Unser Herr Pfarrer ist ein kluger Mann, ihr solltet seinen Worten folgen. Ich kann mich jetzt nur wiederholen. Die Parole sei: Exportieren und vernichten! Das ist die Doppelstrategie, die uns erfolgreich macht.“
Soweit, Euer königliche Gnaden, mein Bericht. Ihr seht, der Schloch ist nun vollends dem Wahnsinn verfallen. Verschleudert und verschenkt, verschüttet und verbrennt, was ihm die Wiesen und Äcker dank des Rindviechs hervorgebracht. Er alleine ist nicht die Gefahr. Der Pfaff, der dem Volke einbläst, das sei der wahre Wille des Herrn, den solltet ihr ermahnen, sich zurückzuhalten und zu widerrufen, dann – denke ich – ist die Gefahr gebannt.
Von dem, was in der Runde dann im Einzelnen besprochen und beschlossen wurden, kann ich nur sagen, es war verrückter noch, als das, was ich bereits berichtete, und will ich Euer Gnaden nicht ohne Not mit solchem Mist behelligen.
Euer untertänigster Diener
Gero von Windheim
Nach allem, was wir über diese Zeit zu wissen glauben, wurde Gero von Windheims Warnung in den Wind geschlagen und es gelang den vereinigten Wald-, Wiesen- und Grundbesitzern, die Erzeugnisse ihrer Rindviecher in alle Welt zu verkaufen. Der Exportboom führte zu einem erneuten Wachstumsschub, in dem Ställe über Ställe gebaut wurden, in denen dichtgedrängt ein Rindviech am anderen stand, um aus dem vielen Heu das viele Geld zu machen, das damals in die Welt gekommen ist. Während man im Inland die Preise durch zügige Vernichtung aller unverkäuflichen Überschüsse hoch hielt, gelang es im Ausland, alle dort ansässigen Rindviehhalter im Preis zu unterbieten und sie vom Markt zu verdrängen.
Doch bald wuchs im fernen Asien eine Gefahr heran, die A.R. Schlochs Strategie erneut gefährdete. Kleinwüchsige, gelbhäutige und schlitzäugige Menschen schickten sich an, ohne an kurzfristigen Gewinn zu denken und mit nichts als ihrem Fleiß, ihrer Wissbegier und ihrer Nachahmungsfähigkeit gewappnet, dem weltumspannenden Treiben der nach der Schloch’schen Lehre arbeitenden Grund- und Kapitalbesitzer ein eigenes, zweites Wirtschaftswunder entgegen zu stellen.
Zunächst lachte A.R. Schloch noch, als die ersten Tüten mit Asi-Ata-Milch, die ersten Packungen Asi-Ata-Butter und die ersten tiefgekühlten Asi-Ata-Rindersteaks in den Geschäften auftauchten, doch als die Grund- und Kapitalbesitzer merkten, dass ihre Gewinne durch die dreisten Raubkopien und Plagiate doch geschmälert wurden, riefen sie laut nach ihrem Berater A.R. Schloch und A.R. Schloch hatte wieder einmal die Antwort parat:
In seinem Spätwerk: „Von der linken Haltung der Rindviecher“, erschienen im Jahre 1803 zu Berlin, fast auf den Tag genau 200 Jahre vor Verkündung der Reformagenda, lesen wir seltsam vertraute Sätze:
Nach langen Jahren, in denen es den Eliten unserer Wirtschaft gelungen ist, selbst aus unnützen Rindviechern und deren vollkommen überflüssigen Erzeugnissen durch kluge Strategien noch einen Nutzen zu ziehen, stehen wir nun vor einer völlig veränderten Welt.
Unsere Rindviecher, in guten Jahren fett, träge, unflexibel und immobil geworden, müssen sich den veränderten Gegebenheiten stellen.
Wer als Rindviech einen Stallplatz behalten will, muss wissen, dass er sich dann auch dem internationalen Wettbewerb der fittesten Rindviecher aller Nationen stellen muss.
Um aus einer Phase der Stagnation heraus zu neuem Wachstum zu gelangen, sind Reformen erforderlich, von denen kein Rindviech verschont bleiben darf.
1. Die Stallreform
Die bisher für die artgerechte Stallhaltung einheitlich vorgeschriebenen Mindestregeln werden im Zuge der Entbürokratisierung aufgehoben. Wozu muss geregelt sein, wie viel Platz ein Rindviech zu beanspruchen hat, wozu sind Vorschriften über die Größe der Fenster oder die Temperatur im Stall gut?
Das kostet alles nur Geld und verhindert die optimale Verzinsung des in den Stallungen gebundenen Kapitals.
In der Konsequenz ist damit die Aufhebung des Stallzwanges verbunden. Jeder kann seine Rindviecher jederzeit auf die Straße jagen und zum Melken bzw. Schlachten wieder einfangen. Dies reduziert das gebundene Investiv-Kapital und ermöglicht wettbewerbsfähigere Produktion.
2. Die Melkreform
Ab sofort werden die Rindviecher nicht mehr nur zwei Mal, sondern vier Mal täglich gemolken. Die damit erzielbare Verdoppelung der Milchmenge ohne Mehrbedarf an Heu (ugs.: „ohne Heuausgleich“), wird dringend benötigt, um unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zu sichern.
3. Die Futterreform
In Betrieben, die im globalen Wettbewerb besonders stolzen Profit erwirtschaften wollen, können die bisher üblichen Futtermengen jederzeit vermindert, die Heuqualität reduziert, ggfs. auch Stroh, statt Heu gefüttert werden. Rindviechern, die sich weigern, Stroh zu fressen, kann durch das Anbringen preiswerter, grüngefärbter Brillen ein optischer „Heueffekt“ vermittelt werden.
4. Die Schlachtreform I
Um auf die Anforderungen der Schlachtviehmärkte optimal reagieren zu können, kann, je nach Bedarfslage, der Bestand des einzelnen Halters vollständig geschlachtet werden. Soll die Rindviechhaltung unter den Anforderungen der Milchmärkte wieder aufgenommen werden, ist dies problemlos möglich, laufen doch, dank der Stallreform immer genügend heimatlose Rindviecher auf den Straßen herum, die sich nichts dringender wünschen, als einen neuen Stallgeber, bei dem sie unterkriechen können.
5. Die Schlachtreform II
Gute, ertragreiche Milchkühe und zeugungsfreudige Bullen werden künftig, ohne Rücksicht auf die einer möglichen Restverwertung im Wege stehende, sinkende Fleischqualität, solange gemolken, bis sie von selbst eingehen.
Langfristig werden alleine Rindviecher mit besonders hoher Qualifikation einen lebenslänglichen Stallplatz erhalten. Mit allen anderen, minder qualifizierten Rindviechern, kann nach den Regeln der Stallreform beliebig verfahren werden.
5. Die Aufzuchtsreform
So wie die Stallgeber nicht mehr jedem Rindviech einen Stallplatz garantieren können, braucht es natürlich auch keine Aufzuchtsplatzgarantie für die blöden Kälber. Kälber ohne Aufzuchtsplatz gehören auf die Straße, jegliche duale Gängelei der Stallgeber führt nur zu einem Nachlassen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.
6. Die Veterinärreform
Krankheiten müssen ausgerottet werden. Solange es so viele überflüssige Rindviecher gibt, wie wir es derzeit erleben, liegt die beste und zugleich preiswerteste Methode zur Ausrottung von Krankheiten darin, jedes kranke Rindviech unverzüglich zu erschlagen und den Kadaver im Müll- und Blockheizkraftwerk zu verbrennen.
Die Ausbildung der Veterinäre kann entrümpelt werden, weil man sie lediglich noch benötigt, um die gesundheitliche Unbedenklichkeit tierischer Erzeugnisse zu testieren.
7. Die Standortreform
Weil es ziemlich lästig ist, und auch eine unerträgliche Form der Landschaftsverschandelung, dass man hierzulande auf Schritt und Tritt zwischen auf die Straße gesetzten Rindviechern, deren Dunghaufen und den tristen Mauern von Rinderställen leben muss, sind für die Haltung der Rindviecher ab sofort verstärkt ausländische Regionen zu nutzen. Dort können sowohl die dort bereits ansässigen, als auch die bei uns überzähligen Rindviecher unter den dort herrschenden, noch günstigeren steuerlichen Rahmenbedingungen verwertet werden.
8. Die Mentalitätsreform
Bisher hat man der Frage, ob unser Wirtschaften den Rindviechern nützt, oder ob es den Rindviechern schadet, eine viel zu große, zudem ethisch und moralisch überfrachtete Bedeutung beigemessen. Die Erfahrungen mit der rechten und linken Haltung von Rindviechern zeigen, dass das Wohlergehen der Rindviecher als vermeintliche Basis des wirtschaftlichen Erfolgs in der Vergangenheit in geradezu sträflicher Weise überschätzt und überbewertet wurde.
Wir wissen heute:
- Rindviecher sind hochgradig reformstabil, kälte- hunger- und schmerzresistent,
- sie lassen sich schon für die pure Hoffnung auf einen Stallplatz die Haut abziehen,und vor allem:
- Es gibt auf der Welt so viele Rindviecher, dass kein Grund- und Kapitalbesitzer sich Sorgen machen muss, eines Tages vielleicht auf das Geld aus dem Heu verzichten zu müssen.
Im Nachwort gibt A.R. Schloch noch eine kryptisch anmutende Botschaft:
Bei Anwendung der in diesem Buch vorgeschlagenen Reformagenda ist darauf zu achten, dass alles unterbunden wird, was die Rindviecher zu einer Gegenreform veranlassen bzw. befähigen könnte. Vernichten Sie daher auch diesen Hinweis, sobald Sie ihn verstanden haben. Man muss damit rechnen, dass die Rindviecher eines Tages anfangen werden, zu lesen.
Über das weitere Leben und Wirken A.R. Schlochs, der erst nach der Demission Gero von Windheims, im Herbst des Jahres 1834, in den Stand eines kgl. Ökonomierates erhoben wurde, ist wenig überliefert. Der trotz aller Reformen unaufhörliche wirtschaftliche Niedergang schien seine Thesen vollständig zu widerlegen, doch sein Kampfgeist blieb bis zuletzt rege und ungebrochen. Noch am Morgen seines Todes flüsterte er der alten Geli, die ihn aufopferungsvoll pflegte, mit letzter Kraft ins Ohr: Sag ihnen, sie dürfen nicht aufhören, mit den Reformen. Das war alles nur ein Anfang. Es sind härtere Maßnahmen, tiefere Einschnitte notwendig. Man kann mit den Rindviechern fertig werden, man muss nur wirklich wollen. Die Wende ist zum Greifen nah, der Aufschwung kommt, schon im nächsten Jahr …
Ach wäre es dem seligen A.R. Schloch doch vergönnt gewesen, die Erfüllung seiner Träume zu Lebzeiten mitzuerleben, die Welt hätte den Mist, den er verzapft hat, schon vor 200 Jahren durchschaut.
Leider ist es anders gekommen und nun stecken wir knietief drin.
PS
Wie es kommt, dass Schloch schon zwischen 1789 und 1803 als ein „Schneider von Ulm des Aufschwungs“ beschimpft wurde, obwohl Berblinger erst 1811 sprang, ist leicht zu erklären. Berblinger war seinerzeit ob seiner „Flugideen“ bereits weit über die Grenzen Ulms hinaus als Spinner verrufen, bevor er sich 1811 genötigt sah, den Beweis seiner Theorien anzutreten.