Mit Merkel und Maas über die Memel nach Moskau – Die postfaktische Reise

Spekulatives

Am Samstag will die versammelte außenpolitische Richtlinienkompetenz dieses unseres Landes in Moskau mit dem Kreml-Chef konferieren.

Es handelt sich gewissermaßen um eine postfaktische Reise, denn die Fakten  wurden mit der Ermordung des iranischen Generals Suleimani geschaffen, ohne dass dem – erkennbar – eine präfaktische Reise nach Washington vorangegangen wäre.

Emmanuel Macron, seines Zeichens designierter Reformer des französisichen Rentensystems, in der Europäischen Union als Taktgeber im 26er mit Steuermann nicht unwichtig, hatte seinen postfaktischen Termin bei Putin übrigens schon am Freitag, dem 3. Januar, und zwar telefonisch. Dass unser MM-Pärchen erst am 11. Jänner in Moskau erwartet wird, hängt garantiert nicht damit zusammen, dass die Flugbereitschaft vorher kein flugbereites Gerät zur Verfügung stellen kann, sondern eher damit, dass die Gefahr, es könnten in der Zwischenzeit die von AKK herbeifantasierten, einsatzbereiten Bundeswehrdivisionen nicht nur nach Mali, sondern auch in Richtung Teheran in Marsch gesetzt werden, bei Licht besehen gar nicht besteht.

Der Tod des Generals und einiger seiner Begleiter ist natürlich eine schlimme Sache, aber sie ist nun mal geschehen, und es sieht so aus als sei man bei den übrigen führenden Köpfen im Iran zu dem Schluss gelangt, das sei schlimm genug.

Anders herum: Es ist inzwischen zu viel Zeit vergangen, um noch einen spontanen Gegenschlag auszuführen, bei dem es unter Umständen mildernde Umstände geben könnte, weil die Tat im Affekt erfolgte.

Dies wiederum lässt kaum Zweifel daran aufkommen, dass die Ayatollahs sowohl in Russland als auch in China vergeblich um Rückendeckung für einen wirklich großen Vergeltungsschlag nachgesucht haben.

Es wird nicht ganz ohne einen Gegenschlag abgehen, der innerhalb der nächsten zwei Wochen zu erwarten ist, wenn die iranische Führung nicht das Gesicht verlieren will. Trumps Rhetorik nach dem Drohnenmord war denn auch ganz darauf ausgerichtet, die Sache herunterzuspielen und zu betonen, nur Suleimani – nicht aber den Iran angegriffen zu haben. Er wolle keinen Krieg, sondern Frieden. Erst als militärische Reaktionen ausblieben, wohl aber düstere Drohungen ausgestoßen wurden, rüstete auch er verbal auf und brachte jene 52 Ziele ins Gespräch, die er bereit sei anzugreifen und zu vernichten, sollte der Iran seinerseits auf seine 35 Ziele einschlagen.

Hochgeschaukelt hat sich ja alles, nachdem Ende Dezember ein Amerikaner im Nordirak bei einem Raketenangriff – vermutlich von iranisch-schiitischer Mililzen ausgeführt – getötet wurde. Die USA, nicht faul, griffen daraufhin Waffenlager und Kommandozentralen dieser Milizen im Irak und in Syrien an, was auch nicht ohne Tote und Verwundete abgegangen sein dürfte. Dies wiederum führte zu den schweren Angriffen auf die US-Botschaft in Bagdad. Und so verrückt es auch klingen mag: Erst mit dem erfolgreichen Drohnenangriff auf General Suleimani hörte die scheinbar unkontrolliert fortschreitende Eskalation der Auseinandersetzungen auf.

Da hat Trump einen kraftvollen Schlusspunkt setzen lassen, der das Klein-Klein der Nadelstiche von beiden Seiten vom Tisch fegte und stattdessen eine ziemlich klare Entscheidungssituation mit allen zu berücksichtigenden Konsequenzen geschaffen hat, in der sowohl die iranisch-irakisch-schiitischen Milizen-Kommandanten als auch die regionalen US-Kommandierenden zum gehorsamen, stillschweigenden Abwarten verdammt wurden.

Damit ist die Situation geschaffen, die geradezu nach einem neuen „Deal“ schreit. 

Dem Iran seine Verwundbarkeit vor Augen zu führen, was mit der Fähigkeit beginnt, jederzeit auch ein besonders geschütztes Ziel, wie General Suleimani, zu entdecken, zu verfolgen und zu vernichten, was wiederum auf die Fähigkeit hinweist, auch sämtliche iranischen Atomanlagen zu entdecken und zu vernichten, könnte in Bezug auf die Rüstungsanstrengungen tatsächlich die Bereitschaft zu weitergehenden Zugeständnissen schaffen, als sie Obama gegenüber eingeräumt wurden. Sollte es für ein solches Einknicken im Gegenzug auch nur eine spürbare Lockerung der derzeit bestehenden Sanktionen geben, wäre dies für das iranische Volk von erheblichem Vorteil, der sich letztlich auch wieder in Zustimmung für die Herrschenden ummünzen ließe.

Rohani und Chamenei sind nicht in der Situation, Bedingungen zu diktieren. Von daher meine ich, sie wären gut beraten, ein entsprechendes „Angebot“ zumindest als Gesprächsbasis anzunehmen und – unter Mitnahme von Zugeständnissen der USA – einfach die Zeit für sich arbeiten zu lassen.

Was hat das nun mit Maas und Merkel zu tun, warum müssen die beiden in Moskau antreten?

Putin ist nicht dazu da, deutschen Politikern die Pläne von Donald Trump zu erläutern, er wird sich auch hüten, ihnen gegenüber die eigene Strategie weiter offen zu legen als er es für angebracht hält. Der Staatsbesuch in Moskau hat daher wahrscheinlich mit der Situation im Nahen Osten überhaupt nichts zu tun.

Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass das Krisengespräch das weitere Vorgehen in Bezug auf die Pipeline North Stream II zum Inhalt haben wird. Putins Ingenieure haben längst ausgerechnet, wieviel Gas in deutschen Kraftwerken zur Blackout-Prophylaxe zusätzlich verbrannt werden muss, wenn der Ausstieg aus Kernkraft und Kohle wie beschlossen durchgezogen wird. Diese zusätzliche, rotgrüngemachte Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen bei Verhandlungen argumentativ zu nutzen, kann man Putin nicht übelnehmen. Selbst dann nicht, wenn er jede gewünschte Mengenausweitung von der Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline abhängig machen sollte.

Ein Fiasko für Maas und Merkel. Denn den Mut, sich gegen Trump zu stellen, und wie Erdogan statt US-Patriot-Systemen russische S400 zu kaufen, im konkreten Fall, statt US-Fracking-Gas russisches Erdgas über die neue Pipeline zu beziehen, diesen Mut traue ich ihnen nicht zu. Eher lassen sie die letzten Kernkraftwerke noch weit über 2022 hinaus am Netz, denn eine andere Wahl bleibt ihnen praktisch nicht.