Rubelmania – Die verrückten Seiten des Geldes

PaD 12 /2022 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 12 2022 Rubelmania – Die verrückten Seiten des Geldes

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich gestern die Nachricht über die ganze Welt: „Russland verkauft Gas und Öl an ‚unfreundliche Staaten‘ nur noch gegen Rubel.

Ein faszinierender Schachzug! Es droht ein Matt in drei Zügen.

Aber von vorne.

Wie beim Schach, gilt es auch beim Geld, die Spielregeln zu beherrschen, um mitspielen zu können, oder auch nur, um eine Position auf dem Brett analysieren zu können.

Peinlich daher die ARD, die ihren Zusehern gestern Abend in der schon wieder umbenannten Sendung „Wirtschaft vor acht“ (ehedem: Börse vor acht, zuvor Börse im Ersten) erzählte, dass dieser Schachzug helfen könnte, den Kurs des Rubels in die Höhe zu treiben, was richtig ist, aber eben auch, dass Putin damit „die Löhne“ bezahlen und die „Inflation“ stoppen könne, was darauf hindeutet, dass man auch in der Wirtschaftsredaktion der ARD die Spielregeln nicht einmal vom Ansatz her kennt, oder sich scheut, sie dem Publikum zu offenbaren. Russland will und braucht nicht mehr Geld, um die Löhne zu bezahlen, Putin will es nur in anderer Währung, und weil damit die Geldmenge nicht verändert wird, hat dies auch keinen Einfluss auf die Inflation, bei der es sich zudem überwiegend um Teuerung wegen Angebotsknappheit, nicht um einen Liquiditätsüberschuss handelt.

Betrachtet man die vorangegangenen Züge der USA, mit denen Russland vom weltweiten Zahlungsverkehr – bis auf die Bezahlung von Energie-Rechnungen – weitgehend ausgeschlossen und zudem die Konten der russischen Zentralbank eingefroren wurden, dann stand dahinter die Absicht, den Kurs des Rubels, den nun ja kaum jemand aus der westlichen Welt noch nutzen konnte, an den Devisenmärkten in den Keller zu treiben. Das ist gelungen.

Natürlich stand dahinter ebenfalls die Absicht, den Außenhandel Russlands zu schädigen, indem Importe, aufgrund des gesunkenen Rubelkurses, stark verteuert wurden, während Exporte immer schwieriger wurden, weil es für die Handelspartner Russlands praktisch keine Möglichkeit mehr gab, die aus Russland bezogenen Waren zu bezahlen, weil die USA ihre Bündnispartner gezwungen haben, die bis dahin existierenden Zahlungswege zu verstopfen.

Dem folgten lautstark geäußerte Überlegungen, eher schon Drohungen, Russland auch die Nutzung seiner Goldreserven unmöglich zu machen, indem jeglicher Goldhandel mit Russland von den USA mit drastischen Sanktionen belegt werden würde.

Fragt man sich, nach welchem Recht den USA derartige Maßnahmen offen stehen, landet man ohne Zwischenstopp direkt beim Faustrecht. In den USA ist man überzeugt, der ganzen Welt seinen Willen aufzwingen zu können, und wenn die wirtschaftliche Stärke nicht ausreicht, dann eben mit militärischen Mitteln.

Dass die wirtschaftliche Stärke der USA sich weniger auf die Produktivkräfte bezieht, sondern hauptsächlich auf der Stärke der Finanzinstitutionen beruht, war bisher nie ein Nachteil. Gestützt auf die faustischen Qualitäten des Petro-Dollars, Geld in jeder gewünschten Quantität aus dem Boden der weltweiten Ölförderländer stampfen zu können, war gerade diese halb symbiotische, halb parasitäre Strategie über lange Jahre der Lebens- und Kraftquell der USA.

 

Putin hat nun beschlossen, sich der gleichen Strategie zu bedienen. Großzügig kündigt er an, jede gewünschte Menge an Öl und Gas auch an die „unfreundlichen“ Staaten zu liefern, vorausgesetzt, sie zahlen die russischen Energielieferungen nicht in Dollar oder Euro, sondern in Rubel.

Ob der Coup gelingen wird, ist noch offen. Die Chancen stehen allerdings gut, denn die Maslow’sche Bedürfnispyramide und Bert Brechts Erkenntnis: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“, stehen in dieser Situation weltweit – Deutschland ausgenommen – an der Seite Russlands.

(Mit seiner Ausnahmestellung, lieber in Nibelungentreue zu den USA Harakiri zu begehen, als um das eigene Überleben zu kämpfen, bestätigt Deutschland übrigens die Annahme, dass „das deutsche Volk“ mit seinem gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungshintergrund und seinen spezifisch deutschen Eigenarten innerhalb der deutschen Bevölkerung nach wie vor erkennbar und dominant existiert, was in gleicher Schönheit auch an der mutwillig eingenommenen Vorreiterrolle bei der Dekarbonisierung zu erkennen ist. Ja, ja – die Grünen, die sind deutscher als sie es sich selbst eingestehen können.)

Was wird Putin erreichen, wenn sein Coup gelingen sollte?

Die unfreundlichen westlichen Staaten werden aus Selbsterhaltungstrieb in den sauren Apfel beißen und sich die benötigten Rubel beschaffen, um ihre Energieversorgung aufrecht zu erhalten. Da es in den westlichen Zentralbanken kaum nennenswerte, auf Rubel lautende Devisenreserven gibt, weil bisher kaum jemand etwas damit anzufangen wusste, steht der Gang nach Canossa, in diesem Fall zur russischen Zentralbank bevor, die man bitten wird, Dollar und Euro in Rubel umzutauschen.

Mit der Nachfrage nach dem Rubel steigt der Kurs. Diese Entwicklung ist bereits deutlich zu erkennen, zumal es, wenn der Markt erst einmal leergefegt sein wird, nur noch die russische Zentralbank sein wird, die den Umtauschkurs bestimmt.

Selbstverständlich wird die russische Zentralbank, wie alle Zentralbanken dieser Welt, die Devisen in ihre Reserven nehmen und dafür neue, frisch geschöpfte Rubel ausgeben. Diese kommen umgehend als Zahlung für die Energielieferungen zurück und stehen damit den Exporteuren als Zahlungsmittel im Binnenmarkt zur Verfügung und können bei Bedarf wieder in Dollar oder Euro umgewechselt werden.

Insofern hat sich gegenüber der Direktbezahlung russischer Lieferungen in harter Währung nichts verändert.

Das Neue besteht darin, dass sich Russland damit die Möglichkeit geschaffen hat, den Zufluss an Devisen aus den Gas- und Öl-Exporten direkt zur Stützung des Rubelkurses einzusetzen. Mit dem so im Wert gewachsenen Rubel wird sich Russland über die Zeit auch die jetzt eingefrorenen Auslandsguthaben – indirekt – nach und nach zurückholen, ohne dafür einen einzigen Schuss abgeben zu müssen.

Dies ist allerdings erst die erste Stufe der Rubel-Rakete.

Von der zweiten Stufe ist offiziell noch nicht die Rede, doch muss man davon ausgehen, dass andere Ölförderländer, allen voran vermutlich Venezuela, aber auch der Iran und nicht zuletzt sogar Saudi-Arabien dazu übergehen könnten, ihre Öl-Lieferungen in Rubel zu fakturieren, wenn der russische Vorstoß von Erfolg gekrönt sein sollte. Das Vertrauen dieser Staaten in die USA ist nicht besonders groß und die Sanktionspraktiken gegen Russland haben sie gelehrt, dass ein Dollar-Guthaben im Zweifelsfall keinen Cent wert ist, wenn es der „Große Bruder“ so will.

Dann hätten wir ein neues Spielfeld eröffnet. Jeder Rubel, der von anderen Staaten eingenommen wird, strebt wieder nachhause. Entweder, um hochverzinste russische Staatsanleihen zu erwerben, oder um Produkte der russischen Wirtschaft einzukaufen. Das heißt: Russland könnte auch  außerhalb des Rohstoffsektors einen Exportboom erleben und darüber nachhaltig wirtschaftlich erstarken.

 

Die Gegenwehr (EU)

Im EU-Wald zu Brüssel pfeift der Energiekommissar Thierry Breton gegen die Angst an. Tollkühn seine Behauptung, die russischen Gaslieferungen bis Ende des laufenden Jahres vollständig ersetzen zu können, wobei der Terminus „ersetzen“ ein nicht geringes Maß an Selbsttäuschung beinhaltet, weil die Substitution russischer Lieferungen durch Verbrauchseinschränkungen (vulgo: Sparsamkeit) eben keinen Ersatz, sondern einen Verzicht darstellt.

Im Einzelnen schlägt Breton vor:

  • 50 Milliarden Kubikmeter Gas in Form von Flüssiggas aus den USA und Katar importieren.
  • 10 Milliarden Kubikmeter über bisher nicht voll ausgelastete Pipelines aus Aserbaidschan, Algerien, Marokko und Norwegen beziehen.
  • 3,5 Milliarden Kubikmeter mit eilends errichteten, neuen Biogasanlagen selbst erzeugen.
  • 10 Milliarden Kubikmeter mit eilends errichteten, neuen Windkraftanlagen erzeugen.
  • 12,5 Milliarden Kubikmeter mit eilends errichteten neuen Photovoltaikanlagen erzeugen.
  • 10 Milliarden Kubikmeter durch Absenkung der Wohnungsbeheizung um 2 Grad Celsius einsparen.
  • 12 Milliarden Kubikmeter durch den Weiterbetrieb der drei zur Stilllegung vorgesehenen deutschen AKW bereitstellen.
  • 14 Milliarden Kubikmeter durch Vollastbetrieb deutscher Kohlekraftwerke statt dem Einsatz von Gaskraftwerken erzeugen.
  • 10 Milliarden Kubikmeter durch Verbrennung von Schweröl statt dem Einsatz von Gaskraftwerken gewinnen.

 

In Summe kommt Breton also auf 132 Milliarden Kubikmeter, dabei ist selbst diese Rechnung falsch, denn bis Jahresende laufen die drei deutschen AKW ja sowieso noch. Der Ersatz dieser Leistung ist erst ab 2023 erforderlich, was dann aus den 155 Milliarden Kubikmetern, die Russland bisher liefert, einen erhöhten Ersatzbedarf von 167 Milliarden Kubikmetern macht.

Die Versorgungslücke in der wunderschönen Rechnung des Herrn Breton liegt also tatsächlich bereits dann bei 35 Milliarden Kubikmetern, wenn man die optimistischen Annahmen zur kurzfristigen Bereitstellung neuer Biogasanlagen, neuer Windkraftwerke und neuer Photovoltaik-Anlagen außer Acht lässt und auch glaubt, dass der Weiterbetrieb von AKWs, Kohlekraftwerken und die Schwerölverbrennung sich politisch durchsetzen ließen.

Neben der Versorgungslücke ist zudem noch mit erheblichen Verteuerungen bei der Energieversorgung zu rechnen, denn Fracking Gas, so es denn zur Verfügung stehen sollte, und das ist nicht der Fall, und so es denn die Transportkapazitäten gäbe, die es nicht gibt, ist auf alle Fälle deutlich teurer als das Russengas aus der Pipeline.

Die Öllieferungen aus Russland hat Breton zwar erwähnt, als er den vollständigen Lieferstopp für russisches Öl und Gas in Betracht gezogen hat, doch die Kompensation für das Öl fehlt in seiner Betrachtung vollständig.

Kurz: Es funktioniert nicht.

 

Die Gegenwehr (USA)

Bisher haben die USA den Dollar und seine Rolle im Ölgeschäft stets  verteidigen können, und sei es durch völkerrechtswidrige, und – im Hinblick auf den Erhalt der Dominanz des Dollars – erfolgreiche Angriffskriege.

Die Propaganda-Abteilungen des Westens, einschließlich der diensteifrig mitwirkenden Medien, versuchen den Eindruck zu vermitteln, Russland sei durch seinen Angriff auf die Ukraine weltweit isoliert.

Dass eher das Gegenteil der Fall ist, dass sich immer mehr Staaten von den USA ab- und der Achse Russland-China zuwenden, habe ich in der März-Ausgabe von „EWK – Zur Lage“ detailliert beschrieben. Hier nur in Form eines gekürzten Auszugs eine summarische Betrachtung:

Die politischen Vertreter von mehr als der Hälfte der Menschheit (4,091 Milliarden / 53 %) haben nicht für die Verurteilung Russlands wegen des Einmarschs in die Ukraine gestimmt.

Dies bedeutet, dass diese Staaten sich keinen Nutzen davon versprechen, mit den USA zu stimmen.  

Dem gegenüber stehen jene Staaten, welche die Verurteilung wollten, und das sind die USA die Briten, sowie die Staaten die in EU und NATO vereint sind. Insgesamt handelt es sich um die politischen Vertreter von 966 Millionen Menschen, was rund 12,5 Prozent der Weltbevölkerung entspricht.

Dass Russland, China und Indien alleine – nach Schätzungen des IWF, Stand 2019 – fast genauso viel zum Welt-BIP beigetragen haben, wie die USA, ist eine weitere wichtige Erkenntnis, wobei erläuternd erwähnt werden muss, dass der Anteil der produktiven Sektoren am BIP (Landwirtschaft + Industrie) in den USA bei 20 Prozent liegt, in China bei 45 Prozent und in Russland bei 36 Prozent. Der Rest verteilt sich jeweils auf die „Dienstleistungen“, wobei gerade in den USA die „Finanzdienstleistungen“ einen großen Anteil haben.

Militärisch betrachtet ist nach dem Kalten Krieg inzwischen eine neue Patt-Situation eingetreten. Allerdings mit drei Mitspielern, von denen jeder alleine keinem der anderen beiden so weit überlegen ist, dass ein Krieg ein kalkulierbares Risiko darstellen könnte, wohingegen jedes theoretisch mögliche Zweierbündnis ausreichen würde, um den Dritten mit Kriegs- beziehungsweise Vergeltungs-Drohungen zum gewünschten Verhalten, zumindest zum Stillhalten, zu bewegen.

 

 

Die demonstrative Zurückhaltung der USA in Fragen eines NATO-Einsatzes in der Ukraine, oder auch nur der Errichtung einer Flugverbotszone, lassen erkennen, dass ein Waffengang gegen Russland – jedenfalls bis gestern – nicht  als realistische Möglichkeit in Betracht gezogen wurde.

Die Wut über den Angriff auf den Dollar ändert zwar nichts an der Einschätzung der militärischen Chancen, könnte aber durchaus geeignet sein, eine Kurzschlussreaktion auszulösen.

Das Gerede von einer „NATO-Friedenstruppe“ für die Ukraine, deutet bereits in diese Richtung, denn es käme zwangsläufig zur direkten Konfrontation zwischen NATO-Truppen und russischen Verbänden, die jede denkbare Form unbeherrschbarer Eskalation mit sich brächte.

Gehen wir davon aus, dass dies nicht geschehen wird, dann bleibt Biden und den Seinen in Washington eine andere, hochinteressante Option:

US-Sanktionen gegen alle von Russland zu unfreundlichen Staaten ernannten Ländern, sollten diese sich Gas oder Öl in Russland gegen Rubel kaufen wollen.

Der Möglichkeiten dafür gäbe es viele, beginnend mit Handelsbeschränkungen auf dem Gebiet von High-Tech-Ausrüstungen und dem Einfrieren oder der Beschlagnahme von Dollar-Guthaben, bis hin zum Ausschluss der EU aus dem GPS-System und zur Sabotage an Öl- und Gas-Pipelines.

Damit wäre jedoch das „transatlantische Tischtuch“ definitiv zerschnitten und die Isolation der USA vom Rest der Welt, Großbritannien als alter Waffenbruder vielleicht ausgenommen, vollkommen.

Das können sich die USA aber ebenso wenig wünschen, wie den weltweiten Atomkrieg.

 

Alles hat in der Ukraine begonnen. Es wird auch alles in der Ukraine zu Ende gebracht werden müssen.

Von daher haben sich seit gestern die Chancen für einen Waffenstillstand und anschließend einen Friedensvertrag zwischen Russland und der Ukraine stark verbessert. Wenn Selenski also die Order erhalten sollte, sich mit den Russen an den Verhandlungstisch zu setzen, die Zugehörigkeit der Krim zu Russland anzuerkennen, die Ukraine zum neutralen Staat zu machen, der Mitgliedschaft in der NATO für alle Zeiten abzuschwören und die Unabhängigkeit der Oblaste Luhansk und Donezk anzuerkennen, wird es nach einem entsprechenden Friedensvertrag möglich sein, die Sanktionen gegen Russland weitgehend zurückzunehmen und die eingefrorenen Vermögen wieder freizugeben, falls Russland im Gegenzug bereit sein sollte, wieder Dollar und Euro als Bezahlung für seine Exporte zu akzeptieren.