Der Sieg der Irrationalität

PaD 41 /2021 – Hier auch als PDF verfügbar: PaD 41 2021 Der Sieg der Irrationalität

 

Es ist noch zu früh, um Angela Merkel schon nachzutrauern. Doch ein leises Ahnen, dass Deutschland mit zunehmendem Tempo vom Regen in die Traufe rutscht, lässt mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken laufen.

Es ist noch zu früh, um Wolfgang Schäuble schon nachzutrauern. Doch das Gruppenbild der neuen Bundestagspräsidentin mit ihren Vizinnen und dem Vize, genügt vollauf, um daraus mit vollen Händen Resignation, statt Hoffnung zu schöpfen..

Es ist noch zu früh, der GroKo nachzutrauern. Doch was da in den Koalitionsverhandlungen heranreift, das klingt schon sehr nach dem Tor zur Hölle aus Dantes Commedia:

Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!

Immerhin ist das neu zusammengetretene Parlament, dieses jüngere, weiblichere und buntere, bereits bereit, unter den wohlwollenden Blicken der emsig Geschäftsführenden, die Voraussetzungen für das Corona-Regime, die das noch nicht so junge, noch nicht so weibliche, noch nicht so bunte Vorgänger-Parlament den Allmachtsfantasien der Regierenden als Riegel vorgeschoben hatte, nun schlicht ersatzlos aufzuheben.

Maskenball nach Gutsherrenart, anlasslose Verhängung von 1, 2, 3G-Regeln, das soll nun jedem einzelnen Bundesland, Klartext: den Damen und Herren Winfried Kretschmann, Markus Söder, Michael Müller, Dietmar Woidke, Andreas Bovenschulte, Peter Tschentscher, Volker Bouffier, Manuela Schwesig, Stephan Weil, Hendrik Wüst (der ist neu!), Malu Dreyer, Tobias Hans, Michael Kretschmer, Reiner Haseloff, Daniel Günther und Bodo Ramelow im friedlichen Wettstreit um die höchsten Inzidenzen und die niedrigste Impfquote – oder umgekehrt – für alle Zeiten offen stehen.

Wer von denen wird wohl als Erster vorpreschen und seinen Untertanen die freiwillige Impfung mit der Androhung einer zeitlich unbefristeten Erzwingungshaft schmackhaft  machen? Die glauben doch alle, sie heißen Toyota. Nichts ist unmöglich.

Wer alt genug ist, und sich auch noch daran erinnern kann, welcher Aufstand in Deutschland in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts tobte, als die so genannten „Notstandsgesetze“ erarbeitet, beschlossen und verabschiedet wurden, muss sich heute vorkommen, als sei er in einem ganz schlechten Film gelandet. Ein Film, den kein Verleih je annehmen würde, weil die Handlung keiner rationalen Prüfung standhalten würde und als Protagonisten lauter Laienschauspieler verpflichtet wurden, die sich vor lauter Stolz, auch einmal eine Rolle spielen zu dürfen, so aufgeblasen haben, dass sie kurz vor dem Platzen stehen. Ein Film, dem jeglicher Spannungsbogen fehlt, weil außer dem allmählichen Versinken des vollbesetzten Karrens im Dreck, begleitet von den ergebenen Dackelblicken seiner Passagiere, nichts, aber auch gar nichts geschieht. Noch nicht einmal die Sonne verfinstert sich. Kafka, grundgütiger Sinnstifter, hilf!

Als befände sich das Regierungsviertel samt dem Reichstag in einem Paralleluniversum, in dem Milch und Honig, Strom und Fernwärme aus unerschöpflichen Quellen fließen, ereifert sich Frau Baerbock, die Frau, die ihre  Mimik beim Sprechen den Bedürfnissen halbblinder Lippenleser perfekt angepasst hat, und will die Inbetriebnahme der fertigen Ostsee-Pipeline North-Stream-2 verbieten, sobald sie als Ministerin, egal für was, vereidigt ist. Nur dass diese Pipeline sich in jenem Universum befindet, in dem zum Jahresende drei der letzten sechs deutschen Kernkraftwerke vom Netz gehen, in dem die Gas-Speicher im Sommer nicht gefüllt werden konnten, weil die schwächelnden Windräder und die eingetrübten Solarzellen den massiven Einsatz von Gaskraftwerken nötig machten, um den eigentlich vollkommen unmöglichem Sommer-Black-Out mit letzter Kraft zu verhindern. Diese Pipeline befindet sich in einem Universum, in dem Deutschland ohne russisches Gas nicht über den Winter kommen wird. Aber Frau Baerbock fürchtet sich, von Putin erpresst zu werden, und nimmt die Gaslosigkeit lieber selbst in die Hand. Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Wie kann man sich so verrennen? Wie kann man so an der Realität vorbei existieren?

Und als wäre das noch nicht genug,  jubeln sich die Herrschaften besoffen, weil Genossin Kommissionspräsidentin ihren Privatgerichtshof angewiesen hat, die Polen wegen Verletzung der „Rechtsstaatlichkeit“ zu einer Strafe von 1  Million Euro TÄGLICH! zu verdonnern, und dieser EUGH, der nicht rechtsstaatlich sein kann, weil die EU nun einmal kein Staat ist und keine Verfassung hat, die den Rahmen des Rechtsstaats definieren könnte, dem auch Folge geleistet hat.

Man lege bitte die Maßstäbe dieser Rechtsstaatlichkeit, also die Forderung nach einer unabhängigen Justiz, an die deutsche Justiz an!

  • Wer bestimmt die Verfassungsrichter? Der liebe Gott, oder doch die politischen Parteien?
  • Wer bestimmt über die Karrieren der Richter? Der Rat der Weisen, oder doch die Justizministerien?
  • Wer ist gegenüber den Staatsanwälten weisungsbefugt? Das gesunde Volksempfinden, oder doch wieder die ideologisch eingefärbte Politik?

 

Dabei vergessen sie wieder, weil sie selbst dafür keinerlei Empfinden mehr haben,

(Zur Erinnerung: „Dieses hässliche schwarz-rot-goldene Bändchen“, jüngst geäußert im Bundestag von einer „Volksvertreterin“, die diese Bezeichnung zu Gunsten der weniger zweckbestimmten „Parlamentarierin“ wohl ebenfalls weit von sich weisen würde.
Zur Erinnerung: Robert Habeck in seinem Buch „Patriotismus – Ein linkes Plädoyer“: „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland noch nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht.“)

dass es ringsum Länder gibt, in denen Nationalstolz noch nicht verpönt ist, in denen der Regierungschef seinen Ministern nicht die Fähnchen mit den Landesfarben aus den Händen reißt, in denen die eigene Verfassung als höchstes Rechtsgut Bestand hat, selbst wenn Dritte aus internationalen Verträgen Anderes herauslesen wollen.

Sie vergessen, weil sie sonst ihr Parallel-Universum verlassen müssten, dass Deutschland in mehrfacher Hinsicht von Polen abhängig ist. Da sind die outgesourcten Produktionsstätten der deutschen Industrie in Polen, da sind die polnischen Arbeiter, ohne die im Handwerk, auf dem Bau, in der Landwirtschaft und in der Pflege so manche Lichter ausgingen, und da ist nicht zuletzt der Strom, den wir aus Polen importieren müssen, wenn gerade der Wind nicht weht.

Sie vergessen, dass man mit Partnern, auf die man angewiesen ist, pfleglich und freundschaftlich umgehen sollte, dass man ihre Werte und Einstellungen akzeptieren, zumindest aber tolerieren sollte, will man die Kalamitäten, in die man sich sowieso schon hineingeritten hat, nicht noch mutwillig vergrößern.

Vielleicht haben sie es aber gar nicht vergessen.

Vielleicht ist ihnen so etwas wie gegenseitige Achtung und Wertschätzung auch gegenüber jenen, die nicht in ihrer eigenen Blase sozialisiert wurden, nie begegnet. Vielleicht ist ihnen der Blick auf die Realität bisher verwehrt geblieben, weil sie von Kindesbeinen an erfahren haben, dass die Artikulation von Wunschvorstellungen genügt, um sie in Erfüllung gehen zu lassen?

Ich weiß nicht, was schlimmer wäre. Es vergessen, oder einfach nie erfahren zu haben.

Allerdings ist die Einstellung, dass „Vergessen“ sehr nützlich sein kann

– zum Beispiel, was man von der Sache mit den Cum-Ex-Geschäften und der Rückforderung von fälschlich ausgezahlten Steuererstattungen eventuell einmal gewusst haben könnte –

wie sich bisher erwiesen hat, durchaus eine brauchbare Strategie im Überlebenskampf im Polit-Dschungel.

Kein Wunder, dass sich für Julian Assange keine Hand rührt.

Der hätte es allerdings mehr verdient als Navalny und Kavala, um die man sich bemüht, weil sie für „meines Feindes Feind“ gehalten werden, was automatisch zur Zuteilung blütenweißer Westen führt.

Aber das zu erkennen, dafür bedarf es jener Weisheit, die, so man danach lebt, zuverlässig verhindert, in der Politik Karriere zu machen.

Ob Richard von Weizsäcker, ehemaliger Bundespräsident, heute noch den Willen der Menschen, das Gemeinwesen selbst in die Hand zu nehmen, als vorbildlich darstellen würde? 

(„Wir sind das Volk“, mit diesen vier einfachen und großen Worten wurde ein ganzes System erschüttert und zu Fall gebracht. In diesen Worten verkörperte sich der Wille der Menschen, das Gemeinwesen, die res publica, selbst in die Hand zu nehmen.“)

Ob Hoymar von Dithfurth auch heute noch zum Pflanzen von Apfelbäumchen aufrufen würde?

Nur von Stéphane Hessel bin ich mir sicher, dass er heute neuen Grund und Ursache hätte, uns sein „Empört euch!“ ins Stammbuch zu schreiben.