Nawalny

Mein Gott, diese aufgeblasene, heuchlerische Empörung geht mir so was von auf den Geist!

Früher, mitten im Kalten Krieg, hat man zwar auch die Propaganda-Trommel gerührt, wenn es die kleinste Gelegenheit gab, dem jeweils amtierenden Vorsitzenden der KPdSU am Zeug zu flicken, aber das war Sache der medialen Scharfschützen im ZDF (Löwenthal) und im Hause Springer (Reich des Bösen). Gelegentlich kam auch mal aus Bonn ein vernichtender Kommentar, aber dann war wieder Ruhe.

Lag es nur am Gleichgewicht des Schreckens, an den übervollen Arsenalen von Atomsprengköpfen, dass damals die Tauben lauter gurrten, während die Falken sich, soweit es ihnen möglich war, in Zurückhaltung übten? Ich glaube das nicht.

Ich schätze das eher so ein, dass wir es mit einer Folge der fortschreitenden Verblödung auf allen Ebenen zu tun haben, die wiederum den Verfall der guten Sitten und des Anstands – bis zum vollständigen Verlust derselben – begünstigt und Schreihälse, bar jeglicher Selbstkontrolle, Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein nach oben gespült haben.

Da sage ich nur:

Liebe Leute im Bundestag, die ihr lauthals nach Sanktionen schreit, liebe Leute in der Bundesregierung, die ihr aufgrund (fadenscheiniger) Indizien Putin des Mordes beschuldigt, liebe Leute im EU-Parlament, die ihr euch gemeinsam mit der Kommission gar nicht genug ereifern könnt, liebe Kriegsmächtige in der NATO, die ihr zwei Stunden lang über den Fall Nawalny beraten habt – habt ihr, die ihr euch als die Aushängeschilder der so genannten „Westlichen Wertegemeinschaft“ empfindet, nicht selbst genug Dreck am Stecken?

Übertrifft das, was alleine eure CIA auf dieser Welt angezettelt und angerichtet hat, den ausgerechnet (!) in Berlin festgestellten Giftanschlag auf einen im Grunde nur im Westen bekannten, russischen Oppositionellen nicht vieltausendfach? Habt ihr nicht Saddam Hussein umgebracht, weil er über KEINE Massenvernichtungsmittel verfügte, habt ihr nicht Muammar al-Gaddafi umgebracht, weil Libyen unter seiner Führung zum fortschrittlichsten und liberalsten Staat im Nahen Osten geworden war? Habt ihr nicht viele Jahre lang Bombe um Bombe über Afghanistan abgeladen und mit feigen Drohnenmorden friedliche Zivilisten ums Leben gebracht? Lasst ihr nicht zu, dass Erdogan eure Verbündeten im Kampf gegen den IS aus ihren angestammten Gebieten mit militärischen Mitteln vertreibt? Habt ihr nicht immer wieder versucht, Fidel Castro zu ermorden? Seid ihr nicht verantwortlich für eine lange Reihe von Unruhen und Militärputschs in Süd- und Mittelamerika? Seid ihr es nicht, die ihr immer näher mit euren Stützpunkten an die Grenzen Russlands vorrückt? Habt ihr nicht die Revolution in der Ukraine angezettelt, Poroschenko an die Macht gebracht und bis heute an der Grenzlinie zu den Separatisten die Waffenststillstandsvereinbarungen immer wieder gebrochen?

Und nun sagt der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, ganz ruhig und besonnen, er sehe noch keinen Beweis für Nawalnys Vergiftung. Wenn es aber Beweise gäbe, (und nur dann), würde er sehr wütend werden.

Aber das ist für euch ja kein Grund, ebenfalls zur Besinnung zu kommen.

Wer einmal gesagt hat, Nawalny sei „zweifelsfrei“ mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe vergiftet worden, wie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der kann hinter eine solche Behauptung natürlich nicht mehr zurück.

Also werdet ihr eher eine neue Verschwörungstheorie auftischen, nach dem Motto: Trump muss Putin schützen, damit der seine Wiederwahl ebenso unterstützt, wie die Wahl vor vier Jahren.

Es sieht für mich nicht so aus, als sei Trump überglücklich, dass die Falken im Westen nun Oberwasser haben und sich freiwillig selbst ins Knie schießen, indem sie – um Putin zu bestrafen (ha ha!)  – auf die Fertigstellung von North-Stream 2 verzichten. 

Es sieht für mich so aus, dass Trump diesen erbärmlichen Versuch, sich mit Hilfe von Nawalny so aufzubauen, als habe man diese Entscheidung selbst und gegen den Feind im Osten getroffen, also keinesfalls wegen der Wünsche und Drohungen aus den USA auf die neue Pipeline verzichtet, eher als abstoßende Trickserei empfindet.  

Es gibt für mich keinen vernünftigen Grund, wegen des Falls Nawalny die Pipeline-Pläne aufzugeben.

Dass dies jetzt so laut diskutiert und gefordert wird, verleitet zur nachdenklichen Frage „cui bono?“, und das wiederum zur nächsten Frage: „Wieso kommt ausgerechnet Putin auf die Idee, zu behaupten, die Deutschen hätten Nawalny vergiftet?“

Nicht, dass ich ernsthaft daran glaube, der BND sei  in der Lage, im tiefsten Russland eine solche Aktion unbemerkt auszuführen, das hätte vermutlich sogar einen James Bond überfordert, aber andererseits kann ich mir gut vorstellen, dass man im Kreml einer solchen Aktion nicht unbedingt Steine in den Weg gelegt haben würde.

Wie auch immer:

Die Welt wäre ein angenehmerer Ort, würde man sich wieder darauf besinnen, dass die Einmischung in innere Angelegenheiten souveräner Staaten in aller Regel nur zur Verschlimmerung der Situation führt.