Weg mit den Krankenhäusern!

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4.969

„Entscheidend bei einem Schlaganfall ist es, möglichst schnell in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden, das ein Schlaganfallzentrum, eine sogenannte Stroke Unit, hat. Derzeit weiß man, dass 30,4 Prozent der Menschen nach einem Hirninfarkt im Krankenhaus versterben. Werden sie in ein Krankenhaus mit Stroke Unit eingeliefert, sinkt die Sterblichkeit auf 23,9 Prozent. Würden alle in solche speziellen Krankenhäuser eingeliefert, könnten, so die Berechnungen der Forscher, 4.969 Menschen zusätzlich gerettet werden.“
(ZDF)

Das Gesundheitsministerium hat eine Studie in Auftrag gegeben und sich damit Argumente für die geplante Krankenhausreform verschafft, die den eigentliche Zweck, nämlich den Versuch, die Kosten des Gesundheitswesens zu senken, hinter einem Nebel von Menschlichkeit und Lebensrettung zu verbergen. Im oben verlinkten Beitrag des ZDF finden Sie auch das Grundkonzept der Reform, und die Annahmen der Studienersteller, vor allem zur Erreichbarkeit der zentralen Schwerpunktkrankenhäuser.

Ich greife dazu diese Annahme heraus:

„Derzeit haben laut der Studie 328 Krankenhäuser ein Schlaganfallzentrum. 1.049 Häuser behandeln Schlaganfälle ohne spezielle Stroke Unit. Alle Häuser seien derzeit innerhalb von 21,6 Minuten erreichbar. Würde sich die Behandlung auf die 328 Häuser mit Stroke Unit konzentrieren, würde sich die Behandlung den Angaben zufolge nur um knapp zwei Minuten verzögern.“

In diesem Satz steckt, ohne dass man schon begonnen hätte, die Aussagen ernsthaft zu hinterfragen, ein interessantes Rätsel:

Wie kann es sein, dass sich Behandlung um zwei Minuten verzögert, wenn doch alle 1.377 Krankenhäuser innerhalb von 21,6 Minuten erreichbar sind?

Aber gehen wir ins Eingemachte:

Schon die Aussage, alle Häuser seien innerhalb von 21,6 Minuten zu erreichen ist kompletter Blödsinn und in dieser Absolutheit vollkommen unhaltbar. Die Republik ist nicht in ein Raster eingeteilt, in dem die Krankenhäuser so angesiedelt sind, dass die maximale Distanz zum Patienten bei etwa 16 Kilometern liegt. Selbst wenn dem so wäre, bliebe es immer noch ein theoretischer Wert, davon ausgehend, dass jedes Krankenhaus jederzeit bereit ist, Notfallpatienten aufzunehmen. Soweit ich weiß, melden sich Krankenhäuser bei den Rettungszentralen ab, wenn ihre Kapazitäten in Notaufnahme und OP ausgelastet sind. Nicht zu vergessen, die Wochenenden, an denen in Krankenhäusern in der Regel nur eine ärztliche Notbesetzung Dienst tut, so dass der Rettungswagen oder der Hubschrauber durchaus weitere Strecken zurückzulegen hat.

Nun zu den zwei Minuten extra:
Verteilt man alle Krankenhäuser gleichmäßig über die Fläche, ergibt sich das 16-Kilometer-Raster. Reduziert man die Krankenhausdichte jedoch auf die spezialisierten Häuser mit Stroke-Unit, werden aus den 16 Kilometern schon 33 Kilometer. Wer für 16 Kilometer Anfahrt 21,6 Minuten braucht, wird für die weiteren 17 Kilometer kaum nur zusätzliche 2 Minuten brauchen. Selbst mit Martinshorn und Blaulicht sind Geschwindigkeiten von 510 Stundenkilometern auf deutschen Straßen nicht zu erreichen. Auch ein Durchschnitt von 85 km/h für die Gesamtstrecke ist kaum realisierbar.

Man wird diese 21,6 Minuten dadurch errechnet haben, dass man die Anmarschzeiten nach Patienten innerhalb der Einzugsgebiete gewichtet hat. Das sieht ungefähr so aus:

  • 1,5 Millionen Münchner erreichen die Klinik innerhalb von 18 Minuten = 27 Millionen Minuten,
  • 0,15 Millionen Einwohner des Landkreises Aichach-Friedberg erreichen die Klinik nach 57,6 Minuten = 8,64 Millionen Minuten.
  • 27,0 + 8,64 = 35,64 Millionen Minuten, dividiert durch 1,65 Millionen Einwohner = 21,6 Minuten

Weil es in München gleich mehrere Kliniken mit Stroke-Units gibt, verändert sich die Anfahrzeitszeit für die Münchner Patienten kaum. Dass die Menschen aus dem Landkreis Aichach-Friedberg nach Augsburg oder München gebracht werden müssen, fällt bei dieser gewichteten Rechnung dann mit den 2 Minuten ins Gewicht, obwohl es sich für den betroffenen Patienten um ein Vielfaches an zusätzlichem Zeitbedarf handelt.

Es heißt, bei Schlaganfall oder Herzinfarkt kommt es auf jede Minute an.

Die Uni-Klinik Heidelberg weiß dazu:

60 Prozent aller Schlaganfallpatienten in Baden-Württemberg erreichen die Klinik erst dann, wenn die Zeit für eine Blutgerinnsel auflösende Therapie bereits verstrichen ist“, so Professor Dr. Wolfgang Wick, Ärztlicher Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg. Bei einem Schlaganfall gilt: „Time is brain“. Soll heißen: Je mehr Zeit bis zur Behandlung verstreicht, desto stärker wird das Gehirn geschädigt. In den ersten Stunden nach dem Schlaganfall sterben durchschnittlich 30.000 Nervenzellen pro Sekunde ab.

Im Vergleich zu den 100 Milliarden Nervenzellen im menschlichen Gehirn erscheinen 30.000 Nervenzellen vernachlässigbar. Es sind aber pro Minute bereits 1,8 Millionen und nach einer Stunde 100 Millionen. Auch das ist immer noch erst 1 Promille, aber das Problem wächst schneller, weil das Netz aus Nervenzellen, das das Gehirn erst funktionsfähigmacht, mit 100 Millionen Löchern, und das bedeutet eben weit mehr als 100 Millionen unterbrochener Verbindungen, doch schon ganz schön gelitten hat.

Nur 6,5 Prozent der Patienten, die in einem Krankenhaus ohne Stroke-Unit verstorben wären, überleben ihren Schlaganfall in Kliniken mit Stroke-Unit. Es wird nicht ganz falsch sein, anzunehmen, dass im spezialisierten Krankenhaus auch nur 6,5 Prozent „bleibender Schäden“ vermieden werden können.

Anders herum betrachtet:
Das Risiko, bei einem Behandlungsbeginn nach 30 Minuten im nicht spezialierten Krankenhaus bleibende Schäden davonzutragen oder zu sterben, ist nur um 6,5 Prozent höher, als bei einem Behandlungsbeginn nach 30 Minuten im spezialierten Kranken.

Dauert es bis zum Eintreffen im spezialisierten Krankenhaus jedoch 60, statt 30 Minuten, sind bereits 50 Millionen Nervenzellen zusätzlich verloren, bevor die Behandlung beginnen kann. Das Risiko für bleibende Schäden oder den Tod erhöht sich mit dem längeren Transportweg also erst einmal. Wie stark, das müssen die Ärzte sagen, aber dass sich zwischen den vorgeblich nur 2 Minuten Verzögerung aus der Studie und den realistisch zu erwartenden mindestens 30 Minuten ein erheblicher Unterschied für die Prognose des konkreten Patienten ergibt, das glaube selbst ich sagen zu können.

Mag sein, dass sich die Studienersteller und der Gesundheitsminister darüber klar sind, dass Sterblichkeit und bleibende Schäden sich nach Durchführung der Reform zwar nicht verbessern, aber auch nicht nenneswert verschlechtern werden, weshalb dieses Argument herangezogen wird, um Stationen oder ganze Krankenhäuser zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen zu schließen. 

Aber worum geht es bei der Krankenhausfinanzierung?

Es wird ein Defizit von 10 Milliarden Euro erwartet.

Hurra! Gerade hat diese Regierung 10 Milliarden locker gemacht, um sie den Aktionären von Intel in den Rachen zu werfen.
Hurra! Gerade hat die EU beschlossen, dass Deutschland 16 Milliarden zum Ukraine-Hilfspakeit der EU von 50 Milliarden beisteuern muss.
Hurra! Deutschland hat inzwischen selbst mindestens 16 Milliarden für die Ukraine ausgegeben.
Hurra! Deutschland baut sich für rund 6,4 Milliarden LNG Terminals, weil wir es uns ja leisten können, auf russisches Erdgas zu verzichten.
(Weitere Hurra-Rufe bitte selbst einfügen!)

Was ist der Unterschied? Warum ist dafür Geld da, und für die Gesundheitsversorgung nicht?

Das ist recht einfach zu beantworten:

Etwa 75 Prozent der Ausgaben für Intel, die Ukraine, LNG-Terminals usw, werden von den Beschäftigten und Rentnern aufgebracht, nur ein Viertel entfällt auf Wirtschaft und Kapital. Wer das nicht glaubt, möge sich bitte das Steueraufkommen nach Steuerarten zu Gemüte führen. Aber 50 Prozent der von den Krankenkassen bezahlten Gesundheitskosten müssen von den Arbeitgebern aufgebracht werden. Das ist einfach zu viel, für eine exportorientierte Wirtschaft, und weil man von der paritätischen Aufteilung der Sozialversicherungsbeiträge aus psychologischen und machtpolitischen Gründen nicht lassen will, müssen halt die Kosten insgesamt gesenkt werden.

Wenn schon der Wirtschaftsminister nur Klima-Minister spielen will, dann wird der Gesundheitsminister doch auch ein bisschen Wirtschaftsminister spielen dürfen, oder?