Einbürgerung und Wahlrecht

Meine beiden Artikel zu Faesers Gesetzentwurf zur Erleichterung der Einbürgerung von Ausländern haben einige Leser veranlasst, mir zu schreiben, dass da doch auch noch das Wahlrecht sei, das den Eingebürgerten zufällt, womit ihnen die Möglichkeit gegeben werde, die Republik noch radikaler zu verändern.

Der Gedanke ist in sich stimmig. Projiziert man ihn jedoch auf die Realität, verliert er – zumindest in meinen Augen seinen Schrecken.

Bei jenen Deutschen mit Migrationshintergrund, die heute die Politik für sich entdeckt, aber auch in den Medien Rampenplätze eingenommen haben, handelt es sich ganz überwiegend um in Deutschland geborene und in Deutschland sozialisierte Kinder und Enkel der ersten Zuwanderergenerationen. Sie erscheinen zahlreich und einflussreich, haben sich aber letztlich in die bestehende,  von ihnen vorgefundene Parteienlandschaft eingepasst und fallen mehr oder weniger dadurch auf, dass sie innerhalb dieser Parteiein in bestimmten Problembereichen sehr dezidierte, zuwanderungsfreundliche Positionen einnehmen. 

Wir dürfen diesen Personen unterstellen, dass sie von den Migrantenströmen der letzten Jahre mental ebenso weit entfernt sind, wie die Bio-Deutschen, mit denen sie aufgewachsen, zur Schule gegangen und erwachsen geworden sind, auch, dass sie diese „neuen“ Migranten mit ihren – als fleißige Gastarbeiter ins Land gekommenen – Eltern und Großeltern gleichsetzen und die Veränderungen, die sich in den täglichen Meldungen – von „EinMann“ bis „Gruppen“ – niederschlagen, unbewusst verdrängen, weil nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf. Das ist nur menschlich – und nicht auf Deutsche mit Migrationshintergrund beschränkt.

Die Neuankömmlinge – und ich setze hier eine willkürliche Trennlinie – die ab dem Herbst 2015 nach Deutschland gekommen sind, sind weder hier geboren, noch hier zur Schule gegangen, noch sonstwie „deutsch“ sozialisiert worden. Die überwiegende Zahl sucht hier das materiell bessere Leben und hat, bis ins letzte Jahr, Deutschland und Merkel gleichgesetzt – und sie neigen jetzt dazu, die Ampel mit Merkel und Deutschland gleichzusetzen, weil es in ihren Herkunftsländern eine Demokratie mit offenem Austausch von Argumenten und offen vertretenen Minderheiteninteressen nicht gegeben hat. Die sehen mehrheitlich nicht die Notwendigkeit, sich politisch zu engagieren oder gar eigene Parteien zu gründen. Sie würden, mit dem Wahlrecht ausgestattet, ebenso wild draufloswählen wie die meisten Bio-Deutschen auch, so sie denn überhaupt zur Wahl gehen würden.

Lassen Sie sich auf ein Gedankenexperiment ein: Stellen Sie sich vor, Sie würden sich veranlasst sehen, nach Ungarn auszuwandern, weil Sie sich dort ein materiell besseres Leben versprechen. Ja, ja. Ungarn hat im Vergleich zu Deutschland immer noch niedrigere Lebenshaltungskosten, niedrigere Immobilienpreise, und wer Arbeit hat, oder eine sichere deutsche Rente bezieht, kann in Ungarn deutlich mehr draus machen als hierzulande. Würden Sie, kaum angekommen und der ungarischen Sprache halbwegs mächtig, sich bemüßigt sehen, eine Partei zu gründen, um Victor Orban abzusetzen und ihren deutschen Nachbarn aus dem nächsten Dorf ins Amt zu bringen?

Ich für mich sage: Nein, auf diese Idee käme ich wohl nicht. Es gibt in der ganzen EU weniger als eine Handvoll Staaten, von denen ich eine Oppositionspartei benennen und ihre politische Richtung einordnen könnte, und  der Einwanderer aus Syrien oder Afghanistan, aus Indien oder der Ukraine, hat vom politischen System Deutschlands vermutlich ebenso viel Ahnung wie ich von dem in Portugal.

So lange die vorgefundenen Lebensumstände den Erwartungen einigermaßen entsprechen, werden Wahlen nichts ändern, auch wenn plötzlich zwei Millionen zusätzliche Wahlberechtigte an die Urnen gerufen werden. 

Gefährlich wird es, wenn die Lebensumstände eines Tages nicht mehr den Erwartungen entsprechen sollten. Dann nämlich werden die Communities der Herkunftsländer enger zusammenrücken und zugleich noch weitere auf Distanz zum Staat gehen. Es werden sich aus den bereits vorhandenen No-Go-Areas neue „Kleinst-  und Kleinstaaten“ entwickeln, in denen weder das deutsche Strafgesetzbuch noch die deutschen Steuergesetze Anwendung finden. Da wird man das Auto nicht mehr bei der Zulassungsstelle vorführen und auch nicht beim TÜV, da wird sich auch keine Politesse mehr hintrauen und Knöllchen für Falschparker an die Windschutzscheiben heften, das werden verlorene Gebiete sein, die man glaubt, ebensowenig zurückgewinnen zu können, wie man glaubte, die Flüchtlinge an den Grenzen nicht zurückhalten zu können.

Diese Gebiete werden einen Sog ausüben, auf Migranten in anderen Landesteilen Deutschlands. Es wird dort die Verdrängung der authochtonen Bevölkerung voranschreiten wie die Entmietung eines zur Luxussanierung vorgesehenen Wohnblocks in Berlin. So setzen sich Scharia und das Faustrecht der Clans Straßenzeile um Straßenzeile, Vorort um Vorort immer weiter durch, und das alles ganz ohne Wahlen, ohne Parteien, ohne Parlamente, die deutsche Staatsangehörigkeit spielt dabei überhaupt keine Rolle.

Sollten SPD und Grüne erwarten, massiv von Zuwandererstimmen zu profitieren, werden sie erleben, dass sie nicht stärker, sondern nur erpressbarer geworden sind. Ohne eine gewachsene Bindung zu den Parteien und deren Grundausrichtung wird nämlich jede von der Regierung nicht erfüllte Forderung bei den Wahlen verlorene Stimmen bedeuten. Die Hoffnung, dass die Opposition es besser machen wird, führt da schnell dazu, das Kreuz woanders zu machen. Ist ja deutsche Demokratie, muss man doch ausprobieren, wer wirklich macht, was wir wollen.

Wenn es aus den Migrantenströmen seit 2015 wieder zu einer politischen Strömung kommen sollte, dann werden es ab etwa 2040 wiederum die Töchter und Söhne derjenigen sein, die sich von Merkel einladen ließen, und die stellen bis dahin sowieso die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland. Dann werden aber SPD, Grüne und die Unionsparteien nur noch Splittergruppen sein, deren Wählerstimmen unter „Diğer taraflar (Sonstige)“ gezählt werden.