Eine Hoffnung, die zumeist unbegründet ist, und selbst wenn die Rettung aus der Insolvenz gelingen sollte, häufig noch negative Fernwirkungen ausstrahlt.
Eine kleine Lektion betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Zusammenhänge.
Vorsicht: Dieser Artikel kommt nicht ohne Zahlen aus. Menschen mit Dyskalkulie könnten beim Weiterlesen schwer traumatisiert werden. |
Der Gang zum Insolvenzgericht ist angesagt, wenn ein Unternehmen entweder zahlungsunfähig oder überschuldet ist.
Um es klipp und klar zu sagen: In aller Regel ist die Ursache für Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit die unzureichende Ertragskraft, die üblicherweise in einer Abfolge mehrerer Verlustjahre sichtbar wird.
Zahlungsunfähigkeit kann allerdings auch bei im Grunde gesunden Unternehmen eintreten, zum Beispiel, wenn im Zuge größerer Investitionen in einem kurzen Zeitraum mehr Geld abgeflossen ist, als gleichzeitig wieder hereingeholt werden konnte und die Hausbank sich weigert, die Lücke zu überbrücken.
Überschuldung kann lange vor der Zahlungsunfähigkeit eintreten, wenn nämlich die Aktiva der Bilanz aufgrund von Sondereinflüssen bereinigt werden muss und dadurch die Verbindlichkeiten des Unternehmens das Vermögen übersteigen.
Diese beiden Sonderfälle sollen hier nicht weiter behandelt werden. Stattdessen dreht sich alles um die Frage, wie Verluste üblicherweise zustandekommen.
Es gibt nur zwei Größen, die den Ertrag eines Unternehmens beeinflussen, nämlich „Umsatz“ und „Kosten“.
Der Umsatz wird wesentlich beeinflusst
- einerseits durch die Attraktivität des Produkts für die Zielgruppe, die durch Werbung besonders herausgestellt werden kann,
- andererseits durch den Angebotspreis, der durch die Kosten und durch den am Markt etablierten Preislevel des Wettbewerbs determiniert wird,
- und nicht zuletzt durch die Größe des Marktes für dieses Produkt.
Die Kosten werden wesentlich beeinflusst
- einerseits durch Einkaufsvorteile bei Material und Zulieferteilen, die durch „Mengenrabatte“ realisiert werden,
- andererseits durch ein – für den jeweiligen Betrieb – optimales Verhältnis zwischen Personal- und Kapialkosten,
- und nicht zuletzt durch die Gestaltung der Organisation und der Abläufe innerhalb der Organisation.
Ein Beispiel:
Ein Karrosseriebau-Unternehmen hat sich auf die Herstellung von Tanklöschfahrzeugen (TLF) für die Feuerwehr spezialisiert. Betrachten wir zunächst die Größe des Marktes: Es gibt in Deutschland 22.020 Freiwillige Feuerwehren, 110 Berufsfeuerwehren, 20.516 Jugendfeuerwehren und 755 Werksfeuerwehren. Unterstellen wir, dass die Freiwilligen Feuerwehren im Durchschnitt über jeweils ein TLF verfügen, die Berufsfeuerwehren über drei, die Werksfeuerwehren über zwei und dass jede dritte Jugendfeuerwehr ein TLF ihr eigen nennt, dann ergibt das einen Bestand von knapp 30.000 derartigen Fahrzeugen. Feuerwehrautos bleiben relativ lange im Dienst, mit einer Ersatzbeschaffung ist kaum vor Ablauf von 15 Jahren zu rechnen, was einem jährlichen Bedarf von 2.000 neu in Dienst zu stellenden Tanklöschfahrzeugen entspricht.
Das ist die Größe des Marktes.
So ein TLF kostet, je nach Größe und mitgelieferter Ausstattung zwischen 200.000 und 500.000 Euro. Nehmen wir als Mittelwert 350.000 Euro an, so geht es im Gesamtmarkt um einen Umsatz von 700 Millionen Euro.
Welchen Anteil hat das Karosseriebau-Unternehmen aus unserem Beispiel an diesem Markt?
Nun es gibt zwei Konkurrenten. Konkurrent A, der Platzhirsch im Feuerwehrmarkt, wird im laufenden Jahr voraussichtlich 1.300 Tanklöschfahrzeuge absetzen und damit 400 Millionen Umsatz erzielen, Konkurrent B, berühmt-berüchtigt für seine hochpreisigen Spezialausstattungen, verkauft nur 200 Fahrzeuge und kommt damit auf 100 Millionen Umsatz. Verbleiben für unser Beispielunternehmen 500 Fahrzeuge und ein Umsatz von 200 Millionen.
Wer wirkt auf den ersten Blick am meisten insolvenzverdächtig?
Sie haben recht. Aus diesen Informationen ist kein Rückschluss auf die Ertragslage möglich. Man kann lediglich ausrechnen, dass A eher im unteren Preissegment tätig ist, während B die teuersten Fahrzeuge baut und unser Beispielunternehmen mit 400.000 Euro Umsatz pro Fahrzeug in etwa in der Mitte liegt.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die preisbereinigte Umsatzentwicklung der letzten fünf Jahre:
Geschäftsjahr | A | B | Beispiel |
2019 | 500 | 90 | 189 |
2020 | 480 | 85 | 198 |
2021 | 440 | 105 | 190 |
2022 | 380 | 88 | 195 |
2023 | 400 | 100 | 200 |
Gesamt | 2.200 | 468 | 972 |
2023 : Durchschnitt 2019-2022 |
– 11,1 % | +8,7 % | +3,6 % |
Danach betrachten wir die Kostenstruktur in Prozent vom Umsatzerlös im Jahr 2023
Kostenart | A | B | C |
Zulieferungen | 35 % | 30 % | 32 % |
Personal | 20 % | 25 % | 23 % |
Abschreibungen | 30 % | 14 % | 20 % |
Entwicklung | 5 % | 15 % | 7 % |
Sonstige Kosten | 4 % | 6 % | 5 % |
Summe | 94 % | 90 % | 87 % |
Gewinn vor Steuern 2023 | 24 Millionen | 10 Millionen | 26 Millionen |
Gewinn pro Mitarbeiter1) | 18.000 € | 24.000 € | 34.000 € |
Kapitalrendite2) | 2,0 % | 7,1 % | 6,5 % |
Gewinn pro Fahrzeug | 18.500 € | 50.000 € | 52.000 € |
1) Personalkosten Durchschnitt pro MA: 60.000 €
2) ermittelt auf Basis der durchschnittlichen Abschreibung von 10%
Diese Daten genügen, um zu allen drei Anbietern eine im Großen und Ganzen zutreffende Geschichte zu erzählen.
Anbieter A
hat frühzeitig darauf gesetzt, menschliche Arbeit durch Maschineneinsatz zu ersetzen, womit gleichzeitig die Zielgruppe der kleineren, weniger finanzstarken Feuerwehren verstärkt in Visier genommen wurde, weil diese ihre Neufahrzeuge ohne großartige Ansprüche an Sonderausstattungen praktisch von der Stange kaufen. Damit konnte die Produktion auf die reine Endmontage komprimiert werden, was sich auch im vergleichsweise hohen Anteil an Zulieferungen zeigt, wobei auch hier immer noch Wert auf relativ einfache und preiswerte Komponenten gelegt wurde.
Die dafür erforderliche Ausstattung der Produktion mit Maschinen und Anlagen hat eine Investition von rund 1,2 Milliarden Euro3) erforderlich gemacht, die sich jährlich mit 120 Millionen für Abschreibungen bemerkbar machen.
3) Investitionssumme zur besseren Veranschaulichung stark überhöht
Anstatt auf diese Weise mit Kostensenkungen auf der Personalseite mit niedrigeren Preisen Marktanteile gewinnen zu können, also die Produkton von 1.625 Einheiten im Jahr 2019 auf mindestens 2.450 Einheiten ab 2021 zu steigern, hat sich der Markt insgesamt rückläufig entwickelt, und gerade die Freiwilligen Feuerwehren haben Neuanschaffungen aufgeschoben, während Berufs- und Werksfeuerwehren ihren Bedarf weiterhin im mittleren und hochpreisigen Segment gedeckt haben.
Anbieter A konnte die neu geschaffenen Kapazitäten bisher nie im angestrebten Umfang auslasten. Die Kapitalkosten pro Fahrzeug lagen schon 2019 (1.625 Fahrzeuge) bei 74.000 Euro und stiegen bis 2023 (1.300 Fahrzeuge) auf 92.000 Euro pro Fahrzeug an.
Da sich die Abschreibungen nicht mit der Kapazitätsauslastung verändern, also „fix“ sind, entgingen A die bei der Investitionsentscheidung errechneten Vorteile aus der Fixkostendegression. Bei der geplanten Produktion von jährlich 2.450 Einheiten wären nämlich nur noch 49.000 Euro Abschreibung pro Einheit zu berücksichtigen gewesen. Die Differenz zu den 92.000 Euro AfA pro Einheit in 2023, schmälert den Gewinn um 43.000 Euro pro Fahrzeug und insgesamt um 56 Millionen Euro alleine 2023.
Damit wird jetzt der Gang zum Insolvenzgericht unausweichlich. Es ist ja nicht nur die Abschreibung in den Kosten weiterzugeben, was Probleme bereitet. Die Investition im Umfang von 1,2 Milliarden Euro wurde zu 70 Prozent mit niedrig verzinsten Krediten finanziert. Dafür müssen jährlich alleine 84 Millionen für die Tilgung aufgebracht werden, und das ist bei einem Jahresgewinn von 24 Millionen einfach nicht mehr möglich. Zugleich wurde das Anlagevermögen in der Bilanz durch die Abschreibungen bereits von 1,2 Milliarden Millionen auf 600 Millionen abgewertet, dem stehen jedoch – nach dem die Tilgungsraten in den ersten vier Jahren noch irgendwie zusammengekratzt werden konnten, immer noch 504 Millionen Schulden gegenüber.
Damit kann bei weiter schleppendem Geschäftsverlauf bereits von drohender Überschuldung gesprochen werden, während spätestens zum nächsten Tilgungstermin mit der Zahlungsunfähigkeit zu rechnen ist.
Anbieter B
hat sein Geschäftsmodell nach dem Motto: „Klein, aber fein“, aufgebaut. Mit einem vergleichsweisen großen Aufwand für Entwicklung und Konstruktion kann er auch den ausgefallensten Kundenwünschen entgegenkommen. Seine Marktnische, Berufs- und Werksfeuerwehren, ist zwar relativ klein, aber stabil und die Kundschaft erweist sich durchaus als zahlungskräftig. Die relativ kleinen Stückzahlen werden in Einzelanfertigung und ganz überwiegend in „Handarbeit“ hergestellt. Das Investment in Maschinen und Anlagen konnte relativ klein gehalten werden, dennoch ist es möglich, viele Teile nicht bei Zulieferern fertigen, sondern von eigenen Mitarbeitern selbst herstellen zu lassen. Die Marktschwäche der letzten Jahre hat B kaum getroffen, im Gegenteil es lässt sich bei ihm ein leichter Wachstumstrend feststellen, der hauptsächlich durch zusätzliche Mitarbeiter und gelegentlich durch Sonderschichten bewältigt werden kann.
Anbieter B steht insgesamt gut da. Das Konzept ist aufgegangen. Mehr Tanklöschfahrzeuge wird er allerdings in diesem Markt nicht absetzen können. Es spräche allerdings nichts dagegen, den Versuch zu unternehmen, nach dem gleichen Prinzip zusätzlich eine Drehleiterfertigung aufzubauen.
Unser Beispiel-Unternehmen
sieht auf den ersten Blick wie der klare Sieger aus. Höchster Gewinn pro Fahrzeug, höchster Gewinn pro Mitarbeiter und eine brauchbare Kapitalrendite lassen im Grunde nichts zu wünschen übrig. Nur die Geschäftsentwicklung sieht nicht besonders rosig aus. Es ist dem Mittelklasse-Anbieter nicht gelungen, Kundschaft aus dem Kundenkreis von A für seine Produkte zu begeistern. Der Preisunterschied ist einfach schon zu groß, um dem Stadtkämmerer, der die Ausrüstung für die Freiwillige Feuerwehr finanzieren muss, die zusätzlichen 100.000 Euro schmackhaft zu machen. Andererseits ist auch niemand aus dem Kreis der Berufs- und Werksfeuerwehren Kunde geworden, denn deren Ansprüche sind wiederum höher als das, was unser Beispielunternehmen mit seiner kleinen Entwicklungs- und Konstruktionsabteilung bewältigen könnte.
Trotz der insgesamt guten Zahlen besteht jedoch höchste Gefahr, dass spätestens 2025 der Gang zum Insolvenzgericht angetreten werden muss, und war ausgerechnet wegen der Insolvenz des Anbieters A.
Der für die Abwicklung von A bestellte Insolvenzverwalter schaut sich den Laden an und spricht mit den Gläubigern. Hauptbetroffen ist die Bank, die den Investitionskredit gewährt hat. Nach zähen Verhandlungen erklärt sie sich damit einverstanden, für den Fall, dass ein Investor gefunden wird, der den Betrieb übernimmt, auf 50 Prozent ihrer Forderung zu verzichten.
Ein chinesischer Staatskonzern, der erkannt hat, dass der Markt für preiswerte Tanklöschfahrzeuge mit dem Ausscheiden des Unternehmens A dringend einen Ersatzlieferanten benötigt, erklärt sich bereit, den Betrieb mit allen Mitarbeitern fortzuführen und einen Kaufpreis von 270 Millionen Euro auf den Tisch zu legen. Davon lassen sich die Bank mit den gewünschten 216 Millionen, sowie Zulieferer, ebenfalls mit 50% ihrer offenen Forderungen befriedigen und die Rechnung des Insolvenzverwalters kann ebenfalls beglichen werden.
Mit jährlichen Kapitalkosten von nur noch 27 Millionen Euro belastet, können die Chinesen ganz anders kalkulieren, so dass das Unternehmen tatsächlich wieder rentabel arbeiten kann.
Die Chinesen können aber noch mehr. In China gefertigte Tanklöschfahrzeuge werden nach Deutschland verschifft und vor Ort an die deutschen Normen und Bedürfnisse angepasst. Damit erreichen sie den Qualitätsstandard unseres Beispiel-Unternehmens, können jedoch locker um 50.000 Euro pro Einheit billiger anbieten.
Nach erstem Zögern der Stammkundschaft und ersten Erfahrungen mit den chinesischen Fahrzeugen, die nach wie vor unter dem Namen A angeboten und schließlich in Deutschland von deutschen Fachkräften den Endausbau erfahren, wandern erhebliche Teile der Stammkundschaft unseres Beispiel-Unternehmens zu den Chinesen ab. Wollte man im Preiswettbewerb mithalten, bliebe kein Cent Gewinn mehr übrig, geht das Unternehmen auf den Preiskampf nicht ein, kracht der Umsatz absehbar von 200 Millionen jährlich auf 50 Millionen in den Keller, und dann ist auch dieses Unternehmen nicht mehr rentabel zu führen.
Jede Insolvenz stellt einen Akt der Marktbereinigung dar.
Dies muss jedoch so ausbuchstabiert werden, dass die im Markt vorhandene Kaufkraft nicht ausreicht, um das Produktionsvolumen der Anbieter bei angemessener Kapazitätsauslastung aufzunehmen.
Die Ursachen dafür können sowohl auf der Anbieter- als auch auf der Nachfrageseite entstanden sein.
Drängen zusätzliche Anbieter in den Markt, ohne dass das Nachfragepotential entsprechend wächst, werden diese selbst, oder schon länger tätige Wettbewerber aus dem Markt verschwinden müssen.
Schrumpft der Markt wegen einer konjunkturellen Schwäche oder wegen struktureller volkswirtschaftlicher Probleme, wird das – der fehlenden Kaufkraft, nicht dem fehlenden Bedarf – geschuldete Überangebot ebenfalls zu Kapazitätsanpassungen und Insolvenzen führen.
Der in beiden Fällen zu beobachtende Preiskampf wird nicht immer von den Unternehmen mit der ungünstigsten Kostenstruktur verloren, sondern oft auch von denen mit der kürzesten Kapitaldecke, die nicht ausreicht, um eine längere Verlustphase durchzustehen und nach der Marktbereinigung wieder ins Verdienen zu kommen. Dies ist eine der Ursachen dafür, dass momentan gerade viele so genannte StartUps in die Insolvenz rutschen.
Strukturelle volkswirtschaftliche Probleme, wie sie von der Ampel unter anderem mit der gezielten Verteuerung der Energie geschaffen wurden, womit sowohl die Kostenseite der Unternehmen belastet als auch die Kaufkraft der Abnehmer reduziert wird, überfordern die Selbstheilungskräfte des Marktes. Ein neues Gleichgewicht des Marktes kann nicht mehr durch Marktbereinigung durch (einzelne) Insolvenzen hergestellt werden. Stattdessen tritt ein allgemeiner Wohlstandsverlust ein, der nicht nur die Kaufkraft der Konsumenten, sondern auch die Ertragskraft ganzer Branchen nachhaltig zerstört.
Ein neues Gleichgewicht kann nur auf einem deutlich niedrigeren Niveau wieder gefunden werden, wenn die Volkswirtschaft nicht sogar am Ende einer Spirale der Deflation hart auf dem Boden aufschlagen wird und praktisch von Null her wieder neu entwickelt werden muss.