Die vorläufigen amtlichen Endergebnisse für Hessen und Bayern stehen, und damit stehen auch schon wieder die Koalitionen für die nächsten fünf Jahre fest. Natürlich wird es – im Großen und Ganzen proforma, im Detail eventuell sogar erbitterte – Koaltionsverhandlungen geben, doch die Platzhirsche sind auch dieses mal ebenso wenig geplatzt, wie Zitronenfalter Zitronen falten.
Wahlentscheidend war, wie so oft, die Trägheit der Masse.
Das lässt sich durchaus positiv bewerten. Stichwort: Kontinuität. Land und Leute können sich auf eine kontinuierlich fortgesetzte Politik besser einstellen, sich damit arrangieren, können Vorteile, wie auch Hintertürchen nutzen und auf diese Weise, auch unter einer dummen Regierung den Nutzen mehren. Segler nennen diese Strategie, mit der man auch gegen den Wind vowärts kommen kann, „kreuzen“. Diskontinuität, ein steter Wechsel von Hüh und Hott, ist sehr viel anstrengender und mit sehr viel mehr Reibungsverlusten verbunden. Nun kann man sagen, die Italiener, die sich praktisch alle Jahre einmal eine neue Regierung wählen, kämen damit doch auch ganz gut zurecht. Stimmt. Aber niemand weiß, wie Italien heute dastünde, hätte es in Rom ebenfalls Dauerregenten gegeben, wie Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel.
Diese drei haben auf Bundesebene vorgeführt, was sich am gestrigen Wahltag auch für Bayern und Hessen ablesen lässt.
- Adenauer, der Mann der ersten Stunde, der die wesentlichen Weichenstellungen für das Nachkriegsdeutschland vorgenommen hat – soweit sich dies mit dem Willen der Siegermächte vereinbaren ließ – und damit das Vertrauen der Bevölkerung gewonnen hat,
- Kohl der aussitzend und bewahrend angetreten war, aber keine eigenen Impulse mehr zu setzen wusste, bis ihm die Wiedervereinigung in den Schoß gefallen ist, die er nach seinen Möglichkeiten zu managen versuchte,
- und dann Merkel, die Deutschland als Experimentierfeld angesehen hat und sich von Amtszeit zu Amtszeit mehr und mehr vom Willen der Deutschen entfernte,
diese drei haben gezeigt, wie Kontinuität sich – allmählich und schleichend – im negativen Fall auswirken kann. Und Merkel hat, im Abgang, ebenfalls gezeigt, dass es – bei einem vermeintlichen Politikwechsel – auch schlimmer werden kann.
Es war ja kein wirklicher Politikwechsel. Kanzler Scholz war Finanzminister der Vorgängerregierung und die Grünen haben, wenn auch nicht in der Regierung, so doch längst den Ton angegeben und das Regierungshandeln maximal beeinflusst. Nun, da sie endlich selbst am Ruder sind, versuchen sie, in vier Jahren alles nachzuholen, was in den langen Merkel-Jahren nur angefangen, aber nicht vollendet werden konnte.
Deutschlands Weg in die Dekarbonisierungs- und Deindustrialisierungsfalle, in die Ära unbezahlbarer und dennoch knapper Energie, in den immer erbitterteren Kampf gegen rechts und alles, was nicht stramm links ist, zeigt, dass alleine die Verschärfung der Gangart, ohne dass sich wesentliche Zielsetzungen geändert hätten, sich als schädliche Diskontinuität erweist, die letztlich dazu führen wird, dass diese Ampel, die die Zustimmung der Wähler in den Umfragen längst verloren hat, auch die nächste Bundestagswahl verlieren wird.
In den alten Bundesländern, vom wilden Osten ganz zu schweigen, hat die immer noch Mehrheits-Union aus CDU und CSU kurz vor der Wahl den taktischen Fehler begangen, auf die Forderungen der AfD einzugehen und „Lösungen in der Migrationskrise“ zu versprechen, ohne dazu schon wirklich die Rezepte und den Mut gefunden zu haben. Es ist der gleiche taktische Fehler, der unter Angela Merkel begangen wurde, als sie auf die Forderungen von weit links und tiefgrün eingegangen ist, und Lösungen bei Umweltschutz und Klimarettung verprochen und dabei stillschweigend den eigenen Markenkern aufgegeben hat.
Söder und Rein haben es mit diesem – zutiefst unglaubwürdigen – Trick geschafft, noch einmal die notwendigen Mehrheiten für die Fortsetzung ihrer Koalitionen einzusammeln. Ich hege große Zweifel daran, dass dem tatsächlich spürbare Taten folgen werden. Vor allem, weil die Länder nur wenige Möglichkeiten haben, den Kurs der Ampel in Berlin durch eigene Entscheidungen und Maßnahmen zu sabotieren. Es ist ja, im Streit um die Bundesmittel für die so genannten „zivilen Seenotretter“, sogar so weit gekommen, dass sich Baerbock gegen den Kanzler, der das stoppen wollte, durchgesetzt und die Hilfen bis mindestens 2026 festgeschrieben hat.
In zwei Jahren, spätestens, wird der Ampel die Klimapolitik auf die Füße fallen. Weil das so ist und nicht mehr verhindert werden kann, wird es in Berlin ein „Jetzt-erst-recht!“ geben, das auch die Zuwanderungspolitik mit einschließt. Man könnte es eine Politik der „verbrannten Erde“ nennen, aber ebenso als das „letzte Aufbäumen“ einer gescheiterten Regierung ansehen, bei dem SPD und FDP zwar längst nicht mehr wirklich mitspielen wollen, aber nicht wagen sich der grünen Hybris um den Preis des Koalitionsbruchs in den Weg zu stellen. Daran werden auch die Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, die im Herbst 2024 anstehen, selbst dann nichts ändern, wenn die AfD dort überall die stärkste Kraft werden sollte, wie es momentan von den Demoskopen vorhergesagt wird.
Erst wenn in Berlin wieder eine Regierung unter CDU-Führung – ohne Beteiligung der Grünen – vereidigt sein wird, ist damit zu rechnen, dass das Erstarken der AfD und der Freien Wähler in den Ländern tatsächlich auch dort, wo Bundesrecht beschlossen und Bundespolitik gemacht wird, eine Wirkung zeigen wird.
Ob dabei das richtige Maß getroffen wird, oder ob das lange, uneinsichtige Zögern, Zaudern und Verwehren wieder, wie schon beim Wechsel von GroKo zu Ampel, zu einer durchgeknallten Überreaktion führen wird, wird sich darin zeigen, ob und wie jetzt auf die Wahlergebnisse reagiert wird. Ein allmähliches, aber deutlich spürbares Einschwenken auf einen neuen Kurs wäre gefordert, um den nächsten großen Knall zu vermeiden.
Die neuerdings ertönende Botschaft, es müsse etwas gegen die „irreguläre“ Migration getan werden, höre ich wohl. Doch dass man es immer noch kaum über die Lippen bringt, die illegale Migration auch als solche zu bezeichnen, auch dass man die „Obergrenze“, die an den Grenzen Deutschlands zu errichten wäre, in eine Integrationsgrenze umbenannt hat, die nur innerhalb der Landesgrenzen errichtet werden kann, das lässt mich sowohl an der Zielsetzung als auch an der Intensität möglicher Maßnahmen ganz erheblich zweifeln.