Eigentlich kann es immer nur einen Platzhirsch geben. Wer das ist, entscheidet sich, wenn der etablierte Platzhirsch von einem anderen herausgefordert, die Herausforderung angenommen und das Kräftemessen ausgetragen wird.
Auf der Lichtung im Waldstudio – kann auch das WELT-Studio gewesen sein – war allerdings vom amtierenden Platzhirsch Ramelow nichts zu sehen. Es war nicht einmal die Rede von ihm. Fühlt er sich in seiner Rolle so sicher, dass ihn das Duell derer, die ihn beerben möchten, nicht die Bohne interessiert? Oder ist er schon zu schwach, um sich der Auseinandersetzung noch zu stellen? Wir werden sehen. Noch liegt ein halbes Jahr Wahlkampf vor uns, und Ramelow ist schon einmal auferstanden von den Abgewählten.
Nüchtern betrachtet sieht es so aus, dass am 1. September 2024 weder Voigt noch Höcke ohne Koalitionspartner auskommen werden.
Was geht da aus heutiger Sicht?
Die CDU, mit 20% aus der letzten Umfrage hervorgegangen, käme auch zusammen mit SPD und Grünen nur auf 34% – falls die Grünen es überhaupt in den Landtag schaffen. Ramelows 16% oder Wagenknechts 15% würden das Fass wohl vollmachen, aber: Das BSW ist noch in keiner Weise gefestigt, sich darauf einzulassen wäre ein Abenteuer mit völlig offenem Ausgang, und Ramelow? Noch einmal? Das würden die Wähler dem Voigt nicht verzeihen.
Die AfD steht nach der Correctiv-Attacke immer noch bei 29 Prozent. SPD und Grüne können sich mühelos einer Koalition unter Verweis auf „Prinzipien“ verweigern, deren Wähler goutieren das. Eine Koalition mit der LINKEn würde keine drei Tage halten, und ob eine Koaltion mit der Wagenknechtpartei – es gibt da ja ein paar Schnittmengen – ausreichen würde, um die Mehrheit der Sitze im Thüringer Landtag zu erreichen, ist fraglich.
Die einzige Lösung für Thüringen, die dem erkennbaren Wählerwillen nahe käme, wäre ein starker konservativer Block, dem eine starke linksgrüne Opposition gegenübersteht, also AfD+CDU gegen den ganzen Rest.
Dass Voigt sich auf die Diskussion mit Höcke eingelassen hat, dass die WELT (die nicht dem SPD-Medienimperium zugehört, sondern Merkels Busenfreundin Friede Springer) dem eine Bühne gegeben hat, dass vorher die größmögliche Aufmerksamkeit hergestellt wurde, weist für mich ziemlich deutlich darauf hin, dass es nicht darum gegangen war, Höcke in der sachlichen Auseinandersetzung „zu stellen“, wie es immer so schön heißt, wenn Brandmauerzweifler ihre Strategie verkünden, sondern darum, die Bevölkerung allmählich auf eben diese erste Koalition mit der AfD in einem Bundesland vorzubereiten.
Dieser Eindruck wurde durch den Verlauf des so genannten Duells noch verstärkt.
Höcke erhielt, wenn auch ebenso oft unterbrochen, durchaus immer noch reichlich Gelegenheit, seine Positionen in ganzen Sätzen darzulegen und so weit argumentativ zu unterfüttern, dass selbst der durchschnittlich politisch interessierte Zuschauer dem folgen und sich dazu seine Meinung bilden konnte.
Voigt hingegen, mit dem Anspruch des Fahnenträgers der wahren Demokraten auftretend, hielt sich nicht lange mit den Zielen und Absichten der CDU auf, verzichtete auch weitgehend auf sachliche Begründungen und legte den Schwerpunkt seiner Beiträge darauf, Attacken gegen die AfD im Allgemeinen und Höcke im Besonderen vorzutragen. Selbst da, wo – wie bei der Lösung der Migrationsprobleme – weitgehende Übereinstimmung festzustellen war, bemühte er sich, mit anderer Wortwahl den Eindruck absoluter Verschiedenheit zu erwecken.
Die Frage, ob es sich von beiden Seiten her um spontane Äußerungen handelte, die durch die Moderatoren geschickt herausgekitzelt wurden, oder ob die ganze Veranstaltung einer (gemeinsame) Strategie folgte, lässt sich nicht so einfach beantworten.
Unterstellt man jedoch, dass beide diese Koaltion zwar nicht aus tiefster Überzeugung anstreben, aber keine andere Möglichkeit sehen, um Ramelow abzulösen und Thüringen auf einen neuen Kurs zu bringen, dann könnte man die Inszenierung so deuten, dass Höcke hier erstmals öffentlich, außerhalb einer AfD-Veranstaltung zeigen durfte, dass er keineswegs dumm ist und seine Zielvorstellungen schon in die richtige Richtung gehen, während Voigt den Wählern in Thüringen den Nachweis brachte, dass er schon in der Lage sei, diesen Höcke unter Kontrolle zu halten und keinesfalls zulassen würde, dass diese Koaliton ebensso rechtslastig ausfallen würde wie die Berliner Ampel sich als grünlastig herausgestellt hat.
Natürlich wird es bis zum Wahltag noch viel Geschrei geben, hier und da werden auch verbal die Fetzen fliegen, das gehört nun einmal zum Spektakel. Aber danach wird man versuchen, schon aus Eigeninteresse heraus, miteinander ein gutes Bild abzugeben.
So wie es einst Holger Börner und Joschka Fischer versuchten, nachdem sie im Dezember 1985 in Hessen die erste Koalition auf Landesebene geschmiedtet hatten.
Auf www.1000dokumente.de gibt es dazu einen ausführlichen Text mit der historischen Einordnung dieses Geschehens.
Gut, um Erinnerungen aufzufrischen für die Älteren, ein Stück Geschichtsunterricht für die nach 1970 Geborenen, und für alle die Gelegenheit, Parallelen zu entdecken.