Daten, das Öl der Zukunft

Jeder will an meine, deine, unser aller Daten.

Die bekannten Datenkraken Google, Facebook, usw., ebenso wie der väterlich fürsorgliche Staat, die Krankenkassen, die Müllabfuhr, die Makler, die Versicherungsvertreter verlangen unsere Daten – und wir liefern unsere Daten ab, weil wir in der Regel gar nicht anders können, weil wir ohne Datenabgabe gar nicht erst „eingelassen“ werden.

Schon seit einigen Jahren wird daher orakelt, die Daten seien das Öl der Zukunft.

Diese These, so schön sie klingt, hat den kleinen Schönheitsfehler, dass sie nur in einem einzigen Aspekt zutreffend ist, nämlich da, wo ein Mittel gesucht wird, um möglichst schnell möglichst reich zu werden. Ich komme auf diesen Aspekt noch zurück.

Zunächst einmal das Wesentliche:

Öl ist ein wertvoller Rohstoff,
weil es so viele Nutzungsmöglichkeiten für Öl gibt.

Man kann Öl verbrennen und damit heizen. Man kann mit Öl Motoren antreiben – ganz kleine, wie im Modellflugzeug, und ganz große, wie die riesigen Dieselaggregate in den Containerschiffen. Öl ist der Grundstoff für tausende Anwendungsgebiete der Chemie und findet sich in Lippenstiften ebenso wieder, wie in den Stoffen unserer Bekleidung, in unseren Schuhen, in den Frischhaltefolien und in tausenden von Gebrauchsartikeln und Spielzeugen.

Öl ist die Basis einer ganzen Technologiefamilie, deren Produkte allgegenwärtig und aus Wirtschaft und Haushalt nicht mehr wegzudenken sind. Öl hat viele pflanzliche Rohstoffe ersetzt und damit dazu beigetragen, die Natur zu bewahren.

Mit Daten ist nichts von alledem möglich.

So, wie die Emirate am Golf immer noch auf unberührten unterirdischen Ölseen sitzen würden, gäbe es keine Nachfrage nach Öl, weil es keine Ölwirtschaft gibt, blieben auch die Datengebirge wertlos und ungenutzt, gäbe es keine Nachfrage nach Daten.

Nur, was macht man aus Daten?

Wenn wir ausnahmsweise jene Datenauswerter außer Acht lassen, die sich um die Reinheit der Herzen der Staatsbürger sorgen, und daher wissen wollen, wessen Wege sich verdächtig oft mit eines anderen Wegen kreuzen, die wissen wollen, wer im Internet wann, wie lange und unter dem Strich, wie oft, auf welchen Seiten verweilte, die wissen wollen, mit wem wir über elektronische Medien in Kontakt stehen und welche Mitteilungen wir dort machen, wenn wir also jene Datenauswerter außer Acht lassen, denen es nur um unsere Sicherheit geht, dann landen wir in der Welt des Kommerzes.

Nun ist das Thema ja nicht neu. Den Handel mit Adressen, möglichst angereichert mit zusätzlichen persönlichen Daten, gab es schon, als die Adresslisten noch auf Papier gedruckt wurden und per Post an die Interessenten ausgeliefert wurden. Da war dann schon auch mal die Information dabei, ob in einer Straße oder einem Viertel eher Wohlhabende oder eher Arme, eher Gebildete oder Ungebildete anzutreffen waren. Nicht selten gab es auch das Alter oder gar den Geburtstag des Adressinhabers dazu – und was man sonst noch alles herausfinden konnte, wenn man nur fleißig die Datenspuren verfolgte, welche die arglosen Mitbürger  – zum Beispiel bei der Teilnahme an einem Preisausschreiben – freiwillig so hinterließen.

Solche Adressen konnte man erwerben. Man konnte schon damals eingrenzen, ob man Adressen aus der ganzen Republik, aus einem Bundesland, einem Landkreis oder einer bestimmten Gemeinde haben wollte, ob man dort den gesamten Bestand, oder nur die Männer, nur die Frauen, nur Familien mit Kindern, nur Rentner, ob man die Adressen von Menschen mit einem jährlichen Durchschnittseinkommen in der Spanne von null bis 20.000 DM, von 21.000 bis 50.000 oder über 50.000 DM haben will, ob man Akademiker sucht oder Facharbeiter – die Auswahlkriterien waren schon damals uferlos – und je spezieller der Wunsch nach einem Adresspaket war, desto teurer war, es an diese Adressen heranzukommen.

Die ganze Absicht dahinter: Die gezielte, möglichst verlustarme, direkte Ansprache potentieller Kunden.

Ein Außendienstmitarbeiter einer Versicherung, der ohne aufbereitetes Adressmaterial loszog, konnte in mancher Woche gar keinen Abschluss erreichen, während einer, der mit guten Adressen ausgestattet war, täglich einen oder zwei Abschlüsse schaffen konnte. Das war der Unterschied. Eine Werbebroschüre, die per Postwurfsendung an Hunderttausend Haushalte einer bestimmten Region verteilt wurde, konnte vollkommen ohne positive Reaktion bleiben, während ein personalisiertes Anschreiben an nur tausend „gute“ Adressen einen Rücklauf von über zehn Prozent hervorbringen konnte.

Heute hat sich daran prinzipiell nichts geändert. Nur die Methoden wurden verfeinert. Man muss sich nicht mehr auf statistische Daten über das Kaufverhalten bestimmter Bevölkerungsgruppen abstützen, wie das die so genannten „Nielsen-Gebiete“ für lange Zeit in der bestmöglichen Qualität leisten konnten, sondern man kennt jeden einzelnen potentiellen Kunden aufgrund der Datenspuren, die er im Netz hinterlässt, sehr genau. Vor allem kennt man seine Interessen und Neigungen, sein Kaufverhalten, seine Einkommenssituation, und über seine aktuellen Suchanfragen weiß man, welchen Bedarf er gerade hat – oder immer wieder haben könnte. Zum Beispiel, weil man davon ausgehen kann, dass, wer einen Mähroboter gekauft hat, oder auch nur danach gesucht hat, mit höchster Wahrscheinlichkeit einen Garten hat, was nicht nur Gardena, sondern auch Dehner und natürlich Amazon veranlasst, mit Gartenartikeln, von Sämereien über Spaten und Hacke bis zum Gewächshaus und zum Gartenzwerg gezielt Angebote zu unterbreiten.

Damit aber nicht genug. Inzwischen gibt es kundenabhängige Preisgestaltung. Einerseits dergestalt, dass man Menschen, von denen man weiß, dass sie nicht so sehr auf den Preis achten, von vornherein Höchstpreise unterjubelt, während man anderen mit zeitlich begrenzten Schnäppchen-Angeboten versucht, das Geld aus der Tasche zu ziehen. Interessenten, von denen man weiß, dass sie seit geraumer Zeit z.B. nach einem Kaffeevollautomaten suchen, wird man das eigene Gerät nach und nach etwas preiswerter anbieten, und so weiter, und so fort. Es geht allerdings auch anders herum. Manche Menschen erhalten von manchen Unternehmen keinerlei gezielte Werbung, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – als Kunden nicht erwünscht sind. Das kann – trivial – an der Schufa-Auskunft liegen, es können aber auch ganz andere Ursachen sein, wie z.B. die  politische oder religiöse Einstellung, sexuelle Vorlieben oder die Information über Hersteller, Alter und Neupreis des privat genutzten Pkws sein, es geht alles – und die so genannte „Künstliche Intellligenz“ lernt mit jedem hinzugewonnenen Datum und jeder erfolgreichen oder erfolglosen Akquise immer besser vorherzusagen, wer – wann – was – zu welchem Preis bestellen wird.

Den größten Vorteil haben davon die größten Anbieter mit dem größten Kundenstamm, weil dazu auch die meisten Daten vorliegen und damit die statistische Vorhersagewahrscheinlichkeit immer weiter gesteigert werden kann.

Daten helfen zu verkaufen.

Die ganze Absicht dahinter: Marktführerschaft.

Noch scheint es so, dass der potentielle Kunde davon profitiert, dass seine Daten genutzt werden, um ihm stets das passende Angebot zu präsentieren. Ist ja schon toll: Man sucht einmal einen halben Tag lang nach einer Motorsense – und erhält vier Wochen lang von den unterschiedlichsten Verkäufern Angebote über die unterschiedlichsten Modelle unterschiedlicher Hersteller, selbst dann, wenn man den halben Tag der Suche mit einer Bestellung abgeschlossen hat.

Dies wird sich jedoch ändern. Es wird sich unmerklich Schritt für Schritt dahingehend ändern, dass die Anbieter mit den besten Datenbeständen und der excellentesten KI andere Anbieter aus dem Markt verdrängen. Mit den Anbietern verschwinden dann nach und nach auch Hersteller vom Markt, mit den Herstellern die Produktvielfalt.

Die so genannte „Freie Marktwirtschaft“ wandelt sich dadurch in eine oligopolistische oder monopolistische Planwirtschaft. Kaufen kannst du nur noch, was es gibt, und was es gibt, bestimmt am Ende einzig Amazon – oder eben Alibaba, das ist noch nicht ganz entschieden. 

So etwas, wie eine Innenstadt, in der man „shoppen“ geht, wird es in einigen Jahren nicht mehr geben. Die Corona-bedingten Geschäftsschließungen sind da nicht Ursache, sondern nur eine Art Brandbeschleuniger.

Sich dagegen zur Wehr setzen zu wollen, kleinräumiges, regionales Wirtschaften anzustreben, dem Versandhandelsriesen mit dem Tante-Emma-Laden Konkurrenz machen zu wollen, kann nicht funktionieren, denn wer ernsthaft und erfolgreich konkurrieren wollte, müsste dazu die Größe und Marktmacht erreichen, die eine Aussicht auf Erfolg erst hervorbringen könnte. Selbst Versuche, Marktmacht per Kartellrecht beschränken zu wollen, sind zum Scheitern verurteilt, und die zwangsweise Zerschlagung von Super-Konzernen in separate Einzelunternehmen wird ein erneutes Zusammenwachsen nicht verhindern können.

Ich kenne die Weber und die Weber-Aufstände nur aus historischen Aufzeichnungen. Sie hatten keine Chance gegen die Mechanisierung.
Gegen die Datendurchdringung der Beziehungen zwischen Produzenten, Handel und Konsumenten gibt es auch keine Chance mehr.

… und wie lange persönliche Dienstleister, wie z.B. Frisöre oder Hausärzte sich dem Trend noch entgegenstemmen können, ist fraglich. Betrachtet man den Trend der so genannten „Ärztlichen Versorgungszentren“, in denen eine Facharzt-Praxis nach der anderen aufgeht, dann wird auch hier die Digitalisierung dazu führen, dass Patienten nur noch als bloße Datensätze mit den jeweils wirtschaftlichsten Mitteln von der KI als medizinische Umsatzquellen betrachtet und umworben werden.

Aber Daten produzieren nichts.

Daten sind in diesem Sinne keine Basis-Innovation, die neue nützliche Produkte und Anwendungen hervorbringen und damit den Wohlstand der Menschheit wachsen lassen, wie es Dampfmaschine, Verbrennungsmotor und Elektrizität waren.

Die großen Sammlungen persönlicher Daten
sind letztlich nur ein Instrument der
„personalisierten Massenmanipulation“.

Und das gilt sowohl für die Datensammlungen der Wirtschaft als auch für die Datensammlungen staatlicher Stellen.
Vermutlich ist auch schon zu spät, das Zusammenwachsen dieser Datensammlungen zu verhindern.

Manchmal wünsche ich mir, eine große, energiereiche Sonneneruption, wie das „Carrington-Ereignis von 1859“ würde die Erde treffen, und alle  nicht gesondert „gehärteten“ elektronischen Geräte, samt der gespeicherten Daten vernichten.