Die politische Willensbildung des Volkes

Artikel 21 des Grundgesetzes sagt im ersten Satz über die Parteien

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.
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Alleine die Bezeichnung „Partei“ besagt unzweideutig, dass es nicht nur „eine“ geben kann. Die „Partei“ ist nun einmal ein „Teil“, ein von den anderen Teilen unterscheidbares Teil, und vertritt die Interessen eines Teils des Volkes, während andere Teile des Volkes ihre Interessen von anderen Parteien vertreten sehen.
Mit dieser Einsicht wird Artikel 21 GG zu einer ziemlich komplizierten Angelegenheit.
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  • Die Parteien, also mindestens zwei,
  • wirken „bei“ (nicht „an“!)
  • der politischen Willensbildung
  • des Volkes (nicht der Volksteile!)
  • mit.
Das Grundgesetz unterstellt also einen Prozess der Willensbildung des Volkes, der auch vollkommen unabhängig von Parteien stattfindet und räumt den Parteien das Recht ein, „bei“ dieser Willensbildung mitzuwirken. Die Parteien sollen also nicht „an“ der Willensbildung teilnehmen oder sie gar bestimmen, sondern bei der Willensbildung mitwirken. Übertragen auf das einfachere Beispiel einer Theateraufführung könnte man sagen: Die Schauspieler auf der Bühne wirken an der Aufführung mit, die Garderobiere, der Maskenbildner und die Platzanweiser wirken bei der Aufführung mit, sorgen also mit ihrem „Beiwerk“ für das Gelingen und den Erfolg.
Die Parteien stellen also die Organisations-Strukturen zur Verfügung, innerhalb derer sich die Willensbildung erst wirksam entwickeln kann. Dies führt dazu, dass sich immer dann, wenn Willensbildungsprozesse von den den bereits existierenden Parteien nicht unterstützt werden, neue Parteien zu gründen versuchen. Die Gründung von Parteien ist nach dem Grundgesetz frei. Dennoch gelingt es nur ganz selten, eine neue Partei zu etablieren und ihr zu einem mehr als marginalen politischen Einfluss zu verhelfen. Im Grunde haben das seit 1949 nur zwei Parteien geschafft, nämlich einerseits die Grünen und andererseits die AfD. Die LINKE ist viel älter als Grüne und AfD, war allerdings bis 1989 in ihrem Wirkungsbereich auf das Gebiet der DDR beschränkt.
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Wozu aber braucht es überhaupt den Prozess der politischen Willensbildung des Volkes?
Diese Frage führt sehr schnell zu der ebenso neutralen wie abstrakten Erkenntnis:
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Kernstück und Vorbedingung aller Politik
ist die Existenz eines gegenwärtigen oder
die Vermutung eines zukünftigen Problems.
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Ohne Problem – keine Politik. Ohne Problem – keine Parteien. Ohne Problem – keine Willensbildung. Dem kann entgegengehalten werden, dass es doch nicht nur Probleme, sondern auch problemunabhängige Ziele gäbe. Doch dieser Einspruch entbehrt jeglicher Grundlage. Es ist kein politisches Ziel aufzufinden, dem nicht ein Problem zugrunde läge.
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Ziele zugehörige Probleme
Wohlstand für alle Ungleiche Ressourcenverteilung
Abrüstung Kriegsgefahr, Rüstungskosten
Steuern senken Steuerbelastung führt zu Unzufriedenheit und sinkendem Engagement
Kostenlose KiTa-Plätze Arbeitskräftemangel, Geburtenrückgang,
Kampf gegen Rechts Verlust der Deutungshoheit
Klimaneutralität Menschengemachter Klimawandel
und so weiter und so weiter
Das Interesse der Wähler an einer Partei bezieht sich grundsätzlich auf das von dieser Partei primär formulierte Problem und dabei darauf, in welchem Maße dieser Partei die Fähigkeit zur Problemlösung zugetraut wird. Nennen wir diesen Entscheidungsprozess die „Positiv-Auswahl“.
Es gibt allerdings den gegenläufigen Prozess, der sich da einstellt, wo der Wähler das Problem nicht  erkennt oder für wenig bedeutsam erachtet. Dann richtet sich die Aufmerksamkeit auf die zur Problemlösung vorgeschlagenen Maßnahmen. Fühlt sich der Wähler von den vorgeschlagenen Maßnahmen stärker belastet als vom zugrunde liegenden Problem, wird er dieser Partei keine Stimme geben. Er trifft also eine „Negativ-Auswahl“.
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Welche Schlüssen ziehen die Parteistrategen aus diesem Verhalten?
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Da gibt es eine komplexe Gemengelage, die sich vielleicht am besten mit der aktuellen Situation in der Vorwahlphase in Deutschland illustrieren lässt.
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Taktgeber in der Problemdarstellung sind zweifellos die Grünen. Ihr Ansatz besteht darin, die von ihnen an die Wand gemalten drohenden Probleme in so grotesker Übertreibung darzustellen, dass diejenigen Wähler, die sich davon beeindrucken lassen, auch gewillt sind, die Folgen der drakonischen Maßnahmen auf sich zu nehmen, selbst wenn sie erkennen sollten, dass im Wahlkampf längst nicht alle Folter-Instrumente schon gezeigt werden.
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Wie das derzeit aussieht, habe ich aus dem (inzwischen praktisch unverändert verabschiedeten) Entwurf des Wahlprogramms der Grünen herausgelesen und für Sie kommentiert. (Egon W. Kreutzer, Wollt ihr das totale Grün?)
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Die derart in Panik versetzten Wähler würden aber nicht ausreichen, um ein zweistelliges Wahlergebnis einzufahren. Daher wird um das primäre Problem herum ein Problemgärtlein angelegt, in dem zur Schau gestellt wird, dass man eben nicht nur das ganz große Problem lösen wird, sondern gleich eine ganze Reihe der von den anderen Parteien gehegten und gepflegten Probleme noch mit. Die Wirtschaft wird aufgepäppelt, der Mindestlohn wird erhöht, die Renten werden gesichert, die Verteidigung wird gewährleistet, die Währung wird geschützt, die Bildungsanstrengungen werden gesteigert, und so weiter. Dies im Vertrauen darauf, dass einerseits die Klima-Fighter froh sind, auch in den übrigen Problemfeldern Lösungen erwarten zu können, während andererseits Wähler gewonnen werden können, die sich vor allem um Einkommen, Renten, Verteidigung, Bildung, Wohungsbau, usw. sorgen, aber die Klima-Rettung als Sahnehäubchen gerne mitnehmen.
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Die Sozialdemokraten, denen so etwas wie eine Stamm-Klientel längst abhanden gekommen ist, übernehmen schamlos das große Problem der Grünen, versichern, sich im gleichen Maße für seine Lösung einzusetzen, betonen jedoch, dass sie in den übrigen Problemfeldern (Wirtschaft, Löhne, Renten, Verteidigung, Währung, Bildung, usw.) die größere Erfahrung und Problemlösungskompetenz mitbringen und dass sie darauf achten werden, dass die soziale Komponente der Politik auch künftig, trotz aller Klima-Anstrengungen, nicht total vernachlässigt wird.
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Die Union kann gar nicht anders, sie muss mit auf den Klimazug aufspringen, denn es gibt unter den Wählern ja kaum jemanden, der dieses Problem nicht ernst nimmt, auch wenn nicht alle die grüne Panikmache teilen. Also wird auch hier das Klimathema als Generalthema inszeniert, jedoch mit der Anmerkung, dass sich die Problematik auch mit weniger belastenden Maßnahmen lösen ließe, und dass die von den Grünen an den Tag gelegte Eile überzogen sei. Die CSU, seit jeher der „extreme Flügel“ der Union, tutet mit Markus Söder etwas stärker in das Klima-Horn, während Armin Laschet die etwas gemäßigteren Postionen vertritt. Damit ergibt sich spiegelbildlich der sekundäre Ansatz der Grünen. Im Bereich aller bekannten und seit Jahrzehnten beackerten Problemfelder gibt es das klassische „Weiter so“ – und die Klimarettung gibt es als Sahnehäubchen obendrauf, und zwar in einer entschleunigten Light-Version.
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Die FDP findet keine eigene Position und sucht auf allen Seiten nach Anschlussmöglichkeiten. Dabei gibt sie sich den Anschein, im Falle einer Regierungsbeteiligung dafür sorgen zu können, dass dem Land und den Wählern das Schlimmste erspart bleibt, während sie andererseits betonen, beim Schlimmen nach Kräften mitzutun.
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Daraus ergeben sich drei grundsätzliche Muster:
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A) Übertreibung
Das selbst priorisierte Problem bis zum Zerplatzen aufblasen, um Zustimmung zu den Maßnahmen zur erreichen.
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B) Der Übertreibung zustimmen
Das von den anderen priorisierte Problem zum eigenen Problem machen und mit Erfahrung und Problemlösungskompetenz in anderen Politikfeldern punkten.
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C) Relativieren
Das wahlkampfbestimmende Problem ebenfalls aufgreifen, dabei jedoch Gefahren geringer einschätzen und weniger belastende Maßnahmen ankündigen.
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Die Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes ist damit gelungen. Zu diesem Zweck haben sich die SPD, FDP, CDU und CSU zur „Einheitsfront Klimaschutz“ zusammengefunden und auf die Vorstellung eines eigenen Profils, eigener Problemprioritäten und Lösungskonzepte verzichtet, bzw. diese hinter der Klimathematik vor dem Wähler verborgen.
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Die Parteien haben sich nicht darauf beschränkt, die Organisation-Strukturen zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet aber, dass sie zum „Selbstzweck“ verkommen sind, ein Selbstzweck der bei völliger Beliebigkeit der Inhalte nur noch auf den Selbsterhalt durch möglichst vollständiges Abgrasen der Wählerpotentiale abzielt. Es fehlt nur noch ein weißhäuptiges Staatsoberhaupt, das angesichts der Bedrohungslage erklärt:
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„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Klimaschützer!“
Natürlich gibt es noch ein anderes Problem, das aber für den Wahlausgang nur von geringer Bedeutung ist. Anders als der Klimawandel, der quasi als Rekonstruktion der katholischen Hölle auf eine relativ ferne Zukunft projiziert wird und dessen Eintreten noch dazu durch Buße, Reue und Opfergaben der Gläubigen noch abgewendet werden kann, ist die Corona- und Mutanten-Krise ein gegenwärtiges, noch dazu in Abschwächung begriffenes Problem, das weder die Union, noch die SPD oder die Grünen entscheidend besser bewältigen könnten, als es Spahn, Lauterbach, Drosten und Wieler bisher verwaltet haben.
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Es müsste jetzt noch von der AfD gesprochen werden.
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Es müsste. Doch es genügt, darzulegen, warum von ihr nicht gesprochen werden muss.
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Wie eingangs erwähnt, führt die Tatsache, dass Willensbildungsprozesse des Volkes von den bereits existierenden Parteien nicht unterstützt werden, dazu, dass versucht wird, neue Parteien zu gründen. Was sonst, außer der Verweigerung der bestehenden Parteien, dem Willen von Teilen des Volkes eine organisatorische Basis zu bieten, hat denn die Gründung der AfD quasi erzwungen?
Die Verweigerungshaltung der Altparteien geht jedoch noch weiter. Sie geben sich nicht damit zufrieden, die Ziele der AfD selbst nicht zu verfolgen. Sie setzen alles daran, die Willensbildung des Volkes in den Strukturen der AfD zu verunmöglichen. Die AfD wird von ihnen nicht als gleichberechtigte Partei anerkannt, die den Auftrag, bei der Willensbildung des Volkes mitzuwirken da übernimmt, wo sie nicht mitwirken wollen, nämlich bei allen Fragen, bei denen es um die Wahrung nationaler Interessen geht. Stattdessen wird die AfD ausgegrenzt und stigmatisiert, wo immer es möglich ist. Das fängt da an, wo es der AfD als einziger Fraktion verwehrt wird, einen Bundestags-Vizepräsidenten zu stellen, und es endet da, wo billigend in Kauf genommen wird, dass massive Drohungen der Antifa gegen die Betreiber von Hotels und Hallen dazu führen, dass die AfD größte Schwierigkeiten hat, überhaupt eine Lokalität für die Durchführung von Parteitagen zu finden, egal ob auf regionaler oder auf Bundesebene, und dass sie, so sie doch eine findet, immer noch Probleme hat, die eigenen Mitglieder sicher vor physischen Angriffen in die Lokalität hinein und wieder hinaus geleiten zu können.
Aus dem demokratischen Wettbewerb der Parteien, der Ideen, Pläne und Ziele, ist ein offener Krieg geworden, in dem nicht nur die AfD selbst angegriffen wird, um sie zu vernichten, sondern auch jeder, der es wagt, sich öffentlich mit einem AfD-Politiker zu zeigen, oder auch nur einem Journalisten, der verdächtigt wird, der AfD nahe zu stehen, ein Interview zu geben. Dass Till Schweiger, immerhin ein prominenter Schauspieler, wegen eines Fotos mit Boris Reitschuster vom gebührenfinanzierten Fernsehen daraufhin als „Arschloch“ betituliert werden durfte, sagt  mehr über den Zustand der Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes aus, als jede noch so tiefschürfende Doktorarbeit zum Thema Demokratie und Parteien.

Ob die AfD bei der Bundestagswahl die momentan  prognostizierten 10 Prozent einfahren wird, oder deutlich mehr, spielt derzeit für den Kurs der nächsten Bundesregierung und für die Gesetzgebung des Deutschen Bundestages keine Rolle. Man wird sie weiterhin im Diskussionsprozess ignorieren und ansonsten mit allen Mitteln bekämpfen.

Das Verhalten der Altparteien und der öffentlich-rechtlichen Medien, weiter Teile der Presse, sowie der vielen für den Kampf gegen rechts mit Steuermitteln finanzierten Organisationen und nicht zuletzt die Aktivitäten der Antifa erfüllen miteinander zweifellos den Tatbestand der Nötigung – und zwar sowohl gegenüber der Partei als auch gegenüber jenen Teilen der Bevölkerung die mit dieser Partei sympathisieren.

§ 240 StGB, Nötigung

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1. eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder

2. seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

 Allerdings lässt sich der §240 StGB eben nicht auf das Verhalten einer inoffiziellen Koaltion aus Parteien, Medien und NGOs gegenüber einer anderen Partei und einem unbestimmbaren Teil des Volkes anwenden – und wenn dem so wäre, der Jurist, der erklärt, dieses Verhalten sei nicht rechtswidrig, weil der angestrebte Zweck: „Kampf gegen rechts“, eben nicht verwerflich sei, würde sich finden lassen.

So bleibt lediglich festzuhalten, dass in diesem Lande eine inoffizielle Koalition existiert, die, unterstützt von den darin integrierten Parteien, versucht, die freie Willensbildung des Volkes da zu unterbinden, wo sie ihren eigenen Zielen zuwiderlaufen könnte.

Wer sich freiwillig den Angriffen einer solchen Koalition stellt, ist ein entweder ein Masochist, ein moderner Don Quichote, oder jemand, dem seine Überzeugung wichtiger ist als sein persönliches Wohlergehen.

Das sagt, falls  es sich um Überzeugungen handelt, noch nichts über deren Inhalt aus und sollte daher nicht als Wahlempfehlung verstanden werden. Von den Inhalten aller Parteien sollten sich alle, die gewillt sind, über ihre Stimmgabe die künftige Richtung der Politik mitzubestimmen, selbst ein Bild machen. Machen dürfen.