Im Grunde könnte jeder Kommentator der aktuellen Ereignisse dieser Tage gnadenlos aus dem Tollen schöpfen. Das Fass der grotesken Nachrichten läuft über, wie das aus dem Märchen bekannte, ewig süßen Brei produziernde Töpfchen. Doch dieser Brei ist weder süß, noch nahrhaft, sondern bitter und ätzend und er wird uns, wie den Stopfgänsen, ob wir es wollen oder nicht, mit Gewalt appliziert.
Der Versuch, eine durchgängige Linie zu zeichnen, an der man sich, wie Theseus am Faden der Ariadne entlanghangeln kann, wirft zunächst das Probem auf, einen Anfangspunkt zu finden, von dem aus sich die Ereignisse entwickeln und ausbreiten konnten.
Wie wäre es mit dem freundschaftlichen Abendmahl, das sich Verfassungsrichter und Regierung teilten, von dem nur bekannt geworden ist, dass es stattgefunden habe, nicht aber, welchem Zweck es diente und zu welchen Themen man dabei einen – sicherlich intensiven – Austausch pflegte.
Die nachfolgenden Ereignisse lassen den Schluss zu, dass es die Juristen in den roten Roben mit aller Macht drängte, die Regierung darauf vorzubereiten, dass der Klage gegen den Missbrauch von Corona-Schuldenermächtigungen zur Durchsetzung der Klimapolitik stattgegeben werden müsse, weil sich weit und breit auch nicht das kleinste Mauseloch entdecken ließ, nach dessen Durchschreiten sich die Grundgesetzwidrigkeit des Vorgehens in Wohlgefallen hätte auflösen können.
Mag sein, dass der Wunsch nach einer Vorab-Information auch von der Ampel ausgegangen sein könnte, doch tippe ich eher auf das Mitteilungsbedürfnis des Verfassungsgerichts, das sich völlig darüber im Klaren war, wie ungeheuer weitreichend die Folgen dieser Entscheidung sein würden und dass es gut sein dürfte, die Regierung zumindest mit knappem Vorlauf über das zu informieren, was auf sie zukommen wird. Womöglich verziert mit ein paar freundlichen Empfehlungen, welche Möglichkeiten offen stünden, sich mit Winden und Wenden auf einen Weg zu begeben, der nicht mehr so krass an Buchstabe und Geist des Grundgesetzes vorbeilaufen, aber das hochgesteckte Ziel dennoch erreichbar erscheinen ließe.
Als Tage später der große Knall aus Karlsruhe ertönte, erschien das Entsetzen so echt, als ob die Ampel von diesem vermeintlichen Todesstoß überraschter gewesen sei als weiland Caesar, in dem Moment, in dem er erkannte, dass Brutus es mit seinem Messer ernst meinte.
Das Entsetzen verflog und machte der klammheimlichen Freude jenes zwangslogischen Handelns Platz, das als das Kennzeichen des auf falschen Prämissen aufbauenden Handelns in Krisensituationen in der Weltgeschichte immer wieder zu beobachten war und ist. Der Finanzminister, nicht frei von gewissen Animositäten gegenüber seinen grünen Koalitionspartnern, tat, was er glaubte tun zu müssen, und sperrte die noch nicht zugewiesenen Teile des Klimatranformations-Fonds. Der Klimaschutzminister malte apokalyptische Bilder des völligen Zusammenbruchs an alle erreichbaren Wände, um – wie es schien – die Bevölkerung geschlossen gegen das Verfassungsgericht in Wallung zu bringen, während er im Stillen ausrechnete, wie viele Gigatonnen CO2 auf diese Weise aus seiner Klimabilanz getilgt werden würden. Omid Nouripur und Ricarda Lang sprangen ihm zur Seite, weniger die Katastrophe als vielmehr den Durchhaltewillen und die Alternativlosigkeit des grünen Treibens beschwörend.
Nur der Kanzler, völlig entrückt, als habe er den Knall nicht gehört oder als Folge des Knalltraumas eine zusätzliche retrograde Amnesie erworben, klang als habe er Merkels tibetanische Gebetsmühle geerbt und sprach vom alleinseligmachenden „Weiter so“ und „Augen zu und durch!“.
Damit alleine war aber nichts gewonnen. Die Stimmung im Volke kippte weder gegen das Verfassungsgericht, noch kippte sie gegen die grüne Weltrettungshybris. Es war eher ein interessiertes Abwarten zu verzeichnen, vermengt mit einem Hauch lange zurückgehaltener Schadenfreude, aber konterkariert von der Gewissheit: „Irgendwie werden die das schon so drehen, dass sie damit durchkommen.“
„Selbst schuld, das Volk, wenn es sich nicht mehr so leicht schockieren lassen will“, dachte man sich wahrscheinlich in den Parteizentralen, „da muss die Dosis halt erhöht werden.“
Robert Habeck, der Belesene, ergriff sein Steckenpferd, den schlachterprobten Pegasus, gab ihm eine ordentliche Portion Hafer zu fressen, und versuchte sich in der Rolle dessen, der auszog, alle Welt das Fürchten zu lehren.
Es sei doch nicht nur der KTF (Klimatransformationsfonds), der vom Verfassungsgericht abgeschossen wurde. Dieser Pfeil träfe ebenso den Doppelwumms des Kanzlers, sagte er sinngemäß. Da bräuchte die Union gar nicht mehr extra zu klagen. Das Ergebnis stehe nun bereits fest. Anders könne in dieser Causa gar nicht mehr geurteilt werden. Damit seien auch alle Hilfen für die Subventionierung des Strompreises gestrichen, und das träfe nicht nur die Industrie, sondern diesmal unterschiedslos alle, alle, alle und auch jeden. Von den Aluminiumhütten bis zu den Preppern unter ihren Aluhüten, von den kronleuchterhellen Palästen bis in die Hütten der Armutsrentnerinnen. Das Verfassungsgericht habe quasi die Rolle des Jüngsten Gerichts übernommen und Deutschland ob seiner Klimasünden, seines Kolonialismus und Rassismus, seiner Nachlässigkeit beim Zwei-Prozent-Ziel der NATO, und was dergleichen Sünden mehr sind, in die Hölle verdammt, von der es keinen Ausweg mehr gäbe, nur Heulen und Zähneklappern, und das schon in diesem Winter.
Aufgeschreckt von diesem Lamento beeilte sich Christian Lindner alle Ministerien mit einer weitreichenden Ausgabensperre zu belegen, damit nicht nur der Strompreis auf mindestens 50 Cent pro Kilowattstunde ansteigen möge, sondern auch, um die staatlichen Leistungen, weit über die Streichung der Hilfsgelder für Bedürftige und Systemrelevante hinaus, auf ein Minimum einzudampfen, das gerade noch ausreichen dürfte, um die Hilfen für die Ukraine und die laufenden Asylverfahren aufrecht erhalten zu können.
Hinter diesem – mit „Finale Furioso“ überschriebenen – Akt der komischen Oper ist der Vorhang noch nicht gefallen. Das Publikum verharrt wie gelähmt in den staatlich subventionierten Sitzen und wartet auf die Message, die Botschaft, den flammenden Appell, es möge sich empören, auf die Barrikaden steigen und dem Verfassungsgericht die Stirn bieten. Doch das ist ein Terrain, das weit hinter der Mutgrenze der Schauspieler liegt. Dieser Impuls muss aus des Volkes Mitte ertönen, wenn am Ende die Hände in Unschuld gewaschen werden sollen, wie es einst Pilatus vorexerzierte, der damit der Welt der Täter sein Beispiel für untadelig korrektes Verhalten gegeben hat.
Die letzte dramatische Wendung wird kommen, wenn der Lümmel, das Volk, tatsächlich bereit sein wird, das Verfassungsgericht mit Hass und Hetze zu überziehen. Dann wird die Göttin der Demokratie am dünnen Seil aus dem Schnürboden auf die Bühne herunterschweben, dem Volk den Kopf waschen, die Ehre des Verfassungsgerichts hochhalten und den Ausweg verkünden, der nirgends anders liege als im Grundgesetz selbst. Wer noch einen Rest von demokratischer Ehre im Leibe verspüre, und da sei man bei den Abgeordneten der Union sicher, dass ein solcher Rest bei ihnen in der Schicksalsstunde der Nation noch aktiviert werden könne, werde mithelfen, jene Zwei-Drittel-Mehrheit auf die Beine zu stellen, mit deren Hilfe der gewaltigste Schaden noch abgewendet und die Geldknappheit in eine alles heilende Geldflut umgewandelt werden würde.
Szenenapplaus mit stehenden Ovaitionen braust vom Parkett über die Ränge bis auf die höchsten Logenplätze, das gesamte Ensemble, samt dem Kapellmeister aus dem Orchestergraben versammelt sich auf der Bühne, um ergriffen den Schwur zu leisten, die ganze Kraft dem Deutschen Volke zu widmen und es mit vereinten Kräften von der Tyrranei der Schuldenbremse zu befreien.
Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum.
Wenn die Inflation auch längst schon
dräuend ihre Häupter hebt,
heute soll die ganze Nation
tanzen bis die Erde bebt.
Schließt euch an der großen Mehrheit
in der Deutschen heil’gem Bund!
Und wer’s nicht vermag, der stehle
fort sich aus des Reichtags Rund!