In der Raute liegt die Kraft

Bis in die Morgenstunden abendete und nächtete der des Tagens längst überdrüssige Koalitionsausschuss. Vertraut man ZEIT ONLINE, wurde bis 2.30 Uhr ausschließlich darum gerungen, wie viele besonders Schutzbedürftige Deutschland aus den Lagern in Griechenland befreien solle. Als die Würfel endlich gefallen waren, hatte man sich auf 1.000 für die CSU und 1.500 für die SPD geeinigt und beides durch ein „bis“ verbunden.

Die WELT erzählt zusätzlich, Markus Söder habe getwittert, in der Corona Krise sei neben medizinischen Schutzmaßnahmen (von denen in der Abschlusserklärung kein Wort zu finden ist)  auch ein Hilfspaket für die Wirtschaft vereinbart worden. Außerdem hätten sich AKK, Olaf Scholz, Heiko Maas und Jens Spahn in Schweigen gehüllt. 

Das allgegenwärtige Schweigen der Raute umschifft die WELT mit in langen Jahren gewonnener Routine, indem sie ihren Lesern vermittelt, was Merkel nun zu tun habe, und das fast so, als hätte man es von der großen Raute so gehört. Nur ein aufmüpfiger Satz hat die WELT-interne Kantenabschleifmaschine überlebt:

„Viren verbreiten sich weiter, auch wenn die Bundeskanzlerin ansteckungsgefährdeten Bürgern Zuspruch gibt.“

Vielleicht haben Sie in den letzten Tagen meine Prognosen für die Zunahme der Zahl der bestätigten COVID19-Fälle gesehen. Vielleicht erinnern Sie sich auch, dass ich vor einer Woche ankündigte, dass heute die 1.000er Marke überschritten sein wird.

Dass sich nur Prognosen zu den Zahlen der bestätigten Fälle machen lassen, liegt daran, dass nur diese anhand der veröffentlichten Zahlen der bestätigten Fälle überprüft werden können. 

Dass ich mit diesen Prognosen bis heute richtig lag, ist darauf zurückzuführen, dass ich „im Hintergrund“ eine Abschätzung der Zahl der noch nicht getesteten und der symptomfreien Infizierten vorgenommen habe. Denn diese nicht bestätigten Infektionsfälle sind es – solange die erkannten Fälle in Quarantäne gehalten werden – welche die weiteren Ansteckungen alleine vollbringen müssen.

Es ist zwar nicht zwingend so, dass meine Annahmen über die Zahl der nicht erkannten Infizierten richtig sind, doch die Bestätigung der von mir auf dieser Basis prognostizierten Fallzahlen deutet darauf hin, dass zumindest die Größenordnung getroffen sein dürfte.

Mein kleines Rechentool sagt mir, dass heute (9. März 2020) rund 7.000 unerkannte Infizierte in Deutschland unterwegs sind. In einer Woche könnten es 50.000 sein, am 1. April ist mit etwa 2,5 Millionen noch unerkannten Infizierten zu rechnen, falls …

Falls nicht endlich auch in Deutschland wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie getroffen werden.

Wo der Veterinär gefragt ist, und nicht der Humanmediziner, funktioniert die Seuchenabwehr hervorragend. Großräumige Stallpflicht für freilaufende Hühner, wenn irgendwo ein toter Vogel erfolgreich auf H5Nx getestet wird, die Massentötung von Beständen, wenn es dort auch nur einen Verdachtsfall gegeben hat, das funktioniert ruckzuck. Auch das Keulen von großen Rinderbeständen beim Aufkommen der BSE ging zügig, also ohne langes Zögern, nicht nur über die Runden – die Bilder mit Rinderkadavern die mit Radladern zur Endentsorgung gefahren wurden, gingen auch über die Bildschirme und zeugten von der Handlungsfähigkeit der Regierung.

Während Italien inzwischen das öffentliche Leben weitgehend zum Stillstand gebracht und weite Gebiete zu „Sperrzonen“ erklärt hat, hat man es hierzulande noch nicht einmal fertig gebracht, rings um den Hotspot Heinsberg einen Zaun zu ziehen und die Ein- und Ausreise zu unterbinden, geschweige denn, die Binnengrenzen in beide Richtungen zu kontrollieren und die Einreisen zu Lande, zu Wasser und über die Luft aus Risikogebieten zu unterbinden.

Die Ansage: „In Italien ist ja alles auch viel schlimmer“, ist vollendeter Blödsinn.

Italien ist uns in der exponentiellen Entwicklung der Fallzahlen nur ein paar Tage voraus, das ist alles. Der grundsätzliche Verlauf der Ausbreitung unterscheidet sich kaum zwischen Italien und Deutschland, weil das Virus in beiden Staaten auf ähnliche Entwicklungsvoraussetzungen trifft.

Und wenn wir, hier in Deutschland, weiterhin nichts tun, und die italienischen Maßnahmen in zwei, drei Wochen greifen und erste Erfolge zeitigen, dann werden wir die italienischen Zahlen bald weit übertreffen.

Mit mehr als einer Million unerkannter Infizierter besteht keine Chance mehr, dem Virus auszuweichen, außer freiwillig zu Hause zu bleiben und nicht einmal mehr dem Paketzusteller zu öffnen. Ich fürchte allerdings, dass auch die Autos von GLS und DHL und DPD und UPS bald ein seltener Anblick auf deutschen Straßen werden. Kaum jemand – neben Supermarktkassiererinnen – hat größere Chancen infiziert zu werden.

Wie Michael Klein, von Science Files, jüngst bemerkte, ist es erstaunlich, dass aus der deutschen Bevölkerung bisher niemand an COVID19 gestorben ist (außer einem in Ägypten). Das lässt – neben erfreulicheren Annahmen – eben leider auch vermuten, dass es auf deutschen Totenscheinen bisher keine Möglichkeit gibt „Corona“ anzukreuzen.

Ich klage oft (und leider immer erfolgloser) über die fehlende Professionalität und Sachkunde unseres politischen Personals. Angesichts des Bankkaufmannes*), der momentan dem Gesundheitsministerium vorsteht und der Richtlinienkompetenten, deren  Entschlussfreudigkeit weit seltener in Erscheinung tritt als der Alkoholabusus beim durchschnittlichen Quartalssäufer, wirkt das bloße Beklagen fehlender Professsionalität und Sachkunde allerdings schon ebenso hilflos wie das beklagte Verhalten.

Wenn ich mir vorstelle, mit welcher Professionalität der Sanitätsdienst der Bundeswehr mit der Pandemie umzugehen wüsste, wie gründlich und umfassend alle hohen Offiziere der Bundeswehr auf ihre Aufgabe vorbereitet werden, bevor ihnen mit der Befehlsgewalt auch die Verantwortung für die Soldaten und für den Schutz der Zivilbevölkerung übertragen werden, würde ich mich heute wohler fühlen, wenn zur Abwechslung einmal wieder Kompetenz und Entschlossenheit zum Tragen kämen, wie es Robert B. Thiele und Peter Orzechowski in ihrem Buch „Der Staatsstreich“ vorgezeichnet haben.


*) Den will und darf ich noch weiterverbreiten! Stammt aus der Zeller Zeitung von Bernd Zeller.

Gesundheitsminister Spahn räumte ein:

„Auf eine bevorstehende Epidemie waren wir gut vorbereitet,
aber jetzt haben wir eine gegenwärtige.