Freiheitsrechte in der Corona-Panik

Es gibt eine einfache und sogar schlüssige Argumentationskette, die von der Erstverkündung des Grundgesetzes bis zur Datenschutzgrundverordnung, zum Netzwerkdurch- suchungs/setzungs -gesetz und jetzt zu den Ausgangssperren in den Landkreisen Tirschenreuth und Wunsiedel führt, die sich auf den Nenner bringen lässt:

„Die schlimmen Finger, die uns zu Hunderten als Bundestagsabgeordnete vertreten und den Bundeskanzler wählen, haben schon in der Vergangenheit zugelassen und beschlossen, dass uns Schritt für Schritt die Grundrechte weggenommen wurden. Noch nie haben sie uns davon etwas zurückgewährt, wenn der aktuelle Anlass nicht mehr bestand. So wird nun auch die Corona-Panik a) geschürt und b) benutzt, um unsere Grund- und Menschenrechte, inzwischen aber auch viele weit darüber hinaus in Einzelgesetzen festgelegten Rechte zu nehmen.“

Dieser Aussage kann man grundsätzlich durchaus zustimmen, auch muss am Detail kein Streit entbrennen: Das deutsche Volk hat sich zu Gunsten eines stark ausgeprägten Sicherheitsbedürfnisses der von ihm (auch deshalb?) gewählten Vertreter in seinen verbrieften Freiheiten seit Bestehen der Republik stark beschneiden lassen. Es kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass dieser Trend fortgesetzt werden soll. Video-Überwachung mit automatischer Gesichtserkennung von fix montierten aber auch drohnengestützten Kameras aus, Ausweitung der legalen Vorratsdatenspeicherung, das sind die nächsten Ziele zur vollständigen und vollständig verdachtsunabhängigen Überwachung aller Bürger – und die Künstliche Intelligenz, die das Verhalten von Gruppen und Individuen vorhersagen soll, damit die Staatsmacht Angriffe unterbinden kann, noch bevor die Beteiligten überhaupt den Plan gefasst haben, weil die KI weiß, dass und wann sie ihn fassen werden, ist ebenfalls nichts völlig Utopisches mehr, sondern in Ansätzen bereits in Erprobung.

Diese Argumentation gipfelt nun aktuell darin, dass die zum Zwecke der Eindämmung der Seuche vorgeschriebenen zusätzlichen Einschränkungen der Freiheitsrechte nicht hingenommen werden dürften. 

So sehr ich die Empörung verstehen kann, meine ich, dass hier mehr gefordert ist, als den bekannten Trend einfach fortzuschreiben. Ich meine, dass COVID-19, wie die Seuche heißt, als ein zusätzlicher Parameter und als eine eigene Bedrohung gewürdigt werden muss.

Die Fragen, die ich mir dazu stelle, bilden einen großen Zusammenhang, den ich aber weißgott nicht mehr in einem Satz unterbringen kann, obwohl ich darin recht viel Übung habe.

Eine der ersten und am einfachsten zu beantwortenden Teilfragen lautet:

Wie schlimm wäre es wohl für die schlimmen Finger, die uns vertreten und regieren, wenn sie auf die Unterstützung der Seuche verzichten müssten und ihre nächsten Schritte zur Vermehrung unserer Sicherheit deshalb nicht so schnell getan werden könnten?

Woran sich gleich die zweite Teilfrage anschließt:

Wenn wir schon in ’normalen Zeiten‘ den Abbau von Freiheitsrechten nicht verhindern konnten, wird uns das nun ausgerechnet unter der Herrschaft der Pandemie gelingen?

Und:

Besteht in der wahlberechtigten Bevölkerung überhaupt ein ausreichendes Problembewusstsein, das ausgerechnet jetzt genutzt werden könnte?

Auf alle drei Teilfragen gibt es eine Antwort:

Das deutsche Volk hat, wie jedes Volk, genau die Regierung, die es verdient. Es hat die Gesetze, die es verdient, und es hat das Maß an Unfreiheit, das es verdient. Daran etwas zu ändern erfordert eine notwendigerweise neue Bewusstseinsbildung, sowie  das mehrheitliche, ernsthafte Streben nach Veränderung. So lange dies nicht geschieht – und es wird nicht geschehen, solange das Leben noch als erträglich empfunden wird – ist jegliches Lamentieren um den Verlust der Freiheitsrechte, dem nicht zugleich unter Inkaufnahme persönlicher Risiken ein aufopferungsvolles politisches Arbeiten für die Rückgewinnung der Bürgerrechte vorangeht, einfach nur sinnlos vergeudete Luft.

Jetzt mit dem Finger auf Corona zu zeigen, und dem Virus die Schuld zuzuweisen, dass – nachdem wir uns 70 Jahre lang geduldig unsere Rechte beschneiden ließen – nun die Pandemie der Türöffner für den nächsten Akt der Entmündigung sei, ist ein eleganter Weg, jedes Gefühl der eigenen Verantwortung für all die Versäumnisse der Vergangenheit zu verdrängen.

Das schwach ausgeprägte Selbstbewusstsein der Deutschen und ihr fehlender Mut, für ihre Freiheit zu kämpfen, sind Tatsachen, die vollkommen unabhängig von Viren aller Art existieren und auch unabhängig von der gerade anstehenden Pandemie behandelt und geheilt werden müssen.

Kommen wir zu weiteren Teilfragen, die ebenfalls in unsere Urteilsfindung einfließen müssen. Die erste dieser Teilfragen lautet:

Geht vom Sars-Cov-19 Virus eine besondere, die Gefährlichkeit der normalen Grippe übersteigende Gefahr aus?

Daran anschließend, aber auch für sich allein stehend, folgt die Teilfrage:

Ist es wahrscheinlich, dass durch die weitgehende Unterbindung sozialer Kontakte die Ausbreitung einer Infektionskrankheit verlangsamt werden kann?

Zur Ergänzung:

Ist es  richtig, dass es in der Bevölkerung noch keine Immunität gegen COVID-19 gibt, dass keine Therapie zur Verfügung steht und auch keine Impfprophylaxe möglich ist?

Auch zu diesen drei Fragen kann man die Antwort zusammenfassend geben.

Es liegen noch keine endgültig aussagekräftigen klinischen und epidemiologischen Daten zur Gefährlichkeit von COVID-19 vor. Es ist also weder bewiesen, dass COVID-19 gefährlicher ist als die „normale“ Grippe, noch dass sie nicht gefährlicher ist. Dass die Grippe als solche nicht ungefährlich ist, steht dabei außer Frage. Es geht nur darum, ob COVID-19 „schlimmer“ ist. Erschwerend kommt bei COVID-19 generell dazu, dass es weder eine Medizin, noch eine Impfung gibt, so dass – selbst bei gleicher Mortalität, COVID-19 zumindest in der ersten „Saison“ mehr Krankheitsfälle auslösen würde. Dem kann, weil es eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Wirksamkeit dieser Maßenahme gibt, durch die weitgehende Unterbindung sozialer Kontakte entgegengewirkt werden.

Daraus ergibt sich die abschließende Frage:

  • Ist es zumutbar,
  • um eine Infektionskrankheit,
  • über die wir noch nicht viel wissen,
  • die aber möglicherweise gefährlicher sein könnte als die regelmäßig auftretende Grippe,
  • zu bekämpfen,
  • das öffentliche Leben durch Verbote weitgehend stillzulegen und
  • ggfs. durch Ausgangssperren die Vermeidung sozialer Kontakte  sicherzustellen,
  • oder
  • muss gerade in der Pandemie jegliche weitere Einschränkung der Freiheitsrechte
  • mit allen Mitteln verhindert und unterbunden werden.

Für mich ist die Antwort klar, denn ich unterscheide zwei ganz unterschiedliche Bedrohungen, denen ich unterschiedliche Prioritäten zuweise.

Zuerst muss die noch unbekannte Bedrohung durch die Seuche bekämpft und so weit möglich wieder aus der Welt geschafft werden. Wenn dazu Maßnahmen, mit denen Freiheitsrechte eingeschränkt werden, als nützlich, wenn nicht gar zwingend geboten erscheinen, sollte nicht gezögert werden, sie zu ergreifen. Wenn die Gefahr gebannt ist, und erst dann, sollte man einer nicht mehr gerechtfertigten Fortdauer solcher Maßnahmen den Kampf ansagen und überhaupt den Kampf um die Rückgewinnung längst verlorener Freiheiten wieder aufnehmen. 

So fordert die Seuche die wenigsten Opfer und die Zahl derjenigen, die in den Genuss der danach wiedergewonnenen Freiheiten gelangen ist am größten.

Ob es zu einer dauerhaften Einschränkung der Freiheitsrechte kommt, liegt ganz und gar am Willen und Engagement der gesunden Überlebenden. Da will ich allerdings keine allzu optimistische Prognose wagen.