Alles – plus X (Teil II)

PaD 10 /2020 Hier auch als PDF verfügbar: PaD 102020 Alle plus X II

Alles – plus X (Teil II)

Es war zu erahnen, aber noch nicht gewiss, als ich vor einer Woche den ersten Teil veröffentlichte. Nun ist es offiziell:

Die Notenbanken und die Finanzminister
öffnen die Geldschleusen bis zum Anschlag

Alles – plus X 

Sie wissen es, und ich weiß es, „Alles – plus X“ ist eine Illusion, die sich nicht realisieren lässt. Es sei denn, X hat den Wert null.

Dass dies für Geld nicht gelten soll, dass Geld unbegrenzt vermehrt werden kann, dass sich die Notenbanken sogar gezwungen sehen, immer neue Geldfluten auszulösen, wie jetzt wieder, um wirtschaftliche Folgen der Corona-Krise gar nicht erst entstehen zu lassen, wirft doch tausend Fragen auf, auf die es immer nur eine Antwort gibt: „Wahnsinn!“

Höchste Zeit, die Frage zu stellen, ob irgendwie so etwas wie eine natürliche Obergrenze der Geldmenge, des Geldvermögens und der Geldschulden ermittelt werden könnte und wohin die Reise zwangsläufig gehen wird, wenn eine solche Obergrenze nicht in naher Zukunft implementiert werden wird.

 

Die Suche nach dieser Obergrenze stellt sich als mühsamer und zeitaufwändiger dar, als zunächst vermutet. Es wird daher nach diesem Teil II, in dem das Terrain beschrieben wird, in dem wir uns beim „Geld“ bewegen, noch einen Teil III geben müssen.

 Der hier vorgelegte zweite Teil wird allerdings für die meisten, die sich mit dem eigentlichen Wesen unseres Geldes bisher nicht oder nur oberflächlich beschäftigt haben, schon zu einer echten  Horrorfahrt werden. Halten Sie sich gut fest!

 

Geld und Wert

Das Lehrbuch sagt, Geld erhalte seinen Wert, wie jedes andere Gut auch, nur dadurch, dass es knapp sei und nur so lange, wie es knapp bleibt. Wüchse Geld ganzjährig wild wuchernd auf Bäumen, niemand würde sich die Mühe machen, mehr davon einzusammeln und aufzubewahren als er in der nächsten Stunde zum Ausgeben braucht.

Und selbst dieser Gedanke erweist sich schnell als absurd, denn etwas, was wild wuchernd in jeder nur denkbaren Menge, ja beinahe sintflutartig von den Bäumen fällt, wird niemand, der bei Verstand ist, als Bezahlung annehmen und etwas Wertvolles dafür hingeben.

 

Geld und (kein) Gold

Es gab Zeiten, das kann ich Ihnen hier nicht ersparen, wo wir doch gerade so schön vom Geld schwärmen, das auf Bäumen wächst, da waren Banknoten unverzinsliche Forderung an die Zentralbank, die bei Vorlage in Gold eingelöst werden mussten.

Dass man heute gegen die Vorlage einer Banknote vom Emittenten, von dem man annimmt, dass er für den Wert garantieren würde, nur wieder Banknoten im gleichen Nennwert erhält, wobei dieser Nennwert vom Materialwert so weit entfernt ist, wie der Gipfel des Mount Everest vom Meeresspiegel, sollte schon zu denken geben.

Wie kommt es wohl, dass die Zentralbank für ihr eigenes bedrucktes Papier im Gegenzug  wieder nur ihr eigenes bedrucktes Papier herausgibt, während man für einen fünfzig-Euro-Schein im Supermarkt durchaus eine Flasche Champagner oder fünf Kilogramm Schokolade oder eine ordentliche Bratpfanne bekommt?

Auch dieses Rätsels Lösung hängt mit dem wild wuchernd an Bäumen wachsendem Geld zusammen. Der ganze Wald der Geldbäume befindet sich im Besitz der Zentralbank. Sie braucht ihr eigenes Geld nicht. Daher gibt sie auch nichts Wertvolles dafür her, nur eben immer wieder ihr eigenes Geld.

 

Geld und Zahlungspflichten

Für den Inhaber des Supermarktes hat das gleiche Geld eine ganz andere Bedeutung. Er braucht es nämlich. Er braucht es, weil sowohl der Vermieter der Laden-Immobilie als auch seine Angestellten, vor allem aber die Lieferanten von ihm mit Geld bezahl werden wollen. Er braucht es, weil der Staat ihn zwingt von jedem Euro Umsatz einen gewissen Betrag (zwischen 7 und 19 Prozent) in die Staatskasse zu transferieren, und natürlich braucht er Geld, weil er am Ende des Tages selbst all das, was er für sich und seine Familie zum Lebensunterhalt braucht, mit Geld bezahlen muss.

 

Geld und Gold und Schuld

Natürlich kann der Supermarktinhaber mit seinem Geld auch Gold erwerben, von jemandem, der Gold hergibt, weil auch er Geld braucht.  Doch niemand ist verpflichtet, Gold für Geld herzugeben.

Der Übergang vom geprägten Edelmetall über Banknoten, die gegen Edelmetall eingetauscht werden mussten, zu unserem heutigen Schuldgeld hat sich für die breite Masse gänzlich unbemerkt vollzogen.

War das Geld früher das Ergebnis jener mühsamen, schweren und gefährlichen Arbeit, die notwendig war um der Erde das Gold zu entreißen,

ist es jetzt ein

  • anonymisierter
  • umlauffähiger
  • von Banken verbürgter
  • in genormter Stückelung gedruckter

Schuldschein.

Geld ist das nicht auf den Erstschuldner zurück verfolgbare Versprechen, eine Leistung erst noch zu erbringen, für welche die Gegenleistung per Bezahlung mit dem Schuldschein vom Erstschuldner schon in Anspruch genommen wurde. Geld hat also weit mehr von einem „Wechsel“ an sich, als es auf den ersten Blick danach aussieht. Diese „Vertuschung“ liegt darin, dass die Banken die Administration von unzähligen einzelnen Schuldscheinen übernommen haben und ein kleines Stück weit sogar die Garantie für die Einlösung dieser Schuldscheine übernehmen.  

 

Es werde – Geld!

Ich weiß, das ist – so kompakt dahinerzählt – nur ganz schwer zu verstehen. Aber bleiben Sie dennoch dabei, denn ich werde die Entstehung (Geldschöpfung)  unseres modernen Geldes gleich Schritt für Schritt beschreiben.

Geld entsteht im Euro-Raum genau so wie in den allermeisten anderen Volkswirtschaften und Währungsgebieten dieser Welt auch, nämlich indem eine Geschäftsbank einen Kredit an eine „Nichtbank“ vergibt.

Dazu braucht sie grundsätzlich keine Zentralbank, keine Münzen, keine Banknoten, auch keine Einlagen anderer Kunden, noch nicht einmal ein Eigenkapital.

Es genügt, die Möglichkeiten der so genannten Doppelten Buchführung zu nutzen, was nicht heißt, es würden in krimineller Absicht zwei Bücher geführt, ein offizielles fürs Finanzamt und ein geheimes für die Anteilseigner, sondern schlicht und einfach nur, dass nach einem ausgeklügelten System jeder Buchungsvorgang mindestens auf zwei Konten verbucht werden muss. Einmal im Soll, einmal im Haben.

Es gibt da zum Beispiel ein Konto für die Kasse und ein Konto für den Einkauf von Büromaterial. Wenn aus der Kasse Geld genommen wird, um Büromaterial einzukaufen, wird der gleiche Betrag als Abgang im Kassenkonto und als Zugang im Büromaterialkonto verbucht. Natürlich werden alle anderen Auszahlungen aus der Kasse für andere Zwecke auch als Abgänge im Kassenkonto verbucht, so dass immer klar ist, wieviel Geld sich in der Kasse befinden sollte, aber für die anderen Zwecke gibt es andere Gegenkonten. Auf dem Konto für Büromaterialeinkauf werden Zugänge allerdings auch verbucht, wenn sie nicht bar aus der Kasse, sondern per Überweisung vom Bankkonto bezahlt wurden, so dass auch hier immer klar ist, wie viel Geld für Büromaterial ausgegeben wurde.

Konto – und Gegenkonto, das ist die Doppelte Buchführung, und damit lässt sich mühelos Geld schöpfen, das bis unmittelbar vor der Ausführung der notwendigen Buchung absolut nirgends existierte.

 

Was ist – und wie entsteht – ein Bankguthaben?

Um das leichter zu verstehen, sollten Sie sich zunächst einmal klar machen, was letzten Endes unter einem Bankguthaben zu verstehen ist. Ein Bankguthaben, das ist Geld, das ein Bankkunde der Bank anvertraut hat und das er von ihr zurückfordern kann. Ein Guthaben ist also eine Forderung des Bankkunden gegen die Bank – und von daher aus Sicht der Bank eine Schuld, eine Verbindlichkeit, gegenüber ihrem Kunden.

Bei der Kreditvergabe entsteht das Bankguthaben des Kunden nun nicht dadurch, dass er das Geld an der Kasse einzahlt oder dass es ihm z.B. vom Arbeitgeber als Lohn überwiesen worden ist, sondern dieses Guthaben entsteht zum Ausgleich dafür, dass der Bankkunde erklärt, der Bank exakt diese Menge Geldes  zu schulden und zurückzahlen zu wollen. Neben dem Girokonto, auf dem das Guthaben erscheint, führt die Bank ein zweites Konto, das Kreditkonto, auf dem die Schuld des Bankkunden (aus Sicht der Bank also eine Forderung gegenüber ihrem Kunden), gleichzeitig mit der Verbuchung des Guthaben auf dem Girokonto gebucht wird.

Aus dem Nichts entstehen so gleichzeitig ein positiver und ein negativer Betrag, die sich gegenseitig wieder zu nichts aufheben. Der Kunde könnte nach erfolgter Kreditgewährung mit dem ihm übertragenen Guthaben die gleichzeitig entstandene Schuld wieder tilgen – und alles wäre wie vorher, abgesehen davon, dass die Bank womöglich eine Gebühr für ihre Mühen verlangt.

 

Wenn sich das Guthaben verselbständigt

Sie sehen, der Kredit aus dem Nichts, das Fiat-Money, ist keine Hexerei sondern nur ein Spiel mit Zahlen, aus dem erst Ernst wird, wenn der Kreditnehmer über sein Guthaben verfügt und zum Beispiel seinen 10.000 Euro Kredit einsetzt, um eine Überweisung an einen Gebrauchtwagenhändler durchzuführen, der sein Konto bei einer anderen Bank unterhält.

In diesem Augenblick verschwindet das Guthaben des Kunden aus der Buchführung – zurück bleibt nur die Forderung der Bank auf Rückzahlung.

Der Gebrauchtwagenhändler ist vollkommen frei, das aus dem Kredit seines Kunden entstandene Geld nach eigenem Belieben zu verwenden. Er ist in keiner Weise verpflichtet, an der Rückzahlung der Schuld mitzuwirken. Bei ihm ist das Geld einfach nur Geld, und dass jemand sich dafür verschulden musste, dass der Geldschein, oder der Kontoauszug, eigentlich ein Schuldschein ist, hat jegliche Evidenz verloren.

Um die Rückzahlung der Schuld bewerkstelligen zu können, muss der Kreditnehmer wieder genügend Geld einnehmen, also selbst eine Leistung erbringen, um seine Schuld tilgen zu können.

Von daher kann das umlaufende Geld als ein anonymer Schuldschein angesehen werden, von dem jeder, der es annimmt, wissen könnte, dass es irgendwo jemanden gibt, der eine Leistung erbringen muss, um diesen Schuldschein wieder in seinen Besitz zu bringen – und ihn bei der Bank abzuliefern, die dann wie ein Notar beglaubigt, dass die Schuld abgetragen ist.

Alles Geld ist von daher das Versprechen aller (unbekannten) Kreditnehmer, die Gegenleistung für eine in Anspruch genommene Leistung noch erbringen zu wollen. Es ist ein Schuldschein eines Unbekannten, dessen Bonität von der kreditgebenden Bank verbürgt wird, so dass dieser Schuldschein „wie Geld“ verwendet werden kann.

Um das Glück voll zu machen: Mit der Tilgung des Kredits ist „das Geld“ wieder aus der Welt. Es findet sich nirgends mehr, weder in einem Safe noch als Guthaben auf einem Konto. Ein Kredit hat eine bestimmte Laufzeit, einen bestimmten Zweck, der mit der Nutzung des Guthabens erreicht werden soll. Danach geht alles wieder auf null – und wenn ein neuer Zweck erreicht werden soll, braucht es einen neuen Kredit. Alles Geld in unserem Finanzsystem ist Kredit und folglich verschwindet alles Geld im dem Augenblick, in dem es zur Tilgung eines Bankkredits eingesetzt wird, wieder im Nirwana.

Als hätte es nie existiert.

Bleibt man gedanklich beim Giralgeld ist das noch relativ leicht nachzuvollziehen. Nehmen wir nur an, der Arbeitgeber unseres Kreditnehmers überweist die jährliche Erfolgsbeteiligung von 10.000 Euro auf dessen Konto.

Der wiederum überweist diese 10.000 Euro auf sein Schuldkonto, das damit ausgeglichen ist. Das Guthaben von 10.000 Euro ist nirgends mehr aufzufinden. Auch die Bank ist jetzt nicht um 10.000 Euro reicher geworden.

Wie das aber mit dem 500-Euro-Schein, der zur Tilgung an der Kasse der Bank eingezahlt wird? Der kann sich doch nicht in Luft auflösen?

Stimmt, so einfach ist das nicht, aber der 500 Euro Schein ist ja auch nicht mit dem Kredit entstanden. Er hat mit dem Kredit gar nichts zu tun. Der Kredit ist eine rein virtuelle Angelegenheit auf zwei Konten der Bank.  Das Guthaben, was dem Kreditnehmer eingeräumt wurde, war – bitte erinnern – eine Forderung des Kreditnehmers gegen die Bank. Diese Forderung hat er an der Kasse gegen einen Geldschein getauscht, der dort bereits existierte und im Eigentum der Bank war. Die Bank hat damit  weniger Schulden – ist also „reicher“ geworden, aber zum Ausgleich hat sie auch weniger Geld in Form von Banknoten, so dass ihr Vermögen sich durch den Tausch der Forderung gegen Bargeld nicht verändert hat.

Kommt ein 500 Euro-Schein zur Tilgung zurück, hat die Bank wieder mehr Geld in Form von Banknoten, dafür aber auch keine Forderung an den Kreditnehmer mehr. Der Schein ist wieder da, wo er war, aber das Guthaben und die Schuld, die sind verschwunden.

(Lesen Sie den Abschnitt im Zweifel einfach noch einmal!)

 

Knappheit

Obwohl also jede Bank im Prinzip so viel „Geld“ in die Welt setzen kann, wie sie will (es gibt zwar ein paar Vorschriften, die beachtet werden sollten, am Prinzip ändert das aber nichts) ist Geld auch nach der Abschaffung des Goldstandards ein (meistens mehr, gelegentlich auch minder) knappes Gut geblieben.

Und das ist noch eine sehr milde Beschreibung jenes real existierenden Zustandes, in dem die Verfügbarkeit von Zahlungsmitteln einzig in den Händen der Eigentümer der Banken liegt, die nach keinem Gesetz dafür verantwortlich gemacht werden können, wenn eine Volkswirtschaft mit ihrem billigem Geld zu einer Scheinblüte und in die Inflation getrieben wird, oder wenn ihre in schöner Einigkeit geschlossenen, allenfalls spärlich tröpfelnden Geldhähne in die Deflation und Depression führen.

 

Knappheitsursachen

Die Ursache für eine vollautomatische Verknappung der Liquidität wurde bereits angesprochen:

Jede Tilgungsleistung auf einen Bankkredit mindert das Volumen der umlaufenden Liquidität. Auch wenn es keinen anderen Einfluss auf die verfügbare Geldmenge gäbe, müsste alleine zur Aufrechterhaltung der für Handel und Wandel erforderlichen Liquidität ständig in dem Maße neue Verschuldung stattfinden, wie gleichzeitig durch Tilgung abgebaut wird.

Die politische Vorgabe, man möge doch, wie die schwäbische Hausfrau, „schuldenfrei“ wirtschaften, entpuppt sich in diesem Lichte als die  geradezu verbrecherische Absicht, eine Volkswirtschaft in die Deflation zu führen, solange nicht gleichzeitig eine grundlegende Reform des Geldsystems erfolgt.

 

Die Tücken der Hortung

Eine zweite, beinahe ebenso automatische Ursache der Verknappung der Liquidität ist das, was gemeinhin „Hortung“ genannt wird.

Ich fasse die Definition sehr weit, wenn ich sage: Hortung findet dann statt, wenn die während eines Lebens erworbenen Einkünfte die im gleichen Leben getätigten Ausgaben erheblich übersteigen.

Natürlich ist auch das Sparen für ein neues Auto „Hortung“, doch während die einen sparen und die anderen ihre Sparbücher auflösen und sich Autos kaufen, findet da permanent ein Ausgleich statt. Eine gewisse Menge „Erspartes“, das neben der im Markt umlaufenden Liquidität existiert, ist so  lange unschädlich, wie diese Menge „in Bewegung bleibt“ und sich dabei nicht wesentlich verändert.

Wo aber die Erben glücklich einen Haufen Geldvermögen übernehmen und den dann nach einigen Jahren als Erblasser – um einiges gewachsen – wieder an die eigenen Erben weitergeben, da wird der Realwirtschaft Liquidität durch „Stilllegung“ dauerhaft entzogen, und auch die muss durch Neuverschuldung wieder aufgefüllt werden, soll die Wirtschaft nicht allmählich am Geldmangel zugrunde gehen.

 

 Wieviel Geld wird gebraucht?

Der planwirtschaftliche Ansatz

Es gibt Berechnungen darüber, wie viele Zahnbürsten in einem Land im Laufe eines Jahres benötigt werden – und aus diesen Berechnungen folgt ungefähr die Kapazität der zur Herstellung von Zahnbürsten erforderlichen industriellen Anlagen, wie auch der für Zahnbürsten in den Regalen der Supermärkte vorzusehende Platz, der mit dem vorausberechneten Bedarf im jeweiligen Einzugsgebiet des Marktes gut korrespondiert.

Natürlich ist auf dieser Datenbasis der Umfang des Umsatzes mit Zahnbürsten insgesamt und pro Supermarkt leicht zu ermitteln, womit klar ist, wieviel Geld nur zum Zwecke des Kaufs von Zahnbürsten im Umlauf sein muss.

Der Begriff „Geldumlauf“ macht die Betrachtung des Geldbedarfs für Zahnbürsteneinkäufe ein wenig komplizierter. Geht man davon aus, dass das Geld tatsächlich umläuft und immer wieder von den Konsumenten über den Handel zu den Produzenten fließt, wo es als Lohn wieder an die Konsumenten ausgeschüttet wird, und nimmt dabei zur Kenntnis, dass der Takt des Umlaufes bei uns durch die monatliche Gehaltszahlung vorgegeben wird, dann kann angenommen werden, dass ein Zwölftel des Zahnbürstenjahresumsatzes in der jeden Monat neu als Lohn/Gehalt/Rente/Grundsicherung bei den Konsumenten ankommenden Geldmenge enthalten sein sollte.

Mieten, Versicherungen, Telefongebühren, Ratenzahlungen, alles hat sich dem Monatstakt der Gehaltszahlungen angepasst – man könnte also davon ausgehen, dass eine Geldmenge M1, die einem Zwölftel des BIP entspricht, genau richtig sei, um alle notwendigen und wünschenswerten Transaktionen bezahlen zu können.

Bei den etwa 3,5 Billionen Euro BIP Deutschlands (2019) sollte also die Geldmenge M1 (Münzen, Noten und sofort fälliges Giralgeld) ungefähr bei 300 Milliarden Euro vermutet werden.

Tatsächlich finden sich per Ende 2019 rund 2,3 Billionen Euro als deutscher Beitrag zur Geldmenge M1 in der Statistik des Euro-Systems. Das heißt, es werden ungefähr 2 Billionen Liquidität vorgehalten für die in der Realwirtschaft kein direkter Bedarf besteht.

 

Der marktwirtschaftliche Ansatz

Da der planwirtschaftliche Ansatz keine hinreichende Übereinstimmung mit der Realität erreicht, muss die Ursache des nach planwirtschaftlichen Berechnungen weit überhöhten Liquiditätspolsters anderweitig gesucht werden.

Sicher ist: In der Wirtschaft sorgen in allen größeren Unternehmen raffinierte Systeme der Liquiditätsplanung dafür, dass nie auch nur ein Euro mehr liquide und folglich zinslos herumliegt  als unbedingt sein muss. Hier ist die Erklärung also nicht zu finden.

Private Haushalte – und hier speziell jene, die nicht aktiv in Finanzanlagen spekulieren – könnten in Zeiten niedriger Zinsen den positiven Saldo des Gehaltskontos etwas in die Höhe haben wachsen lassen und so vielleicht – über alle gesehen – einen   Monatsbedarf aufgestockt haben, doch der Löwenanteil der 2 Billionen „überflüssiger Liquidität“ muss wohl als das „Spielgeld der Spekulanten“ angesehen werden, das an den Märkten beständig den Besitzer wechselt, ohne die Finanzsphäre wieder verlassen zu können.

Wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass alle Transaktionen an den Börsen, alle Käufe und Verkäufe von Aktien, Devisen, Edelmetallen, Schweinehälften und Derivaten aller Art immer gegen „Geld“ erfolgen, und zwar gegen Geld aus der Geldmenge M1, dann wird die Größe dieser Position verständlich.

Berücksichtigt man, dass 2019 alleine an den Devisenmärkten weltweit täglich Werte in Höhe von 6,6 Billionen US-Dollar bewegt wurden, und dass die von Deutschland aus in Euro agierenden Marktteilnehmer daran einen Anteil haben dürften, der in etwa dem Verhältnis des deutschen BIP zum Welt-BIP entsprechen, eher aber deutlich darüber liegen dürfte, haben wir – in  Bezug auf den Verwendungszweck jener überflüssigen, also „hyperliquiden“ 2 Billionen Euro – doch allein im Devisenhandel schon mindestens 300 Milliarden notwendiger Liquidität entdecken können.

In anderen Segmenten der „Märkte“ sind weitere Liquiditätsmengen zu erwarten, so dass klar wird, dass der marktwirtschaftliche Denkansatz, so er denn die Finanzmärkte einbezieht, in ganz erheblichem Maße dafür verantwortlich ist, dass die Geldmengen (in allen Aggregaten bis M3) stets stärker gewachsen sind als das BIP.

Mit etwas intensiverem Vor- und Nachdenken erschließt sich dem Analytiker, dass dies gar nicht anders sein kann!

Da Geld, das in die Hortung fließt, weiterhin „zählt“ aber aus Gründen  des durch die Hortung erzeugten Liquiditätsmangels in der Realwirtschaft durch neue Kreditvergabe ersetzt werden muss, ist ein Geldmengenwachstum auch dann unvermeidlich, wenn das BIP nicht mehr wächst.

Das Spielgeld der Spekulanten wächst mit jeder Gewinnausschüttung, die realwirtschaftlich geschaffenen Werte jedoch nicht, bzw. nicht im gleichen Umfang. Der Zuwachs gehorteten Geldes trifft in der Finanzsphäre auf Assets, deren Volumen nicht im gleichen Maße gewachsen ist, was schlicht und einfach dazu führt, dass Anlage suchendes Geld mit der Zeit immer mehr für die gleiche Anlage bezahlt. Ein Vorgang, der ganz klassisch das abbildet, was Inflation genannt wird, eine übermäßige Ausweitung der Geldmenge, welche die Preise in die Höhe schießen lässt, so dass das mehr an Nennwert sich durch den Verlust an Kaufkraft selbst entwertet.

 

Der momentan zu beobachtende rasante Kursverfall
an den Börsen

Was wird da vernichtet? Wird überhaupt etwas vernichtet? Muss der Staat retten?

Am Anfang muss festgestellt werden, dass ein Kursverfall an den Börsen alles mögliche vernichten und zerstören kann, aber eben keinen Cent Geld. Jedenfalls nicht primär.

Was zerstört wird, das sind Illusionen. Illusionen darüber, wieviel Geld erlöst werden kann, wenn ein Anteil an einem Unternehmen verkauft wird.

Solange der Eigentümer des Depots nichts verkaufen muss, braucht er nicht einmal den Kurszettel lesen. Große alte Vermögen sind unter anderem dadurch entstanden, dass niemals einer verkaufen musste, wenn die Kurse im Keller waren. Die kommen schon wieder hoch Auch diesmal wieder. Ein paar Jahre wird es dauern, vier, fünf, sechs, wer  weiß, dann sind Bayer und  BMW wieder so viel wert wie vor der Krise.

In den Allerwertesten gekniffen sind alle diejenigen, die sich von der wieder  einmal hochgekochten Aktienmanie haben anstecken lassen. Jene, denen der Finanzberater für die Sicherheit im Alter empfohlen hat, Aktien zu kaufen, weil es ja sonst nirgends mehr Zinsen gibt, oder gleich einen schönen Aktienfonds, der perfekt gemanagt wird, so dass man sich gar nicht auskennen muss und trotzdem ruhig schlafen kann. Von denen haben einige in den letzten drei Wochen zusehen müssen, wie mehr als ein Drittel ihrer Ersparnisse sich in Rauch aufgelöst haben, und weil die vom Ersparten zehren müssen, um zu überleben, werden sie sich nun ganz schön nach der Decke strecken müssen.

 

Doch damit ist das Thema nicht abschließend behandelt. Banken und auch Versicherungen haben Teile ihres Vermögens in Aktien angelegt. Gut, die Möglichkeit den Bilanzwert der Papiere weitgehend unabhängig vom aktuellen Kurs festzusetzen besteht, doch das hilft nichts, wenn die Assets versilbert werden müssen, weil Einleger ihre Einlagen abziehen wollen?

Wie ganz zu Beginn dieses Artikels angeführt, sind Zentralbanken und Finanzminister dabei, alle finanziellen Schleusen zu öffnen und einerseits dem Bankensystem Liquidität bereitzustellen, andererseits aber auch direkte Hilfen an Unternehmen und Konsumenten auszuschütten, die „primär“ natürlich die durch das Corona-Virus verursachten Ausfälle kompensieren sollen, tatsächlich aber den lange erwarteten Beginn des „Systemwechsels“ anzeigen.

Dieser Systemwechsel wird dann greifen, wenn „die Märkte“ erkennen, dass sie die von ihnen selbst hergestellten Blasen nicht platzen lassen dürfen, wollen sie nicht als die großen Verlierer dastehen.

 

 

Dazu mehr in Teil III, in einer Woche.

Teil I nochmals lesen? Hier!


Letzte Woche hat sich Robert S. aufgrund der nachstehenden Leseprobe den „Goldesel“ bestellt. Das hat er mir dazu geschrieben:

Lieber Herr Kreutzer,

nachdem ich mit „Der Goldesel“ nun trotz einger Beherrschung leider viel zu schnell zum Ende gekommen bin, weiß ich nicht so richtig, wie ich Ihnen mein Lob ausprechen könnte, ohne pathetisch zu werden.

Fühlen Sie sich deshalb mit höchster Anerkennung auf die Schulter geklopft, denn, ganz ehrlich, ich habe sogar von Steven King und anderen Weltklasseautoren schon Romane gelesen, die weniger fesselnd waren. Es war mir ein wahrer Genuss, vielen Dank dafür.

Mit besten Grüßen
Robert S.

 

Wirklich nur ein paar Takte aus: „Der Goldesel

„Platon“, fuhr Don Rimerco in seinem Monolog fort, und dabei erhob er sich von seinem Platz und begann, sich mit großen Gesten in Szene zu setzen, „Platon war dreimal auf Sizilien, immer den Kopf voller Flausen, hauptsächlich darüber, wie der ideale Staat zu gestalten und zu regieren sei. Dionysios der Erste, der Tyrann von Syrakus, hörte ihm nicht lange zu, er ließ ihn auf dem Sklavenmarkt feilbieten. Nun ja, er wurde freigekauft und er kam wieder, aber auch Dionysios der Zweite, den er danach für sich gewinnen wollte, war seinen Ideen nicht besonders zugeneigt und so fuhr er erneut unverrichteter Dinge nach Hause. Nach seinem dritten Aufenthalt in Sizilien gab er es dann – in tiefer Verbitterung – völlig auf, Staatsideale zu ersinnen. So enden viele, wenn sie erkennen, dass sich die Wirklichkeit nicht nach ihren Idealen formen lassen will.

Aber dieser Platon hat eine Weisheit hinterlassen, die auch auf Sizilien Gültigkeit erlangte und die ich meinem Leben vorangestellt habe:

Der Tugendhafte begnügt sich!‘, sagte Platon, und womit?

‚Der Tugendhafte begnügt sich, zu träumen!‘, sagte Platon, und wovon?“ Don Rimerco lachte spöttisch auf und hob die Stimme gewaltig an:

Der Tugendhafte begnügt sich, von dem zu träumen,
was der Böse im Leben verwirklicht.“

Er ließ seine Worte wirken, bevor er in normaler Lautstärke zu einer Erklärung ansetzte: „Ich habe früh aufgehört zu träumen und stattdessen angefangen, meinen Willen zu verwirklichen. Ich habe früh aufgehört, die Tugenden als Wert an sich zu üben und sie stattdessen als besondere Werkzeuge nur dann eingesetzt, wenn mir dies im Umgang mit den Menschen und der Macht als nützlich erschien.  

Vielleicht bin ich böse. Vielleicht sind wir alle, die wir heute einem Verrat entgangen sind, böse. Aber wir leben! Wir gestalten die Welt und die tugendhafte Isabella, die träumend und betend am Leben vorbeiging, ist tot und wird nichts mehr bewegen. Auch der weitaus weniger tugendhafte Giuseppe – Gott sei ihm gnädig – begnügte sich, zu träumen, denn er hat in seinem kurzen Leben nichts verwirklicht, was zu erwähnen sich lohnte.“

Don Rimerco schaute fragend in die Runde. Seine Gäste wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten, seine Rede war nicht leicht zu deuten. War es purer Zynismus oder doch eher ein Zeichen von Anmaßung und Überheblichkeit? War es eine in höhnischen Worten daherkommende, bittere Selbsterkenntnis oder doch nur die beifallsüchtige Zurschaustellung einer einfachen, wie aus rohen Brettern zurechtgezimmerten Philosophie? Suchte der Pate von Palermo eine Entschuldigung für sich, oder wollte er seinen Gästen mit diesen Worten moralische Werte und Orientierungshilfen vorgeben?

Bevor sich einer seiner Zuhörer angesprochen fühlen konnte, fuhr er fort: „Wir leben! Und wir werden jetzt weiterarbeiten.“ Er nahm wieder am Kopf des Besprechungstisches Platz und als er weitersprach war sein Ton geschäftsmäßig kühl: „Es war für heute geplant, endgültig über den MVV-Weg zu beschließen, und genau das werden wir jetzt tun.“


Neugierig, was das ist, der MVV-Weg?


„Habe ich das richtig verstanden? Da fahren zwei Busse durch München, öffentliche Busse?“

„Ja“, Fred nickte.

„Und diese Busse fahren ganz verschiedene Routen?“

Wieder nickte Fred.

„Und dann steigt ein Mann mit der Ware in den einen Bus und ein Mann mit dem Geld in den anderen Bus?“

„Ja, so soll das ablaufen.“

Abdul fragte weiter und weiter und während Fred ihm bestätigte, dass nicht jeder Platz in einem Bus für die Übergabe geeignet ist, dass es günstige und ungünstige Zeiten für die Transaktionen gibt, dass die Wagennummern der Busse per Handy an die Abholer weitergegeben werden, die zwei Stationen später einsteigen, um Ware oder Geld vom Kurier zu übernehmen, während Fred also mit Engelsgeduld zuhörte, wie Abdul das Konzept aus dem Gedächtnis wiederholte, spürte er wie Raizas Nähe ihn immer stärker beanspruchte, seine Aufmerksamkeit und Konzentration abzog, wie seine Gedanken immer weniger bei der Sache waren, immer öfter abschweiften, wie eine Art von Magnetismus an ihm zerrte und verlangte, dass er sich der Frau, die so nahe bei ihm saß zuwandte, sie ansah, sie berührte.

Erst als Pierre van Niem in den Raum kam und sich, ohne zu fragen, wie selbstverständlich mit an den Tisch setzte, löste sich die Spannung auf und Fred konnte wieder normal denken, in zusammenhängenden Sätzen reden und unverkrampft atmen.

„Na, hat Abdul inzwischen begriffen, worum es geht?“, frozzelte der gebürtige Niederländer, bevor er dazu überging sich zu vergewissern, dass er auch selbst alles richtig verstanden hatte. „Sie wollen die Wagennummern der Busse, in die die Kuriere eingestiegen sind, per SMS weitergeben? Ist das nicht viel zu unsicher? Mir wäre lieber, wenn die Beteiligten sich an der Stimme erkennen könnten! Damit wäre jedenfalls sichergestellt, dass sich kein Fremder einmischt, und die Kontrolle übernimmt.“

Fred erläuterte, dass die SMS unauffälliger abzusetzen sei, niemand könne zufällig etwas aufschnappen, aber van Niem blieb bei seinen Bedenken: „Es geht hier nicht nur um die Sicherheit der Kuriere und um den Wert einer Lieferung, es geht auch um unsere Sicherheit. Glauben Sie mir, wenn jemand das System durchschaut und sich in die SMS-Meldungen einschaltet, schickt er alle Beteiligten der Polizei in die Arme und einer singt dann bestimmt. Einer singt immer.“

 

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