EU-Kommission vs. Ungarn: Unsäglich …

Vor einer Woche, am 9. Juli 2024, habe ich Orbans Friedensinitiative in dem Aufsatz „Orban auf Abwegen – Krieg der Vernünfte“ besprochen und darin erklärt:

„Vernunft als ein unteilbares, allgemeingültiges und unveränderliches Prinzip anzusehen, das zugleich als Messlatte dient, um die individuellen Grade der Unvernunft festzustellen, führt garantiert in den Irrtum und in unauflösliche Konflikte.
(…)
Die kollektive Vernunft verbietet den Mitgliedern des Kollektivs, überhaupt noch auf die Hinweise ihrer „national-individuellen“Vernunft zu achten. Hält es das Kollektiv zum Beispiel für richtig, von sich aus eine Konfrontation mit Russland zu suchen, dann ist die Mitwirkung dabei vernünftig, weil sonst Abstriche bei der Teilhabe an der kollektiven Sicherheit gemacht werden müssten.Vorausschauend können wir ahnen, dass sowohl das Ausbleiben einer bewaffneten Auseinandersetzung mit der NATO als auch ein heißer Krieg mit der NATO, nur die kollektive Vernunft des Misstrauens und des Aufrüstens bestätigen wird.“

Ich hätte nicht geglaubt, dass sich die kollektive Vernunft der EU so schnell und so deutlich zu erkennen geben wird.

Statt die Gelegenheit wahrzunehmen, sich bei einem informellen Treffen in Budapest aus erster Hand über das informieren zu lassen, was der Außenminister-Kollege Orban in Kiew, Moskau, und Peking, bei der NATO und bei Donald Trump besprochen hat und in Erfahrung bringen konnte, verzieht sich das Kollektiv – angeführt von Ursula von der Leyen – geschlossen in den Schmollwinkel. (ORF-Meldung vom 15.07.24)

Konnte man bis zu diesem Moment noch annehmen, dass es in der EU einzig die deutsche Außenministerin ist, die sich mit ihrer Art des diplomatischen Auftretens  einen gewissen Ruf erarbeitet hat, zeugt der aus der Kommission kommende Aufruf zum offenen Boykott der Veranstaltung, an der aus der Kommission nur noch Mitarbeiter  der zweiten oder dritten Ebene  teilnehmen sollen, während noch dazu erwogen wird, die Veranstaltung statt in Budapest – beim amtierenden Ratspräsidenten – in Brüssel stattfinden zu lassen, doch auch nicht von besonderer diplomatischer Feinfühligkeit.

Und als wäre dies an Demütigung des ungarischen Ministerpräsidenten und derzeitigem EU-Ratspräsidenten noch nicht genug, kündigt die Kommission (dreist) an, man werde auf den traditionellen Antrittsbesuch der Kommission beim Ratspräsidenten verzichten.

Ist das mit dem Begriff „Affront“ alleine noch treffend zu bezeichnen? Mir kommen da doch erhebliche Zweifel.

Dass 63 Abgeordnete des EU-Parlaments, angeführt von der estnisch-russophoben Riho Terras in einem Brief forden, Ungarn das Stimmrecht im Rat der EU zu entziehen, könnte man als Minderheitsmeinung im Parlament auf die leichte Schulter nehmen, stünde es nicht vor dem Hintergrund der offen feindseligen Haltung der Kommission gegenüber Victor Orban.

Hier spielt sich die Kommission in einem Maße auf, das in vergleichbarer Weise im Verhalten der deutschen Bundesregierung gegenüber einem Ministerpräsidenten eines Bundeslandes seit 1949 noch nie gegeben hat. Dabei ist der Status der Kommission gegenüber den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer deutlich geringer als der Status der Bundesregierung gegenüber den Landesregierungen.

Dass dies so durchgeht, dass nicht wenigstens Macron auf die Barrikaden steigt und erklärt, er – der er gleichrangig mit Orban im Rat sitzt und die politische Grundrichtung der EU bestimmt – werde nicht zulassen, hier einen Präzedenzfall zu schaffen, der den endgültigen Übergang der Macht in der EU vom Rat auf die Kommission zementiert, deutet darauf hin, dass sich in diesem Fall alle gegen einen verschworen haben, dass es darum geht, Orban und die Ungarn, die diesen Mann allen Mahnungen zum Trotz immer wieder wählen, zum EU-Mitglied zweiter oder dritter Klasse zu machen, koste es, was es wolle.

Victor Orban wird diese Demütigung nicht ohne deutliche Reaktion hinnehmen. Als Staatsmann – und er ist ein Staatsmann! – weiß er aber auch, dass er sich mit einem voreiligen, emotionalen Handeln nur noch weiter in die Ecke manövrieren würde. Wir werden es abwarten müssen, doch ich bin sicher, seine Stunde kommt.

Das äußerste Szenario wäre – nach wenigen Jahren intensiver Vorbereitungen – der Austritt Ungarns aus EU und NATO, verbunden mit der Ausrufung der Neutralität und einem Beitrittsersuchen an die BRICS-Gemeinschaft.

Wobei ich heute schon wette: Der Großteil jener Unternehmen aus der EU, insbesondere aus Deutschland, die sich in Ungarn niedergelassen haben, würde sich nach reiflicher Überlegung entscheiden, in Ungarn zu bleiben, weil die Vorteile dort überwiegen.