Hubertus Heil sucht das Heil der SPD im Kollektiv der Mindestlöhner.
Die Erhöhung des Mindestlohnes um gleich 23 Prozent (von 12,41 auf 15,27 €) sieht er aufgrund einer der vielen tausend EU-Richtlinien als zwingend geboten an. Dort heißt es, als Mindestlohn sind 60 Prozent eines mittleren Lohns festzusetzen.
Der mittlere Lohn in Deutschland soll bei 25,45 Euro pro Stunde liegen.
Gesucht wurde bei der Ermittlung der Median-Lohn, also jener Stundenlohn, von dem aus betrachtet die Hälfte der Lohnempfänger weniger und die andere Hälfte mehr Lohn pro Stunde erhält. Das hat zumindest den Vorteil, dass die Erhöhung des Mindestlohns unter normalen Umständen nicht zu einer Veränderung des mittleren Lohnes führt, weil sich die Zahl der Mindestlohnempfänger zunächst nicht verändert.
Falls die nun von Heil in die Diskussion geworfene Erhöhung des Mindeslohns allerdings etliche sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ins Lager der Bürgergeldempfänger verweisen sollte, ist alleine deshalb mit einem Anstieg des mittleren Lohnes zu rechnen, was nach EU-Vorgaben zu einer weiteren Erhöhung der Mindeslöhne führen muss.
Das Ungeheuerliche der Mindestlohnanhebung wird leider erst dann deutlich, wenn man sich die Ergebnisse der Tarifverhandlungen der letzten Jahre betrachtet. Wo findet sich der Arbeitgeberverband, der jemals einer Gewerkschaftsforderung nach einer Lohnerhöhung um 23 Prozent zugestimmt hätte? Wo findet sich eine Gewerkschaft, die überhaupt gewagt hätte, eine solche Forderung ernsthaft zu formulieren? Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Personalkosten – je nach Branche unterschiedlich – nur einen Teil der Gesamtkosten ausmachen, wäre eine Erhöhung um 23 Prozent für viele Unternehmen eine echte Katastrophe, und wenn Ver.di für den Öffentlichen Dienst 23 Prozent durchsetzen könnte, wären alle Versuche von Gemeinden, Ländern und Bund, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen, zum Scheitern verurteilt.
Aber beim Mindestlohn geht das.
Es ist ja bl0ß der Mindestlohn.
Es sind ja bloß drei Euro mehr.
Das fällt doch gar nicht auf.
Das ist eine saublöde Argumentation.
Genauso, wie in einem IT-Unternehmen ganz überwiegend sehr gut bezahlte Angestellte vorzufinden sind, gibt es Unternehmen, bzw. ganze Branchen, in denen ganz überwiegend Mitarbeiter zum Mindestlohn beschäftigt werden.
In beiden Fällen wirkt sich eine Erhöhung der Personalkosten um 23 Prozent dramatisch aus.
Paketdienste, das Friseurhandwerk, Gebäudereiniger, Systemgastronomie, usw., zahlen überlicherweise nur den Mindestlohn und weisen noch dazu das besondere Merkmal auf, dass nämlich der Personalkostenanteil an den Gesamtkosten besonders hoch ist, weshalb Lohnerhöhungen besonders kräftig auf die Kalkulation und damit auf die Preise durchschlagen.
Wie stark sich das auswirkt, soll hier kurz an zwei Beispielen dargelegt werden.
A) Der Herren-Friseur
Der Angestellte im gut frequentierten Herren-Salon schafft durchschnittlich zwei Kunden pro Stunde (Nebentätigkeiten und Leerlauf berücksichtigt). Bei sechs Wochen Urlaub, 11 bezahlten Feiertagen und 10 Tagen krankheitsbedingtem Ausfall, kommt er auf 210 Arbeitstage pro Jahr, bedient in dieser Zeit 3.360 Kunden zum Preis von durchschnittlich 20 Euro, trägt also 67.200 Euro zum Umsatz des Salons bei.
Lohn erhält er allerdings für 261 Tage (365 abzgl. 2 freie Tage pro Woche), was bei 12,41 Euro (derzeitiger Mindestlohn) 25.912,08 Euro brutto ausmacht. Für die Kalkulation ist darüber hinaus der Arbeitgeber-Anteil zur Sozialversicherung (19,6% vom Brutto) zu berücksichtigen, so dass die Lohnkosten, ohne Personal-Nebenkosten, bereits bei 30.990,85 Euro liegen.
Lohnkosten pro Arbeitsstunde: 18,45 €
Bei einem Mindestlohn von 15,27 Euro erhöht sich dieser Betrag auf 38.132,98 Euro.
Lohnkosten pro Arbeitsstunde: 22,70 €,
Pro Kunde steigt der Lohnkostenanteil von 9,22 € um 2,13 € (23%) auf 11,35 €.
Der Preis für die Herrenfrisur muss deshalb von 20,00 Euro mindestens um satte 10 Prozent auf 22,00 Euro angehoben werden. Bei vier zum Mindestlohn angestellten Beschäftigten schrumpft der Jahres-Gewinn des Salons wegen der nicht auf den Preis umgelegten 13 Cent übrigens um 1747,20 Euro. Weil Friseurmeister in der Regel stinkreich sind, macht das aber nichts.
Kunden wird der Salon deshalb nicht verlieren, jedenfalls nicht viele, und dass einige seltener zum Haarschnitt antreten, ist auch nicht schlimm. Sieht man der Frisur doch gar nicht an, ob da nun vier oder fünf Wochen vergangen sind, seit dem letzten Termin.
Selbst wenn die Zahl der Haarschnitte um 10 Prozent sinken sollte, was durchaus möglich wäre, bliebe der Umsatz doch immer noch fast unverändert, weil die Preise um 10 Prozent gestiegen sind.
So rechnen Milchmädchen. Friseure machen es wie die Bäcker, sie hören einfach auf zu arbeiten, statt in die Insolvenz zu fallen.
B) Das Gebäude-Reinigungs-Unternehmen
Wer ein solches Unternehmen führt, hat es nicht mit Privatkunden zu tun, sondern mit Unternehmen, die ihre Produkte und Leistungen selbst knallhart durchkalkulieren müssen, um im Wettbewerb bestehen zu können.
Der Gebäude-Reiniger hat, anders als der Friseur, keinen Salon, der Miete kostet, beheizt, beleuchtet und gereinigt werden muss, sogar der Strom für den Industriestaubsauger kommt aus der Steckdose des Kunden, und ob er seinen Reinigungkräften einen Arbeitskittel mit Firmenlogo stellt oder ob die in ihren Privatklamotten putzen, ist irrelevant. Die Putzkolonne sieht ja niemand, wenn sie lange nach Feierabend durch die menschenleeren Hallen und Büros tobt. Dieses Gewerbe kennt neben den Personalkosten keine nennenswerten anderen Kostenbestandteile und kann Lohnerhöhungen praktisch durch keinerlei Einsparungen an anderer Stelle kompensieren. Die 23 Prozent beim Mindestlohn schlagen fast vollständig auf den Angebotspreis durch.
Der typische Kunde des Gebäude-Reinigers hat in der Regel ein alljährlich verabschiedetes Budget für die Raumkosten, in dem auch die Kosten für die Gebäudereinigung enthalten sind. Der Budgetverantwortliche kann nicht einfach 20 Prozent mehr fürs Putzen ausgeben, da bekommt er Prügel vom Controlling. Also wird er mit seinem Chef beraten, was zu tun sei, und man wird gemeinsam entscheiden, dass die Büros einfach nicht mehr täglich geputzt werden, sondern nur noch vier Mal pro Woche. Schon sind die Mehrkosten eliminiert – und wenn sich die Mitarbeiter beschweren sollten, kann man darauf hinweisen, dass sie den Dreck, in dem sie nicht arbeiten wollen, schließlich selbst machen. Mit ein bisschen mehr Achtsamkeit, sei das leicht zu vermeiden. Das versteht sogar der Betriebsrat und hält an dieser Stelle die Füße still. Schließlich gibt es wichtigere Themen.
Wenn der Gebäudereiniger nicht einen Quadratmeter Reinigungsfläche nach dem anderen verlieren und in die Insolvenz rutschen will, wird er nach Möglichkeiten suchen, den Mindestlohn zu zahlen, ohne ihn zu zahlen. Die gibt es durchaus, und der Konkurrenzkampf zwingt – gerade in der Rezession – dazu, sie zu nutzen. Da hilft auch das schönste Lieferkettengesetz nicht weiter.
6,64 Millionen Beschäftigte waren im Oktober 2022 zum Mindestlohn beschäftigt. Nehmen wir für eine überschlägliche Berechnung an, dass sich diese Zahl nur wenig verändert hat, und dass gut 2/3 davon in Mini- oder Teilzeitjobs gearbeitet haben, ergibt sich immer noch eine jährlich Gesamtleistung von gut und 5 Milliarden Stunden für die bei den Arbeitgebern nun Mehrkosten in Höhe von 4,35 €/h, in Summe etwa 20 bis 25 Milliarden Euro p.a. anfallen sollen.
Da hat sich die Ampel als unfähig erwiesen, eine 12-Milliarden-Lücke im Bundeshaushalt anders als mit der heißen Luft der Hoffnung auf pauschale Mindereinnahmen zu schließen, wobei zugleich die Augen noch vor dem drohenden Rückgang der Steuereinnahmen geschlossen werden mussten, aber der Wirtschaft will man das Doppelte an Lohnerhöhungen aufdrücken, ohne dass dafür irgendwo eine entsprechende Mehrleistung, bzw. ein Mehrertrag zu erkennen wäre.
Das wird alles überhaupt nicht gutgehen.
Es gibt Sachen, mit denen man gar nicht erst anfangen soll, weil sie zwangsläufig außer Kontrolle geraten. Der gesetzlich festgesetzte Mindestlohn gehört dazu.