Die zweite Enteignung der Vermieter

Als die Wohnungszwangsbewirtschaftung nach dem Zweiten Weltkrieg zu Ende ging, weil mit enormer Bautätigkeit die Lücken in der Wohnraumversorgung geschlossen werden konnten, hatten die Vermieter gehofft, wieder aufatmen zu können. Doch einen wirklich freien Wohnungsmarkt hat es in der Bundesrepublik seit ihrem Bestehen nicht gegeben. Kein anderes Marktsegment ist in Deutschland stärker reglementiert und einer derart negativen Beurteilung unterworfen wie gerade der Mietmarkt. Dies hat im Laufe der Entwicklung, wenn auch schleichend, bereits zu einer Art de facto Enteignung geführt.

Das heute bestehende Mietrecht hat das Prinzip der Vertragsfreiheit zwischen Mieter und Vermieter weitgehend aufgehoben. Nicht anders als der Landwirt, der zum weitgehend entrechteten Subunternehmer der Saatgut-, Düngemittel-, Pestizid-, Fungizid- und Insektizid-Konzerne gemacht wurde und in seiner Entscheidungsfreiheit zudem von erdrückenden EU-Richtlinien behindert wird, ist der Vermieter zum notwendigen Übel degradiert worden, wobei die meisten Anti-Vermieter-Aktivisten das „notwendig“ bereits gestrichen haben und in den Vermietern nur noch ein Übel sehen.
Dabei wird gerne suggeriert, dass die vom Mieter aufzubringende Miete als Reingewinn in die Taschen der Vermieter fließe.

Wenn dem so wäre, stellte sich die Frage: Warum investiert das Kapital nicht massiv in den Neubau von Wohnungen? Warum finanziert sich der Staat nicht nachhaltig durch Wohnungsbau und sprudelnde Mieterträge?

Es gibt da nicht nur einen kleinen Haken, sondern gleich einen ganzen Sack voll kleinerer und größerer Haken.

Die größeren Haken:

Amortisation

Der größte Haken besteht wohl darin, dass es sich bei einer Wohnungsimmobilie um ein zwar langlebiges, aber eben nicht ewig nutzbares Wirtschaftsgut handelt. Irgendwann, ob in 50, 70 oder 100 Jahren, muss das Gebäude abgerissen und der Bauschutt entsorgt werden, wenn wenigstens Grund und Boden als Vermögenswert erhalten bleiben sollen. Das einst in die Errichtung des Gebäudes gesteckte Geld ist dann zu Schutt und Asche zerfallen.

Man sollte dem Vermieter also doch womöglich zugestehen, dass er am Ende der wirtschaftliche Nutzungszeit noch mindestens über soviel Vermögen verfügt, wie bei seiner Entscheidung, ein Mietshaus zu bauen. Das Finanzamt nimmt an, dass ein Wohngebäude einen jährlichen Wertverlust von 2 % der Gestehungskosten (ohne Grundstück) erleidet. Nimmt man diesen Satz als Basis, dann muss ein Quadratmeter Mietwohnung, der zur Zeit mit einem Aufwand von durchschnittliche 2.000 Euro errichtet werden kann, jährlich 40 Euro, monatlich 3,33 Euro Mindestmiete einbringen, nur um den Wertverlust der Immobilie zu kompensieren.

Das Argument, Immobilien erlitten keinen Wertverlust, im Gegenteil, es seien jährlich erhebliche Wertsteigerungen zu verzeichnen, verkennt, dass es sich nicht um Werte, sondern um Preise handelt, deren Steigerung sich aus zwei Komponenten, nämlich der Inflation und der knappheitsbedingten Marktentwicklung ergibt, und verkennt ferner, dass Wohnimmobilien, wenn sie in die Jahre kommen, entgegen der Marktentwicklung rapide an Wert verlieren, bis nur noch der Grundstückswert, abzüglich der Abriss- und Entsorgungskosten erzielt werden kann. Dem ist mit reiner Instandhaltung nicht zu begegnen. Es muss massiv neu in Sanierung und Renovierung investiert werden. 

Instandhaltung

Der zweitgrößte Haken besteht darin, dass ein Mietshaus nicht über lange Jahre betrieben werden kann, ohne dass Instandhaltungsaufwände anfallen, die vom Vermieter zu tragen sind. Als Faustformel für die Berücksichtigung der Instandhaltungskosten bei der Mietkalkulation dient die so genannte Peters’sche Formel. Sie besagt, dass über eine Nutzungszeit von 80 Jahren insgesamt das 1,5-fache der Herstellungskosten an Instandhaltungsaufwand zu erwarten ist. Dies entspricht einem jährlichen Satz von 1,875 Prozent  bezogen auf die Herstellungskosten. Auch wenn Instandhaltungsaufwände selten schon in den ersten Nutzungsjahren anfallen, sind der kontinuierliche Gebrauch der Immobilie durch die Mieter und die natürliche Abnutzung doch die Ursache für die irgendwann erforderlichen Instandhaltungsmaßnahmen. Dazu gehören neben Malerarbeiten an der Fassade und in den Treppenhäusern, vor allem auch der Austausch von Fenstern, die Erneuerung der Dacheindeckung, der Ersatz der Heizungsanlage, und vieles andere mehr. Im obigen Beispiel mit Herstellungskosten von 2.000Euro pro m² werden hierfür weitere 37,50 Euro jährlich, bzw. 3,13 Euro monatlich fällig.

Die Kaltmiete liegt jetzt bei 6,46 Euro – und immer noch hat der Vermieter keinen Cent verdient.

Hausverwaltung

„Für die Verwaltung von Mietshäusern zahlen Eigentümer im Schnitt zwischen 20 Euro und 26 Euro netto pro Einheit und Monat“, so informiert die Immowelt aktuell ihre Kaufinteressenten. Bei kleinen Einheiten, von z.B. 40 m² wirkt sich das mit 0,50 bis 0,65 Euro auf die Quadratmetermiete aus, bei Einheiten mit 80 m² entsprechend nur mit der Hälfte.

Der Vermieter muss für eine 2020 neu errichtete Wohnung mit durchschnittlichen Baukosten von 2.000 Euro/m² also knapp 7 Euro pro m² Kaltmiete fordern, um sein Vermögen wenigstens zu erhalten.
Dabei sind Kosten für das Grundstück ebensowenig berücksichtigt, wie Kreditkosten für die Finanzierung.

Der inzwischen vom Verfassungsgericht gekippte Berliner Mietendeckel sah eine maximale Kaltmiete von 11,80 Euro für sanierte Wohnungen mit moderner Ausstattung aus den Baujahren 2003 bis 2013 vor.

Man wollte dem Vermieter also eine Rendite (vor Steuern) von etwa 2,4 Prozent zugestehen. Das ist zwar mehr als es aktuell für das Sparbuch gibt, aber es lassen sich immer noch bessere Anlagemöglichkeiten finden.

Die Enteignung

Die Fürsprecher der Enteignung gehen mit ihren Vorstellungen noch weit unter die 11,80 Euro des ehemaligen Mietendeckels zurück. Auf der Webseite der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ findet sich folgende Berechnung für die Entschädigung:

Unser Faire-Mieten-Modell geht von erstrebenswerten Mieten aus und berechnet daraus finanzierbare Entschädigungssummen. Wir gehen davon aus, dass Menschen maximal 30 % ihres Einkommens für die Warmmiete ausgeben sollten, um gut leben zu können. Wir setzen daher einen Mietpreis von 4,04 € pro Quadratmeter an, da er auch für Geringverdienende in Berlin bezahlbar wäre. Mit einer solchen Miete ließe sich eine Entschädigung von 10-11 Mrd. € bezahlen.
Wir finden unser Modell fair, weil es die höchste Entschädigungssumme gewährt, die sich mit dem Ziel der haushaltsneutralen Vergesellschaftung vereinbaren lässt. Fair finden wir auch, dass weder die Spekulation auf steigende Mieten in der Zukunft noch die leistungslose Wertsteigerung entschädigt werden.

Ob unter Androhung solcher Vermögensvernichtungs-Methoden in Deutschland Privatleute oder private Wohnungsbaugesellschaften überhaupt noch eine Mietwohnung zu bauen gewillt sind, wird die Zeit zeigen. 

Wer in Berlin als Senat Wohnungen, die man sich gegen eine Minimalentschädigung unter den Nagel gerissen hat, zu einer Kaltmiete von 4,04 Euro anbieten will, wird in mehrfacher Hinsicht voll auf die Nase fallen. Erstens können von dieser Miete vielleicht die Kredite für die Entschädigung bedient werden, nicht aber die allfälligen Instandhaltungs- und Verwaltungskosten. Zweitens wird es unter den Mietern, die in nicht enteigneten Wohnung leben, zu einem Aufstand gegen den Senat kommen, dem er nur durch Zwangszuteilung von Wohnungen noch halbwegs begegnen könnte. Drittens wird der private Wohnungsbau in Berlin vollständig zum Erliegen kommen.

Ob Frau Giffeys Weitsicht ausreicht, das Volksbegehren zu ignorieren, kann ich nicht beurteilen.

Gott sei Dank ist uns wenigstens im Bund rot-rot-grün noch einmal erspart geblieben.