PaD 10 /2022 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 10 2022 Wohin wird der Rubel rollen
Die Einschätzungen, Russland werde bald den Staatsbankrott anmelden müssen, weil es von den Zahlungssystemen abgeschnitten sei, weil die Auslandsguthaben der russischen Zentralbank eingefroren wurden und weil westliche Unternehmen in Scharen ihre Geschäfte mit Russland einstellen und ihre russischen Fabriken und Niederlassungen schließen, was insgesamt dazu führt, dass der russische Staatshaushalt, dessen Einnahmen zu einem sehr hohen Anteil aus Exporterlösen, insbesondere für Energierohstoffe generiert werden, zusammenbrechen müsse, teile ich nicht.
Diese Einschätzung beruht auf einem Glaubenssatz der (westlichen) Staaten und ihrer Nationalökonomen, der vom (westlichen) Finanzsystem aufgestellt wurde. Dieser Glaubenssatz lautet:
Wer Geld braucht, muss es sich leihen.
Verbrämt wird dieser Glaubenssatz mit dem Argument, nur die Banken, bzw. das Bankensystem, seien in der Lage, die Geldschöpfung so zu begrenzen, und die neu geschaffene Liquidität so zu lenken, dass immer nur die rentabelsten Projekte finanziert werden und zugleich das Inflationsrisiko gering gehalten wird. Den Staaten, bzw. ihren jeweiligen Regierungen die Geldversorgung zu überlassen, würde hingegen unweigerlich in die Katastrophe führen, weil Politiker der Versuchung nicht widerstehen könnten, die in Wahlprogrammen zugesagten Wohltaten mit unbegrenzter Geldschöpfung zu finanzieren, was zwangsläufig nicht nur zur Inflation im Binnenmarkt, sondern auch zum Verfall der Währung auf den Devisenmärkten führen würde.
Die Begründung ist absurd. Sie unterstellt, dass die Verantwortlichen in den Staaten wie unverantwortliche Idioten handeln, während die Verantwortlichen in den Banken an nichts anderem interessiert seien, als am Wohlergehen der Wirtschaft, am Erhalt der Kaufkraft des Geldes und an der Mehrung des Wohlstands der Bevölkerung des jeweiligen Währungsgebietes. Verwiesen wird dabei gerne auf das aktuelle Beispiel Türkei, wo Erdogan seiner Zentralbank wider alle Vernunft die Höhe der Leitzinsen vorschreibt, was die Lira bereits tief in den Inflationssumpf getrieben habe.
Nun, als erstes Gegenargument könnte man anführen, dass auch eine dem Finanzminister gegenüber weisungsgebundene Zentralbank mit genau jenen Personen besetzt werden könnte, die an nichts anderem interessiert sind als am Wohlergehen der Wirtschaft, am Erhalt der Kaufkraft des Geldes und der Mehrung des Wohlstands der Bevölkerung im Währungsraum. Vielleicht müsste man diese in einer anderen Gehaltsklasse führen, als den sonstigen Beamtenapparat, vielleicht müsste man auch beide Augen zudrücken, wenn diese ihr Insiderwissen nutzen, um das eigene Vermögen zu mehren, doch im Großen und Ganzen müsste es ausreichen, wenn die einzelnen Ressorts ihre Liquiditätswünsche anmelden, wenn das Kabinett unter Leitung des Finanzministers daraus eine Prioritätenreihe bildet und dann der staatlichen Zentralbank der Auftrag erteilt wird, die notwendigen finanziellen Unterstützungsleistungen zu organisieren.
Im Grunde handelt es sich jedoch bei den Argumenten um Kompetenz und Inkompetenz, um rechtschaffene Banker und sich selbst korrumpierende Politiker, um eine leicht zu durchschauende Scheindebatte, hinter der das eigentliche Probleme verborgen werden soll.
Das eigentliche Problem des Finanzsektors besteht darin, dass eine staatliche Konkurrenz im Bereich der Geldschöpfung es stark erschweren würde, den Zweck der Banken zu erreichen. Zweck der Banken ist es, Gewinne zu erwirtschaften und über diese Gewinne das Vermögen ihrer Eigentümer und Anteilseigner und Großeinleger zu mehren. Dabei geht es um weit mehr, als nur Kreditzinsen zu vereinnahmen. Es geht vor allem darum, die „richtigen“ Investments zu finanzieren und konkurrierende Vorhaben nach Möglichkeit auszubremsen. Es geht auch darum, durch den gezielten Wechsel von Niedrigzins- zu Hochzinsphasen, den Kreditnehmern im Massengeschäft, die mit niedrigen Zinsen eingeladen werden, sich zu verschulden, bei ansteigenden Zinsen weit mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, als ursprünglich suggeriert wurde – und, nach Möglichkeit in Folge dessen bei Zahlungsunfähigkeit der Schuldner, deren Sicherheiten zu verwerten. Es geht in hohem Maße auch darum, so genannte „Wertpapiere“ als Geldanlage zu verkaufen, vor allem dann, wenn deren Kurse scheinbar nicht aufhören wollen zu steigen, während sich diejenigen, die sich zu Höchstkursen gezielt davon trennen, beim anschließenden Kursverfall deutlich mehr von den gleichen Papieren zu deutlich niedrigeren Kursen zurückerwerben.
Man muss dazu auch daran erinnern, dass – abgesehen von echten Sachwerten (Immobilien, Edelmetalle, etc.) – alle Vermögenswerte, auch der Reichen und Superreichen, im Bankensystem aufzufinden sind. Man muss dazu auch daran erinnern, dass die privaten Geschäftsbanken, sieht man von den Genossenschaftsbanken und Sparkassen ab, sich wiederum in Besitz und Eigentum der gleichen Reichen und Superreichen befinden, wobei diese Banken wiederum einen enormen Einfluss auf die Zentralbanken ausüben können und davon auch Gebrauch machen.
Parlamentarier, gleich, ob sie im Deutschen Bundestag oder im US-Congress sitzen, und auch Regierungschefs, gleich, ob sie nun Kanzler oder Präsident genannt werden, haben im Laufe einer begrenzten Amtszeit, und vor allem aufgrund ihre eigenen, vergleichsweise bescheidenen Vermögen, nicht die geringste Chance, auch nur den Versuch zu unternehmen, die Herrschaft über das Geld in staatliche, dem Gemeinwohl verpflichtete Hände zu legen.
Von daher wird der Glaubenssatz: „Wer Geld braucht, muss es sich leihen“, inbrünstig nachgebetet, anstatt ihn in Frage zu stellen, denn ein solcher Ketzer würde unmittelbar aus der Gemeinde der Gläubigen verstoßen, und bei hartnäckigem Leugnen auch schon mal auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Was hat das nun mit dem Rubel zu tun?
Kommt gleich. Ein bisschen Einstimmung auf der abstrakten Ebene ist zum Verständnis noch erforderlich. Wundern Sie sich aber bitte nicht darüber, dass ich die Erläuterung des Abstrakten mit einem konkreten Beispiel beginne:
Die Finanzierung eines Senioren- und Pflegeheimes in Deutschland
Nach den geltenden Bestimmung ist es Aufgabe der öffentlichen Hände, die „Investitionen“ für solche Einrichtungen zu bestreiten. Dem kommt „der Staat“ aber nur in sehr bescheidenem Maße nach. Stattdessen werden Pflegeheime häufig als „sichere Geldanlage“ in Form geschlossener Immobilienfonds geplant, errichtet und betrieben.
Um für so ein Haus, sagen wir mit 100 Plätzen, den Baugrund zu erwerben, das Bauwerk zu errichten und es betriebsfertig einzurichten, müssen ungefähr 15 Millionen Euro in die Hand genommen werden. Dieses Geld stellt die Hausbank der projektierenden Fonds-Gesellschaft zu 100 Prozent zur Verfügung, und weil es sich für die Anleger lohnen soll, mit anfänglichen Verlusten die Steuerschuld zu mindern, liegt der vereinbarte Zinssatz ein Stück höher als marktüblich. Zudem ist der Kredit auf eine Laufzeit von 10 Jahren ausgelegt und wird erst zum Ende der Laufzeit zur Tilgung fällig. Alle weiteren Möglichkeiten, und deren gibt es viele, sich schon vor dem Einzug der ersten Senioren eine goldene Nase zu verdienen, lasse ich hier weg.
Der Effekt: Bei einer Darlehenssumme von 15 Millionen und einem Zinssatz von 4,5%, bleiben bei der finanzierenden Bank am Ende der Laufzeit Zinserträge in Höhe von 6,75 Millionen Euro übrig. Diese 6,75 Millionen müssen – zusätzlich zu den Bau- und Betriebskosten – von den Beitragszahlern der Pflegeversicherung, vom Ersparten der Bewohner und aus den Einkommen und Ersparnissen ihrer Angehörigen aufgebracht werden.
Betrachten wir stattdessen zwei andere Finanzierungsmodelle:
- Die Investitionssumme wird von einer staatlichen Förderbank oder von der kommunalen Sparkasse als zinsloses Darlehen zur Verfügung gestellt.
Die monatlichen Kosten für den Heimplatz reduzieren sich alleine dadurch um 562,50 Euro. Die Pflegeversicherung, die Bewohner und deren Angehörige können deutlich aufatmen. Statt durchschnittlich 3.500 € stehen nur noch 2940 € auf der Monatsabrechnung.
- Die Investitionssumme wird von der staatlich gelenkten Zentralbank als zins- und tilgungsfreier Zuschuss zur Verfügung gestellt.
Damit könnten die monatlichen Kosten für den Heimplatz um fast 50 Prozent auf gerade noch 1.812,50 Euro gesenkt werden.
Warum wird davon nicht Gebrauch gemacht?
Für beide Modelle gilt gleichermaßen, dass die Investoren nicht daran interessiert sind. Schließlich sind die Zinskosten wichtiger Bestandteil der Finanzierungs- und Ertragsrechnung im Fonds-Prospekt, der für die ersten Jahre des Investments kräftige Steuerersparnisse aus ausgewiesenen Verlusten verspricht, welche die Anlage überhaupt erst attraktiv machen.
Im Modell B kommt erschwerend hinzu, dass es im bestehenden System nicht möglich ist, zins- und tilgungsfreie Zuschüsse zu vergeben, ohne das dafür ausgegebene Geld irgendwie wieder hereinholen zu müssen. Wollte der Staat solche Hilfen vergeben, müsste er sich dazu selbst verschulden, und – auch Dank der ins Grundgesetz geschriebenen Schuldenbremse – tut er sich damit schwer, obwohl er als Schuldner von hoher Bonität mit deutlich günstigeren Zinsen rechnen kann. Die Notwendigkeit, sich zu verschulden, wenn man Geld braucht, entspringt dem bereits erwähnten, allgemeinen Glaubensbekenntnis.
Dieses Glaubensbekenntnis hat allerdings auch einen buchhalterischen Hintergrund, dem eine gewisse Berechtigung zukommt:
Wird die im Umlauf befindliche Liquidität durch einen Kredit erweitert, muss diese Liquidität, wenn der Zweck der Finanzierung erreicht ist, auch wieder eingezogen werden. Dies geschieht im herrschenden System grundsätzlich auf dem Weg der Tilgung. Ohne Tilgung käme es relativ schnell zu einer überschießenden Geldmenge und damit zur unerwünschten Inflation. Deshalb werden für jeden Kredit zwei Konten geführt, nämlich das Girokonto des Schuldners, dem die Kreditsumme zur Verwendung gutgeschrieben wird, und das Kreditkonto, auf dem die Kreditsumme als Forderung der Bank an den Kunden verbucht wird. Mit der Überweisung der Tilgungsraten reduzieren sich dann sowohl das Guthaben auf dem Girokonto des Schuldners, als auch die Forderungen der Bank an ihren Kunden. Am Ende der Tilgungsphase ist die Liquidität dann wieder aus der Welt geschafft.
Dass auch diesem Argument keine vollständige Berechtigung innewohnt, lässt sich auch leicht erläutern. Da ist zunächst einmal das Interesse der Banken am Kreditgeschäft. Nur wenn die einmal geschaffene Liquidität wieder vollständig aus dem Umlauf entfernt wird, kann die Geschäftsidee der Banken, durch Geldverleihen Geld zu verdienen, vollständig ausgeschöpft werden. Und wer verzichtet schon freiwillig auf seinen Goldesel?
Die Warnung, die dazu ausgestoßen wird, wurde bereits angesprochen: Würde die per Kredit geschaffene Liquidität nicht wieder aus dem Markt genommen, entstünde über kurz oder lang eine extreme Inflation.
Das allerdings muss nicht eintreten. Denn selbstverständlich könnte sich die Liquidität genau so gut auch nur so lange erhöhen, bis sie, bei gleichbleibender Wirtschaftsleistung, ausreichen würde, alle weiteren anstehenden Investionen zu bedienen. Nur bei zusätzlichen Liquiditätsbedarf durch Wirtschaftswachstum, oder weil dem Markt durch Hortung Geld entzogen wird, könnte noch neuer Kreditbedarf entstehen.
Betrachten wir die Frage der Inflationsgefahr nun zunächst einmal bezogen auf einen geschlossenen Wirtschaftsraum, also ohne Außenhandel, innerhalb dessen alle politisch als sinnvoll betrachteten Investitionen, wie zum Beispiel die Errichtung eines Pflegeheimes oder die Breibandversorgung in der Fläche, oder die Sanierung von Schulgebäuden, Verkehrswegen, usw., mit frisch, als Zuschuss geschaffener Liquidität finanziert würden. Wie könnte, müsste, sollte diese Liquidität wieder aus dem Kreislauf genommen werden, wenn der Zweck erfüllt ist?
Nun, das ist relativ einfach, leider jedoch ein noch völlig ungewohnter Gedanke.
Bleiben wir beim Pflegeheim:
Von den 15 Millionen entfallen 3 Millionen auf den Grunderwerb, die Grunderwerbsteuer mit einem Satz von 5 % erbringt 150.000 Euro. Die 12 Millionen Bau- und Einrichtungskosten bringen aus der Mehrwertsteuer mit 19 % weitere 2,28 Millionen. Weil es sich um eine geschlossene Volkswirtschaft handelt, handelt es sich auch bei den verbleibenden 9,72 Millionen der Netto-Baukosten ausnahmslos um zu versteuernde Einkommen.
(Erläuterung: Alle benötigten Basismaterialien stehen auf der Erde kostenlos zur Verfügung. Sie sind sozusagen das organische und anorganische Inventar des Planeten. Nutzbar werden sie in erster Linie durch Arbeit. Häufig stehen der Nutzung aber auch noch Eigentumsrechte im Wege, aus denen gegen Entgelt Nutzungsrechte gewährt werden. Auch diese Entgelte aus Mieten, Pachten, Lizenzgebühren, etc. sind Einkommen und unterliegen der Besteuerung.)
Legt man eine durchschnittliche Steuerlast von 25 Prozent für alle diese Einkünfte zugrunde, sind über die Besteuerung weitere 2,43 Millionen Liquidität aus dem Markt genommen.
Sobald also die Betriebsbereitschaft der Einrichtung hergestellt wurde, sind vom ursprünglichen Zuschuss nur noch 10,14 Millionen in Umlauf.
Im Betrieb – Sie erinnern sich – kostet ein Platz pro Monat noch 1.812,50 Euro. Hierbei handelt es sich zu einem geringen Teil um MwSt-pflichtige Beschaffungen, z.B. für Lebensmittel, Hygiene-Artikel, usw., während der Löwenanteil auch hier zu Einkünften wird, die der Steuerpflicht unterliegen. Auf den Zeitraum von 10 Jahren bezogen, macht das 21,750 Millionen Euro aus, aus denen rund 5,4 Millionen Steuer-Einnahmen generiert werden. Nach 20 Jahren ist der staatliche Zuschuss wieder vollständig einbehalten, und über die gesamte Nutzungsdauer einer solchen Einrichtung ergibt sich ein deutlicher Überschuss.
Das Argument, dass die Steuer-Einnahmen doch längst anders verplant sind, zieht hier nicht.
Es wurden zusätzliche Einkommensmöglichkeiten geschaffen, aus denen zusätzliche Steuer-Einnahmen generiert werden. Daher lässt sich postulieren: So lange aus einem Zuschuss eine sinnvolle und zweckmäßige zusätzliche Leistung oder Produktion entsteht, für die es einen Bedarf gibt, wird dieser Zuschuss über die aus der Leistung/Produktion entstehenden Steuereinnahmen refinanziert werden können, selbst wenn der Einsatz der Mittel nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist.
Ein zu dieser Form der Liquiditätsgenerierung passendes Planungs-, Kontroll- und Steuerungssystem, das die Liquiditätszuweisung unter Einhaltung der Inflationsziele ermöglicht, dürfte kaum schwieriger zu realisieren sein als die heute im Bankenbereich eingesetzten Fristen-Transformations-Systeme.
Nun zum Rubel
Mit dem Mut, dem Glaubenssatz der westlichen Finanzindustrie abzuschwören, wäre jeder Staat der Erde in der Lage, eine am Bedarf der Volkswirtschaft orientierte, nicht inflationsgefährdete Liquiditätsversorgung sicherzustellen, mit dem nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass die an die Eigentümer und Anteilseigner des Bankensystems abfließenden Zinsaufwände vollständig entfallen würden.
Russland ist ein souveräner Staat.
Für Russland stellt diese Möglichkeit, gerade nach dem weitgehenden Ausschluss aus dem westlichen Finanzsystem, eine gangbare Möglichkeit dar, den Zusammenbruch der Wirtschaft, der mit den weitgehenden Sanktionen des Westens herbeigeführt werden soll, zu vermeiden. Jedenfalls was die Aufrechterhaltung des Binnenmarktes betrifft.
Es sei an dieser Stelle ausdrücklich an das Wunder von Wörgl erinnert. Für alle, die mit diesem Stichwort das so genannte „Schwundgeld“ assoziieren, möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass ich überzeugt bin, dass nicht die laufende Geldentwertung, wie sie Silvio Gesell vorgeschlagen hatte, das Wunder hervorbrachte, indem sie das Geld in Umlauf hielt, sondern dass das Wunder ausschließlich auf die zur Verfügungstellung von Liquidität mittels eines „Notgeldes“ zurückzuführen ist. Denn die Gemeinde Wörgl hat unter ihrem Bürgermeister, Michael Unterguggenberger, genau das getan, was notwendig war, nämlich sinnvolle und zweckmäßige zusätzliche Leistungen und Produktionen zu finanzieren, für die es einen Bedarf gab, wie unter anderem die Reparatur und den Ausbau von Straßen und der Kanalisation, die Erneuerung einer Brücke und den Neubau einer Skischanze. Mit dem Zahlungsmittel kam die Arbeit, mit der Arbeit der Lohn und mit dem Lohn der Konsum, so dass letztlich die gesamte gemeindliche Wirtschaft (die damit zu einer Art geschlossenem Binnenmarkt geworden war) wieder in Schwung kam.
Russland ist nicht Wörgl.
Bis vor wenigen Tagen war die russische Volkswirtschaft noch relativ eng in den Welthandel eingebunden. Russland lieferte überwiegend Rohstoffe, nämlich Gas, Öl, Kohle, Holz und Mineralien, und importierte überwiegend technische Produkte die am Weltmarkt teils in besserer Qualität, teils zu günstigeren Preisen angeboten wurden, als es die eigene Wirtschaft anzubieten vermochte. Die Devisen, die aus dem Export gewonnen wurden, überstiegen jedoch bereits seit Jahren die Devisen, die zur Bezahlung von Importen aufgewendet werden mussten in erheblichem Maße, so dass Russland mit seinem Handelsbilanz-Überschuss in der Lage war, Devisenreserven anzulegen. Ein Teil dieser Reserven wurde in physisches Gold verwandelt, von dem ich annehme, dass ein erheblicher Teil davon auch in Russland gelagert wird.
Bedingt durch die Sanktionen wird Russland für absehbare Zeit nicht in der Lage sein, im Handel mit jenen Staaten, die sich den Sanktionen angeschlossen haben, Überschüsse zu erzielen, und ich befürchte, dass auch der Export von Energierohstoffen in die EU in nicht allzu ferner Zeit zusammenbrechen wird. Nachdem auch der Zugang zu den Devisenreserven gesperrt wurde, stellt sich nicht nur die Frage, wer weiterhin bereit sein wird, Russland zu beliefern, sondern noch mehr die Frage, womit Russland jene Importe, die aus dem Westen noch erfolgen werden, überhaupt noch bezahlen können wird.
Unterstellen wir das Worst-Case-Szenario: Es geht Richtung „Westen“ überhaupt nichts mehr.
Da bleiben immer noch China, Indien und ein paar andere, die sich nicht an den Sanktionen beteiligen. Mit diesen Staaten kann man auch außerhalb des SWIFT-Systems und in eigenen Währungen Handel treiben. Da es China nach meiner Einschätzung sowieso darauf abgesehen hat, der EU und den USA mit „Lieferschwierigkeiten“ Probleme bei der industriellen Erzeugung zu machen, könnte ein bisschen mehr chinesischer Export nach Russland diese „vornehme Zurückhaltung“ sogar etwas erleichtern.
Dann sind da noch jene nach Russland ausgelagerten Produktionsstätten westlicher Unternehmen, allen voran Volkswagen, die einfach die Werkstore geschlossen und verriegelt haben und der Staatsräson wegen auf Umsatz und Gewinn auf dem russischen Markt verzichten.
Wer sollte Putin daran hindern, die Fabriken zu konfiszieren? Die Hallen sind noch da, die Maschinen und Anlagen sind noch da, und auch die russischen Arbeiter und Angestellten sind noch da. Was nicht mehr da ist, sind die ausländischen Führungskräfte, und was nur schwer weiterhin beschafft werden kann, sind Zulieferteile von westlichen Unternehmen. Ich halte es dennoch für möglich, dass russische Spezialisten und Führungskräfte in der Lage sein werden, die vorhandenen Produktionsmittel mit einer Vorlaufzeit von sechs bis zwölf Monaten wieder für die Produktion von Automobilen nutzbar zu machen. Wie man die dafür notwendigen Investitionen finanzieren kann, habe ich vorstehend beschrieben. Diese Automobile werden nicht zwingend nach Volkswagen aussehen, sie werden unter Umständen auch nicht von den schadstoffärmsten Motoren angetrieben, und es mag sein, dass mancher Komfort – von Sitzheizung bis Einparkhilfe – darin nicht verfügbar wäre. Aber fahren würden die. Ganz bestimmt.
Bleiben wenige, aber wichtige Importgüter aus dem Bereich der Hochtechnologie.
Hier sollten die Sanktionierer bedenken, dass eine Nation, die vor den USA eine künstlichen Erdtrabanten (Sputnik) in den Orbit befördern konnte, eine Nation, die die erste bemannte Weltraumstation (MIR) errichtete, die über lange Jahre mit ihren Sojus-Raketen alleine den Shuttle-Betrieb zu Weltraumstation IS aufrechterhalten hat, eine Nation, die in der Entwicklung von Hyperschallraketen allen anderen Nationen um einige Jahre voraus war, dass eine solche Nation auch über die Spezialisten verfügt, die in der Lage sind, den technologischen Anschluss auf jedem Gebiet zu schaffen. Das Geld dafür kann auch ohne Banken und Staatsanleihen verfügbar gemacht werden.
Mein Fazit
Die westlichen Sanktionen können von Russland – nach einer kurzen Zeit der chaotischen Neuordnung – weitgehend kompensiert werden. Der Rubelkurs an den westlichen Devisenmärkten spielt dabei nicht die geringste Rolle.
Die Kompensation des Verzichts der EU auf russische Rohstoffe wird um einiges schwerer fallen, und ob sie überhaupt gelingen kann, ist noch nicht vorhersehbar.