Volkswagen: Alarmstufe rot

Der Konzern, der wie kaum ein anderer für Deutschlands wirtschaftliche Potenz steht, dessen „Käfer“ als eines der wichtigsten Symbole für das Wirtschaftswunder der frühen Jahre der Bonner Republik angesehen werden kann, der Konzern, der mit dem Golf ein nicht minder erfolgreiches Nachfolgemodell hervorgebracht hat, bekennt nun öffentlich, am Rand des Abgrunds zu stehen.

Die Berichterstattung bezieht sich dieser Tage fast ausschließlich auf das Debakel mit den elektrischen Modellen. Nach 75.000 Bestellungen für den ID.4 seien im laufenden Jahr bisher nur 20.000 eingegangen. Die auf Halde produzierten E-Mobile stapeln sich inzwischen bei den Händlern, die nicht mehr wissen, wohin damit.

Unter dem Strich sieht es so aus, dass die Fahrzeugproduktion keine Gewinne mehr abwirft. Was VW gerade noch über Wasser hält, sind die Lizenzeinnahmen aus China und die Gewinne aus dem Teilegeschäft.

Wenn der Markenchef Thomas Schäfer nun den Führungskräften den Ernst der Lage mit der dramatischen Formulierung: „Der Dachstuhl brennt!“, nahezubringen versucht und einen sofortigen Ausgabenstopp verhängt, dann ist dies ein Zeichen für eine äußerste Notlage – und ein Menetekel an der Wand für die deutsche Wirtschaft insgesamt.

Bedenkt man, dass die Probleme bei VW nicht erst am 1. Januar 2023 begonnen haben, sondern dass der Stab über VW bereits im deutschen Schicksalsjahr 2015 gebrochen wurde, so muss man konstatieren, dass sich der Konzern doch noch volle sieben Jahre über Wasser halten konnte, nachdem die US-Umweltschutzbehörde EPA – dreizehn Tage nach Merkels Grenzöffnung – am 18. September 2015 VW den Krieg erklärte und Geldstrafen in der Größenordnung von 18 Milliarden Dollar in den Raum stellte.

Als erste Reaktion stürzte der Kurs der VW Aktie um fast 35 Prozent in den Keller, womit rund 27 Milliarden Euro Börsenkapitalisierung vernichtet wurden. Interessant dabei, dass schon voher innerhalb kurzer Zeit (10. Oktober 2014: 150,95 – 2. April 2015: 243,80 –  21. August 2015: 166,95 €) der VW-Kurs erst in die Höhe getrieben wurde, um ihn dann wieder auf das Ausgangsniveau zurückzuführen, bevor die Bombe auch für das Börsenpublikum hörbar platzte.

Eine vollständige Aufzählung sämtlicher Belastungen durch den so genannten „Abgasskandal“ mit einer Lawine von Straf- und Entschädigungszahlungen, sowie Gerichts- und Anwaltskosten, ohne jedoch die Mehrkosten für die Entwicklung von Nachbesserungsmaßnahmen, Software-Updates, usw., liegt wohl nur in den Büchern von VW vor. Die mir zugänglichen Informationen lassen mich schätzen, dass der Aderlass für VW die Größenordnung von 40 Milliarden Euro überschritten haben dürfte, wovon mehr als die Hälfte an die VW-Kunden in den USA und in die Staatskasse der USA geflossen sein dürften.

Weder die Bundesregierung noch die EU stellten sich schützend vor VW, im Gegenteil, man beeilte sich, den Konzern mit eigenen Klagen zu überziehen. Schließlich hatte man die Falle mit der Festlegung von NOx-Grenzwerten, die weit oberhalb der gleichzeitig gültigen maximalen Arbeitsplatz-Konzentration lagen, selbst aufgestellt.

Von da an vollzog sich ein schleichender Wechsel der Argumentation. Wohl auch im Vertrauen darauf, dass Otto Normalverbraucher nicht zwischen so genannten Schadstoffen unterscheidet, verschwanden die Stickoxide aus der Diskussion und wurden durch das noch viel schädlichere CO2 ersetzt, wobei der Diesel, obwohl beim CO2-Ausstoß weit besser abschneidend als der Benziner, als maßgeblicher Sündenbock erhalten blieb, bis schließlich der Zustand erreicht war, in dem der Verbrenner überhaupt zum übelsten aller Übel gekürt worden war und die Rufe nach schnellstmöglicher Einführung der Elektromobilität immer lauter wurden.

Volkswagen sparte derweil jeden Groschen, um die Verluste aus dem Abgasskandal zu kompensieren.

Aus meiner Statistik des Arbeitsplatz-Abbaus in Deutschland geht hervor, dass VW 2017 den Abbau von 23.000 Stellen beschlossen hat und alleine im Zeitraum  von Oktober 2019 bis Oktober 2021 weitere 12.600 Jobs bei VW (samt Töchtern) zur Disposition gestellt wurden.

17.10.2019 VW, Baunatal, baut 100 Leiharbeiter ab 100
12.12.2019 Sitech, Hannover, Autositze, die VW-Tochter wird von der VW-Mutter vom Sitzbau für den E-Bulli ausgeschlossen. Das kostet Jobs. 200
 27.12.2020 Volkswagen, Automobile, Wolfsburg, zwischen den Tagen vermeldet das Handelsblatt freundlicherweise im Rahmen einer allgemeinen Betrachtung der Konjunkturaussichten, dass VW über den seit 2017 laufenden Abbau von 23.000 Stellen hinaus weitere 4.000 Stellen abbauen will. Laut Handelsblatt bis Ende 2020 4000
20.05.2020 Volkswagen Group Services, Emden, VW-Tochter, kündigt 96 befristete Verträge 96
23.06.2020 VW, Hannover, Nutzfahrzeuge, es sollen 5000 Stellen abgebaut werden, teils durch Verlagerung der Fertigung nach Polen 5000
30.06.2020 Argo AI / AID, München, Künstl. Intelligenz, die VW-Tochter AID wurde mit dem US-Newcomer Argo AI fusioniert – nun müssen 100 Ex-VWler gehen 100
11.09.2020 MAN, Deutschland, LKW-Sparte, es ist gerade sechs Wochen her, da hielt man den Abbau von 6.000 Jobs für erforderlich. Nun braucht der MAN-Eigner VW noch mehr Geld. 1,8 Milliarden sollen eingespart werden. Da sind 6000 Freistellungen nicht genug. Nun werden es 9.500 – dabei wird es den Standort in Steyr, Österreich wahrscheinlich sehr hart treffen, die Produktion dort soll ganz aufgegeben werden. In Deutschland geschätzt weitere
1500
10.12.2020 MAN Energy Solutions, Augsburg, Schiffsdiesel, die VW-Tochter baut 2600 Stellen ab, 1650 in D 1650
18.02.2021 Volkswagen, Baunatal, Automobile, lange Zeit hielt sich VW bedeckt. Nun kommt endlich die E-Mobilität in vollen Zügen zum Tragen. In Baunatal werden ganze Produktionszweige wegbrechen, weil es in E-Mobilen weder Getriebe noch Abgasanlangen braucht. Die E-Mobilität soll in Baunatal 10.000 Stellen gekostet haben, wenn das Klassenziel der Dekarbonisierungsenthusiasten in Berlin erreicht ist. Vielleicht auch schon früher. Den stetig schwindenden Restbedarf wird man irgendwann eher auslagern als selbst weiter  zu fertigen. 10000
15.03.2021 Volkswagen, Wolfsburg, Fahrzeuge, hat einen neuen Plan für noch mehr Stellenabbau beschlossen. Hier kurz zur Erinnerung:Baunatal – wg. E-Mobilität sind 10.000 Jobs verschwunden. Und nun will sich VW von weiteren 5.000 Mitarbeitern trennen, weitere
5000
VW-Summe 10/2019 – 10/2021
abgebaut
12.646

Als wäre das noch nicht genug, kündigte Herbert Diess im Oktober 2021 dann den Abbbau von 30.000 Stellen an.

Selbst wenn man annimmt, dass darin die 12.646 aus den Ankündigungen der letzten beiden Jahre noch einmal enthalten waren, ging es dabei um weitere 17.000 Jobs auf der Streichliste.

Streitigkeiten mit dem bei VW traditionell starken Betriebsrat führten dazu, dass Diess neun Monate später als VW-Vorstandsvorsitzender zurückgetreten ist.

Zu seinen letzten Plänen für VW, die er im Juli 2022 noch einmal im Interview mit der Süddeutschen vertreten hat, gehörte die zügige Umstellung der gesamten Produktion auf E-Mobilität.

Ich hatte dazu ein Jahr vorher – nach der Einigung auf die Ampel-Koaltion, in meinem Buch: „Links abgebogen – was auf Deutschland zukommt“, dazu angemerkt:

Mit der Forcierung der Elektromobilität, ausgelöst von der im Grunde lächerlichen, und von der Deutschen Umwelthilfe mit Klagen und Schadensersatz-forderungen hochgejubelten Stickoxid-Problematik, ist die gesamte deutsche Automobilindustrie samt ihrer Zulieferer in einen überhasteten Transformationsprozess gestoßen worden, der, wegen der technisch sehr viel einfacheren Konstruktion des Elektroantriebs, unter dem Strich hunderttausende von Arbeitsplätzen kosten wird. Das beginnt bei Tank und Auspuff und endet über Vergaser und Einspritzpumpen und der zugehörigen Motorsteuerung noch lange nicht. Es müssen auch keine Motorgehäuse mehr gegossen, keine Kolben geschmiedet, keine Nockenwellen gefräst werden, und, last but not least: Das komplizierte Räderwerk des „Getriebes“ ist beim Elektromotor schon im „Strompedal“ enthalten, und für den Rückwärtsgang ist nur noch die Umpolung des Motors erforderlich.

Die jüngere Entwicklung bei VW wurde dann erst vor fünf Monaten, im Februar 2023 eingeläutet.

Einigermaßen überraschend – zumindest für mich – wurden die Pläne für den Bau der großen, neuen E-Mobil-Fabrik „Trinity“ in Wolfsburg, mit einem Investitionsvolumen von etwa 2 Milliarden Euro aufgegeben. Überhaupt sollten in der gesamten EU keine neuen Fabriken für „Stromer“ mehr errichtet werden. 

Dies habe ich in am 27. Februar 2023 so kommentiert:

Volkswagen: E-Mobil-Fabriken in Europa

Bei Volkswagen hat man frisch beschlossen, alle Pläne für den Neubau von Fabriken in Europa zur Produktion der elektrisch betriebenen Modelle aufzugeben.

Stattdessen sollen die bestehenden Werke – Fabrik für Fabrik – umgerüstet werden.

Die zentrale Erkenntnis, die dahinter steht, findet sich in dem simplen Satz:

Das Geschäft mit Verbrennern ist ein Auslaufmodell.

Die Umrüstung von Fabriken für neue Fahrzeugmodelle ist ein Prozess, den die Fahrzeughersteller beherrschen. Der eigentliche Aufwand für eine Produktionsumstellung steckt in der Planung der neuen Montagelinien, die mit  langem zeitlichen Vorlauf vor  der physischen Umrüstung beginnt.

Üblicherweise reichen die Werksferien dann aus, die Umbauten an den Bändern vorzunehmen.

Die Umrüstung von der Verbrennerfertigung auf die E-Mobil-Fertigung stellt dabei nach meiner Einschätzung keine Ausnahme dar. Es wird an den Bändern einige Montagestationen geben, die vollkommen neu eingerichtet werden müssen. Das kann man zu Testzwecken aber isoliert aufbauen, so dass bei Eingliederung in die Produktion keine Überraschungen mehr zu befürchten sind.  Unter dem Strich werden aber viele Montagestationen vollständig entfallen, so dass nicht nur die Bänder insgesamt kürzer werden, sondern auch der Planungsaufwand auf Seiten der Fertigungstechnik sinken dürfte.

Dass diese Möglichkeit exisitiert und genutzt werden kann, erklärt aber noch nicht, warum die bestehende Pläne, zwei Milliarden Euro in die Hand zu nehmen und in Wolfsburg eine nagelneue Fabrik für E-Mobile (Trinity) zu errichten, kurz vor dem ersten Spatenstich ad acta gelegt werden. 

Volkswagen erinnert hier ein bisschen an jenen bedauernswerten Mann, der im Frühjahr feststellt, dass seine alte Thermo-Jeans im Winter zwar sehr angenehm zu tragen war, mit steigenden Temperaturen aber immer unbequemer wird. Geplant hatte er wohl, sich im Frühjahr eine leichte Sommer-Jeans zu kaufen, doch weil das Geld knapp ist und die Aussichten unerfreulich sind, verzichtet er auf die Neuanschaffung und greift stattdessen zur Schere, um die Hosenbeine seiner Thermo-Jeans auf „Bermuda-Format“ zu kürzen.

Das könnte sicherlich auch als das Bemühen um Nachhaltigkeit und Ressourcen-Schonung interpretiert werden, entspricht aber nicht dem Handeln eines wachstums- und gewinnorientierten Unternehmens.

Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die Investition in die Trinity-Fabrik gerade noch rechtzeitig als eine 2-Milliarden-Fehlinvestition erkannt wurde, weil die zusätzlichen Kapazitäten (in Europa) voraussichtlich nicht ausgelastet werden könnten.

Als Erklärungsmöglichkeiten bieten sich an:

  • die rückläufigen Verkaufszahlen in Europa
  • die wachsenden Probleme auf den Märkten der USA und Chinas
  • die Kostennachteile bei einer Fertigung in Deutschland
  • das gegenüber bisherigen Prognosen sehr viel schneller nahende Ende des Verbrennes,
    aber auch
  • der gegenüber bisherigen Prognosen sehr viel langsamer erfolgende Umstieg der Kunden auf E-Mobile.

Nüchtern betrachtet hat die von externen – wenn auch selbst verschuldeten – Einflüssen getriebene Inflation nicht das Potential, der Teuerung mit adäquaten Lohnerhöhungen Paroli bilden zu können. Die Verteilmasse bleibt nicht im Binnenmarkt, sie fließt ins Ausland ab. Dem folgt eine dauerhafte Minderung der Konsumentenkaufkraft, die sich wiederum in einem Anstieg des Durchschnittsalters der Pkw-Flotte ausdrücken wird. Kurz: Das Neuwagengeschäft in D und der EU bricht ein.

Die von mir schon länger vorgetragene Tatsache, dass mit den E-Mobilen das Alleinstellungsmerkmal der deutschen Automobilindustrie, nämlich zuverlässige, leistungsstarke, langlebige verbrauchs- und schadstoffarme Motoren zu verbauen, verloren geht, weil die Kunst einen E-Motor zu konstruieren und zu bauen, überall auf der Welt beherrscht wird, trägt zweifellos zum Verlust von Marktanteilen im EU-Ausland ganz erheblich bei.

Bidens Projekt zur Inflationsreduzierung, das letztlich nichts anderes ist als eine verschärfte Neuauflage von Trumps „America first“ Strategie zieht massiv Kapital und Produktionskapazitäten in die USA, um von den dort gewährten direkten und indirekten Subventionen zu profitieren. Dies ist für die EU-Industrie ein erheblicher Standortnachteil, der durch Rationalisierung und Kostensenkung nicht ausgeglichen werden kann, zumal damit die Binnenkaufkraft der EU zusätzlich geschwächt würde.

In Bezug auf  die ganz große Wette aber, ob es nämlich im Wirtschaftsraum der EU jemals gelingen kann, die für die E-Mobilität erforderlichen Strommengen überhaupt zu erzeugen und zu erträglichen Preisen unterbrechungsfrei anzubieten, scheint die von Herbert Diess noch verbreitete Euphorie allmählich jener Ernüchterung zu weichen, die Oliver Blume letztlich veranlasst haben dürfte, den Fabrikneubau in die Tonne zu treten.

Wenn ab 2025 die Euro-7-Abgas-Norm in Kraft treten wird/sollte, um die Zeit bis zum Verbrenner-Aus 2035 mit einer nochmaligen Absenkung der zulässigen Grenzwerte zu verbrämen, ist damit das Ende der Verbrenner-Entwicklung für den europäischen Markt eingeläutet. Danach kommt antriebsseitig nichts Neues mehr.

Dann wird es gehen wie mit der Atomkraft. SIEMENS mit der KWU war technisch der Spitzenreiter am Weltmarkt. Davon ist, außer verstaubten Dokumentationen heute nichts mehr übrig.

Es ist die Frage, was länger überlebt:

  • Die EU, bzw. das Verbrennerverbot oder
  • der uneingeschränkte Individualverkehr und eine wettbewerbsfähige Automobilindustrie in Europa.

beides gleichzeitig erscheint aus heutiger Sicht vollkommen ausgeschlossen.

Die in diesem Tageskommentar gestellte Schlussfrage, die im Februar noch einigermaßen offen erschien, glaube ich heute eindeutig beantworten zu können:

Nach OPEL und Ford, die schon länger erkennbar dahinsiechen, wird nun auch für Volkswagen die letzte Ölung vorbereitet. Inwieweit sich BMW und Mercedes noch halten können, wird davon abhängen, inwieweit es gelingt, die Produktion ins Ausland zu verlagern und mit Tesla und den chinesischen Konkurrenten in Bezug auf die Fahrzeug-IT gleichzuziehen und dabei noch zu wettbewerbsfähigen Kosten für jene Teile des Weltmarkts zu produzieren, in denen kein Mangel am benötigten Strom für den elektrifizierten Individualverkehr droht.

Die EU wird das überleben, aber nicht für lange Zeit. Der Ausfall des großen Zahlmeisters ist abzusehen, und ohne die Finanzierung aus der deutschen Staatskasse wird dieses Gebilde mit einem lauten Knall in seine 27 Partikular-Interessen zerfallen.