Ultimaten, Drohungen, Erpressungen?

Irgendwie ist da wohl etwas an mir vorbeigegangen. Da soll sich, beiderseits vom Kanzler, ein Konflikt zwischen Friedrich Merz und Ricarda Lang Bahn brechen, bei dem Olaf Scholz als Knautschzone in der Mitte bis zur Unnachgiebigkeit zusammengequetscht werden soll. Ein Kommentator wagt sogar das Bild von der „doppelten Zwickmühle“ zu bemühen, in die der amtierende Kanzler geraten sei, was – für Mühle-Kundige – zweifelsfrei bedeutet: Es gibt keine Rettung mehr.

Merz soll also, so habe ich das verstanden, Olaf Scholz damit gedroht haben, nicht mehr mit ihm zu sprechen, wenn dieser nicht bis Dienstag im Vollbesitz seiner Richtlinienkompetenz versprechen würde, künftig „Zuwanderungswillige ohne Aussicht auf Asyl“ schon an der Grenze zurückzuweisen. Lang ihrerseits soll signalisiert haben, dass sie das noch betroffener machen würde als die betroffenste Claudia Roth seit Beginn der Aufzeichnungen jemals betroffen war.

Wokeness, wohin man schaut.

Jemandem, der nicht die geringste Lust hat, mit Friedrich Merz über Asylpolitik zu sprechen, damit zu drohen, das Gespräch platzen zu lassen: Das ist doch so, wie wenn der Henker dem Delinqenten droht, ihn nicht hinzurichten, sollte er sich nicht freiwillig aufs Schaffot begeben.

Und dem gleichen Kanzler von der anderen Seite her, damit er ja nicht auf die Idee kommt, doch noch einen Kuhhandel mit Merz zu verabreden, etwas verklausuliert mitzuteilen, wie betroffen es machen würde, sollte man mit ansehen zu müssen, wie ein stets für stark gehaltener Kanzler sich von einem solchen Ultimatum beeindrucken lässt, das klingt doch eher so, als sollte hier der Beweis für die Spruchweisheit geführt werden, die da lautet: „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“, zumal der erfolgreiche Mann ja sowieso nicht freiwillig aufs Schafott steigen will.

Ich kann da nichts von Ultimaten, Drohungen oder Erpressungen, nichts von einfachen oder doppelten Zwickmühlen erkennen.

Es ist einfach nur Wahlkampf.

Es ist einfach nur Unions-Wahlkampf gegen die AfD durch Kannibalisierung, weil – so das Kalkül – die Wähler doch lieber christlich, statt faschistisch wählen, wenn beide Seiten das gleiche Versprechen im Angebot haben.

Es ist einfach nur Grünen-Wahlkampf gegen die Union, weil – so das Kalkül – die Guten im Lande ihre Kreuzchen doch lieber bei grün und rot machen, also richtig und original gut bleiben werden wollen, weil sie sich in ihrer Gutheit bestätigt fühlen werden, wenn sie sehen, wie fest und unverbrüchlich die gute Frau Lang zu ihrem Kanzler und der gute Kanzler zu seiner Koalitionärin steht.

Es ist einfach nur Scholz-Wahlkampf gegen Boris Pistorius, Saskia Esken und Kevin Kühnert, weil  – so das Kalkül – diejenigen, die immer noch SPD wählen, deswegen immer noch SPD wählen, weil sie im Grunde der altbewährten Adenauer Parole, „Keine Experimente!“, anhängen und die Risiken klarer Festlegungen und entschlossenen Handelns fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

Nichts davon wird aufgehen.

Scholz wird nicht noch einmal Kanzler werden. Selbst dann nicht, wenn seine Partei darauf verzichten sollte, Boris Pistorius zum Kandidaten zu küren. Deshalb ist es egal, wie er sich zu Friedrich Merz und zur Asylfrage positioniert. Je unklarer er bleibt, desto weniger Angriffsflächen bietet er und desto wahrscheinlicher ist es, dass er auch das letzte Jahr der Amtsperiode überstehen wird.

Die Grünen, mit ihrer Vorstellung vom Recht aller Menschen auf Erden, sich in Deutschland von den Deutschen durchfüttern lassen zu können, sind längst wieder auf ihren innersten, halbhart-feministischen, gendersensiblen Transatlantiker-Kern zusammengeschrumpft. Die 2015 noch von Merkel aus dem deutschen Wesen hervorgelockte, Teddybären verschenkende Gutmenschen-Statisterie hat nach neun Jahren den blindmachenden Glauben an die Segnungen der bunten Vielfalt verloren und in die Realität zurückgefunden, in der eben nicht nur „kein Platz“ mehr ist, sondern auch die desaströsen Folgen der grünen Energiewende immer deutlicher zu erkennen sind.

Friedrich Merz markiert den starken Macher, weil er sich gegen Söder profilieren will, erreicht damit aber nur, Söder ähnlicher zu werden, vor allem auch in Bezug auf die Wahrnehmung, dass Söders Haltungsnoten einer jeden, je im Cirque du Soleil aufgetretenen Kontorsionistin zur Ehre gereichen würden. Auf den Punkt gebracht: Man glaubt und vertraut beiden immer weniger.

Das ist der Boden, aus dem BSW und AfD weiterhin – und inzwischen fast ohne eigene Anstrengung – ihre Kraft beziehen.
Es ist die Konstellation, aus der sich sehr schnell das entwickeln könnte, was fälschlich „Unregierbarkeit“ genannt wird, obwohl es doch nur die Unfähigkeit, bzw. Unwilligkeit eines ausreichend großen Teils der konkurrierenden politischen Kräfte ist, eine Regierungskoaltion mit gemeinsam angestrebten Zielen zu bilden.

Keine Doppelzwickmühle, keine einfache Zwickmühle – eher schon die Garantie für Olaf Scholz, für lange Zeit geschäftsführend im Amt bleiben zu können/dürfen/müssen, ohne dass dies als zweite Amtszeit zu zählen wäre.