Hans im Unglück – Der nächste Akt des Leoparden-Dramas

Simplify your life!

Diese Aufforderung, die glücklich machen soll, indem man sich von allem trennt, was einen belastet, oder was man für eine gewisse Zeit nicht mehr benutzt hat, verführt dazu, in einen wahren Wegwerf-Rausch zu verfallen, an dessen Ende man mit leeren Händen dasteht. Das ist die Lehre aus dem Märchen „Hans im Glück“, es ist aber auch die Glücksverheißung des WEF: „Ihr werdet nichts mehr besitzen, aber glücklich sein!“

Der Zustand, nichts mehr zu besitzen, tritt mit großer Sicherheit ein, wenn man nacheinander alles aufgibt  und wegwirft, was man, aufbauend auf dem von den Vätern Ererbten, erworben hat. Inwieweit die Suggestion, dann glücklich zu sein, stark genug ist, um die Schmerzen des Verlustes zu überstrahlen, bleibt jedoch dahingestellt, zumal die Kraft von Suggestionen mit der Zeit und mit der Konfrontation mit der Realität stark nachzulassen pflegt.

So wird aus jedem Hans im Glück, sobald ihm bewusst wird, was er alles, wegen der vermeintlichen Bequemlichkeit und der Leichtigkeit des Seins, verschleudert hat, ein Hans im Unglück.

Das Schicksal des einzelnen Deppen, dem solches widerfährt, mag nicht mehr sein als eine Arabeske in der Menschheitsgeschichte, immer noch nützlich als mahnendes Beispiel für alle anderen. Wo sich jedoch die Lenker eines ganzen Staates dazu bewegen lassen, die Taube in der Hand loszulassen, um aufs Dach zu steigen und nach dem dort gesichteten Spatzen zu haschen, nimmt das Unglück ungeheuerliche Dimensionen an, so dass die Mahnung von Wilhelm Busch: „Aber wehe, wehe, wehe – wenn ich auf das Ende sehe!“, auch dann seine Berechtigung hat, wenn die Protagonisten nicht Max und Moritz heißen.

Es war einmal

ein Land, indem zwar nicht gerade Milch und Honig für jeden floss, das aber eine starke Quelle des Wohlstands besaß. Diese Quelle des Wohlstands wäre am besten zu vergleichen, mit einer Taube, die alle Jahre einige goldene Eier legt. Die Taube war bescheiden und forderte nicht mehr als eine freundliche Behandlung, täglich ein paar Körner als Futter und ein paar Tropfen frisches Wasser.

Gerade als man sich daran so richtig gut gewöhnt hatte, kamen drei Könige aus dem Abendland in dieses Land und entsetzten sich gar fürchterlich über diese Taube und ihre Eier. Die Taube, erklärten sie, sei gar keine Taube, sondern ein verhexter Aasgeier, ihre Eier, wiewohl aus purem Golde, brächten Unglück, denn sie seien seit altersher verflucht. Es sei besser, die Taube aus dem Land zu jagen und auf ihre Eier zu verzichten.

„Wie sollen wir dann aber unseren Wohlstand erhalten, wenn wir nicht mehr der goldenen Eier dieser Taube teilhaftig werden?“, fragten die Menschen in diesem Lande. Die Könige aus dem Abendland erklärten, dass die Abwendung des zu befürchtenden Schadens durch den verhexten Aasgeier und seine verführerischen Eier weit  mehr wert sei als weiterhin von den fragwürdigen Eiern zu profitieren.

Sie hätten aber ein Einsehen, sagte der  mächtigste der drei Könige, griff in seine Manteltasche und holte ein kleines goldenes Pfeifchen hervor. „Seht her!“, rief er und ließ einen langen Pfiff aus dem Pfeifchen ertönen. Da war auf einmal ein Flattern in der Luft zu hören und ein lustiger kleiner Spatz erschien. „Diesen Spatzen, der alle paar Jahre seine kleinen silbernen Eier legen wird, den überlassen wir euch als Ersatz.  Er will mit aller Freundlichkeit behandelt werden, mehr noch als die Taube, die nun verjagt wird, er hat auch einen viel größeren Appetit und einen erleseneren Geschmack als die Taube, und seine Eier sind nicht so groß, er legt auch nicht so viele, und sie sind nicht aus Gold, sondern  aus purem Silber, aber es wird euch genügen. Verlasst euch drauf.“ Mit einem fröhlichen „Simplify your life“, und, „ihr werdet glücklich sein!“, zogen sie sich wieder an die Ufer des Potomac, der Themse und der Weichsel zurück.

Es war nicht einfach, mit dem Spatz. Man musste ihm erst einmal neue Nester bauen, bevor er auch nur daran dachte, ein Ei zu legen. In Brunsbüttel würde es ihm gefallen, auch in Wilhelmshaven, erklärte der Spatz, und dass er dort überalls seinen Kot fallen lassen würde, das müsse man schon in Kauf nehmen. Er sei halt eine weitgereiste invasive Art und könne auf bestehende Biotope keine Rücksicht nehmen.

Gerade als der Spatz sich endlich anschickte, in einem der für ihn eigens neu gebauten Nester Platz zu nehmen, und Anstalten machte ein erstes, winzig kleines Ei zu legen, tauchten die Könige aus dem Abendland erneut auf.

„Sehr ihr“, sagten sie, „es funktioniert. Das  ist zwar unser kleinster und noch dazu verfressenster Spatz, der auch immer wieder davonfliegt und seine Nester verwaisen lässt, aber nun bekommt ihr doch das erste Ei, und dafür, so finden wir, seid ihr uns einen Gefallen schuldig.“

Dann erklärten sie ihren Plan, dass sie nämlich die verhexte Taube, die in Wahrheit ein ganz schlimmer Aasgeier sei, jagen und erlegen wollten, um die ganze Welt vom Übel zu befreien, so wie schon dieses Land vom Übel befreit worden sei. Aber dazu müsst ihr uns mit schweren Waffen aushelfen. Anders ist der Taube nicht beizukommen.

Sie berieten sich lange. Wenn es denn wahr sei, dass die Taube ein verhexter Aasgeier wäre, wenn es dann wahr sei, dass die drei Könige ohne unsere Waffen die Taube nicht erlegen können, dann könnte die Rache der Taube auch uns treffen. Da sagten einige: „Das darf auf keinen Fall geschehen, also müssen wir die größten und mächtigsten Waffen, die uns zur Verfügung stehen, unverzüglich bereitstellen, damit die Taube auch wirklich schnell und gründlich erlegt werden kann.“ Andere hingegen meinten: „Wenn wir uns zurückhalten, wird uns der Zorn der Taube nicht oder nur in minderem Maße treffen. Dass sie wirklich erlegt werden kann, auch wenn wir schwere Waffen liefern, ist ja noch längst nicht sicher.“

Am Ende versprachen sie den drei Königen aus dem Abendland, viele, viele Waffen zu liefern, aber ihre ganz großen und schweren Waffen, die wollten sie nicht zur Verfügung stellen.

Das ist nun der Stand der Kunst.

Die Könige sind aufgebracht und zornig.

Wehe, wehe! Der größte und mächtigste der drei Könige greift schon wieder in die Manteltasche.

Jetzt holt er das kleine goldene Pfeifchen hervor …