Über den abgebrochenen Paukenschlag von gestern

Der verspätete

PaD 32 /2020 Pyramide vs. Lawine – hier auch als PDF verfügbar: PaD 32 2020 Pyramide vs. Lawine

 

Pyramide vs. Lawine

Ich will nicht klagen. Niemand zwingt mich. Ich mache das freiwillig.

Manchmal gerate ich allerdings an meine Grenzen. Das fühlt sich unangenehm an, passt im Grunde aber zum Thema, über das ich schreiben wollte.

Die gestern gewählte Titelzeile klang schon vielversprechend:

Über den Unterschied zwischen Pyramiden und Lawinen

Damit wollte ich die Vorteile von Ordnung und sinnvoller Organisation herausstellen und in Kontrast zu Chaos und Anarchie setzen. Ich wollte die Unverzichtbarkeit hierarchischer Ordnungen aufzeigen und auf die am Horizont aufziehenden Gefahren hinweisen, die von jener zunehmenden Desorganisation ausgehen, die man zum Schluss nicht einmal mehr „Gesellschaft“ nennen können wird, weil dann nur noch isolierte Individuen nebeneinander her existieren und sich in ihrer ungeordneten Gleichheit maximal behindern.

Es ging mir um die vielen unsinnigen Gerechtigkeitsdebatten, die von den kleinen Rädchen im Getriebe ausgelöst werden, weil sie nicht so groß sind, wie die großen und sich obendrein auch noch schneller drehen müssen. Es ging mir um die verloren gegangene Einsicht, dass das Ganze nur funktioniert, wenn alle die ihnen darin zugedachte, spezielle Funktion erfüllen.

Ich wollte überzeugend darstellen, dass Hierarchien für die menschliche Gesellschaft unverzichtbar sind – und dass eine Pyramide, als das Sinnbild für eine Hierarchie, eben deshalb Bestand hat, weil die Basis breiter ist als die Spitze. Dabei spielt sogar der Neigungswinkel eine Rolle. Das wussten die Ägypter vor Jahrtausenden schon – und der Erfolg dieses in Stein umgesetzten Wissens manifestiert sich darin, dass heute noch Heerscharen von Touristen nach Kairo kommen, um, hoch zu Kamel, ihr Selfie mit den Pyramiden im Hintergrund zu schießen. Wären die Steinblöcke in den Steinbrüchen verblieben, oder südlich von Kairo einfach ungeordnet in die Wüste gelegt worden, niemand, außer Verschwörungstheoretikern oder Archäologen mit dem innigen Wunsch, der Welt einen Sensationsfund vorweisen zu können, würde sich dafür interessieren.

… und während ich so schrieb, und Beispiel an Beispiel reihte,  Satz auf Satz türmte, dämmerte mir, dass ich dabei war, in den Gedankenraum einer Zielgruppe hinein zu schreiben, die es nicht verstehen würde, weil sie es nicht verstehen konnte, und weil diejenigen darunter, die es hätten verstehen können, es nicht verstehen wollen würden.

Also machte ich mich daran, das, was ich sagen wollte, noch ausführlicher zu erläutern und zu begründen und es auf noch einfachere Zusammenhänge herunterzubrechen. Dabei wurden die Wege zwischen den angeführten Ursachen und den daraus zwangsläufig folgenden Wirkungen jedoch so lang, dass mir klar wurde, dass mir auf diesen Pfaden durch die Wüste der Argumente niemand freiwillig folgen würde – und weil ich selbst darüber schon müde und erschöpft war, habe ich den Aufsatz mit der bitteren Erkenntnis der Sinnlosigkeit meines Unterfangens abgebrochen, in die sich auch die ebenso bittere Erkenntnis mischte, dass es mir – mit meinen begrenzten Möglichkeiten – nicht gelingen würde, das Ziel, das ich mir gesetzt hatte, zu erreichen.

Heute schreibe ich über diese bitteren Erkenntnisse – und zwar für diejenigen, die es verstehen werden, weil sie es verstehen können und auch verstehen wollen.

Man kann einen Fünfjährigen nicht in das Cockpit eines Formel-1-Rennwagens setzen und erwarten, dass dieser am Ende der Saison den Grand Prix nach Hause trägt. Man kann auch einer Kuh nicht das Radfahren beibringen und einem Regenwurm wird man noch so geduldig erklären können, dass eins und eins zwei ergibt, es wird ihm am hinteren Ende vorbeigehen.

Man kann auch niemanden aus der wachsenden Zahl derjenigen, deren Denken sich darauf beschränkt, in den oben angeführten Vergleichen eine Diskriminierung von

  • Fünfjährigen,
  • Menschen, die nicht Radfahren und
  • Menschen, die eins und eins nicht zusammenzählen können,

zu sehen, davon überzeugen, dass das Erkennen und Aufzeigen von Unterschieden eine ganz normale, oft sehr sinnvolle und dem gesunden menschlichen Geist innewohnende Fähigkeit ist, die vom Tatbestand der Diskriminierung weiter entfernt ist als der Mond von der Erde.

Von Albert Einstein stammt die Anmerkung:

Der Horizont vieler Menschen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nennen sie dann ihren Standpunkt.

Dem wurde vom „Unbekannten Aphoristiker“ tröstend entgegen gesetzt:

Nobody is perfect.

Damit hätte alle Welt gut leben können. Zumal es sich nur um eine andere, nicht im Befehlston ausgesprochene Formulierung jener Inschrift handelt, die über dem Orakel von Delphi aufforderte: „Gnothi seauton!“ – „Erkenne Dich selbst!“

Vielleicht schieße ich weit übers Ziel hinaus, wenn ich postuliere:

„Eine Gesellschaft, in der die Kunst der Selbsterkenntnis gepflegt
und geschätzt wird, bietet die besten Voraussetzungen,
darin ein glückliches Leben zu führen.“

Sehr viel sicherer bin ich mir, wenn ich mich dem Gegenteil zuwende und dazu behaupte:

Eine Gesellschaft, die Selbsterkenntnis unmöglich macht,
indem sie die absolute Gleichheit aller ihrer Mitglieder
zum unverrückbaren Dogma erhebt,

kann keine wirklich glücklichen Menschen hervorbringen,
und schon gar nicht in ihrer Mitte ertragen.

Für eine ganze Weile galt dann auch, statt: „Nobody is perfect“, die irrwitzige und alleinseligmachende Lehre:

„Everybody is perfect!“

Es gibt keine Unterschiede! Dass derjenige, der behauptet, es gäbe Unterschiede, schon der erste Beweis dafür ist, dass er mit seiner Behauptung rechthat, wird durch jene zwecklogische Kunstfigur geheilt, die da lautet: „Wer nicht davon ablassen kann, Unterschiede zu konstruieren, wo es keine gibt, ist ein Rassist, ein Nazi, ein Rechtsextremist und muss mit aller unnachsichtigen Härte bekämpft und ausgegrenzt werden.“

„Everybody is perfect“, bzw., „Alle Menschen sind gleich“, waren die Voraussetzungen dafür, allen Menschen die gleichen Rechte zuzuweisen. Dem Versuch, daran zu erinnern, dass gleiche Rechte mit gleichen Pflichten einhergehen müssten, wurde mit dem gleichen, bewährten Argument begegnet: „Rassisten! Nazis! Rechtsextremisten! – Haltet die Fresse!“

Die Gesellschaft verwandelte sich damit allmählich von der stabilen Ordnung der Pyramide, an der jeder Stein seine Funktion hatte, in eine flache Steinwüste, und manche, die zuvor in den oberen Rängen angesiedelt waren, und fürchteten, gestürzt zu werden, sollte sich diese neue Religion durchsetzen, beeilten sich, trotz  besserer Erkenntnis, sich schleunigst selbst in Bewegung zu setzen und unter das Volk der Perfekten zu mischen und deren Lieder mitzusingen. Früher nannte man das „Opportunismus“ – heute nennt man es „Haltung zeigen“.

Doch auch diese Phase der Irrungen und Wirrungen der kleinen Rädchen, die aus ihren Lagerungen im Uhrwerk gesprungen sind, und meinen, auf diese Weise die Zeit, die ja auch nur ein Konstrukt ist, sehr viel besser anzeigen zu können als unter der Dominanz der großen Räder und unter dem Druck der großen Feder, ist schon wieder vorbei und hat einem noch schrecklicheren, weil noch unvergleichlich törichterem Denkansatz Platz gemacht, dem nun allgemein gehuldigt wird.

„Black Lives Matter“

Die Parole für sich genommen, wäre gar nicht so kritikwürdig. Vor allem, wenn man sie sich schöndenkt, und im Kopf „Auch schwarze Menschen zählen“ daraus macht. Doch diese Interpretation ist naiv, denn schon die Abwandlung in „All Lives Matter“ genügt, um von Aktivisten halbtot geprügelt oder hilfsweise erschossen zu werden.  Die Aussage ist heute nur noch so zu interpretieren, dass ausschließlich schwarze Leben zählen, eventuell noch andere Peoples of Color, niemals aber Weiße, schon gar nicht die alten weißen Männer, die alles Unheil das existiert, über diese Erde gebracht haben.

Wären die weißen Naiven, die „Black Lives Matter“ skandieren und den Text in ihrer totalen Beschränktheit auf Plakaten – wie die Hostie der Erlösung – vor sich hertragen, in der Lage, die Grenzen ihrer intellektuellen Fähigkeiten auch nur einen Fußbreit zu erweitern, sie müssten erkennen, dass sie sich nahtlos einreihen in die Marschkompanien jener, die einst (damals allerdings noch nicht auf Englisch) die Überzeugung hegten:

„Aryan Lives Matter“

Vermutlich sind sie aber nicht in der Lage, „aryan“ in „arisch“ zu übersetzen, und, so sie es doch vermögen sollten, müssen sie spätestens dann scheitern, wenn sie mit dem Jahre 2015 den schlammigen Grund ihres geschichtlichen Langzeitgedächtnisses erreicht haben und vergeblich nach einer sinnvollen Deutung suchen. Wäre es anders, sie würden sich mit Abscheu abwenden, statt wie besessen mitzumachen.

 

Während unsere Ordnung mehr und mehr verfällt, die Spitze der Pyramide längst abgestürzt ist und mit dem flachen, schmalbrüstigen Zeitgeist in den Niederungen um die Wette Haltung zeigt, türmt sich anderswo längst eine unschuldige Schneeflocke auf die andere, wächst ein ebenso mächtiges, wie labiles, weil chaotisch entstehendes Schneebrett heran, das, wenn es ins Rutschen gerät, alles mitreißen und unter sich begraben wird, was die Menschheit in den letzten 5000 Jahren als ein tragfähiges geistiges Fundament errichtet hat –
von den materiellen Schäden gar nicht zu reden.

In den Alpen sprengt man Schneebretter vorsorglich, bevor sie unkontrolliert abgehen.

Ich weiß: Das ist die brutalstmögliche Art, ein Schneebrett zu diskriminieren.

Muss die Vernunft aber klein beigeben, nur weil dem Schneebrett die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis vollständig abgeht?

Never!


Ach so, ein P.S. noch:

Bitte bitten Sie mich nicht, Ihnen den gestern abgebrochenen Text zukommen zu lassen. Er ist gelöscht und weg und verloren in den Weiten von Raum und Zeit.