Theater à la Dushan Wegner

Ich nehmen an, Sie kennen Dushan Wegner, den Mann mit den relevanten Strukturen, und falls nicht, kann ich seine Aufsätze nur empfehlen. Sie finden sie hier.

Heute hatte ich das Vergnügen, seinen Text über die „Politische Korrektheit, das größte Theaterstück der Geschichte“ zu lesen, und es ging mir tatsächlich der Gedanke, durch den Kopf, seiner dort ausgesprochenen Empfehlung zu folgen, die er so formuliert hat:

„… wir Menschen haben Kultur, und also spielen wir Theater, und das Theater ist eine ganz besondere Form der Lüge, welche die Wahrheit umreißt wie ein sexy Kleid, das die Trägerin nackter als nackt aussehen lässt, und so ein Theater wollen wir spielen, nur eben mit der Wahrheit, nicht mit den Hüften.“

Brecht fiel mir ein, der am 12. Dezember 1934 im „Pariser Tageblatt“ erstmals seine „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“ ausbreitete und sie 1935 (unter anderem auch) unter der Tarnbezeichnung „Satzungen des Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller“ den in Deutschland gebliebenen Schriftstellern zugänglich zu machen versuchte. Wir wissen, dass Brecht, der Sohn der Fuggerstadt Augsburg, weder als Prophet in der eigenen Stadt, noch im eigenen Land, die ihm zustehende Ehre erfuhr, auch nicht, als der Spuk des tausendjährigen Reiches längst Vergangenheit war. (Hier mal ein bisschen durchblättern, ab Seite 26)

Alleine dieses Beispiel sollte vollkommen ausreichen, zu erkennen, dass selbst einer, der die Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit kannte, als Wahrheitsschreiber dennoch erkannt und gebannt wurde, und dass die Nennung seines Namens auch heute noch beim unbedarften Durchschnittsdeutschen eine leichten Schauder auslöst, als sei der Gottseibeiuns persönlich in den Raum getreten.

Ein Kommunist!

Dann fielen mir die Kreuzgangspiele Feuchtwangen ein. 1969 und 1970, das weiß ich sicher, war Alexander Golling der Spielleiter und trat allda auch in seiner Paraderolle als „Wallenstein“ auf die Bühne im romanischen Kreuzgang. Dass Golling als Nazi verschrien war, wurde mir, der ich in Feuchtwangen das Vergnügen hatte, gelegentlich als Statist mit ihm auf den Brettern zu stehen, die die Welt bedeuten, erst viel später klar. Sicherlich, er bekam nicht mehr die großen Rollen, wie vor 1945, das waren sich die Verantwortlichen Intendanten und Produzenten gegenseitig schuldig, doch er wurde keineswegs ganz aus dem Geschäft gedrängt. (Dazu hier mehr.)

Ein Schauspieler halt!

Was Dushan Wegner vorschlägt, kann meines Erachtens nicht funktionieren.

Im großen Theater der politischen Correctness ins Gewand des Korrekten zu schlüpfen, macht dich unweigerlich selbst zum Korrekten unter Korrekten, dessen Versuche, die Wahrheit durch die Lüge zu verdecken, so dass sie eben durch die aufgesetzte Lüge deutlicher zu erkennen sei (siehe oben, Zitat Wegner) bringt entweder gar nichts, weil die Lüge nicht von der erforderlichen Qualität war, oder es bringt zum Verbrechen, die Wahrheit auszusprechen, noch das Verbrechen, die Korrekten zu verhöhnen und damit als Lügner zu enttarnen, hinzu. Von der Qualität war Brecht. Nicht weil er Kommunist war. Auch Kommunisten müssen Theaterspieler der political Correctness sein, wenn sie in ihren Reihen nicht als Nestbeschmutzer gelten wollen.

Wie soll es denn gehen?
Ich mache mal einen Versuch:

Es ist in jüngerer Zeit sehr viel die Rede davon, dass ein Mann, vermutlich immer der gleiche, manchmal einem anderen Mann, manchmal einer Frau, manchmal mit einem spitzen Gegenstand, manchmal mit nichts als der bloßen Hand, etwas zugefügt habe, wobei der Mann meist unerkannt  entkommen konnte oder nach kurzer Feststellung der Personalien wieder auf freien Fuß gesetzt werden musste, weil ihm entweder nichts nachzuweisen war, oder weil andere Männer bezeugten, eben dieser Mann habe noch nie jemandem etwas zugefügt, allenfalls etwas weggenommen, was aber wiederum keineswegs die körperliche Unversehrtheit gewesen wäre.

Es heißt, der Mann, über den so viel berichtet wird, obwohl er sich nichts Ernstliches, was eine Verurteilung zu einer langen Haftstrafe rechtfertigen würde, hat zuschulden kommen lassen, würde von vorsorglich-interessierter Seite überhaupt nur erwähnt, um darauf hinzuweisen, wie gefährlich „der Mann“ als solcher sei, und um den Gedanken zu erwecken, es könnte, mit dem Vergehen der Zeit, ein alter Mann aus ihm werden, und unter Umständen sogar ein alter weißer Mann.

Letztlich soll also, so will es mir erscheinen, mit dem Hinweis auf diesen Mann, auf jene Gefahr aufmerksam gemacht werden, die von alten weißen Männern auszugehen droht, weshalb sie, noch bevor sie die Gelegenheit bekommen, alt zu werden, identifiziert und gekennzeichnet werden müssten, nicht mit einem Stern, das ist in Anbetracht der Geschichte derer, die schon länger hier leben, nicht möglich, ohne Missverständnisse hervorzurufen, aber vielleicht zur Abwechslung mit einem Kreuz, nicht mit dem Christlichen, versteht sich, sondern eher mit jenem indischen Ursprungs.

Wo zwei oder drei der so gekennzeichneten beieinander stehen, wird daraus eine Gruppe. Wir wissen aus den Medien, dass solche Gruppen dazu neigen, unter sich entweder kinderpornografische Werke zu teilen, oder mit Hass- und Hetzreden voreinander glänzen wollen und sich ganz und gar ihrem Rassenwahn und ihrer Fremdenfeindlichkeit hingeben und zudem in einer nie gekannten Hartnäckigkeit das Klima leugnen, wo immer es geht.

Glücklicherweise wird eine solche Gruppen allerdings stets von einer anderen, gleichartigen Gruppe in Streitigkeiten verwickelt, die nicht selten auch mit Zufügungen einhergehen, so dass Unbeteiligte darauf bedacht sein sollten, mindestens eine Armlänge Abstand zu halten, statt sich in falsch verstandener Zivilcourage um die Beendigung der Streitigkeit zu bemühen. Dies ist Aufgabe der Polizei, deren Erscheinen in ausreichender Zahl oftmals ausreicht, die Gruppen – noch bevor die Polizisten die Türen ihrer Streifenwagen geöffnet haben – vollständig und rückstandslos aufzulösen. Bei nicht ausreichender Zahl verzögert sich die Gruppenauflösung bis zum Eintreffen der angeforderten Verstärkung und dem dann fälligen gemeinsamen Türenöffnen.

Den Versuch breche ich hier ab. Er ist mir misslungen.

Es funktioniert nicht. Jeder einzelne, der hier mitlesenden Zensoren fühlt die Absicht und ist verstimmt.

Lieber Dushan Wegner, wie stellen Sie sich Ihre Anleitung konkret vor?

Konnte ich doch Ihren Texten – und ich habe viel davon gelesen – bisher an keiner Stelle ein rühmliches konkretes Beispiel des Mitspielens im Theater der politischen Correctness entnehmen. Das ehrt Sie! Machen Sie weiter so! Behalten Sie Ihre relevanten Strukturen. In jedem Theater fällt einmal der letzte Vorhang nach einer Inszenierung. Dafür allerdings ist es erforderlich, dass das zahlende Publikum ausbleibt – und dafür ist es erforderlich, dass anderswo Besseres angeboten wird. Machen Sie weiter, das Publikum ist dabei, sich neu zu orientieren.