Wenn das Lachen vergeht

Lachen ist ein Ausdruck des lebensbejahenden Charakters, der zur Not auch über sich selbst und sein Missgeschick nicht in Tränen und Trauer ausbricht, sondern den Fehler erkennt und darüber lacht, dass er so dumm sein konnte, bevor er sich daran macht, es besser zu machen.

Die Voraussetzung für das Lachen ist die Freiheit, Fehler korrigieren zu können.

Wenn Eltern unwillkürlich lachen, weil sich das Kind beim Laufenlernen urkomisch anstellt, dann steht dahinter das Wissen darum, dass das Kind damit seinen Erfahrungsschatz erweitert und aus dem soeben gemachten Fehler lernen wird.

Wenn wir über einen guten Witz lachen, dann nur, weil wir den eingebauten Fehler, der zur Pointe führt, erkennen und uns dabei selbst versichern, den gleichen Fehler vermeiden zu können.

Erst wenn unsere Freiheit nicht mehr ausreicht, Fehler korrigieren zu können, erstirbt das Lachen.

Mir fällt auf, dass immer weniger gelacht wird. Das heitere, befreiende Lachen ist auf dem Rückzug. Noch wird es substituiert durch Gelächter. Gelächter, die hässliche Schwester des Lachens, die ihre Energie aus Häme und Schadenfreude bezieht und die Möglichkeit der Fehlerkorrektur ausschließt, die hinter jedem Irrtum einen Deppen, hinter jedem misslungenen Versuch gleich den Versager erkennt, hat ihren Höhepunkt jedoch auch schon hinter sich.

Das ist nicht verwunderlich. Häme und Schadenfreude sind inzwischen gleichbedeutend mit Hass und Hetze, Gelächter diskriminiert und wird damit zum sanktionswürdigen Verhalten. Wer, weil er nicht mehr lachen kann, dem Gelächter frönt, wird ausgegrenzt.

Ein kurzer Abriss über die Geschichte des „Staatskabaretts“ mag hilfreich sein, diese Veränderungen zu erkennen. Damit meine ich Formen des politischen Kabaretts, die es in die öffentlich rechtlichen Medien geschafft haben. Daneben gab es stets – in größerer Quantität – „Staatsblödeleien“, deren Anspruch lediglich darin bestand, Pointen ohne politischen, meist nicht einmal mit aktuellem Bezug abzuschießen. Zu diesen Staatsblödeleien, die handwerklich teils sogar sehr gut gemacht waren, zähle ich die Sendungen Didi Hallervordens ebenso wie den unnachahmlich Bühnenhüpfer Otto, aber auch Loriot, und viele, die es weniger weit gebracht haben.

Das Staatskabarett im öffentlich rechtlichen Fernsehen hat nach meiner Einschätzung mit Dieter Hildebrandt begonnen. Dass es gelungen ist, die Münchner Lach- und Schießgesellschaft ins Fernsehen zu bringen, mag damit zusammenhängen, dass das Lachen seinerzeit noch problemlos möglich war. Man konnte sogar über Politiker lachen, in der Überzeugung, diese hätten sich ebenfalls noch die Möglichkeit bewahrt, über sich selbst zu lachen und dann einen neuen, besseren Versuch zu wagen. Ich gehe davon aus, dass man sich ohne schweres Kopfzerbrechen entschlossen hat, der Lach und Schieß die große Bühne des Staatsfernsehens zu bieten, weil angenommen wurde, Hildebrandt würde für Quote sorgen. Als Hildebrandt kritischer wurde und nachdem die bayerischen Sendemasten beim Thema „Rhein-Main-Donau-Kanal“ sogar abgeschaltet werden mussten, dauerte es zwar noch eine Weile, bis Hildebrandts Fernseh-Ära endete, aber das Ende kam. Das befreiende Lachen erlitt einen schweren Schlag.

Erst als Urban Priol mit der Anstalt auftauchte, kam wieder Leben in die Bude. Über seine unaufhörlichen Merkel-Lästerungen konnte man lachen, weil es so aussah, als bestünde die Chance, den bei den letzten Wahlen gemachten Fehler beim nächsten Mal zu korrigieren. Das Publikum lachte weniger über Merkel als über sich selbst, doch Priols Partner, Georg Schramm, war bereits ein ganz anderes Kaliber. Er prangerte an. Seine Kritik war schonungslos. Seine  Pointen waren beißend, ätzend, verletzend, und wenn das Publikum zu früh oder an der falschen Stelle lachen wollte, fand er Möglichkeiten, dies zu unterbinden. Bei Schramm blieb einem das Lachen dann auch schon öfter mal im Halse stecken und machte einer Betroffenheit Platz, die auch durch Gelächter nicht zu verscheuchen gewesen wäre. Im Grunde verkörperte Schramm einen Aufruf zum Widerstand, der auch von der kabarettistischen Form des Vortrags kaum verdeckt werden konnte.

Schramm ist gegangen, Priol ist geblieben, holte sich den Pelzig dazu, und schließlich endete die Ära der ersten Anstalt.

Mit Klaus von Wagner und Max Uthoff erlebte die Anstalt noch einmal eine Renaissance, doch der Glanz der handwerklich gut gemachten und mit großem Aufwand produzierten Sendungen verblasste bald. Unmerklich verwandelte sich die Kritik an „denen da oben“ in eine Kritik an den Regierungskritikern. Befreit lacht bei Wagner und Uthoff nur noch, wer mit der Nase auf den Fehler einer verfehlten regierungskritischen Einstellung anderer gestoßen wird und sich damit in der eigenen richtigen Haltung bestätigt sieht.

Das Staatskabarett, finanziert mit der an die Nutzung von Wohnraum gebundenen „Demokratie-Abgabe“, verführt dazu, sich der Alternativlosigkeit anzuschließen, um überhaupt noch lachen zu können und eröffnet dabei, kaum ohne Absicht, auch die Möglichkeit die Häme und Schadenfreude des Rechtgläubigen als Gelächter über die Ketzer auszuschütten.

Doch auch ohne die Entwicklung und den Einfluss des Kabaretts in die Betrachtung einzubeziehen, ist kaum noch irgendwo ein fröhliches Lachen zu hören.

Das Lachen ist längst eingehegt durch die Regeln der politischen Korrektheit. Die politische Korrektheit verbietet es, das, was als Blödsinn und Dummheit wahrgenommen wird, mit einem Lachen zu quittieren, weil jeder Versuch, an der Unfehlbarkeit der Politik zu kratzen, unangenehme Folgen nach sich ziehen kann.

Natürlich konnte ich darüber lachen, als Angela Merkel von Südafrika aus die Wahl des Thüringischen Ministerpräsidenten Kemmerich faktisch annullierte, weil es sich um jene Form einer aller Erfahrung widersprechenden, unerwarteten Wendung handelte, die dem guten Witz als Schlusspointe zum erwünschten Lacherfolg verhilft.

Allerdings hätte ich noch sehr viel mehr lachen können, wenn es sich um eine Szene in einem Kabarett gehandelt hätte, um die Überzeichnung eines fehlerhaften Rollenverständnisses, verbunden mit der Gewissheit, dass das im richtigen Leben nur andeutungsweise, aber niemals mit diesem absoluten Machtanspruch zu erwarten sei.

Ich konnte auch herzhaft über Merkel und Seibert lachen, als sie sich in der Hetzjagden-Geschichte so festgefahren hatten, dass ich glaubte, jetzt müssten sie den Fehler eingestehen, zurückrudern und das Blatt zum Besseren wenden.

Stattdessen lieferte man mir mit der Entlassung des Chefs des Bundesamtes für Verfassungsschutz einen neuen Anlass, mein Zwerchfell in Bewegung zu setzen, weil sich das ungefähr so anfühlte, wie der wiederholt misslingende Versuch des Clowns im Zirkus, nicht schon wieder über die eigenen, übergroßen Schuhe zu stolpern.

Doch so wie Wilhelm Tell das Lachen über den an einer langen Stange befestigten Hut des Landvogts vergangen sein mag, als er feststellte,

  • dass das vollkommen bekloppte Gebot, vor dem Hut den Hut ziehen zu müssen, nicht etwa die Folge einer Bierlaune war, die der wieder nüchterne Gessler schnellstens rückgängig machen werde,
  • sondern der volle Ernst des Tyrannen, als Tell mit gespannter Armbrust dazu verurteilt war, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes schießen zu müssen,

so vergeht auch mir mehr und mehr das Lachen, wenn ich wieder und wieder feststellen muss, dass auch die absurdesten Ideen und Vorhaben nicht jene leicht korrigierbaren Fehlleistungen im Zuge eines Lernens durch Versuch, Irrtum und Erfolg sind, sondern knallhart durchgesetzte, genau auf das von mir befürchtete und für blödsinnig erachtete Ergebnis abzielende Pläne.

Dabei gibt es nicht einmal die Chance für ein hämisches Gelächter, weil sie niemals scheitern, sondern mit allem, was sie sich in den Kopf gesetzt haben, durchkommen. Grundgesetz und Verfassungsgericht sind leider nicht so konstruiert, dass daraus wirksame Konsequenzen für die handelnden Personen entstehen könnten. Was geschieht denn, wenn ein Urteil ignoriert wird, was hilft es denn, wenn ein neues Gesetz oder die Änderung eines bestehenden von den Verfassungsjuristen als grundgesetzwidrig angesehen wird? Der Amtseid steht dem politischen Willen ebenso wenig im Wege, wie das Grundgesetz – und das Verfassungsgericht ist so lange ein zahnloser Tiger, wie nicht eine Opposition auftritt, die stark genug wäre, verfassungswidriges Handeln der Regierung anzuprangern und damit selbst eine Regierungsmehrheit zu erringen.

Ich weiß nicht, wie künftige Historiker die momentane Episode in der Geschichte Deutschlands einst würdigen werden. Je nachdem, wie lange der Trend anhält, könnte sie als die entscheidende Phase zur Überwindung der Fesseln der Demokratie gepriesen, oder aber als der Einstieg in die Schreckensherrschaft der Diktatur des Vierten Reiches verurteilt werden. Letzteres verbunden mit der Mahnung, es nie wieder so weit kommen zu lassen.

Geschichte schreiben immer die Sieger. Auch dann, wenn es mangels Gegenwehr zu keinen nennenswerten Kampfhandlungen gekommen sein sollte.

So sehr der Mythos um Wilhelm Tell auch im Dunkel der Geschichte wurzelt und die Sache mit dem Apfelschuss womöglich auf die viel früher entstandene, von Saxo Grammaticus geschriebene „Geschichte der Dänen“ zurückgeht: Eines ist unbestreitbar davon übrig geblieben:

Die Eidgenossenschaft existiert bis heute.

Das animiert zwar nicht schon zu einem befreiten Lachen, aber ein kleines, versonnenes Lächeln, verbunden mit der aufkeimenden Gewissheit, dass Veränderungen immer möglich sind, und dass sie immer wahrscheinlicher werden, je schwerer es gemacht wird, Kritik überhaupt noch zu artikulieren, das sollte sich jetzt bei jedem ins Gesicht schleichen, der bis hierher gelesen hat.

Einige wenige Sätze aus meinem Buch „Wo bleibt die Revolution“ will ich hier noch zitieren:

 

  1. Der Aufwand für die Repression steigt mit dem Maß der Ausbeutung der produktiven Bevölkerung und mindert damit den erhofften Mehrnutzen für die Teilhaber des politischen Systems bis an den Punkt, an dem die absolute Leistungsobergrenze einer Volkswirtschaft erreicht ist.
  2. Wird dieser Punkt überschritten, kommt es zum Zusammenbruch der Ordnung. Sei es, dass Aufstände aufflackern, sei es, dass Polizei und Militär die Gefolgschaft aufkündigen, sei es, dass innerhalb der Machtelite Verteilungskämpfe um die Anteile an der Beute ausbrechen – immer ist mit einer chaotischen Phase zumindest partieller Unregierbarkeit zu rechnen.
  3. Chaotische Phasen stellen jedoch eine Einladung an die Kräfte außerhalb dar, sich das (vorübergehend) paralysierte Staatswesen ganz oder in Teilen anzueignen. Oft unter dem Vorwand, wieder Friede und Ordnung ins Land bringen zu wollen, ziehen fremde Mächte ein und übernehmen das politische System und die damit verbundenen Pfründen.