Kinder an der Macht

PaD 5 /2022 – Hier auch als PDF verfügbar: PaD 5 2022 Kinder an der Macht

 

Im Reichskloster St. Emeran zu Regensburg ruhen seit nunmehr 1.111 Jahren die Gebeine des letzten Angehörigen der ostfränkischen Karolinger, König Ludwig IV, das Kind.

Ludwig IV. wurde im Herbst 893 n.Chr. in Altötting als Sohn des Kaisers Arnolf von Kärnten geboren. Als Kaiser Arnolf früh verstarb, krönte man den gerade sechsjährigen Ludwig zum König des Ostfrankenreiches.

Dass Ludwig des Regierens vollkommen unfähig gewesen sein muss, dass er auch bis zu seinem Tod, der ihn mit 18 Jahren ereilte, nie wirklich Entscheidungen für das Reich getroffen haben kann, erschließt sich dem gesunden Menschenverstand sofort – und die Geschichtsschreiber haben es bestätigt. Vermutlich lebte der frisch gekrönte König in einer kindlichen Fantasiewelt, erträumte sich sein Reich, von dem er bis dahin kaum etwas gesehen haben dürfte, während die damaligen Eliten, allen voran die Bischöfe von Mainz und Konstanz, aber auch die Adligen aus der Linie der Konradiner, die Politik bestimmten und ihre Kriege führten.

Mit einem König, der noch ungebildet und unerfahren und mit niemandem vernetzt war, hatten sie ein leichtes Spiel – und dem Volk gegenüber musste der armselige Ludwig als Verantwortlicher herhalten, der mit zunehmenden Alter wahrscheinlich bestürzt zur Kenntnis nehmen musste, wie sein Fantasiereich in Stücke fiel, ihm seine erträumte Macht entglitt und er schließlich ohne Lebensmut immer kränker wurde und früh verstarb.

Tausend und achtundsechzig Jahre nach Ludwigs Tod vollendete Michael Ende seine „Unendliche Geschichte“. Die tragische Figur dieses Kinder- und Jugendromans ist die alterslose „kindliche Kaiserin“, die nicht mehr in der Lage ist, ihr aus lauter Fantasiegebilden bestehendes Reich zusammenzuhalten. Einsam und traurig in ihrem Elfenbeinturm sitzend, erlebt sie, wie das blanke Nichts an die Stelle ihrer Fantasien tritt und dass ihr Reich sich Stück für Stück rückstandslos auflöst, und wird dabei selbst sterbenskrank.

Ein Helfer muss her – und wird in Bastian, dem Jungen aus der Realität, gefunden. Ein Zaubermedaillon aus der Hand der kindlichen Kaiserin hilft ihm, die Vorstellungen seiner Fantasie zur Wiedererrichtung Phantasiens zu nutzen. Als er die Macht seiner Fantasie erkennt, will er selbst die Herrschaft über Phantasien übernehmen. In der „Alte-Kaiser-Stadt“ trifft er jedoch auf Menschen, die sich vor ihm nach Phantasien verirrt hatten, ohne den Rückweg in die Realität gefunden zu haben und nun ein sinnleeres Dasein fristen. An sich selbst stellt er dabei fest, dass mit jedem seiner fantastischen Wünsche seine Erinnerung an sein Leben in der realen Welt verblasst. Von da an konzentriert er sich darauf, seinen Weg zurück in die Realität zu finden, was ihm schlussendlich auch gelingt.

Das historische und das literarische Beispiel bieten wunderbare Analogien zum Phantasien unserer Tage.

Da ist einerseits, in der Historie deutlicher erkennbar als in Endes Roman, die fortexistierende Realität, die immer wieder schicksalhaft in die Fantasiewelt einbricht und ihre tragenden Gewissheiten zum Einsturz bringt.

Gerade eben muss die kindliche Kaiserin erleben, wie überall in Phantasien der Frauensport vom Nichts verschlungen wird, weil da, wo es keine biologischen Geschlechter gibt und alle Menschen ihr Geschlecht frei wählen können, die selbsternannten, biologisch männlichen Frauen auf den Siegertreppchen stehen und die Pokale abräumen.

Ludwig das Kind, Erbe des Königs von Ostfranken, des Königs von Italien und des Kaisers von Rom, der in seiner Fantasie als Wohltäter der ganzen Welt seinen einsamen Kampf gegen ein Spurengas führt, merkt nicht, dass die Großen, die das Spiel bestimmen, ihn darin nur deshalb bestärken, weil sie dadurch, dass sie seine Energie schwächen, nur immer stärker werden.

Da hilft es ihm nichts, dass ihm die kindliche Kaiserin zur Seite steht und Kobolde herbeifantasiert, die in den Batterien den Strom machen, der dann im Netz gespeichert wird: In dem Augenblick, in dem damit auch nur eine Glühlampe zum Leuchten gebracht werden soll, löst sich wieder ein Stück Phantasien in Nichts auf.

Es drängt sich die Frage auf, wie es kindliche Allmachtsfantasien, die auszuleben ein von Gottes Gnaden eingesetzten Herrscher für sein gutes und unveräußerliches Recht halten durfte, ihren Weg in die demokratisch verfassten Republiken gefunden haben und sich dort durchsetzen konnten.

2020 ist bei HarperCollins, Hamburg, Alexander Kisslers Buch  „Die infantile Gesellschaft“ erschienen. Ebenfalls 2020 veröffentlichten Monika Gruber und Andreas Hock bei Piper ihr Gemeinschaftswerk „Und erlöse uns von den Blöden“. Schon im Juli 2017 brachte der  EWK-Verlag Florian Stumfalls Buch „Das Limburg Syndrom“ heraus, um nur die ersten drei Bände zu nennen, die ich aus meinen Bücherstapeln zum Thema herausgefischt habe.

Stumfall spricht vom Sieg des Irrationalen über die Vernunft und vom Weg des brauchbaren Schwachsinns in die Politik. Gruber/Höck sprechen vom Menschenverstand in hysterischen Zeiten und brillieren mit Kapitelüberschriften, wie „Mit konsequenter Inkonsequenz“, „Weiberdämmerung“ und „>>Du Opfer<< ersetzt nicht die förmliche Anrede“. Alexander Kissler schließlich verspricht im Untertitel Wege aus der selbstverschuldeten Unreife  zu weisen, doch füllt auch er Seite um Seite mit der Beschreibung der Symptome, um ganz am Schluss der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass die Kinder vielleicht doch irgendwann den Weg zur Vernunft finden.

Was hilft es aber, dass die Symptomatik auf vielen Buchseiten beschrieben wird, dass die Diagnose eindeutig ist und mit dem Kürzel IIBS (Infantil-Irrationales-Blödheits-Syndrom) eigentlich längst im Pschyrembel verzeichnet sein sollte, die Kranken sich aber in der Mehrheit wähnen und ihren Schwachsinn lautstark und alle Stimmen der Vernunft überschreiend zur allein seligmachenden Wahrheit erklären und die noch normal Gebliebenen gewaltsam umerziehen wollen?

Man muss nicht unbedingt die „Psychologie der Massen“ von Le Bon gelesen haben, um mit Grausen an die nächste Zukunft zu denken.

Man darf aber bei der Masse, die sich heutzutage wieder als ein amorphes Gebilde von kraftstrotzender Dummheit darbietet, nicht stehenbleiben. Die Masse bringt aus sich heraus keinen Wahnsinn hervor. Die Masse zerfällt, wenn sie nicht aufgewiegelt wird, sehr schnell in kleinteilige Gruppen, Familien und Einzelgänger, die sich nach Kräften mühen, ihren Lebensstandard zu erhalten und zu verbessern.

Es bedarf der Demagogie, der Propaganda, der Lügen, um die Masse gegen einen vermeintlichen Feind zu mobilisieren, sie in jene wahnhafte Raserei zu versetzen, die bis zur vollständigen Erschöpfung, blindwütig dreinschlägt, wo immer die von langer Hand markierten Ziele aufgefunden werden.

Das führt mich zu Thomas Röpers frisch erschienenem Buch „Inside Corona“, das gestern bei mir angekommen ist. Ich habe erst rund 130 Seiten geschafft. Was aber bis dahin bereits an außerhalb der demokratischen Strukturen – wohl aber intensiv in sie hineinwirkenden – Seilschaften aus untereinander bestens vernetzten NGOs, Thinktanks, Stiftungen und ihren Stiftern aufgedeckt wird, ist derart demoralisierend, dass man unmittelbar vor der Wahl steht, entweder in Deckung zu gehen und alles geschehen zu lassen, weil man sowieso nichts ändern kann, oder mitzuhelfen, sich der Krake entgegenzustellen, ihre Fangarme und Saugnäpfe, wenn die schon nicht abgeschlagen werden können, wenigstens sichtbar zu machen und mit großen Warnschildern zu versehen.

Eine ausführliche Rezension werde ich noch folgen lassen.

Heute will ich noch ein bisschen in nostalgischen Erinnerungen schwelgen, wie ich es mit Ludwig IV., das Kind, und Michael Endes kindlicher Kaiserin begonnen habe.

Die Arbeitervereine aus der Anfangszeit der Sozialdemokratie waren bestrebt, den Angehörigen der Arbeiterklasse Wissen und Bildung zu vermitteln, weil damals die Erkenntnis, dass Dummheit und Unwissenheit die Voraussetzung für den perfekten Untertanen bilden, einmal in der umgekehrten Richtung genutzt werden sollte, um die Massen aus ihrer Unmündigkeit zu befreien, was sie befähigen sollte, in demokratischen Prozessen sinnvolle und nutzbringende Entscheidungen zu treffen, beziehungsweise jene zu ihren Vertretern zu wählen, die zu solchen Entscheidungen fähig, bereit und gewillt waren.

Dieser Geist hat sich – unabhängig von der Sozialdemokratie – über lange Zeit erhalten. Dieser Geist war es, der Deutschland jene gut ausgebildeten Fachkräfte und Wissenschaftler hervorbringen ließ, die seinen Aufstieg zur Wirtschaftsmacht erst ermöglichten, die es nach dem Ersten Weltkrieg der NSDAP ermöglichten das von Krieg und Reparationen geplagte Land binnen weniger Jahre zu höchster Leistungskraft zu bringen, und die nach dem Zweiten Weltkrieg den als „Wirtschaftswunder“ bezeichneten Wiederaufbau ermöglichten und den Weg zum Exportweltmeister bereiteten.

Leider sieht es heute wieder so aus, dass der Bildungshunger beim Nachwuchs allzu schnell einem Sättigungsgefühl weicht. Wie es die antiautoritäre Erziehung vorschreibt, darf das Kind auch nicht zum Lernen gezwungen werden. Es könnte ja ein Trauma fürs Leben davontragen. Allerdings dürfen auch keine schlechten Noten im Zeugnis stehen, weil dies wiederum furchtbar diskriminierend ist und noch schlimmere seelische Wunden schlagen könnte. Folglich wurden die Leistungsanforderungen immer weiter herabgesetzt, so dass neun lange Jahre beschulte Kinder die Schule als Analphabeten verlassen und Abiturienten, so sie sich denn für die MINT-Fächer eingeschrieben haben, erst einmal mit den Grundlagen der Mathematik vertraut gemacht werden müssen, um den Vorlesungen im ersten Semester überhaupt folgen zu können.

Wo kam dieser Blödsinn her, wer hat ihn ganz zu Anfang verkündet?

Wikipedia liefert dazu wertvolle Hinweise. Mutter aller Schulexperimente war der Marxismus, der in den Reihen der „entschiedenen Schulreformer“ schon in den 1920er Jahre in Deutschland die Grundzüge einer sozialistisch-kommunistischen Pädagogik hervorbrachte. Wikipedia schreibt:

Zu den Pionieren zählten u. a. Otto Rühle, Anna Siemsen, Edwin Hoernle, Otto Felix Kanitz, Paul Oestreich, Fritz Karsen und Siegfried Bernfeld.
Ihre Erziehungskonzepte zielten nicht nur auf die Behebung offensichtlicher Mängel des Bildungswesens wie z. B. der Benachteiligung der Arbeiterkinder,

sondern auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen.

Die 68er sahen das staatliche Erziehungs- und Bildungsmonopol ebenfalls als geeigneten Hebel an,  weitreichende gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Horkheimer, Adorno, Fromm und Habermas lieferten die weiterentwickelten theoretischen Grundlagen. Von da bis zur „Sprechakt-Theorie“ war es kein weiter Weg mehr, und wenn heute behauptet wird,

es gäbe keine biologischen Geschlechter, auch keine Unterschiede in Wissen und Fähigkeiten, und wo es solche scheinbar gäbe, sei es die Folge von gezielter Unterdrückung, es handle sich dabei um (durch Sprechakte hervorgerufene) Konstrukte, die ebenso auch wieder verändert werden können,

dann ist das nur die jüngste Blüte der kommunistischen Idee der totalen Gleichheit – nicht vor dem Gesetz – sondern in allen Attributen und Eigenschaften, also austauschbar und beliebig modellierbar, hin zu einer frei gestalt- und änderbaren Oberflächenindividualität.

In der Postulierung einer solchen Gleichheit, die durch Verdienste weder erworben werden muss, noch überwunden werden kann, liegt der Ursprung der Infantilisierung der Massen. Dieser wissenschaftlich verbrämte Irrsinn, macht jegliches Bemühen des Individuums, sich weiter zu entwickeln, zum Verbrechen der Diskriminierung jener, die jede Anstrengung meiden.

Diese Gleichheit schafft zugleich den Nährboden für erfolgreiche massenpsychologische Experimente, denn der Dümmste darf sich klug und weise fühlen, wenn er dem gesetzten Impuls folgt, während der Kluge und Weise sich hüten muss, auszuscheren, um nicht selbst ein Ziel für die psychotische Raserei abzugeben.

Erst der emeritierte Professor kann es wagen, sich mit seiner abweichenden Erkenntnis zu Wort zu melden, vorausgesetzt, es ist ihm gelungen, sich materiell ausreichend abzusichern. Wer die Stimmen, die sich gegen die Klimapanik und die Corona-Panik zu Wort melden, hört, findet dort zu 90 Prozent jene alten weißen Männer, die nichts mehr zu verlieren haben, weil ihre Karriere ihren Abschluss gefunden hat, und daneben Freigeister aus weit entferntem Ausland, die entweder nie diesem Gleichheitswahn ausgesetzt waren, oder sich dennoch einen Begriff von persönlicher Freiheit, Verantwortlichkeit und Ehre bewahrt haben, der sie hierzulande unmittelbar zum Vertreter der rechten Ecke abstempeln würde.

Natürlich hat sich der Kapitalismus dieses urmarxistische Gedankengut zunutze gemacht, es nach Kräften gefördert und in seinem Sinne weiterentwickelt.

Wie selbstverständlich ist dabei das alte Modell des Feudalismus wieder erstanden, in dem einem Volk der austauschbaren Gleichen die unantastbaren und über jedem Gesetz stehenden Herrscherfamilien gegenüberstehen. Der alte Spruch aus der Wirtschaft: „Der Mensch fängt erst beim Prokuristen an“, erfreut sich neuer Beliebtheit.

Der Mensch an sich ist nichts. Erst der Herrscher gewährt ihm das Lebensrecht. Grundrechte sind Privilegien, die der Fürst gewähren kann, so wie er sie auch wieder zurücknehmen kann. Gleichheit und Gleichbehandlung werden eingeschränkt. Nur wer gehorcht, findet noch Geborgenheit in der namenlosen Masse der Gleichen. Wer widerspricht, wird ausgegrenzt, verfolgt und zur Strecke gebracht.

Der Mensch schaut auf seinen Kindkönig, fragt sich, ob dessen Handeln seiner Dummheit oder seiner Bosheit geschuldet ist, und erkennt nicht, dass er sich an einem Popanz abarbeitet, der auf dem Thron sitzt, weil eben dieser von den Eliten zur Lichtfigur aufgeblasen und zur Wahl gestellt wurde, damit das Volk gewiss sein kann, genau die Regierung bekommen zu haben, die es selbst gewollt hat.

Das meiste wollen sie ja auch selber.
Sie wollen es, um ihre Angst loszuwerden.
Was hat die katholische Kirche so reich gemacht?
Nichts anderes als die Angst der Menschen vor Hölle und Fegefeuer.
Wer hat diese Angst in die Welt gesetzt und bedient sich ihrer bis heute?

Eine unsichtbare Gefahr, von Demagogen gezielt geschürt, ist immer noch die Garantie für reich sprudelnden Geldsegen.

Eine Regierung kann davor nur schützen, wenn ein mündiges Volk sich alte und weise Männer wählt, die sich an die Regeln der Gewaltenteilung gebunden fühlen und den Amtseid für mehr erachten als nur eine folkloristische Einlage für die Fernsehkameras.

Ich habe fertig.