Harbarth zündelt.

Vergleiche hinken. Der nun folgende ganz besonders. Schließlich ist es die Bestimmung von Kaminholz, angezündet und verbrannt zu werden.

Man müsste früher anfangen, die Frage stellen, ob es die Bestimmung eines gesunden Baumes ist, angezündet zu werden. Das wohl eher nicht. Es bedarf einiger angestrengter Bemühungen, einen Baum in Brennholz zu verwandeln. Das wäre die Vorgeschichte.

Geduld. Ich komme gleich auf Harbarth.

Bei Tageshöchsttemperaturen im einstelligen Bereich angekommen, haben wir am Wochenende den Kaminofen in die Betriebsphase überführt. Wie alle Jahre ist dieses erste Anwerfen eines Holzofens mit diversen Schwierigkeiten verbunden. Der Kamin ist kalt und voll schwerer, kalter Luft. Er will also nicht ziehen. Das Holz, gerade von draußen hereingeholt, ist kalt und will nicht anbrennen. Außerdem habe ich übermütig darauf verzichtet, kleine, leicht entzündliche Scheite zu suchen. Mit der richtigen Menge „Anzünder“ wird er schon angehen, der Ofen. Der Anzünder ist abgebrannt, die Holzscheite kokelten ein bisschen, der Brennraum hinter der Scheibe war voller Qualm. So wird das nichts.

Die weiteren Versuche, die sich über gut eine Stunde hingezogen haben, bis tatsächlich die ersten Flämmlein vom Holz aufzüngelten, lasse ich weg. Es geht mir ja um Harbarth.

Um jenen Herrn Harbarth, der den schönen Gedanken ausgesprochen hat, dass der Gebrauch der Freiheitsrechte dazu geeignet sein könne, die Verfassungsordnung zu delegitimieren, um im gleichen Kontext auszuführen, der wehrhafte Verfassungsstaat müsse sich den Feinden von Recht und Rechtsstaatlichkeit konsequent entgegenstellen. Eine Beschränkung von Freiheitsrechten könne darum legitim sein.

Lassen wir die Spekulation darüber weg, wen Herr Harbarth als die Feinde von Recht und Rechtsstaatlichkeit ansehen mag. Erstens wissen wir sowieso, wen er gemeint hat, und zweitens genügt durchaus auch der Hinweis auf „abstrakte Feinde“ von Recht und Rechtsstaatlichkeit, um Harbarths Erklärung als Kokolores zu entlarven – als gefährlichen Kokolores allerdings.

Hätte man seine Aussage, um wieder zum Holzofen zurückzukommen, als Anzünder bei nasskaltem Wetter in einen kalten Ofen mit kaltem Kamin gelegt und damit versucht, dicke Klötze zum Brennen zu bringen, es hätte nicht funktioniert. Der Widerstand des gesamten Systems – und das wäre in der Analogie der Verfassungsstaat im Zustand von Ruhe und Gelassenheit – hätte diesen Angriff auf die Ordnung eiskalt abgewehrt. Der Anzünder wäre verbrannt, aber wirkungslos geblieben.

Es sieht jedoch nicht so aus, dass Harbarths Gedanke vom illegitimen Gebrauch der Freiheitsrechts auf Widerstand stoßen würde, im Gegenteil: Der Anzünder brennt hell und heiß, der Kamin hat einen ordentlichen Zug, wodurch frischer Sauerstoff in den Brennraum gelangt. Schon züngeln die ersten Flammen am Holz. Heissa! Das gibt ein Feuerchen!

Es soll jetzt auch nicht darum gehen, wann das System derart heiß gemacht wurde, dass Harbarths Spruch so schnell zünden konnte. Ein Blick auf den Wert, der den Freiheitsrechten während der Ära des Pandemie-Regimes zugerechnet wurde, soll genügen, um zu erkennen, dass schon vorher massiv gezündelt worden ist, auch schon vor der Pandemie, so dass schon viel Holz von den Flammen verschlungen worden ist, bzw. dass die Freiheitsrechte bereits in ihrem Kern beschädigt worden waren.

Es geht nicht mehr um den Holzstoß, draußen unter dem Dach, der ist schon lange weg. Es geht nur noch darum, auch noch die letzten angekokelten Reste in CO2, Wasserdampf und Asche zu verwandeln.

Es kann also, immer noch der Analogie folgend, darauf geschlossen werden dass Harbarths Denken bei der so genannten „Verfassungswirklichkeit“ ansetzt und er von dieser aus zu seiner Auslegung der geschriebenen Verfassung gelangt, die daher wiederum nur geeignet sein kann, eben diese „Verfassungswirklichkeit“ zu bestätigen und sie noch weiter von der geschriebenen Verfassung fortzuentwickeln, bis das alte Verfassungsideal aus den Angeln gehoben ist und die fortwährend  arbeitende Exegese ein neues, allerdings – streng genommen: verfassungswidriges – Ideal hervorgebracht haben wird.

Die Verfassungswirklichkeit hat als neues Staatsorgan den „Koalitions-Ausschuss“ hervorgebracht, der im Staatsgefüge jenen ersten Rang einnimmt, der einst dem Präsidenten des Bundestages zugewiesen worden war. Der Koaltions-Ausschuss ist Inhaber der Richtlinienkompetenz, eine Rolle, die der Bundeskanzler ausfüllen sollte, aber dies nicht mehr vermag, ohne eine Regierungskrise auszulösen. Der Koalitionsausschuss ist zudem der Taktgeber der Ministerien, denen einst – unter  der Annahme herausragender Sachkompetenz in der Person des Ministers – eigenverantwortliches Handeln im Rahmen der vom Bundeskanzler ausgesprochenen Richtlinien gewährt worden war

Es ist Teil der Staatsräson, Regierungskrisen zu vermeiden. Dieser Staatsräson unterwerfen sich in der Verfassungswirklichkeit nicht nur die Abgeordneten des Parlaments, die lieber dem Fraktionszwang folgen als ihrem eigenen Gewissen, sondern auch der Bundespräsident, der sich seiner neutralen Rolle als Integrationsfigur für das gesamte deutsche Volk entledigt hat, sowie die im Grundgesetz (unter den Freiheitsrechten) erwähnte „freie Presse“, bei der primitivste wirtschaftliche Erwägungen eine dem Koalitionsausschuss genehme Berichterstattung opportun erscheinen lassen.

Nun ist, und auch da hat der Zahn der Zeit am Inhalt des Begriffes genagt, die Staatsräson ein Verhalten, welche den Erhalt des Staates zum Ziel haben sollte. Der Staat ist jedoch mehr als die theoretisch jederzeit austauschbare Regierung oder ein Koalitionsausschuss. Dennoch sind bereits jetzt Anzeichen zu erkennen, dass sowohl Exekutive als auch Judikative, dazu übergegangen sind, eine Unterscheidung zwischen dem Staat als Ganzem und der Regierung, die lediglich als ausführendes Organ des vom Parlament in Gesetze gegossenen Volkswillens konzipiert war, nicht mehr zu trefffen.

Es ist nicht verwunderlich, dass auch Harbarth in seiner Forschungsarbeit am Grundgesetz zu dem Schluss gekommen zu sein scheint, die Staatsräson gebiete es auch dem Bundesverfassungsgericht, Regierungskrisen zu vermeiden und sich daher vorsorglich die politischen Ziele und Auffassungen des Koalitionsausschusses als Rechtsauffassung zu eigen zu machen.

Nur unter dieser Prämisse ist es vorstellbar, zu der „Einsicht“ zu gelangen, die Wahrnehmung von Freiheitsrechten könnte geeignet sein, die Verfassungsordnung zu delegitimieren, was wiederum die Beschränkung von Freiheitsrechten legitimieren könne.

Zunächst einmal ist es unmöglich, die Verfassungsordnung zu delegitimieren. Die Verfassungsordnung ist per se legitim, da sie mit der Inkraftsetzung des Grundgesetzes und der vollzogenen und möglichen künftigen Änderungen, die nach den Vorgaben eben dieser Verfassung zulässig sind, als der „Grundlagenvertrag“ für das geordnete Zusammenleben der Deutschen in Deutschland unantastbar ist und jeder Gesetzgebungs- und Verwaltungsakt auf diese Ordnung zurückgeführt werden können muss. 

Im Zusammenhang mit den jüngsten Entwicklungen beim Bundesamt für Verfassungsschutz, das sich nach der Ablösung Maaßens und der Einsetzung Haldenwangs eigenmächtig (natürlich hat der Koalitionsausschuss dabei Pate gestanden) einen neuen Phantombereich geschaffen hat, nämlich den der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates und seiner Repräsentanten, wird auch Harbarths semantisches Verständnis von der Delegitimierung der Verfassungsordnung erkennbar.

In dieser Republik wurden kontroverse politische Diskussionen, widerstreitende Meinungen und offene Kritik am Regierungshandeln mit dem Dogma von der Unfehlbarkeit des Koalitionsausschusses in ein nicht mehr von den Freiheitsrechten gedecktes Fehlverhalten umdeklariert.

Damit werden schnell wechselnde und wandelbare politische Ziele einer kleinen Riege des Irrtums fähiger Politiker in den Rang schützenswerter Verfassungsgüter erhoben, denen das Recht auf die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Bewegungsfreiheit und weiterer Grundrechte ggfs. gerade deshalb untergeordnet werden muss, um das „Durchregieren“, also die Umsetzung möglicher Fehlentscheidungen, nicht durch möglicherweise bessere Argumente zu gefährden.

Gerade weil unsere Verfassung kaum Einschränkungen bei der Besetzung von Wahlämtern kennt und so politische Karrieren ermöglicht, die unter anderem mit „Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal“ zutreffend beschrieben werden, und unabhängig vom Nachweis der Kompetenz höchste Staatsämter erreichbar werden lassen, ist es unumgänglich, dass Wähler, die ihren Irrtum beim Ankreuzen des Stimmzettels erkannt haben, gegebene Versprechen ebenso auf der Straße einklagen, wie sie ihren Einspruch gegen einen als falsch und schädlich erkannten politischen Kurs lautstark zur Kenntnis bringen dürfen müssen.

Das Dogma von der Unfehlbarkeit des Koalitionsausschusses ist auf Sand gebaut und wird, je länger es noch aufrechterhalten wird, mit einem nur umso größeren Knall in sich zusammenbrechen.

Die Sorge vor der vorgeblich möglichen, ja sogar drohenden Delegitimierung der Verfassungsordnung enstpringt entweder einem Irrtum über das Wesen der Verfassungordnung, die per se nicht delegitimiert werden kann, oder ist ein bewusst eingesetzter Etikettenschwindel, wo statt der gemeinten „Regierung“ die „Verfassungsordnung“ als Ziel der Kritik ausgegeben wird. Es geht nur darum, die aktuell Macht ausübende Regierung vor der berechtigten Kritik und Wut der Bevölkerung dadurch zu schützen, dass das Recht, sich kritisch zu äußern, soweit beschnitten wird, dass die Kritik der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen wird.

Selbst der gravierende Makel, der dem Grundgesetz von der ersten Stunde an innewohnt, der sich aber nicht im Inhalt ausdrückt, sondern darin, dass dieses Grundgesetz ausdrücklich nicht als Verfassung entstanden ist, sondern als ein von den Alliierten genehmigtes Selbstverwaltungsstatut der jungen Bundesrepublik, oder, wie Carlo Schmid es ausdrückte, „die Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft“, gehört zum Wesen unserer Verfassungsordnung. Zugleich gehört zum Wesen dieser Verfassungsordnung die seit über 70 Jahren bestehende Aufforderung des Artikels 146 GG,  diesen Makel zu heilen:

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Die freie Entscheidung des deutschen Volkes kann nicht anders verstanden werden, als dass eine das Grundgesetz ablösende Verfassung jeden denkbaren Inhalt haben kann. 146 GG schreibt keine Fortführung einzelner Aspekte des bestehenden Grundgesetzes vor, nicht einmal die „Ewigkeitsklausel“ (Art. 79,3):

„Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig“,

müsste sich in der neuen Verfassung wiederfinden. Selbst eine Verfassung, mit der Deutschland zur Monarchie zurückkehren, den Gottesstaat ausrufen oder in eine Räterepublik  umgewandelt würde, widerspräche nicht dem Auftrag des Grundgesetzes in seiner heutigen Fassung.

Das ist der Makel, und zugleich der Reiz jenes Provisoriums, nach dessen Regeln wir uns seit über 70 Jahren organiseren.

Von daher ist der Begriff der „verfassungsfeindlichen Bestrebungen“ im höchsten Grade problematisch. Auch die Rede von den Feinden des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit, vor denen die Verfassungsordnung geschützt werden soll, ist stets parteiisch im Sinne des bestehenden Systems, zu keiner Zeit aber eine Ermutigung für das Volk, eine deutsche Verfassung vollkommen neu zu denken, zu diskutieren und zur Abstimmung zu stellen. 

Es kann dabei auch keine Rolle spielen, von welcher Gruppierung des deutschen Volkes die Initiative für die Erarbeitung einer Verfassung ausgeht. Selbsternannte Reichsbürger könnten das ebenso sein, wie jene, die als Querdenker oder Klimaleugner ausgegrenzt werden, es könnte die AfD sein, aber genauso der Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland.

Das Denken und Diskutieren über die sinnvolle Gestaltung einer Verfassung findet seine Grenze erst in der Ablehnung des zur Abstimmung vorgelegten Entwurfs durch die Mehrheit des deutschen Volkes. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesverfassungsgericht haben keine Befugnis, die Entwicklung einer neuen Verfassung, das öffentliche Werben für eine neue Verfassung und letztlich die Abstimmung darüber zu verhindern. Auch dann nicht, wenn in der so genannten „Verfassungswirklichkeit“ dafür kein Platz zu sein scheint. Wenn es aber gelingen sollte, die notwendige Diskussion über die Rechtmäßigkeit der Beschneidung der Freiheitsrechte während der Corona-Pandemie inhaltlich umzukehren und in eine Diskussion über die Notwendigkeit erweiterter Befugnisse der Exekutive zur Beschneidung von Freiheitsrechten zu überführen, wie es Harbarth jetzt öffentlich angekündigt hat, dann werden wir uns an eines neues Wort für Willkür gewöhnen müssen, möglicherweise wird es aber auch bei der bereits eingeübten „Alternativlosigkeit“ bleiben.

 

Die Überlegungen am Ende dieses Aufsatzes mögen theoretischer Natur sein. Dennoch sind sie wichtig, weil sich erst in ihrem Lichte zeigt, dass alle Bestrebungen, die Einschränkung von Freiheitsrechten durch die Regierung endgültig zu legitimieren, um die Verfassung zu schützen, die Verfassung, deren wesentlicher Inhalt diese Freiheitsrechte sind, schwer beschädigen.

Wenn dieser Coup gelingt,
wird die deutsche Verfassung bald einem PKW gleichen,
dem alle vier Räder abmontiert wurden,
um die Insassen vor Verkehrsunfällen zu schützen.

Sicher. Das würde funktionieren.

Aber wollen wir das?