Manche mögen es eine Prozvinzposse nennen, die Einwohner in Abensberg und speziell im Ortsteil Offenstetten können es jedoch nicht lustig finden, was die Nachbargemeinde Rohr offenbar in die Tat umsetzen will, um ihr Gewerbesteuer-Aufkommen zu steigern.
Es geht um die Schaffung eines neuen Gewerbegebietes mit über 300.000 Quadratmetern Fläche an der Autobahn A93. Dort plant Amazon auf fast 70.000 Quadratmetern den Bau eines modernen Logistikzentrums mit rund 25 Meter hohen Hallen und 1.000 bis 1.500 Beschäftigten. Alles, was Amazon so vertickt, soll dort von den Herstellern und Importeuren per LKW angeliefert und eingelagert – und entsprechend dem Bestelleingang wieder aus den Hochregalen entnommen und in Versandkartons verpackt werden, die dann wiederum mit LKWs und Kleintransportern zu den umliegenden Verteilzentren geschafft werden, von wo aus die einzelnen Sendungen dann an die Kunden ausgeliefert werden.
Das wäre im Grunde nichts, was die Gemüter erhitzen müsste. Mit dem durch das Wachstum des Versandhandels ausgelösten und von den Lockdowns während der Pandemie forcierten Sterben der stationären Einzelhandelsgeschäfte in den Innenstädten, hat sich auch die Warendistribution verändert. Während die Innnenstädte veröden, verlangt die Lieferlogistik der Versandhändler und der Paketdienste nach neuen Flächen ganz anderen Zuschnitts, und die finden sich eben eher dort, wo der Weg zur Autobahn kurz ist und die Grundstücke, bisher land- und forstwirtschaftlich genutzt, noch für einen Spottpreis zu haben sind.
Insofern ist der Standort nahe bei Abensberg geradezu perfekt. Von der Autobahnabfahrt zum geplanten Logistikzentrum sind es keine 1.000 Meter. Westlich der Autobahn, also auf der Abensberger Seite findet sich, nachdem Offenstetten durchquert ist, die Bundesstraße 16, von da aus sind die B300 und die B301 schnell erreicht, ebenso die B299 und die B16a. Östlich der Autobahn kommen erst einmal Wälder und Wiesen, 5 Kilometer Luftlinie sind es bis zum Zentrum von Rohr, und dann kommt wieder lange nichts, bis zu den parallel in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Bundesstraßen 15n und 15, und dann kommt wieder ganz lange nichts, bis bei Straubing die B8 und die B20 auftauchen.
Sehen Sie sich die Situation bitte auf Google Maps an, und Sie werden feststellen, dass mindestens 90 Prozent des mit dem Logistik-Zentrum neu hinzukommenden Verkehrs von vielen hundert LKWs und Lieferwagen pro Tag sich durch den Abensberger Vorort Offenstetten quetschen werden. Die Straße ist für dieses zusätzliche Verkehrsaufkommen weder geplant noch ausgebaut, so dass sich die Ortsdurchfahrt von Offenstetten zum Schauplatz nicht enden wollender LKW-Staus mit entsprechenden Abgaskonzentrationen entwickeln und das Überqueren der Straße für Fußgänger jedesmal zum Abenteuer mit ungewissem Ausgang werden wird.
Das alleine wäre schon ein Grund die beiden entscheidenden Fragen zu stellen:
Braucht Amazon ein zusätzliches Logistikzentrum?
Braucht Abensberg ein Amazon Logistikzentrum?
- Amazon kann dieses Logistikzentrum gut gebrauchen, sonst würde man sich nicht darum bemühen. Man verspricht sich von einem zusätzlichen Logistikzentrum Vorteile. Diese bestehen einerseits in einer sicherlich erheblichen Kostensenkung, weil durch Wegeoptimierung in erheblichem Umfang Transportkilometer eingespart werden können, und andererseits in der Verkürzung der Auslieferungszeiten an die Kunden, was wiederum Wettbewerbsvorteile mit sich bringt, die helfen, anderen Versandhändlern und dem stationären Einzelhandel weitere Marktanteile abzunehmen. Dass Amazon durch geschickte Ausnutzung europäischer Steuerrichtlinien in Deutschland deutlich weniger Steuern zu entrichten hat als die im Inland ansässigen Unternehmen, sei dabei nur am Rande erwähnt.
- Abensberg braucht kein Amazon Logistik-Zentrum. Abensberg fürchtet eine katastrophale Überlastung seiner Verkehrsinfrastruktur, was sich nicht nur untertags im rollenden Verkehr auswirken wird, sondern aus des Nachts, wenn hunderte LKWs nach einem Parkplatz für die einzuhaltende Ruhepause suchen und, da sie diesen nirgends finden, die sowieso engen Straßen zuparken. Das kann man den armen Fahrern nicht übelnehmen, aber man muss diese Situation nicht unbedingt herbeiführen. Abensberg fürchtet aber noch mehr: Die Arbeitslosenzahl im Landkreis ist so niedrig, dass die 1.000 bis 1.500 Arbeitskräfte, die Amazon benötigt, zum größten Teil von außerhalb des Landkreises angeworben werden müssen. Wohnungen, in denen sie untergebracht werden könnten, gibt es nicht, und wo es sie gibt, sind die Mieten in Anbetracht der Löhne, die Amazon zahlt, nicht erschwinglich. Es werden also entweder täglich 1.000 bis 1.500 Pkws zusätzlich unterwegs sein, in denen die Pendler zum Arbeitsplatz und zurück fahren, oder Amazon errichtet ein Containerdorf, um seine Mitarbeiter notdürftig unterzubringen. Auch dafür braucht es Infrastruktur, die nicht vorhanden ist.
Und was ist mit Rohr?
Rohr, in diesem Fall wie Schneewittchen hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen weitab vom Schuss gelegen, wird von alledem allenfalls marginal betroffen sein. Die Musik spielt westlich der Autobahn – und in der Stadtkasse klimpern – vielleicht – ein paar Hunderttausend Euro Gewerbesteuer.
Es ist nicht verwunderlich, dass sich in Abensberg eine Bürgerinitiative gebildet hat, die versucht, das drohende Ungemach von Abensberg noch abzuwenden.
Die Homepage der Initiative ist gerade erst im entstehen, man findet nicht mehr als ein nicht vertontes Video, in dem die von der Ansiedlung des Logistikzentrums bedrohte Natur gezeigt wird.
Aber inzwischen hat auch die regionale Presse das Thema aufgegriffen, und dazu habe ich hier einige Links für Sie zusammengestellt, bei denen vor allem die unterschiedlichen Sichtweisen der Redaktionen ein interessantes Bild ergeben.
Die Süddeutsche Zeitung berichtet einfach darüber, dass Amazon dort ein Logistikzentrum errichten, und die gefällten Bäume an anderer Stelle wieder aufforsten wird.
Der Bayerische Rundfunk berichtet etwas ausführlicher über Pläne und aufkommende Sorgen und Kritik.
Die regionale idowa-Zeitungsgruppe stellt die Bürgerinitiative vor.
Der regionale TV-Sender, tvaktuell, (unbedingt empfohlen!) hat den Vorsitzenden der Bügerinitiative sowie die Bürgermeisterin der Gemeinde Rohr und einen Vertreter des BUND Naturschutz interviewt. Eine gute und informative Gegenüberstellung der Standpunkte (nach der Werbepause geht es bei Minute 8:40 weiter)
Auch wenn es scheinbar um ein nur regional interessierendes Thema geht: Was hier in Niederbayern geschieht ist symptomatisch für den Umbau unserer gesamten Versorgungs-Infrastruktur, in der es nach der Konzentration der Lebensmittelhersteller auf nur noch eine Handvoll Unternehmen und der gleich erschreckenden Konzentration im Bereich der Supermarkt-Betreiber, nun zu einer Konzentration der Versorgung mit allen kurz- und langlebigen Non-Food-Artikeln, von der Zahnbürste über Schuhe und Bekleidung bis zum Rasentraktor, in der Hand des Riesen Amazon, neben dem nur wenige Spezialversender und stationäre Fach-Einzelhändler noch überleben können.
Ich bleibe am Ball. Nennen Sie es meinetwegen „EWK-regional“ – schließlich liegen zwischen Abensberg und Elsendorf auch nur 12 Kilometer.