EWK-Wochenthema: Wie will ich leben? Folge – 2 –

Im ersten Teil, vom 16. November, habe ich erklärt:

Ich will in einem Staat leben.

 

Nun gehöre ich zwar nicht zu jenen, die meinen, Deutschland sei eine „Firma“, doch dass es um die Staatlichkeit Deutschlands nicht gerade gut bestellt ist, konnte ich wohl dennoch relativ gut begründen. Dass ein Gebilde, dem die wichtigsten Attribute eines Staates fehlen, schon alleine deswegen nicht souverän sein kann, erschließt sich dem denkenden Zeitgenossen ganz von alleine. Von daher ist es im Grunde sinnlos, darüber zu grübeln, wie viel Souveränität Deutschland im Zuge der so genannten Wiedervereinigung von den Alliierten zugestanden wurde und welche Anteile des Besatzungrechts fortgelten. Es ist auch sinnlos die Frage zu stellen, ob der immer noch nicht geschlossene Friedensvertrag und die Feindstaatenklausel in der UN-Charta Deutschland hindern, souverän zu agieren, denn alleine mit der Übertragung von Hoheitsrechten an die EU – und dies in ganz erheblichem Umfang! – ist deutsche Souveränität in vielen Themenfeldern, insbesondere auch im Bereich des internationalen Handels, an die Räte und Kommissare der EU verloren gegangen. Von der Aufgabe der Deutschen Mark zu Gunsten des Euros und der damit verbundenen Schuldenunion ganz zu schweigen. Ja, ich will lieber in einem Staat leben, als in diesem Zwittergebilde aus Zentraldiktatur und 27 sehr unterschiedlich aufgestellten Satrapien, von denen eine Deutschland heißt und von der Statthalterin Merkel bewirtschaftet wird.

Die Auflösung der EU alleine und die Rückgewinnung der Souveränitätsrechte von der EU würde jedoch am Zustand und der Verfasstheit Deutschlands nur wenig verändern. Um in Deutschland gut und gerne leben zu können, formuliere ich daher eine zweite Forderung:

Zweite Willensbekundung – Dienstag, 17. November 2020:

Ich will in einer Demokratie leben.

 

Natürlich lebe ich bereits in einer Demokratie. Aber in was für einer!?

Hätte ich Deutschland auf einer Skala von null bis zehn einzuordnen, wo bei null die Tyrannei eines Idi Amin oder Pol Pot als der Negativ-Pol einzutragen wäre und bei 10 das leider unerreichbare Ziel einer idealen Demokratie, dann würde Deutschland bei mir ungefähr bei einem Demokratielevel von vier landen, mit Tendenz zum Abrutschen nach Level drei. Warum? Dazu hier nur die Betrachtung der „Organisation“ der demokratischen Struktur Deutschlands:

Volksvertreter

Weniger als die Hälfte der im Bundestag sitzenden Parlamentarier, derzeit 299 von 709, werden vom Volk direkt zur Vertretung seiner Interessen per Mehrheitswahlrecht in den Bundestag entsandt. Die übrigen 410 verdienen sich ihren Sitz ausschließlich über ihre Loyalität zu den sechs Parteien/Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke und AfD. Selbst wenn man außer Acht lässt, dass auch die Direktmandate fast ausschließlich errungen werden können, weil eine der genannten Parteien den Kandidaten für den entsprechenden Wahlkreis nominiert, ist beim Wahlrecht, dem einzigen demokratischen Recht, das dem Bürger verbleibt, das Verhältnis der Einflussmöglichkeiten zwischen dem wahlberechtigten Volk, dem eigentlich 100% zustehen sollten, und den dominierenden Parteien, mit 42 : 58 zu Gunsten der Parteien schon entschieden.

Nimmt man die 5%-Hürde  in die Betrachtung mit auf, stellt sich heraus, dass – von Wahl zu Wahl unterschiedlich – im Durchschnitt ungefähr jede zwanzigste Stimme in jenen Papierkorb wandert, aus dem sich die größeren Parteien bedienen, um die sonst leerbleibenden Sitze im Parlament mit ihren Kandidaten aufzufüllen.

Fraktionen

Wer es mit der Gnade seiner Partei geschafft hat, ins Parlament einzuziehen, stellt relativ schnell fest, dass ihm weder eine eigene Meinung, noch sein Gewissen, dem er allein verpflichtet sein sollte, zugestanden wird, sondern dass er im Fraktionszwang festsitzt. Die Fraktion – bei allen Mühen und Anstrengungen, die so ein Parlamentarier in den Ausschüssen auf sich zu nehmen hat – ist letztlich alles was zählt. Wer das in seiner ersten Legislaturperiode nicht verinnerlicht, bekommt von seiner Partei keine Chance für eine zweite.  Weil es nur auf die Fraktionen ankommt, weil letztlich nur die Zahl der Sitze der Fraktion zählt, und sonst nichts, schon gar keine Argumente, wird es auch immer wieder hingenommen, dass bei fast leerem Plenarsaal noch Abstimmungen durchgezogen werden, über die sich auch niemand ernsthaft beschwert (AfD ausgenommen), weil ja alle wissen, dass es ein Leichtes wäre, alle Abgeordneten zusammenzutrommeln und die Abstimmung dann zu gewinnen. Aber immer öfter fragt man sich, warum soll man sich dieser Mühe unterziehen, wenn das Ergebnis sowieso vor der  Abstimmung schon feststeht? Im Grunde würde es genügen, wenn die Fraktionsvorsitzenden die Entscheidung ihrer Fraktion per WhatsApp an die Protokollführer des Bundestags mitteilen würden. Es käme, auch bei vollständigem Verzicht auf die Aussprachen, nichts anderes dabei heraus.

Die Parteivorsitzenden

Die Macht in Deutschland liegt in der Hand der Parteivorsitzenden der Regierungspartei(en) – und nirgends sonst. Manchmal ist der nominelle Parteivorsitzende nicht der wahre Parteivorsitzende, so wie derzeit Annegret Kramp-Karrenbauer als nominelle Vorsitzende der CDU weniger Einfluss hat, als einige der CDU-Landesfürsten, doch dies ist zumeist völlig offenkundig und soll daher an dieser Stelle keinen Widerspruch hervorrufen.

Es sind die Parteivorsitzenden (mit ihren Stäben), die sowohl in ihre Parteien hinein Ziele und Programme vorgeben als auch die Marschrichtung ihrer Fraktionen im Bundestag bestimmen.

Die Regierung

Die Partei mit der größten Fraktion im Parlament schickt ihren Parteivorsitzenden regelmäßig auf den Sessel des Bundeskanzlers. Ist eine Koalition nicht zu vermeiden, wird der Parteivorsitzende des Koalitionspartners eines der wichtigen Ministerien (Außen, Finanzen, Soziales) für sich reklamieren.

Was ist die Aufgabe der Regierung?

Die Regierung soll nach Maßgabe der Gesetze das politische Tagesgeschäft administrieren, also im Grunde innerhalb der Leitplanken, die das Parlament gezogen hat, dafür sorgen, dass „der Laden läuft“.

Was tut die Regierung tatsächlich?

Die Regierung verfolgt die Ziele der Regierungsparteien. Weil diese oft nicht mit den bestehenden, vom Parlament  verabschiedeten Gesetzen in Übereinstimmung stehen, oder von den bestehenden Gesetzen überhaupt nicht abgedeckt sind, verabschiedet das Kabinett(!) neue Gesetze am laufenden Band und lässt sich diese von der subalternen Regierungsmehrheit im Parlament en passant absegnen, so wie man bei unbeständigem Wetter einen Regenschirm mitführt und ihn bei Bedarf aufspannt und dann wieder zuklappt.

 

Diese Zusammenhänge alleine sollten schon vollends genügen, um ärgste Zweifel daran zu wecken, dass diese Form der Demokratie tatsächlich so etwas ermöglicht, wie die Herrschaft des Volkes.
Schließlich sieht es eher so aus, dass die Herrschaft von weit weniger als einem Dutzend Figuren an der Spitze der Parteien ausgeübt wird.

Doch das ist ja nicht alles. Durch die Mitgliedschaft in der EU, die ja keineswegs nur ein Zweckbündnis ansonsten souveräner Staaten ist, sondern sich nach und nach zu einer Zentralregierung entwickelt hat, deren Wille klar den Vorrang vor dem Willen der nationalen Parlamente hat, was den Einfluss der von den Bürgern der einzelnen Mitgliedsstaaten gewählten Volksvertreter auf wenige, noch nicht der EU-Zentralbehörde unterworfene Sachgebiete beschränkt.

Den EU-Bürgern ist es verwehrt, in einem demokratischen Verfahren Einfluss auf die Arbeit der Kommission zu nehmen, und ein Einfluss auf die Arbeit des Europäischen Rates ist ebenfalls ausgeschlossen, da die Verabredungen der Staats- und Regierungschefs der EU, die maßgeblich die Aktivitäten der Kommissare bestimmen, jeglicher parlamentarischen Kontrolle entzogen sind. Da hilft es auch nichts, dass die EU sich mit einem so genannten Parlament schmückt.

Ein Parlament, dessen Gesetzgebungs-Souveränität sich darauf beschränkt, die Kommission auffordern zu dürfen, zu bestimmten Themen innerhalb von zwölf Monaten einen Gesetzentwurf vorzulegen, statt in eigener Initiative Gesetze zu formulieren und zu beschließen, gleicht dem Zeugungsunfähigen, der zur Erfüllung des Kinderwunsches seiner Frau den omnipotenten Samenspender um Hilfe bittet. 

Ein Parlament, das in der irrigen Annahme der Wahlberechtigten, es habe das Recht, den Präsidenten der Kommission (aus seinen Reihen) wählen zu dürfen, nach einem auf die Person der Kandidaten für dieses Amt geführten Wahlkampf, feststellen muss, dass der Rat beschlossen hat, Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin zu ernennen, ein solches Parlament ist und bleibt ein zahloser Tiger, der hinter den Gitterstäben seiner mit den EU-Verträgen gesetzten Grenzen zwar hin und wieder grimmig brüllen und die Zähne fletschen kann, was dem Publikum, wie im Raubtierhaus im Zoo Bewunderung und Respekt abnötigt, den Zoodirektor jedoch nur zynisch grinsen lässt, denn er weiß: Die Gitter werden halten.

Ein weiteres, schweres Manko unserer Demokratie ist da zu beobachten, wo es um die Information und Meinungsbildung der Bürger geht. Vor ungefähr dreißig Jahren, so meine Beobachtung, hat eine Entwicklung begonnen, welcher der Pluralismus der Medien zum Opfer gefallen ist. Der hehre Ansatz des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“, wird durch die Phalanx einheitlich und auf Regierungslinie berichtender und kommentierender Medien unterlaufen, während zugleich den als Reaktion darauf aufkommenden alternativen Medien im Internet mit allen erdenklichen Maßnahmen die Arbeit erschwert und die Reichweite eingeschränkt wird, einschließlich der Verleumdung der dort arbeitenden Journalisten als Hassprediger, Hetzer und Fake-News-Verbreiter.

Für weite Teile der Wahlberechtigten, die neben Beruf und sonstigen Pflichten noch den Versuch unternehmen, sich politisch zu informieren, sind sowohl die öffentlich-rechtlichen Medien als auch die aus einem massiven Konzentrationsprozess hervorgegangen Zeitungs- und Zeitschriften-Monopole eine einzige Nebelwand, auf welche mit dem Regierungsbeamer abwechselnd einmal die blühenden Landschaften einer Oase der Gerechtigkeit projiziert werden, um dann als Kontrast die finsteren Feinbilder ausländischer Machthaber und inländischer Rechtsextremisten aufscheinen zu lassen.

Fragt man sich, wie die Wahlen wohl ausgehen würden, wenn die Medien, wenigstens die öffentlich-rechtlichen – die anderen würden dann schon folgen, ihrem gesetzlichen Informationsauftrag nachkämen und, wie im Rundfunkstaatsvertrag festgelegt,

  • als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung wirken, 
  • dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft erfüllen, 
  • einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen geben und  
  • hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern würden,

dann ist durchaus vorstellbar, dass sich entweder das Regierungshandeln oder die Parlamentsmehrheiten massiv verändern würden.

 

Last, but not least: Das Prinzip der Gewaltenteilung gehört nicht zwingend zu den Accessoires der Demokratie. Aber da, wo behauptet wird, dieses Prinzip hochzuhalten, sollte es auch mehr als nur rudimentär erkennbar sein. Wo die Regierung das Parlament per Fraktionszwang zum Erfüllungsgehilfen degradiert hat und die Justiz einerseits, was die Staatsanwaltschaften betrifft, der Weisungsbefugnis der Exekutive unterliegt, andererseits die Freiheit der Richter durch die Möglichkeiten des Beamtenrechts (Beförderung, (Straf-)Versetzung und willigere Nachbesetzung) in die gewünschten Bahnen gelenkt werden kann, wo angeblich Gewaltenteilung herrscht, aber selbst die Verfassungsrichter stets nach vorheriger Absprache der Parteivorsitzenden gewählt werden stimmt etwas nicht.

Dass ausgerechnet jener Dr. Stephan Harbarth zum Vorsitzenden des Verfassungsgerichts bestimmt wurde, der kurz vor seiner Ernennung im Bundestag für die CDU/CSU-Fraktion noch erklärte:

… es sei in deutschem Interesse, die Standards im Umgang mit Migranten, etwa bei der Gesundheits- und Grundversorgung, weltweit anzugleichen. Der (UN-Migrations-) Pakt schaffe damit die Voraussetzungen, dass sich weniger Menschen auf den Weg nach Deutschland machen. Wobei er – voll auf Regierungs- und Merkellinie in einer unglaublichen Realitätsverweigerung ausblendete, dass es für die ganz überwiegende Mehrzahl der Unterzeichnerstaaten gar keine Chance gibt, die Standards nach oben anzugleichen, während Deutschland aus Gründen der als Rechtsstaatlichkeit ausgegebenen weltweit geltend zu machenden Gleichmacherei den Standard eher immer noch angehoben hat und unter dieser Regierung auch weiter anheben wird, statt ihn – angleichend – abzusenken,

ist in meinen Augen ein Indiz, dass von wirklicher Gewaltenteilung, von einem System der Checks and Balances, nur beim Betrachten der Fassade noch gesprochen werden kann.

 

Wer mag es mir verdenken,
dass ich lieber in einer Demokratie leben will?