Der beste Witz

Die Saaldiener des Deutschen Bundestages, die gerade frisch eingekleidet werden, sind, lt. Wikipedia, für die Einhaltung der zeremoniellen Würde verantwortlich. Die Damen und Herren Saaldiener nehmen das sehr ernst, und sind empört, wenn ihrer Ansicht nach die Würde des Hohen Hauses in Gefahr gerät. Uns liegt ein empörender Bericht von Ereignissen vor, die sich erst vor Kurzem im Bundestag abgespielt haben sollen. Eine unabhängige Prüfung ist derzeit nicht möglich, doch halten wir es – in Übereinstimmung mit der Haltung der Tagesschau – für besser, auch einmal ein Gerücht in die Welt zu setzen, statt immer nur zu allem, was sich nicht prüfen lässt, zu schweigen.

Die jüngeren Abgeordneten des Deutschen Bundestages hatten bereits am ersten April 2022 einen parteiübergreifenden Antrag zur Tagesordnung eingebracht, mit dem die Veranstaltung eines Bundestags-Humor-Wettstreits gefordert wurde. Bärbel Bas fand die Idee großartig und ernannte kurzerhand die frisch ernannte Parlamentspoetin, ihre frisch eingekleidete Lieblingssaaldienerin und sich selbst zur Expertenkommission, die als Jury den Sieger ermitteln sollte.

Mitte Mai wurde das Event in geheimer Sitzung feierlich über die Bühne gebracht. Nach einer im parlamentsüblichen K.O.-System durchgeführten Vorrunde hatten sich die letzten drei Kandidaten herauskristallisiert, die nun mit einem neuen, noch nie gehörten Witz, im Kampf um den Titel „Ulknudel des Bundestages 2022“ gegeneinander antreten durften.

Als erste Bewerberin wurde Alice Weidel aufgerufen, die ans Rednerpult trat, in exaltierter Genießer-Pose einen Schluck aus dem Wasserglas verkostete, und dann zu erzählen begann.

Annalena Baerbock und Alexander Lukaschenko treffen sich in der zweiten Woche des Dritten Weltkriegs in der Warteschlange vor der Sicherheitskontrolle am Eingang zum Paradies.

Lukaschenko erkennt seine erbitterte Gegnerin, erinnert sich, wie Baerbock ihn bei der Verleihung des Karlspreises 2022 öffentlich als Diktator bezeichnete, gegen den man früher schon härter hätte vorgehen müssen, und spottet:

„Na, Lenchen, was hast du nun von deiner Hetze? Jetzt sitzen wir zusammen in der Patsche und hätten uns doch beide noch ein paar schöne Jahre machen können. Du ja noch länger als ich alter Mann.“

Annalena: „Alter Macho! Null Empathie! Denk mal nach: Wo wäre ich denn jetzt, ohne den Krieg?  Gelyncht hätten die mich, und den Robert gleich mit.“

Alexander: „Du glaubst doch nicht, nur weil ihr Deutschland mit der Energiekrise, der Lebensmittelkrise, der Mehl- und Sonnenblumenölkrise, der Chipkrise und der Wohnungskrise und der Schuldenkrise und der Inflation an die Wand gefahren habt, hätte man euch gelyncht? In Deutschland? Ausgeschlossen!“

Annalena: „Du verstehst mein Problem nicht. Mit der Politik wären wir schon durchgekommen. Es ist schlimmer.

Wir sind immer noch hetero …“

 

Donnerndes Gelächter bei der AfD, Lacher und Bravo-Rufe von Union und FDP, pikiertes Gesichter bei der SPD und grimmiges Wischen auf den Handys und Laptops bei den Grünen.

Friedrich Merz erhebt sich, rückt die Krawatte zurecht, schließt den unteren Knopf seines Sakkos, tritt ans Rednerpult und schaut, Aufmerksamkeit erwartend ins weite Rund des vollbesetzten Plenarsaals. Dann beginnt er.

Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, vermeintlich Volksvertretende der AfD, mir wird gemeinhin Nüchternheit und Humorlosigkeit vorgehalten. Ich bin gar nicht so. Wenn es sein muss – und ich glaube, um diesen Wettbewerb zu gewinnen, wozu ich angetreten bin, muss es sein – kann ich mich auch selbst auf die Schippe nehmen. Dreimal bin ich angetreten, um den Parteivorsitz der CDU zu übernehmen.

2018, Sie wissen es, bin ich, unerfahren, und ungeschickt, wie man bei jedem ersten Mal halt ist, in den Ring gestiegen und habe mich dabei dümmer angestellt als Annegret Kramp-Karrenbauer.

Hämisches Grinsen und Gelächter aus den Reihen der CSU.

2021, reifer geworden, ging es im Januar gegen Laschet und Röttgen auf die Blanche. Ich mit dem eleganten Florett feinsinniger Eloquenz, Röttgen in der undurchdringlichen Rüstung der Ritter der transatlantischen Tafelrunde, Laschet mit rheinischem Frohsinn und dem Dolch der Janitscharen.

Hier hielt Merz kurz inne, schaute sich erneut im weiten Rund des Plenarsaals um, und meinte dann:

Schade. Die erste Pointe haben Sie leider nicht bemerkt.

Ich will das kurz erklären, vielleicht wollen Sie diesen Witz ja einmal weitererzählen. Also die Janitscharen, das waren erst Christen, bevor sie zu Janitscharen gemacht wurden. Vermutlich waren auch so erzkatholische aus dem Rheinland, wie mein damaliger Rivale Laschet darunter, der es ja auch mit dem vorderen Orient gut kann. Man weiß es nicht. Die Herrscher der Osmanen, also die Vorgänger des türkischen Präsidenten Erdogan, nahmen solche Christen gerne gefangen, versklavten sie, und zwangen sie dann als Gardesoldaten zum Kriegsdienst.

Bärbel Bas meldete sich vom Präsidium per Mikrofon und Lautsprecher zu Wort: „Herr Abgeordneter Merz, bitte kommen Sie zum Ende, ihre Redezeit …“

Ich werde mich sputen, Frau Präsidentin, doch eine gute Pointe braucht ihre Zeit. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, bei der Wahl des Vorsitzenden 2021.

Sie wissen, wie es ausgegangen ist. Röttgen war durch seine Rüstung maximal behindert und spielte im Endkampf praktisch keine Rolle. Ich war zwar längst nicht mehr so dumm, wie 2018, doch musste ich feststellen, dass ein Mann des geschliffenen Wortes, ein Meister der Fechtkunst mit dem leichten Florett, gegen rheinischen Frohsinn und den Dolch im Gewande nichts auszurichten vermag. Ich hatte mir vorgestellt, den Dicken mit dem ersten Ausfall aufzuspießen, wie den Speck am Schaschlik. Doch an Armin Laschet prallte einfach jede Attacke wirkungslos ab, Wieder nichts.

„Herr Abgeordneter Merz …“

Schon gut, schon gut, Frau Vorsitzende. Stehlen Sie mir mit ihren Zwischenrufen doch nicht noch mehr von meiner kostbaren Redezeit!

Wo war ich gleich? Ach ja. 2021, Januar. Kalt war es da. Aber ich will nicht in Erinnerungen schwelgen. Sie wissen alle, was passiert ist. Ich bin ein Stehaufmännchen mit sehr tief liegendem Schwerpunkt. Sie kennen diese Kleinkinderspielzeuge? Nein? Waren Sie immer schon erwachsen? Das hätte ich mir denken können.

Jedenfalls kamen dann die Wahlen im September, die ja für die CDU so ausgegangen sind, wie vorher für mich die Wahlen für den Parteivorsitz. Laschet hat danach seinen rheinischen Frohsinn abgelegt und den Parteivorsitz gleich mit. Da war es wieder so weit. Die Herausforderung stand im Raume und wartete auf mich.

Ich rief mir meine glückliche Jugend in Brilon in Erinnerung und sagte zu mir selbst: Joachim-Friedrich Martin Josef Merz! Erinnere dich an deine Rockerzeiten! Wie du auf deinem knatternden Moped auch die lange Strecke zwischen Freibad und Eisdiele mehrmals erfolgreich überstanden hast. Diesmal klappt es. Diesmal klappt es!

Und, was soll ich Ihnen sagen?

Es hat geklappt.

Hahaha!

Ist das nicht zum Schießen?

Ich bin Parteivorsitzender.

Hahahaha, Haha, hahaha!

Dann machte er eine kurze Pause, sagte noch artig: „Vielen Dank!“, nahm einen Schluck Wasser, und knöpfte mit lässiger Gebärde sein Sakko wieder auf. Aus den Reihen der CDU erklang matter Beifall. Die Grünen kicherten hinter vorgehaltener Hand und fanden kaum ein Ende. Die AfD-Fraktion warf Merz strafende Blicke zu und die SPD wusste, wie immer, gar nicht mehr, wie sie sich verhalten sollte.

Nun wartete der ganze Saal auf den letzten Witz. Bärbel Bas forderte den Abgeordneten Christian Lindner auf, seinen Platz am Rednerpult einzunehmen. Und da stand er auch schon.

Meine Damen und Herren, ich kann es kurz machen. Bekanntlich liegt die Würze ja in der Kürze.

Treffen sich Jürgen Möllemann, Jörg Haider und Jürgen Trittin in der Hölle und erzählen sich gegenseitig, auf welche Weise sie zu Tode gekommen sind. Haider beginnt.

Also ich fahre da – stocknüchtern, das muss ich betonen – mit meinem Volkswagen für Eliten, dem Phaeton, so vor mich hin, denke an nichts Böses, als sich aus dem Dunkel plötzlich die Gestalt des Erzengels Michael löst, mich mitsamt dem Auto in die Höhe hebt, und spricht: „Deine Zeit ist abgelaufen. Hättest halt nicht zur FPÖ gehen sollen. Das mögen wir nicht.“ Dann hat er das Auto fallen lassen. Kam mir wie eine Ewigkeit vor. Den krachenden Aufprall habe ich noch gehört. Dann ist es dunkel geworden, und dann bin ich hier wieder zu mir gekommen. Aber wie war das bei dir, Möllemann.

Ja, so ähnlich. Ich bin aus der Cessna gesprungen, wie immer. Das hat mir mein Psychiater empfohlen, sozusagen als Hypo-Sensibilisierung gegen die Angst vor dem freien Fall, der bei der FDP ja immer wieder droht. Ich falle, falle, falle – ich hatte inzwischen wirklich Freude am freien Fall – und kurz bevor ich die Reißleine ziehen und den Fallschirm öffnen wollte, erschien mir der Erzengel Michael, der mich in der Luft packte und sagte: „Das wird heute nichts, mit der Reißleine. Deine Zeit ist abgelaufen.  Hättest halt nicht zur FDP gehen sollen. Das mögen wir nicht.“ Dann hat er mich losgelassen, vielleicht 400 Meter über Grund. Ich suche nach der Reißleine, doch die war nicht mehr da. Die Erde kam näher und näher, ich dachte noch: „Ach wenn ich doch weich in einen Misthaufen fallen würde“, aber es war halt der harte Boden. Ich war gleich weg, und dann habe ich mich auch hier wiedergefunden.

Nun erzähl du, wie du hierhergekommen bist, du Dosenpfanderfinder, du.  Ja, erzähl! Du wirst ja wohl nicht vom Lastenrad gefallen sein.

Jürgen Trittin legte die Stirn in Falten, zog die Augenbrauen hoch und meinte: Schöne Geschichten habt ihr da erzählt. Meine ist eher langweilig. Was soll ich sagen? Dem Erzengel Michael bin ich nicht begegnet. Da könnte ich richtig neidisch werden. Der Chef persönlich hat mich angesprochen und mir eine Chance gegeben. Er beobachtet mein grünes Treiben schon lange, eher mit Wohlwollen.

„Das hätte ich bei dir nicht erwartet“, rief Möllemann überrascht, und Haider fragte: „Und warum bist du dann trotzdem hier unten?“

Tja, grinste Trittin. Das werdet ihr schon noch erfahren. Ihr seid ja noch länger zu Gast hier. Ich komme erst endgültig wieder, wenn ich tot bin.

Noch mache ich hier,

zur vollsten Zufriedenheit des Chefs,

nur ein Praktikum.

Denen von der AfD und denen von der FDP war das Lachen im Halse steckengeblieben. Etliche Grüne, vor allem die Älteren, begannen zu weinen, die jüngeren Fundis lachten ein bitteres Lachen.

Dann machte sich allmählich auch in den Reihen der Union Heiterkeit breit und die Sozialdemokraten und die Linken spotteten: „So ist das halt, wenn man mit dem Teufel im Bunde ist. Auf in den Kampf gegen rechts!“

Bärbel Bas läutete ihr Glöckchen und verkündete, dass sich das Komitee nun zurückziehe, um sich ein Urteil zu bilden und über den Siegerwitz abzustimmen. „Eine halbe Stunde Pause. Wir sehen uns um 11.15 Uhr hier wieder.“

 

Als die Vorsitzende der Bewertungskommission mit ihren beiden Beisitzern gegen 11.35 Uhr in den Plenarsaal zurückkehrte, war dieser fast wieder gefüllt, viele Abgeordnete standen in kleinen Grüppchen diskutierend herum. Manchmal ertönte ein lauter Lacher, aber irgendwie war die Stimmung angespannt. Es war für viele einfach zu viel. Wie jede Arznei, hat auch der Humor seine Nebenwirkungen, die man – gerade als gewählter Repräsentant des Volkes – nicht auf die leichte Schulter nehmen darf.

Die Parlamentspräsidentin schwang ihr Glöckchen und bat die Kolleginnen und Kolleginnen ihre Plätze wieder einzunehmen.

Kurz darauf kam sie zur Verkündung der Ergebnisse.

„Wir hatten schwere Entscheidungen zu treffen. Einerseits die Demokratie zu wahren, andererseits dennoch die Freiheit der Kunst, wie sie auch im Rahmen der Satire geschützt ist,  hochzuhalten, und sind, wie wir hoffen, zu einem Ergebnis gekommen, das von allen Demokraten in diesem Hohen Hause, wenn auch nicht unbedingt als das erhoffte Ergebnis, wohl aber als ein gelungener Kompromiss angesehen werden kann.

Ich beginne mit der Verkündung der Preisträger. Zuerst der dritte Preis.

Wenn auch der von Frau Weidel vorgetragene Witz, zumindest humortheoretisch korrekt aufgebaut und mit einer überraschenden Schlusspointe versehen war: Die damit transportierten rassistischen, frauenfeindlichen und rechtsradikalen Inhalte haben diesen so genannten „Witz“ von vornherein ins Abseits gestellt. Wir hatten in der Schlussrunde jedoch nur noch drei Beiträge, so dass dieser Witz, wenn auch mit weitem Abstand zwangsläufig nur auf Platz drei landen konnte. Ein Ärgernis!

Nach intensiver Diskussion, unter Abwägung aller Interessen, kamen wir schließlich zu dem Ergebnis, an der Tradition des Hohen Hauses festzuhalten, und der AfD, auch wenn sie sich einmal daran versucht, witzig zu sein, keinerlei Anerkennung zukommen zu lassen. Wir haben damit zwar, technisch gesehen, einen dritten Sieger, doch unter den gegebenen Umständen kann dafür kein Preis vergeben werden.

Ich sehe, es ist niemand wirklich überrascht,  und das ist gut so.

Der zweite Platz, und wenn ich den bekanntgegeben haben werde, werde ich auch schon den Sieger verraten haben, geht an Christian Lindner.

Christian Lindner ist es gelungen, sich mit Humor von allen rechtsextremen Strebungen zu distanzieren, wie sie der FDP und ihrer österreichischen Schwesterpartei immer wieder vorgehalten werden. Für diese klare Kante gegen rechts haben wir mit 10 Punkten die Höchstzahl in der Kategorie „Humor gegen rechts“ vergeben. Für die sehr anschauliche Schilderung von gleich zwei Nahtoderlebnissen, über die man sich eigentlich nicht lustig machen sollte, die aber auch mit ihrer christlich-abendländischen Komponente und dem Kausalzusammenhang zwischen Schuld und Sühne überzeugten, legten wir acht Punkte dazu. Die Wahl des dritten Protagonisten dieses Witzes wird wohl schwierig gewesen sein, doch trifft sie mit Jürgen Trittin einen – Verzeihung! – alten Querkopf, der diesen Rüffel verdient hat und auch in gewohnter Weise wegstecken wird. Weil die Schärfe der Pointe erst mit der Auswahl des bestgeeigneten Protagonisten auf einem großen, realistischen Fundament so recht zur Geltung kommen konnte, gibt es nochmals 10 Punkte in dieser Kategorie.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Lindner! Für ihre wunderbare humoristische Einlage stellt Ihnen der Saaldiener in den nächsten Minuten zwei Flaschen Sekt der Marke „Rotkäppchen Flaschengärung Riesling Trocken“ an den Platz.

Nun aber zur Überraschung des Abends, die inzwischen wohl alle Anwesenden erraten haben dürften:

Der erste Platz und damit der erste Preis gehen an unseren wunderbaren, großartigen und unnachahmlichen Scherzbold mit dem jugendlichen Charme: Friiiiiiiederiiiiiich Meeeeeeeeeeerz! Applaus!

Lieber Friedrich, es ist mir eine Ehre, dieses bisher unerkannte Talent, das in Ihnen schlummert, mit der höchsten Auszeichnung, die dieses Parlament in dieser Stunde zu vergeben hat, zu beglücken.

Eine gelungene, selbstironische Darbietung, die trotz aller Längen – und bei dieser Gelegenheit darf ich mich für meine Ermahnungen zur Redezeit entschuldigen – nie den selbstgesteckten Spannungsbogen verlassen hat.

Sie haben die vollen dreißig Punkte, Herr Abgeordneter Merz, und zwar unabhängig von allen Unterkategorien für das gelungene Gesamtkunstwerk.

Herzlichen Glückwunsch!

Applaus, bitte, für unseren großen Komiker!