Die verrechtsstaatlichte Bürgerwehr

Manchmal schlägt man sich mit der flachen Hand an die Stirn und fragt sich, wie es kommen konnte, dass eine Entwicklung vollständig an einem vorbeigegangen ist.

So war das bei mir gestern, als ich in unseren regionalen Blättern die frohe Kunde las:

Mainburg erhält eine Sicherheitswacht.

Interessierte Bürger könnten sich bis zum 31. März melden. Sechs bis acht Ehrenamtliche sollen künftig jeweils sowohl zu zweit  als auch zu Fuß im Stadtgebiet Streife laufen. Dafür erhalten diese

  • eine Ausbildung in den Bereichen Strafrecht, Ordnungs- und Sicherheitsrecht, Eingriffsrecht, Einschreitverhalten und Eigensicherung
  • blaue Uniformen, den Polizei-Uniformen ähnlich,
  • Funkgeräte,
  • konkrete Aufträge für die Streife, und
  • pro Stunde 8 Euro.

Erheiternd:

Ziel ist es,

  • die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten, und
  • den Bürgern ein subjektives  Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.

Wieso  kommt Mainburg dazu, sich eine solche Bürgerwehr heranzuziehen? Sind Sicherheit und Ordnung aufs Äußerste gefährdet? Liegen Erkenntnisse über einen miserablen und abhilfebedürftigen Zustand des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bürger vor?

Man weiß es nicht. Jedenfalls steht dazu nichts in der Zeitung.

Aber die Website der Polizei Bayern weiß mehr. Da heißt es:

„Die Sicherheitswacht ist keine Hilfspolizei. Sie kann und soll die Arbeit der Polizei nicht ersetzen, sondern ergänzen. Sie ist auch keine „Bürgerwehr“ (unkontrollierter Zusammenschlüssen von Bürgern, die glauben, selbst für Recht und Ordnung sorgen zu müssen). Die Sicherheitswacht ist die bessere und rechtstaatliche Alternative.“

Bei mir taucht da die Frage auf, was denn dann eine Hilfspolizei sei, wenn die Sicherheitswacht keine ist. Schließlich gibt es interessante Befugnisse, die über das jedem Bürger zustehende Recht der Notwehr, bzw. Nothilfe, und der vorläufigen Festnahme eines Straftäters hinausgehen, nämlich:

  • Durchführung von Befragungen und Identitätsfeststellungen von Personen
  • Übermittlung von personenbezogenen Daten an Polizei und Gemeinden
  • Erteilung von Platzverweisen

Zudem erklärt die bayersiche Polizei, die Mitglieder der Sicherheitswacht würden zur Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags eine besondere Ausstattung erhalten, nämlich ein Digitalfunkgerät, eine Taschenlampe, ein Reizstoff-Sprühgerät und ein Erste-Hilfe-Set.

O.k., da haben wir dann also eine Nicht-Bürgerwehr und Nicht-Hilfspolizei und Nicht-richtige-Polizei mit einem gesetzlichen Auftrag.

Das Gesetz findet sich dann hier. Es hat wohltuend kurze Abschnitte und Artikel. Hier nur als Beispiel (und das ist Volltext!):

I. Abschnitt Zweck der Sicherheitswacht (Art. 1)
Art. 1 Zweck der Sicherheitswacht
In der Sicherheitswacht wirken Bürger an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit.

Es handelt sich um ein bayerisches Gesetz. Es handelt sich zudem – und daher meine Verwunderung – um ein ziemlich altes Gesetz aus dem Jahr 1997, letzte Änderung im Dezember 2019.

Ist es nun in Bayern ganz besonder schlimm, mit dem Zustand von Sicherheit und Ordnung? Sind die Bürger Bayerns in besonderem Maße einer Verbesserung ihres  subjektiven Sicherheitsgefühls bedürftig?

Herr Google und Frau Wikipedia bringen an den Tag, was die Sonne bislang nicht vermochte:

Die Bayern sind mit ihren Ängsten und Nöten nicht alleine.

Auch Sachsen hat eine Sicherheitswacht. Wobei Wikipedia die Sicherheitswacht als eine spezielle Ausprägung des Oberbegriffs „Freiwilliger Polizeidienst“ anführt und dokumentiert, dass auch Baden-Württemberg und Hessen freiwillige Polizeidienste installiert haben. (Also doch Polizei?)

In Berlin hat man die freiwillige Polizeireserve 2002 abgeschafft. Das muss aber auch ein wilder Haufen gewesen sein. Infanteristisch bewaffnet (Pistole, Gewehr, Maschinengewehr, Handgranaten) und zu einem Fünftel aus Straftätern und rechtsextremistischen Kreisen rekrutiert …

Da bin ich echt froh, dass die künftig Mainburg sicher machenden Streifengänger nur eine Dose Pfefferspray dabei haben.

Aber so richtig wohl fühle ich mich nicht, wenn ich mir ausmale, wie schnell bei einer solchen Einrichtung aus „gut gemeint“ ein „schlecht gemacht“, bzw. „schlecht geworden“ werden kann.

Richtige Polizisten, die sich im öffentlichen Raum streifegehend blicken lassen, wären mir weitaus lieber. Die würde ich auch als einen Beitrag zur objektiven Erhöhung der Sicherheit ansehen. Auf die Vermittlung eines subjektiven Sicherheitsgefühls durch den Anblick uniformierter Ehrenamtlicher kann ich gern verzichten.

Aber Polizisten müsste man ja mindestens Mindestlohn bezahlen, und der liegt inzwischen auch schon über 8 Euro. Immer diese Inflation!