Verdammt knappe Kiste

Wenn das Endergebnis der Landtagswahl in Hessen sein „Vorläufig“ verlieren und nur noch amtlich sein wird, ohne dass sich durch Nachzählungen oder andere Überraschungen die Stimmen- und die Sitzverteilung noch ändern, wird sich die Aufregung über die erdrutschartigen Verluste der CDU und die massiven Stimmengewinne der Grünen schnell legen. Das Wahlergebnis wird abgehakt wie das Tor zum 1:0 des FC Bayern in der siebten Minute der Nachspielzeit. Gewonnen ist gewonnen, an das WIE erinnert sich schon am nächsten Spieltag keiner mehr.

Für die SPD sieht das schon anders aus. Das  neuerliche Debakel erinnert irgendwie an den HSV, den Bundesliga-Dino, der irgendwann dann doch nicht nur die gesamte Saison vergeigt hat, sondern gegen den Trend noch nicht einmal im Relegationsspiel den Klassenerhalt behaupten konnte.

Der Eindruck, es handele sich um eine ganz knappe Kiste, ist schließlich nur der aufregenden Inszenierung des Wahlabends geschuldet.

CDU und Grüne wollten weiterregieren. Dafür haben ihnen die Wähler 69 Sitze im Landtag spendiert.

Einzig die SPD war angetreten, diese Koalition abzuwählen – die Wähler haben der SPD  jedoch nur 29 Sitze zuerkannt.

Wo ist da noch irgendetwas knapp?

Da muss man doch noch nicht einmal daran erinnern, dass auch die FDP noch bereitstand, um im Zweifelsfall Bouffier und Al Wazir per Jamaika-Koaltiion zu stützen.

So hat sich, zwei Wochen nach der Bayernwahl, auch in Hessen eine neue bürgerliche Mehrheit herauskristallisiert, die nach meiner Einschätzung jedoch primär auf eine kollektive Fluchtbewegung der Wähler „Bloß weg von der Wischi-Waschi-SPD!“ zurückzuführen ist.

Eine Regierungsbeteiligung der SPD verhindern zu wollen, bedeutet zugleich, den GroKo-Sympathisanten in der Union das Vertrauen ebenfalls entziehen zu müssen, womit die Stimmenverluste der CDU in Hessen und der CSU in Bayern fast vollständig erklärt werden können.

Hier muss sogar in Betracht gezogen werden, dass die Stimmengewinne der AfD zumindest zu einem gewissen Teil mehr auf den Wunsch, eine weitere große Koalition zu verhindern (Bloß weg mit der Wischi-Waschi-CDU!) zurückzuführen sind als auf ein wirkliches Einverständnis der Wähler mit den Zielen der AfD.

Ähnliches gilt allerdings auch für die Grünen. Ein Teil der Stimmengewinne der Grünen mag eher darauf zurückzuführen sein, dass man die verbrauchten SPD-Gesichter nicht mehr in der Regierungsverantwortung sehen mag und sich von einem jugendlich-forschen Robert Habeck einfach mehr Fortschritt in der rot-grünen Loipe verspricht als von der in jeder Hinsicht immer mehr aus den Fugen geratenden Andrea Nana-Nahles und ihrem getreuen Eckehardt, Lars Springseil.

Damit erachte ich baldige Neuwahlen im Bund auf Veranlassung von CDU/CSU oder SPD für ausgeschlossen. Angela Merkel kann die SPD im Bund jetzt erst recht nach Strich und Faden niederregieren, weil die SPD weiß, die Union würde – zwar ebenfalls geschwächt – aber doch weiterhin als stärkste Fraktion, zusammen mit den Grünen weiterregieren, während sich die Opposition im Kampf untereinander selbst neutralisiert.

Innenpolitische Spannung ist  damit zunächst einmal vertagt, bis im September 2019 die drei neuen Bundesländer, Brandenburg, Sachsen und Thüringen ihre Landtage neu wählen. In allen drei Landesparlamenten ist die LINKE stark vertreten – und zumindest in Sachsen und Thüringen wird die AfD massiv zusätzliche Sitze gewinnen, was die SPD in diesen beiden Landtagen vor der Fünf-Prozent-Hürde zittern lassen wird.