Bajuvarika: Der Nockherberg

Die Starkbierprobe auf dem Nockherberg hat gestern, nach vier Jahren Pause erstmals wieder in Präsenz stattgefunden. In freudiger Erwartung saß ich ab 19.00 Uhr vor dem Fernseher – und wurde enttäuscht.

Nicht, dass die Veranstaltung grottenschlecht gewesen wäre. I wo! Es war alles gut. Es war alles perfekt. Nur: Der Funke sprang nicht über. Die Pointen zündeten nicht. Es gab kein verbindendes Thema.

Die Fastenpredigt

Maxi Schafroth, Fastenprediger, der es in seinen eigenen Programmen versteht, auf einem einzigen, klitzekleinen Thema ganze Pointenkaskaden zu errichten, erging sich immer wieder und dabei zunehmend ermüdend in seiner Freude darüber, dass nach vier Jahren nun wieder einmal, und dies in Freiheit, und dass alle wieder da sind, und wie schön es ist, von der Bühne aus in diese Gesichter zu blicken. Und wenn er sich nicht gerade freute, dass alles wieder ist wie es war, arbeitete er sich mit Plattitüden über die Niederbayrischkeit des Niederbayern Hubert Aiwanger ab. Weit abgeschlagen dahinter folgte Joachim Herrmann, seines Zeichens bayerischer Innenminister, der sich spöttelnde, aber weder lustige noch humorvolle Kritik an der bayerischen Innnenpolitik anhören musste, darüber aber, trotz aller auf ihn gerichteten Kameras des bayerischen Fernsehens, mit eisern unlustiger Miene spielverderbend dem Vortrag folgte. Ja, Söder wurde auch erwähnt, schließlich verdient der Ministerpräsident einen Scherz auf seine Kosten, aber auch das blieb merkwürdig flach, unbedeutend und bemüht. Scholz, Habeck, Baerbock, Lindner – also die Berliner Riege aus der ersten Reihe hatten die Einladung zum Freibier der Familie Schörghuber nicht angenommen, weshalb die wenigen diebezüglichen Einlassungen Schafroths ins Leere gingen. Claudia Roth war freudig empört. Ricarda Lang freudig erstaunt. Dietmar Bartsch, als Nockherberg-Routinier, war durch nichts mehr aus der Ruhe zu bringen.

Als das Publikum auf diese Weise und mit Hilfe der ersten Maß Salvator bereits nahezu vollständig sediert war, endete der humoristische Teil, was für den Laien daran zu erkennen war, dass die Neigung des Redners, zum Mitlachen animierend – oft einsam und alleine – über die eigenen Scherze zu lachen, aus dem Vortrag verschwand. Eine gefühlte halbe Stunde lang erging er sich dann in Lob und Preis über dieses Land und die Freiheit in diesem Land, vor allem über die Meinungsfreiheit in diesem Land, in dem er – Maxi Schafroth – auf der Bühne des Festsaals am Nockherberg alles sagen dürfe, was er wolle, und dass dies live übertragen würde, und ohne Zeitverzug, und wie glücklich wir uns doch fühlen müssten, im fast einzigen Land auf dieser Erde, so frei sein zu dürfen. Sollte das satirisch gemeint gewesen sein, hat es niemand bemerkt. Bei früheren Fastenpredigern, wie z.B. Bruno Jonas, hätten solche Aussagen zumindest ein Knistern in der spannungsgeladenen Atmosphäre erzeugt, hier und da auch ein ahnungsvolles Grinsen oder gar ein unbeherrschbares Prusten hinter vorgehaltener Serviette, aber so bierernst und staubtrocken wie Schafroth hier sein Evangelium verkündet hat, blieb es still unter der Kanzel.

Es war – so stellte sich dann heraus – das Präludium für den eigentlichen Höhepunkt der Rede, die aufs Ende zu in einen lupenreinen Haltungskabarettismus überging.  Vom: „So gut geht es uns“, zum „So schlimm ist das Leiden in der Ukraine“ verging dann nur noch ein Wimperschlag. Solidarität! Hilfe! Mitgefühl! Zusammenstehen! Liefern! Aufnehmen! Und so weiter !

Doch auch das war keine Parodie auf Annalena Baerbock oder Agnes Strack-Zimmermann oder Jens Stoltenberg oder Antony Blinken. Es war keine Parodie auf irgendwas. Es war einfach vollkommen unreflektierte staatstragende Propaganda und – wiewohl nicht benannt – ein Schuss vor den Bug von Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und alle, die sich der Friedensdemo angeschlossen hatten, obwohl auch der Begriff „Waffen“ nicht wirklich vorgekommen ist.

Der Lohn für sein mutiges Ausnutzen der Freiheit, alles sagen zu dürfen was er sagen wollte, waren – auch wenn der Saal nur langsam, nach und nach in die Höhe gekommen ist, Standing Ovations. Der Chor der Jungen Union Miesbach besorgte dann den Abgesang für den Fastenprediger.

Das Singspiel

Links Felsen, rechts Felsen, in der Mitte eine mächtige steinerne Treppe, dahinter Urwald, darunter die zweite Stammstreck der Münchner S-Bahn, und ringsum ein unsichtbarer Ozean, womöglich der Ostparksee, was aber nicht sicher ist. Aus dem Wasser auf die Insel retten sich Markus Söder, Hubert Aiwanger und Martin Huber. Letzterer ist Söders Generalsekretär, was selbst in Bayern bis gestern Abend weithin unbekannt war. Des weiteren retten sich auf die gleiche Insel Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck. Friedrich Merz landet mit seinem Zweisitzer-Sportflugzeug, aus dem Unterholz erscheint eine Reichsbürgerin. Robert Habeck sammelt Feuerholz. Christian Lindner sagt, wenn er etwas zu Essen braucht, lässt er sich die Speisekarte kommen, Aiwanger will einen Fisch fangen und büßt dabei – zu Gunsten eines Haifischs – seinen linken Unterarm ein. Aiwanger will erneut einen Fisch fangen und büßt dabei – zu Gunsten des gleichen Haifischs – seinen rechten Unterschenkel ein, bleibt aber bemerkenswert standhaft. Söder besingt laut sich selbst und schikanisiert seinen Gruber, Maier, Huber, Martin. Aus dem Unterholz bricht auch noch die grüne Katharina Schulze hervor und präsentiert Frauenpower.

Worum es geht? Keine Ahnung.

Zwei Überraschungs-Gags krönen das handlungsfreie Singspiel: Angela Merkel, die im Schlauch-Paddelboot an der Insel und den Protagonisten vorbeikommt, aber nicht mitspielen will, und Münchens OB, Dieter Reiter, der immer wieder vom unterirdischen Stammstreckentunnel mit einem kleinen Spaten durch den Bühnenboden nach oben kommt, um festzustellen, dass er schon wieder nicht da herausgekommen ist, wo er herauskommen wollte.

Habeck war am authentischsten dargestellt. Schöne Habeck-Schwurbel-Sätze und Realitätskonfrontations-Reaktionen verwischten durchaus den Unterschied zwischen Singspiel-Akteur und real existierendem Bundesminister. Aiwanger als Groteske seiner selbst und Huber als Söders Fußabtreter kamen auch noch gut rüber.

Null Rolle, null Ausstrahlung: Olaf Scholz. Ich unterstelle nicht, dass das so beabsichtigt war. Aber alleine die Stimmlage des Darstellers war absolut unstimmig.

Was außer ein bisschen Handlung, Spannungsbogen und Esprit sonst noch fehlte: Annalena Baerbock.

Dieses Fehlen, sowohl auf der Bühne als auch im Publikum, diese Mutlosigkeit, sowohl der Autoren als auch der Außenministerin, stehen sinnbildlich für die gesamte perfekt in Szene gesetzte Veranstaltung, die sich intellektuell aber kaum noch über das Niveau der Fernsehaufzeichnung von „Mainz, wie es singt und lacht“ aufzuschwingen vermochte.

Schade.