Bayerns direkte Demokratie

In Bayern ist es möglich und von der Verfassung des Freistaats gedeckt, dass das Volk – die notwendige Anzahl von Stimmen vorausgesetzt – die Auflösung des Parlaments verlangen kann.

Genau das wird momentan in Bayern angestrebt. Das bayerische Staatsministerium des Inneren hat die folgende Forderung als Basis für die Zulassung eines Volksbegehrens anerkannt, und überall in den Gemeinden können sich die wahlberechtigten Bayern dem anschließen:

„Die unterzeichneten Stimmberechtigten begehren gemäß
Art. 83 des Landeswahlgesetzes die Abberufung des
Bayerischen Landtags.“

Die offizielle Bekanntgabe sieht so aus: https://www.statistik.bayern.de/mam/wahlen/volksbegehren/zulassung/stanz_nr._30_vom_30.07.2021.pdf

Es war am 3. August 2021, als mich ein Leser erstmals darauf aufmerksam machte. Allerdings muss ich zugeben, dass meine Fantasie nicht ausreichte, mir vorstellen zu können, welche positive Wirkung die Auflösung des Landtags haben könnte. Aus dem Wunsch, den Landtag abzuberufen, geht ja nicht hervor, welche positive Wirkung sich die Initiatoren davon versprechen.

Gestern fragte dann der gleiche Leser wieder bei mir an, ob ich nicht auf meinem Blog darüber berichten wolle. Dem hatte er den Link auf einen Artikel im Kaufbeurer Kreisboten beigefügt, in dem über die mit dem Volksbegehren verbundenen Absichten berichtet wird. Ich zitiere aus dem verlinkten Artikel:

Wichtigstes Ziel sei laut der Initiatoren mehr Bürgernähe. Möglich werde das durch bürgerorientierte Abgeordnete, die engagiert handeln und die Interessen des Freistaates Bayern vertreten sollten.

Dementsprechend sollte der Fraktionszwang aufgehoben werden und Abgeordnete allein ihrem Gewissen und den Interessen der Bürger folgen. Das Volksbegehren möchte außerdem mittelfristig bayerischen Bürgern das Recht einräumen, durch Volksentscheide auf die Politik in Bayern und auch auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. (…)

Die Partei dieBasis unterstützt die Forderungen des Bündnisses „Landtag abwählen“ in vollem Umfang. In einer Pressemitteilung (…) heißt es: „Der Corona-Kurs des bayerischen Ministerpräsidenten bestimmt zu großen Teilen die Vorgehensweise der deutschen Politik. Mehr als andere Landespolitiker betreibt er eine Politik, die zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt.“ Die massive Forderung nach einer Durchimpfung der Bevölkerung könne nicht länger akzeptiert werden.

Zugegeben, die abenteuerliche Idee:

  • Den Landtag auflösen,
  • mit Neuwahlen die CSU schwächen,
  • mit der geschwächten CSU den Einfluss Söders im Bund beschneiden,
  • so dass das Bundes-Impf-Regime,
  • befreit vom Druck aus Bayern,
  • jene Milde walten lassen kann,
  • die Merkel, Spahn, Wieler, Lauterbach & Co.,
  • ohne den Einfluss Söders von alleine walten lassen würden,

mag im Juni 2021, als der Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens gestellt wurde, noch einen gewissen Charme gehabt haben. Nun hat Deutschland gewählt. CDU und CSU stehen auf verlorenem Posten. Ergibt das ganze nun überhaupt noch einen Sinn?

Ich habe meinem Leser geantwortet:

Sehr geehrter Herr H.,

nachdem ich sogar auf der Website der Antragsteller vergebens nach dem Wortlaut des Volksbegehrens gesucht habe, also nur die sprichwörtliche „Katze im Sack“ an meine Leser durchreichen könnte, halte ich mich da lieber zurück. Was der Kaufbeurer Kreisbote dazu schreibt, sind zwar Ziele, wie die aber über ein Volksbegehren erreicht werden sollen, erschließt sich mir nicht.

  • Es ist nicht zu erwarten, dass die WIRPartei auch nur einen einzigen Sitz in einem neu gewählten Landtag erhalten würde.
  • Es ist nicht zu erwarten, dass die Abgeordneten eines neu gewählten Landtags in Bezug auf Qualifikation, Bürgernähe und Unabhängigkeit auch nur geringfügig anders gestrickt sein würden als die bisherigen.
  • Es ist nicht möglich, den Fraktionszwang abzuschaffen, weil es den ja weder in der bayerischen Verfassung noch im Parteiengesetz gibt. Solange sich Volksvertreter in Parteien und Fraktionen organisieren, werden die Parteichefs und Fraktionsvorsitzenden nicht davon abzubringen sein, das Abstimmungsverhalten der gesamten Fraktion zu bestimmen. Wer nicht mitspielt, wird bei der nächsten Wahl nicht wieder aufgestellt.

Soweit meine erheblichen Zweifel am Sinn der Übung. Dem möchte ich allerdings noch einige grundsätzliche Überlegungen folgen lassen:

  • Die Legislaturperiode des bayerischen Landtags beträgt 5 Jahre. Ob das nun ein Jahr zu viel ist, oder gar zwei, braucht momentan nicht diskutiert zu werden. Wichtig ist, dass eine die Regierung stellende Parlamentsmehrheit einen festen Zeitrahmen zur Verfügung hat, innerhalb dessen sie ein Arbeitsprogramm in Ruhe und mit Bedacht abwickeln kann. Eine vorzeitige Auflösung des Landtags sollte daher nur in Frage kommen, wenn die notwendigen Mehrheiten für die beabsichtigten oder notwendigen Gesetze nicht mehr zustande kommen.
  • Der Versuch, einen in diesem Sinne „funktionierenden“ Landtag von außen per Volksbegehren zur Auflösung zu zwingen, weil ein einziger Aspekt der Politik von einem Teil der Bevölkerung als falsch angesehen wird, ist grundsätzlich abzulehnen. Sollte dieser Versuch nämlich in Bezug auf die Corona-Politik des Freistaats Bayern gelingen, käme als nächstes die Landtagsauflösung per Volksbegehren wegen der Klimapolitik, wegen der Bildungspolitik, wegen des Versammlungsrechts oder wegen des Getränkeangebots der Landtagskantine.
  • Die herausragende Stellung Bayerns unter allen Bundesländern in Bezug auf Finanzen, Wirtschaftsleistung, Kriminalstatistik, und so weiter, ist vor allem der langjährigen Kontinuität der Regierung zu verdanken. Das hat nichts mit der CSU als solcher zu tun, sondern ausschließlich mit der Kontinuität, in der Entwicklungen aufgesetzt und zum Erfolg geführt werden konnten, in der Werte über Jahrzehnte hochgehalten und geachtet wurden. Sie können es in ganz Deutschland beobachten: Da wo die Kontinuität verloren gegangen ist, und da blicken wir nach Berlin, nach Hamburg, nach NRW und nach Baden-Württemberg, haben sich negative Folgen eingestellt. Kein Wunder: Wer, um zu beweisen, dass er es besser kann, erst einmal zerstören muss, was die Vorgänger aufgebaut haben, aber dann nicht die Zeit bekommt, Neues zu errichten und zu etablieren, weil schon der nächste „Umsturz“ vor der Türe steht, wird insgesamt weniger erfolgreich sein, als jene, die über lange Zeit Stein auf Stein setzen können.
  • Die Bayern haben bei der letzten Landtagswahl die CSU in die Schranken gewiesen und sie zur Koalition mit den Freien Wählern gezwungen. Die Corona-Pandemie wird nach meiner Überzeugung auch in Deutschland für beendet erklärt werden, bevor diese bayerische Legislatur zu Ende ist. Warum sollen wir das Ende der Legislatur nicht abwarten, um erneut mit dem Stimmzettel zu erkennen zu geben, ob wir nach fünf Jahren unter dem Strich – und unter Bezug auf alle Politikfelder – mit dem Regierungshandeln und der Parlamentsarbeit zufrieden waren oder nicht.

Mit besten Grüßen

Egon W. Kreutzer

Herr H. hat sich dann bei mir für diese Stellungnahme bedankt, und noch einmal gefragt: Aber warum wollen Sie diese Einschätzung nicht auf Ihrer Homepage veröffentlichen?

„Nun gut“, habe ich mir gedacht, „ich will kein Spielverderber sein.“

Sollten Sie also in Bayern wahlberechtigt sein, und Lust darauf haben, ganz basisdemokratisch einfach mal Neuwahlen zu erzwingen – mit welchem Beweggrund auch immmer – dann ist ab dem 14. Oktober Gelegenheit, die Gemeindeverwaltung zu stürmen und sich in die Liste der Unterstützer  einzutragen. Personalausweis nicht vergesssen!

Anmerkung:

Dass der Kreisbote von der Partei die Basis berichtet, während ich von der WIRPartei schreibe, liegt daran, dass die WIRPartei den Antrag auf das Volksbegehren eingebracht hat. Wie es aus der Website von „Bündnis Landtag abberufen“ im Impressum klar zum Ausdruck kommt. Ob es sich dabei um die Partei „WIR2020“ oder um die Partei „Wir2020“ handelte, und wie daraus „Die Basis“ geworden ist, konnte ich auf die Schnelle nicht herausfinden.