Entkernte Wörter (1) Verantwortung – speziell politische

Hohl klingt es, wenn Politiker von ihrer großen Verantwortung sprechen, und es nicht mehr zu erkennen ist, wer seine Verantwortung wirklich kennt und sie auch ernst nimmt. Es sind aber beileibe nicht nur Politiker, die gerne ihre Verantwortung herausstellen …

Was ist das eigentlich, Verantwortung?

Lassen Sie uns zunächst drei Arten von Verantwortung unterscheiden:

1. Die übertragene Verantwortung

2. Die auf sich genommene Verantwortung

3. Die strafrechtliche Verantwortung

Die übertragene Verantwortung finden wir in Unterstellungsverhältnissen als die Verantwortung des Untergebenen gegenüber dem Vorgesetzten. Es ist die Verantwortung dafür, eine übertragene Aufgabe vollständig, gewissenhaft und termingerecht zu erledigen. Wir finden diese Verantwortung regelmäßig in Unternehmenshierarchien, aber auch in Vereinen und Parteien. In Wahlämtern ist sie nur noch pervertiert anzutreffen, weil „der Wähler“ nicht in der Lage ist, den einmal ins Amt Gesetzten für sein Handeln auch zur Verantwortung zu ziehen, außer am nächsten Wahltag, und selbst da misslingt dies meistens.

Die auf sich genommene Verantwortung  finden wir meist in persönlichen Beziehungen, wie in Ehe und Familie, aber auch in Freundschaften, Kameradschaften, seltener in Bekanntschaften. Sie kann aber ebenso in Unternehmen und anderen Organisationen vorkommen, ohne dass sie aus einem Unterstellungsverhältnis heraus verpflichtend übertragen worden wäre, und sie findet sich an der Spitze von inhabergeführten Unternehmen als die Verantwortung für das Eigene, die oft auch auf die Mitarbeiter, die Kunden und Lieferanten ausstrahlt.

Die strafrechtliche Verantwortung wird lediglich Straftätern in Form einer Strafe auferlegt. Es handelt sich um eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und dem Rechtsstaat, der sich der Verantwortliche in der Regel zu entziehen versucht, denn die wenigsten Straftäter stellen sich selbst, und es ist eine Verantwortung deren sich der Träger der Verantwortung in vielen Fällen nicht oder nur sehr diffus bewusst ist.

Die strafrechtliche Verantwortung hat mit Verantwortung nur den Namen gemein. Tatsächlich handelt es sich lediglich um eine vom Gericht verhängte Konsequenz für den überführten Straftäter. Nicht überführte Straftäter, und das beweist, dass es sich nicht um Verantwortung im eigentlichen Sinne handelt, werden mit dieser Verantwortung nicht konfrontiert.

Die auf sich genommene Verantwortung ist ebenfalls ein sonderbares Ding. Sie ist im Bereich von Charakter und persönlicher Ehre angesiedelt, sie bezieht sich auf ungefragt freiwillig übernommene Aufgaben, gelegentlich sogar entgegen den Bedürfnissen des „Begünstigten“, sie kann tief  empfunden werden, auch wenn die notwendigen Kompetenzen, der Verantwortung gerecht zu werden, fehlen und damit alle Beteiligten  in die Depression stürzen. Funktioniert hingegen alles im gewünschten Sinne, ist die Gefahr groß, dass die freiwillig übernommene Aufgabe zur unlösbaren Verpflichtung wird, was wiederum zu schweren psychischen Störungen führen kann. Ideal ist die auf sich genommene Verantwortung für jene, die sich ihrer zu rühmen vermögen, ohne ihr auch nur im Geringsten gerecht werden zu wollen.

Die übertragene Verantwortung finden wir in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Sie reicht vom konkreten, quantitativ, qualitativ und terminlich klipp und klar beschriebenen Auftrag, wie zum Beispiel an den Fahrer eines Lieferdienstes, die am Morgen übernommenen Pakete bis zum Abend vollständig zuzustellen, bis hin zur groben Zielvereinbarungen für Führungskräfte, im Laufe des Geschäftsjahres  eine bestimmte Summe oder einen bestimmten Anteil zu Umsatz, Gewinn oder Personalkosteneinsparung beizutragen. Dabei ist die Verantwortung für die Erfüllung einer Aufgabe  stets daran gebunden, dass der Beauftragte über alle zur Erfüllung erforderlichen Kompetenzen verfügt und dass ihm die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Einem Lieferfahrer ohne Führerschein und Fahrpraxis fehlt die Kompetenz, und stellt man ihm kein Fahrzeug zur Verfügung, sind es die fehlenden Ressourcen, die ihn von der Verantwortung freistellen. Bei der Führungskraft, die Umsatz und Gewinn steigern soll, ist es unabdingbar, dass sie z.B. über Werbemaßnahmen frei entscheiden und über einen entsprechenden Etat verfügen kann.

Passen Aufgabe und Kompetenz so zusammen, dass sich daraus die Verantwortung ergibt, wird die Erfüllung der gestellten Aufgabe erwartet und als „normal“ angesehen. Der Beauftragte ist seiner Verantwortung gerecht geworden.

Eine Übererfüllung bewegt sich bereits außerhalb des Verantwortungsbegriffs. Wenn darauf Lob, Gehaltserhöhngen oder Boni-Zahlungen folgen, hat das mit der Verantwortung nichts zu tun. Das ist eine ganz andere Baustelle.

Wird die Aufgabe jedoch nicht entsprechend den Vorgaben oder Vereinbarungen erfüllt, ist der Beauftragte seiner Verantwortung nicht gerecht geworden.

Dann zu behaupten: „Ich übernehme die Verantwortung für diese Fehlleistung“, ist nur ein dummer Spruch.

Der Beauftragte hatte die Verantwortung.

Er ist ihr nicht gerecht geworden.

Welche Verantwortung will er nun noch übernehmen?

Auch wenn ein Vorgesetzer erklärt, er übernähme die Verantwortung für das Versagen seiner Mitarbeiter, dann ist das ebenfalls ein dummer Spruch. Es ist anzunehmen, dass ihm die Verantwortung für die Ergebnisse seiner Mitarbeiter übertragen worden war. Er ist dieser Verantwortung nicht gerecht geworden. Er kann sie nicht nachträglich übernehmen, als hätte er sie nie zu tragen gehabt.

Die übertragene Verantwortung ist ein Vertragsverhältnis, bei dem Leistung und Gegenleistung vertragsgemäß erbracht werden müssen. Bei Nichterfüllung sind die für diesen Fall getroffenen vertraglichen Vereinbarungen anzuwenden, die in der Regel den Schaden des Auftraggebers zu Lasten des Auftragnehmers kompensieren sollen.

Damit wird deutlich, dass die übertragene Verantwortung eine schuldrechtliche Leistungsverpflichtung darstellt, deren Nichterfüllung zu schuldrechtlichen Konsequenzen führt. Näheres findet sich im BGB ab §241.

 

Nach diesen Vorüberlegungen ist es möglich, mit einigen gezielten Fragen zum Kern politischer Veranwortung vorzudringen.

1. Besteht zwischen führenden Regierungspolitikern und dem Souverän als Auftraggeber eine überprüfbar dokumentierte, schuldrechtliche Leistungsverpflichtung?

Dies kann nicht erkannt werden. Die Formel „Regiert uns, dann zahlen wir Steuern“, ist viel zu unbestimmt, um daraus gegenseitige Ansprüche und die daraus resultierende Verantwortung ableiten zu können.

Es sieht stattdessen so aus, dass es keine konkrete Aufgabenstellung gibt, sondern Regierende tun und lassen können, was sie für richtig halten, was deswegen nicht falsch sein muss, aber eben auch nicht der Aufgabenstellung entsprechen kann, weil es die einfach nicht gibt. Obwohl es keine überprüfbare Aufgabenstellung gibt, weshalb es auch keine Verantwortung für deren Erfüllung gibt, verfügen Regierungspolitiker über nahezu unbegrenzte Entscheidungsfreiheit und sind in der Lage, nahezu unbegrenzte Ressourcen zur Erledigung der von ihnen in Angriff genommenen Vorhaben zu Lasten der Auftraggeber zu mobilisieren.

2. Verfügen Regierungspolitiker über die im Rahmen des Auftrags erforderlichen Kompetenzen?

Hier gilt es zu unterscheiden zwischen der übertragenen Kompetenz, also der „Erlaubnis“ etwas zu tun, und der persönlichen Kompetenz, also den notwendigen persönlichen Voraussetzungen, um die Aufgabe erfüllen zu können. Die Übertragung der Kompetenz kann als gegeben angenommen werden, weil Demokratie und Wahlrecht genügen, dem Kanzler oder dem Minister die Kompetenz, zu tun, was erforderlich ist, zu übertragen. Übertragen auf den Lieferwagenfahrer wäre das der Führerschein, der ohne mündliche und praktische Prüfung ausgestellt wurde, bzw. die Erlaubnis, das Fahrzeug zu lenken, obwohl der Auftraggeber weiß, dass der Fahrer weder über den Führerschein noch über sonstwie erworbene Fahrpraxis verfügt. Ob der Minister  mit dem Fahrzeug unfallfrei zurechtkommt, hängt vom Maß der von ihm mitgebrachten persönlichen Kompetenz ab.

Auf den Punkt gebracht: Er muss nichts können, darf aber  alles.

Je weniger Fachkompetenz das Regierungsmitglied mitbringt, desto mehr schwindet die Verantwortung des Regierungsmitglieds, während die  ursprüngliche Verantwortung des Auftraggebers wieder wächst, denn es wäre seine Verantwortung gewesen, kompetente Politiker mit der Aufgabe zu beauftragen.

3. Handelt es bei der Verantwortung von Regierungspolitikern um die „auf sich genommene“?

Geht leider nicht. Politische Verantwortung kann nur der haben, dem sie übertragen worden ist. Auf sich genommene Verantwortung kann dabei zusätzlich gegeben sein, begründet für sich aber keine politische Verantwortung.

4. Sind Regierungspolitiker für Regierungshanden strafrechtlich  verantwortlich?

Nur, wenn ihr Handeln außerhalb ihrer Aufgabe liegt, die jedoch nicht so beschrieben ist, dass man das ohne Weiteres erkennen könnte, nur wenn dieses Handeln auch gesetzlich verboten ist, und nur, wenn sie nicht als Abgeordnete Immunität genießen oder diese aufgehoben wird.

Fazit

Für Regierungsmitglieder gilt:

Sie dürfen alles.
Den Mitgliedern einer Regierung werden alle im Rahmen der Bestimmungen des Grundgesetzes ausübbaren Kompetenzen übertragen.

Sie müssen nichts.
Regierungsmitglieder entscheiden einzeln oder gemeinsam nach eigenen Prioritäten, was sie tun und was nicht.

Wer alles darf und zu nichts verpflichtet ist, bewegt sich in einem Raum, in dem der Begriff Verantwortung zur Absurdität verkommt.

 

Anmerkung:

Formal richtig ist, dass die Wahlberechtigten das Parlament wählen und diesem die Verantwortung übertragen. Das Parlament ist der Ort, an dem versucht wird, den „Wählerauftrag“ zu entdecken. Der Wählerauftrag gilt als entdeckt, sobald es einer Mehrheit gelungen ist, sich einen Kanzler zu wählen. Damit überträgt die Parlamentsmehrheit ihre Verantwortung auf den Kanzler. Es ist jedoch nicht, wie bei der klassischen „übertragenen Verantwortung“ so, dass der Auftraggeber, also die Parlamentsmehrheit, die Regierung kontrolliert, woraus sich zumindest eine Verantwortung des Kanzlers gegenüber seiner Kanzlermehrheit ableiten ließe, sondern so, dass die Spitzen der Regierungsparteien das Verhalten ihrer Fraktionen im Parlament bestimmen, was darauf hinausläuft, dass der einfache Abgeordnete mit der Aufgabe betraut wird, seine Abstimmungskompetenz im Bundestag wahrzunehmen, um der Regierung zum Abstimmungserfolg zu verhelfen. Hier wird tatsächlich ein Stück Verantwortung sichtbar, nämlich die dem Abgeordneten von seiner Partei übertragene Verantwortung, stets „richtig“ abzustimmen, wobei der Listenplatz  die Gegenleistung ist, die entzogen werden kann, wenn der Abgeordnete dieser Verantwortung nicht gerecht wird. Da die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nur ihrem Gewissen unterworfen und an Weisungen und Aufträge nicht gebunden sind, lässt sich an diesem Prozedere nichts ändern, dessen Ergebnis lautet: Sie dürfen alles, müssen nichts, und sind niemanden verantwortlich.

Anmerkung 2:

Der vorstehende Text, einschließlich Anmerkung 1, bestätigt mit der Aussage „Die Regierung darf alles, muss nichts, und ist niemandem verantwortlich“ausdrücklich und uneingeschränkt die Legitimität der Regierung und ihres Handelns und Unterlassens. Um diese Regierung, also einige der Repräsentanten des Staates, zu delegitimieren, fehlt es – wie aus dem vorstehenden Text hervorgeht – an rechtlichen Möglichkeiten. Selbst die Ablösung einer Regierung durch Wahlen ändert nichts an der Legitimität der abgelösten Regierung. Wie es möglich sein soll, durch eine Meinungsäußerung gleich den Staat und/oder seine Repräsentanten in verfassungsschutzrelevanter Weise zu delegitimieren, ist mir unverständlich. Die legitime Existenz eines Staates ist eine völkerrechtliche Kategorie, die seit der Gründung der Vereinten Nationen (und dem Beitritt der einzelnen Staaten) lediglich von der Vollversammlung der UNO anerkannt oder abgelehnt werden kann. Die Delegitimierung eines Staates durch Hinz oder Kunz ist ein Ding der Unmöglichkeit, es sein denn, eine Regierung, die alles darf, stellt im Rahmen eines Verfassungsschutz-Relevanz-Gleichstellungs-Gesetzes fest, dass auch Irrelevantes relevant und Relevantes irrelevant ist, wenn das Irrelevante oder das Relevante so gelesen sein will.