Demokratie und Wahlrecht – Tendenz zum Wahlbetrug

Soveräne in der Zirkuskuppel - ratlos

Beginnen wir, der unverdächtigen Ferne wegen, mit Compañero Maduro.

„Klarer Wahlsieger!“, jubeln seine Anhänger, „himmelschreiender Betrug!“, giften seine Gegner. Die internationale regelbasierte Gemeinschaft bringt ihre schon immer gehegten Zweifel zum Vortrag, während alle anderen ihre Glückwünsche entsenden.

Damit ist die Fortsetzung der Regentschaft Maduros den notwendigen demokratischen Weihen unterzogen worden. Wie die Venezolaner wirklich gewählt haben, wird nie mehr herauszufinden sein. Die Wahlmaschinen haben zwar für jede abgegebene Stimme eine Quittung ausgedruckt, die zum Zwecke einer eventuell erforderlich werdenden Nachzählung in Urnen gesteckt wurden, doch ob die eine Urne, die in einen Lagerraum hineingebracht wurde, tatsächlich identisch mit jener ist, die zur Nachzählung wieder herausgeholt wird – wer weiß das schon?

Das ist das Problem mit der geheimen Wahl:
Das Ergebnis ist nicht überprüfbar.

Der Deutsche Bundestag kennt daher bei besonders wichtigen Entscheidungen das Prinzip der namentlichen Abstimmung.

Das Prinzip der „geheimen Wahlen“ soll Wähler davor schützen, wegen einer – von wem auch immer – unerwünschten Wahlentscheidung, sanktioniert zu werden, und damit gewährleisten, dass jeder das wählt, was er wirklich wählen will.

Bei diesem Gedanken sollten wir einen Augenblick verweilen.

Welches Demokratieverständnis muss in einem Land herrschen, wenn angenommen wird, es gäbe Kräfte, denen es gelingen könnte, Wähler in wahlentscheidendem Umfang unter Druck zu setzen, bestimmte Parteien oder Personen zu wählen, bzw. nicht zu wählen?

Da wird doch unterstellt, dass da „Mächte“ agieren, die in der Lage sind, „Fehlverhalten“ an der Wahlurne mit empfindlichen Übeln zu sanktionieren. Gleichzeitig wird unterstellt, den Wählern fehle der Mut, sich offen gegen diese Mächte zu stellen. Beides mag zutreffen. Doch wenn beides zutrifft, dann  kann doch von Demokratie nicht mehr die Rede sein, dann sind doch die Mächtigen nicht gewillt, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren, während die Wähler nicht bereit sind, für ihre Wahl einzustehen.

 

In den USA taucht gerade ein anderes Phänomen auf. Mit dem Rücktritt von Joe Biden von seiner Kandidatur und der Aufstellung der fröhlichen Kamala als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, bricht – so sprach jedenfalls der Bayerische Rundfunkt heute Morgen gegen halb neun zu mir – der gesamte Wahlkampf der Republikaner in sich zusammen, und zwar so gründlich, dass Trump sogar verzweifelt versucht, seinen Vize Vance wieder loszuwerden, dessen Pro-Familie und Pro-Kinder Statements das richtige Mittel gegen Biden gewesen sein mögen, aber als das falsche Mittel gegen Harris  angesehen werden.

Nun ist es in den USA kein so großes Geheimnis, wer wen  wählen wird, weil  schon das Instrument der Vorwahlen erfordert, dass sich der Wähler bei der Registrierung für eine Partei ausgesprochen hat, um daran teilnehmen zu können. Die Angst vor empfindlichen Übeln bei falscher Wahlentscheidung scheint da nicht so verbreitet aufzutreten. Dies liegt auch am Wahlsystem. Es geht ja nur darum, einen Staat zu gewinnen. Unter den Bundesstaaten der USA gibt es wiederum zwei Sorten, nämlich jene, in denen  regelmäßig die gleiche Partei die Stimmen der Wahlmänner gewinnt, und jene, bei denen die Stimmung häufig wechselt. Letztere, die sogenannten „Swing-States“, sind letztlich wahlentscheidend. Folglich konzentrieren sich die Wahlkampfanstrengung darauf, diese (wenigen) Wähler zu beeindrucken, und dabei werden die hochzuhaltenden Werte schon einmal kräftig  durcheinander gewirbelt.

Vergleicht man die Kommentierung der soeben erfolgten Wahl Maduros mit der Kommentierung der Wahl Joe Bidens vor vier Jahren, ähneln  sich die Bilder doch sehr.

„Klarer Wahlsieger!“, jubeln die Anhänger, „himmelschreiender Betrug!“, giften die Gegner. Die internationale regelbasierte Gemeinschaft bringt ihre schon immer gehegten Zweifel zum Vortrag, während alle anderen ihre Glückwünsche entsenden – oder eben umgekehrt.

Am Ende findet sich immer jemand, der die Debatte mit einem Machtwort  beendet und die Wahl für gültig erklärt. Das geht gar nicht anders, weil sonst die Demokratie einen irreparablen Schaden erleiden würde.

Deutschland hat, in musterknäblicher Manier, immer noch keine Wahlmaschinen im Einsatz, verhält sich bei der Herausgabe von Briefwahlunterlagen ausgesprochen bürokratisch-pingelig und lässt obendrein zu, dass jeder Interessierte die öffentliche Auszählung beobachten kann, solange er dabei nicht stört.

Da fehlen doch einige der zweckdienlichen Mittel, die sich anderswo bewährt haben, um aus geheimen Wahlen einen überraschenden Wahlsieger hervorgehen zu lassen.

Die Ampel hat es gewagt, die schon lange angemahnte Wahlrechtsreform endlich in vermeintlich trockene Tücher zu wickeln. Das Verfassungsgericht, das sich mit dem neuen Wahlrecht zu befassen hatte, stand den Veränderungen nicht wirklich abgeneigt gegenüber.

Dass die Stimmen für „gesichtslos-anonyme“ Parteilisten höher gewichtet werden, als die Stimmen für im Wahlkreis mehrheitlich gewählte „Persönlichkeiten“, mag darauf zurückzuführen sein, dass die Urheber der Wahlrechtsreform erkannten, dass nicht unbedingt jede Partei so viele Persönlichkeiten vorzuweisen hat, wie Zweitstimmenkandidaten auf der Liste.

Dass das Verfassungsgericht dazu die schon recht abseitige Erklärung gefunden hat, die Direktkandidaten hätten schließlich nicht ihren Wahlkreis, sondern das gesamte Volk zu vertreten, ist m.E. eine Erkenntnis, die – nähme man sie ernst – die sofortige Abschaffung der Direktmandate zur Folge haben müsste, und damit die Überführung des deutschen Wahlrechts in ein klassisches Verhältniswahlrecht. Doch die Würfel sind gefallen. Die Regelung hat den Segen des Verfassungsgerichts  erhalten.

Die darüber hinausgehenden Anstrengungen der Ampel, über eine Veränderung des Wahlrechts zu veränderten Wahlergebnissen zu gelangen, wurden vom Verfassungsgericht jedoch an der Stelle nicht gebilligt, wo es den gesetzgebenden Koaltionären hätte gelingen können, die gesamte CSU (und die LINKE) vollständig aus dem Bundestag zu werfen, womit es auch keine gemeinsame Unionsfraktion, sondern nur noch eine CDU-Fraktion geben würde, die immer mindestens einen Koalitionspartner bräuchte, um regieren zu können.

Was mag das Verfassungsgericht zu dieser Ablehnung bewogen haben?

Dass Markus Söder mit fünf Bataillonen Gebirgsschützen losziehen würde, um den Reichstag zu stürmen, ist nicht zu befürchten. Daran ist – mahnendes Beispiel – schon Heinrich  XIII. Prinz Reuss gescheitert. Dass sich irgendwo im Bunde außerhalb Bayerns ein Politiker finden würde, der die CSU lautstark bedauert und Stimmung gegen die Wahlgewinner macht, ist ebenfalls unwahrscheinlich.

Es bleibt nur eine Erklärung übrig, die ich irgendwo schon einmal gehört habe. Eine Erklärung, die selbstverständlich vor allem und zuerst für das Wahlrecht und daran vorgenommene Veränderungen gelten sollte:

Auch wenn wir letztlich alles in der Hand haben:

Es muss demokratisch aussehen.

(Und, eines dürfte klar  sein: So viel Diskontinuität beim Wahlergebnis wäre für jeden wahren Demokraten eine unerträgliche Zumutung, nicht geringer als ein völlig unerwarteter Zinsschritt der EZB um 4,9 Prozent.)