Zu viel Klimawandel – zu wenig Corona-Tote

PaD 34 /2020 Zu viel Klimawandel – zu wenig Corona-Tote 
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Die neue deutsche Streitlust

Im Gegensatz zu einer großen Zahl von Menschen, die stets alles Mögliche zu wissen glauben, obwohl sich vieles von diesem Wissen bei näherer Betrachtung nur als eine von irgendwem übernommene Meinung herausstellt, war Sokrates weise genug, von sich zu behaupten: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ (Nicht  „nichts“, sondern „nicht“)

Damit wollte der Philosoph, der sehr viel wusste, sein Wissen nicht verleugnen, sondern zum Ausdruck bringen, dass „Wissen“ immer nur etwas Behelfsmäßiges sein kann, mit dem versucht werden muss, sich in der Welt solange zurechtzufinden, bis neue Erkenntnisse bestehendes Wissen ergänzen, verändern, oder gar als Irrtum erscheinen lassen, bis später wiederum neue Erkenntnisse auch an diesem Wissen rütteln und mit neuen Beweisen überzeugen.

Das ist das Wesen der Wissenschaft. Es ist das Wesen der Forschung, der Entdeckungen, des Fortschritts.
Dazu gehören unabdingbar
die Vermutung, der Zweifel, das Forschen und Nachforschen, schließlich die Kritik – und ganz zuletzt die – dem Stand der Kunst entsprechende – Gewissheit.
Doch solche Gewissheit ist deshalb noch nicht Allgemeingut. Erst auf dem Wege des geduldigen Darlegens, des Bestehens hitziger Diskussionen, der überprüfbaren Beweisführungen, gelingt es, zu überzeugen und einer neuen Erkenntnis sowohl in der Fachwelt, als auch unter den Laien zur Anerkennung zu verhelfen.

Von diesem Prozess des Vermittelns, des Zweifelns und schlussendlichem Verstehens ist nicht mehr viel übrig. 

Das hat vor allem gesellschaftliche Ursachen. Die festen und Sicherheit gebenden Bindungen innerhalb der Gesellschaft, wie sie einst von den Kirchen, von Zünften, von Parteien und Vereinen angeboten und zur Verfügung gestellt wurden, sind im Zuge einer massiven Individualisierung,

die sich in Einzelkindern und Alleinerziehenden ebenso offenbart, wie im hohen Anteil der Single-Haushalte und den überall zu beobachtenden, quasi autistisch ins Smartphone-Wischen versunkenen Zeitgenossen,

weitgehend verloren gegangen. Damit sind Vergleichsmöglichkeiten verschwunden. Das weitgehend isolierte Individuum nimmt zwangsläufig narzisstische Züge an und nähert sich im eigenen Selbstverständnis jener Unfehlbarkeit an, die einst nur dem jeweiligen Papst zugestanden wurde.

Damit verbunden ist zwangsläufig ein tiefes und mit panischer Angst verbundenes Misstrauen gegenüber allen, deren Vermutungen, Folgerungen, oder gar expliziten Meinungen oder – am schlimmsten – „Überzeugungen“ an der eigenen Unfehlbarkeit rütteln. Statt sich auf diese „Anderen“ einzulassen, ihnen auch nur einen Augenblick kritisch interessiert zuzuhören, werden sie ins eigene Feindbild integriert und unter Generalverdacht gestellt, etwas nicht konkret zu Bezeichnendes, aber jedenfalls ganz, ganz Fürchterliches im Schilde zu führen.

Meine Großmutter, die ich nie kennenlernte, ist gestorben als mein Vater noch nicht zehn Jahre alt war, weil die antibiotische Wirkung des Penicillins gerade erst entdeckt wurde als sie von der Tuberkulose dahingerafft wurde. Ich habe nie davon gehört, dass es in der deutschen Bevölkerung in den ersten Jahren nach 1945 Aufstände gegen den Einsatz von Penicillin gegeben hätte. Im Gegenteil: Man bemühte sich nach Kräften – meist allerdings vergebens – über Kontakte zu den amerikanischen Besatzern, an das lebensrettende Medikament zu kommen.

Ich selbst wäre seit sechzig Jahren tot, gestorben an einem Blinddarmdurchbruch, wäre die Medizin nicht in der Lage gewesen, die Symptome eines hochgradig entzündeten Blinddarms richtig zu deuten und diesen mit erprobten chirurgischen Mitteln zu entfernen. Das fand allerdings noch unter Äthernarkose statt, was sich im Augenblick des Wegtretens eher anfühlte wie ein Schlag mit Holzhammer, und nach dem Erwachen erst recht nicht lustig war, weil der Narkose ein lange anhaltender, heftiger, nicht zu unterdrückender Brechreiz folgte, was für die gerade frisch vernähte OP-Wunde wiederum eine starke Belastung darstellte.

Es gab in meinem späteren Leben noch einige Vollnarkosen. Im Vergleich zur Äthernarkose war das nur noch wie einschlafen und wieder aufwachen.

Haben Sie je davon gehört, dass es bei der Weiterentwicklung der Anästhesie einmal eine große öffentliche Diskussion um Nutzen und Risiken gegeben hat, oder dass sich aufgebrachte Bürger zu Tausenden zu Demonstrationen gegen neu entwickelte Narkotika zusammenfanden? Ich nicht.

In den fünfziger und sechziger Jahren gab es in jeder größeren Kommune mindestens ein Kind mit einem auffallend dünnen Arm oder Bein. Die Erwachsenen tuschelten hinter vorgehaltener Hand: „Das arme Mädchen. Kinderlähmung. Wird nie ein richtiges Leben führen können.“ Ab 1962 wurde in der BRD mit großem Werbeaufwand für die Polio-Schluckimpfung getrommelt. Es gab vereinzelte Stimmen, die vor den Gefahren der Schluckimpfung warnten, aber am Ende gab es kaum jemand, der sich weigerte, sich, bzw. seine Kinder impfen zu lassen. Der letzte in Deutschland aufgetretene Fall einer durch „Wildviren“ ausgelösten Poliomyelitis datiert aus dem Jahr 1990. 1992 wurden in Deutschland zwei aus dem Ausland eingeschleppte Fälle gemeldet – und, Nebenwirkung: Es gab einige wenige Fälle von Poliomyelitis, die auf die zur Impfung verwendeten Virenstämme zurückgeführt werden mussten.

Dass auch gegen die Polioschutzimpfung nicht Tausende protestierend auf die Straßen gingen, muss ich hier erwähnen, weil viele der heute Lebenden  keine eigene Erinnerung an die 1960er Jahre haben.

Mir stellt sich nun die Frage: „Warum war in der Vergangenheit nicht jeder medizinische Fortschritt ein Anlass für wütende Proteste?“

Ich unterstelle, dass der Unterschied im Wissens- und Erkenntnisstand zwischen den damaligen Experten der jeweiligen Fachgebiete und dem Wissens- und Erkenntnisstand der interessierten Bevölkerung mit hinlänglichem bis ausgezeichnetem Allgemeinwissen sich zwischenzeitlich nicht wesentlich verändert hat, wenn auch die PISA-Studien zur Vermutung Anlass geben, der Abstand könnte sich inzwischen sogar vergrößert haben.

Damit unterstelle ich auch, dass die Laien von dem, was die Experten „wissen“, auch heute nur einen oberflächlichen Ausschnitt überhaupt kennen können, ohne in der Lage zu sein, mit ihrem Wissen und Können eine tiefergehende Beschäftigung mit der Materie überhaupt aufzunehmen, geschweige denn in wenigen Tagen oder Wochen auf Augenhöhe in eine Fachdiskussion mit den Experten einsteigen zu können.

Dennoch halten sich immer mehr Menschen für Experten – und es gehen immer mehr Menschen demonstrieren. Wie hat das angefangen?

Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts entstanden die Studenten-Unruhen. Die Generation der so genannten 68er, noch während des Krieges oder gleich nach dem Krieg geboren, begann zu denken. Denkhilfe, mit Geld  und guten Worten, und wohl auch etlichen kostenlosen Exemplaren der Schriften von Marx und Lenin, leistete damals, angeleitet von den Ideologen im Kreml, die DDR. (Das bitte im Hinterkopf behalten.)

Herausgekommen ist zunächst der Protest gegen jene, die ihre im Dritten Reich begonnene Karriere in der neuen Bundesrepublik ohne größere Brüche fortsetzen konnten, verbunden mit dem Protest gegen vermeintlich überkommene, bzw. aus dem Dritten Reich übernommene Moralvorstellungen und Sekundärtugenden. Hinzu kam der Protest gegen den Kapitalismus im Allgemeinen, der Hass auf die Repräsentanten des kapitalistischen Systems, sowie der Protest gegen Schah Reza Pahlavi, der zum falschen Zeitpunkt Deutschland besuchte und sich – schon wegen des Pfauenthrons – ausgezeichnet  zum Feind- und Neidbild aufbauen ließ.

Dieser Protest richtete sich grundsätzlich gegen das westliche System und suchte im Kommunismus, vor allem auch im Kommunismus Mao tse Tungs nach Rezepten für Friede-Freude-Eierkuchen, weil Einigkeit und Recht und Freiheit eben schon in den Anfängen der so genannten*) „Studentenbewegung“ Aspekte des Systems waren, dass es zu überwinden galt.

*) Soweit ich weiß, war nicht nur Joschka mit der Dachlatte kein Student.

Anzumerken ist: Die Studenten-Unruhen waren kein Protest gegen Veränderungen, kein Protest gegen Neues, kein Protest gegen vermeintlich gefährliche Wissenschaft, sondern ein Protest gegen das Bestehende, mit dem Ziel, „das System“ zu zerstören und auf den Ruinen, in experimentellem Vorgehen, in Versuch und Irrtum, Neues entstehen zu lassen.

Es folgten die großen, schon weit über die Studentenschaft hinausreichenden Demonstrationen gegen die Startbahn West in Frankfurt, die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und den NATO Doppelbeschluss zur Nachrüstung per Stationierung von Pershing II Raketen. Die Hauptkräfte dieses Widerstandes waren in den Gewerkschaften und in der SPD beheimatet, linke Splittergruppen, wie die KPDML, spielten zwar mit, aber für die Widerstandsbewegung keine Rolle. Die rollte von alleine.

Anzumerken hierbei: Zur Mobilisierung der mitmarschierenden und menschenkettenbildenden und Kerzen entzündenden Bevölkerung außerhalb der Initiatoren diente die leicht weckbare Angst vor den Gefahren des Umgangs mit spaltbarem Material, vor den Gefahren eines Kriegs mit der Sowjetunion und vor der Zunahme des Fluglärms im Großraum Frankfurt. Hier ging es um die Verhinderung von Veränderungen – und erstmals standen sich tatsächliche Experten- und Toskanaurlauber, Forschungsinstitute und Stuhlkreisbildnerinnen, Außen-, bwz. Verteidigungspolitiker und lupenreine Pazifisten gegenüber. Der Wissens- und Erkenntnis-Gap erwies sich als unüberwindbar. Die Allgemeingebildeten wollten den Experten nicht folgen. Die Experten wollten sich von den Argumenten der Demonstranten nicht beeindrucken lassen. Unter diesen Umständen muss sich in der Politik die Erkenntnis endgültig durchgesetzt haben, dass Demonstranten für Politik und Wirtschaft gefährlich werden, dass sie den von den Entscheidern für richtig gehaltenen Argumenten niemals folgen werden, so dass sie im Grunde nur mit Gewalt kleingehalten werden können und müssen. Der Zusammenprall von Sachargumenten und emotional begründeten Ängsten förderte die Beschaffung von Wasserwerfern und Kampfmonturen für die Polizei. Der politische Wille räumte – wörtlich – die außerparlamentarische Opposition von der Straße.

Von Wackersdorf hat man nicht wegen der Proteste, sondern aus wirtschaftlichen Gründen abgelassen, die Startbahn West und die Nachrüstung hat man durchgesetzt, und als vollendete Tatsachen geschaffen waren, glätteten sich die Wogen der Volksseele wieder.

Im nächsten Anlauf ging es wieder gegen das Bestehende. Aus der linken Masse heraus hatten sich die Grünen zusammengefunden, weil sie erkannten, dass sich auch in Deutschland ein Rückhalt in der Bevölkerung finden lässt, wenn man nur – auf dem sprachlichen Niveau der Masse – in der Lage ist, Gefahren aufzuzeigen und damit Ängste zu schüren. Dabei ging es nicht mehr um die Vernichtung des Kapitalismus, sondern um seine Einhegung, um die Einschränkung des Ressourcenverbrauchs, letztlich auch um ein bisschen Verteilungsgerechtigkeit, die man auch außerhalb der nur aufs Materielle abzielenden Lohnkämpfe von SPD und Gewerkschaften, schon damals im Sinne einer Art Umwelt-Generationengerechtigkeit herstellen wollte.  Saurer Regen und Waldsterben, sowie das Blei im Benzin waren ihre ersten Angriffsziele, als sie noch Babys stillend und Pullover strickend damit begannen, erste Plätze in den Parlamenten einzunehmen. Die Altparteien beeilten sich, die Positionen zu übernehmen, setzten sich für Rauchgasentschwefelung und bleifreie Kraftstoffe ein, mühten sich, kranke Bäume schneller aus den Wäldern zu holen als Neuerkrankte sichtbar werden konnten, aber die Grünen rechneten sich das alles als Erfolg an, zogen in die Landtage und in den Bundestag ein. 

Die Zirkus-Artisten von Greenpeace begannen ihre spektakulären Plakataufhängungsaktionen an den unzugänglichsten Stellen der Republik, und „Grün-Sein“ wurde zur Voraussetzung, noch als gesellschaftlich relevant angesehen zu werden und überhaupt mitreden zu dürfen. Wirklich große Demonstrationen gab es dabei nicht, mehr punktuelle Aktionen, vorgetragen von einer relativ kleinen Zahl von Protagonisten, die jedoch durch ihren „parlamentarischen Arm“ genügend Druck auf die Altparteien ausüben konnten, mit Hinblick auf die jeweils nächsten Wahlen immer mehr grüne Positionen zu übernehmen. Dies war aus meiner Sicht eine positive Phase, weil der Hinweis auf tatsächlich bestehende Probleme zu vernünftigen Reaktionen bei den Verantwortlichen führte.

In den Demonstrationen und Mahnwachen gegen Stuttgart 21 war dieser positive und noch stärker auf Dialog und Kompromiss angelegte Ansatz noch einmal zu erkennen . Rein bürgerlicher, ja im besten Sinne „konservativer“ Widerstand gegen ein lokales Vorhaben, ohne den Anspruch, mit der Verhinderung des Tiefbahnhofs auch gleich den Systemwechsel erzwingen zu wollen. Heiner Geisler musste reaktiviert werden, um zwischen Bahn und Demonstranten zu vermitteln. Es wurden in großen öffentlichen Veranstaltungen Argumente ausgetauscht, von denen wir heute wissen, dass die von den S21 Gegnern vorgetragenen Fakten und Schlussfolgerungen fundierter und weitsichtiger waren, als das, was die Experten der Bahn vorgetragen haben, bzw. vortragen mussten, um ihren Plan zu retten.

Zwischendurch erschütterte Tschernobyl die Welt und die Produzenten der „Atomkraft, nein danke“-Sticker konnten sich vor Aufträgen nicht mehr retten. Demonstrationen gegen die Energiepolitik der Regierung brandeten auf und führten – in der Hoffnung auf Wählerstimmen – zum ersten rot-grünen Ausstiegsbeschluss mit Restlaufzeiten von bis zu 32 Jahren.

Dann kam Merkel – und mit ihr drehten sich die Vorzeichen um.

Ende des Jahres 2010 machte die schwarz-gelbe Koalition unter Merkel den Ausstiegsbeschluss rückgängig. Die vorher begrenzten Laufzeiten der Atommeiler wurden – über alles gesehen – um 12 Jahre verlängert. Damit war der Ausstieg aus dem Ausstieg vollzogen.

Nur ein halbes Jahr später setzte sich Merkel an die Spitze der durch Fukushima neu aufgeflammten Anti-Atomkraftbewegung, nahm damit den Grünen viel Wind aus den Segeln und verordnete im alternativlosen Alleingang den beschleunigten Ausstieg bis Ende 2022.

Seither lässt sich (innen-) politisches Agieren in Deutschland mit der alternativlosen „Alles-und-zwar-sofort-Mentalität“  vom Agieren demonstrierender Massen, die auch immer alles, und zwar sofort, haben wollen, nicht mehr unterscheiden.

Unterschiede gibt es nur noch in den beiden aktuell zu beobachtenden Szenarien:
(Genderismus, Rassismus und die Migrationsthematik spielen zwar auch eine Rolle,
sind in Für und Wider auf der Straße aber längst nicht so präsent.)

A) Klimapolitik

Regierung und Demonstranten ziehen am gleichen Strick in die gleiche Richtung, was es der Regierung erlaubt, schneller voranzugehen, als dies bei einer vernünftigen, sachlichen und nach Alternativen suchenden Vorgehensweise möglich wäre.

B) Corona-Maßnahmen

Regierung und Demonstranten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die Regierung zeigt Härte, die gelegentlich wie ein boshaftes „Nun-erst-recht“ wirkt, und lässt es zu, dass aus der zweiten Reihe und in den Medien Stimmen laut, werden, die den Demonstranten das Recht auf Versammlungsfreiheit absprechen.

In beiden Fällen handelt es sich um komplexe Probleme, um so komplexe Probleme, dass kein einziges Regierungsmitglied, aber auch kein einziger mitlaufender Demonstrant die Zusammenhänge und Wechselwirkungen durchdringen und verstehen kann.

Klima, als die summarische Betrachtung der Erscheinungsformen des chaotischen Systems „Wetter“, ist selbst für die mächtigsten Supercomputer nicht vorhersagbar. Es können immer nur „Modelle“ – also stark vereinfachte Abbildungen der Realität – berechnet werden, die bisher – soweit der Vorhersagehorizont schon in die Gegenwart gerutscht ist – ausnahmslos falsche Vorhersagen hervorgebracht haben.

Covid 19 (Corona) ist eine Viruserkrankung deren wissenschaftliche Erforschung gerade erst begonnen hat. Außer der Tatsache, dass die Übertragung von Mensch zu Mensch möglich ist, ist eigentlich noch nichts klar.

In beiden Fällen sind Bruchstücke der wissenschaftlichen Diskussion von den Laien in den Ministersesseln und von den Laien auf den Straßen aufgegriffen worden und werden, so einseitig wie irgend möglich, eingesetzt, um die Gegenseite zum finsteren Feindbild hochzustilisieren, was längst auch sprachlich mit „Klimahysteriker“ und „Klimaleugner“, bzw.  „Maskenschafe“ und „Covidioten“ massiv abwertend, ja „entehrend“ etikettiert ist.

Ein schweres Kommunikations-Schlamassel!

Die großen Feindbilder haben mit den Sachfragen längst nichts mehr zu tun, sie sind „personalisiert“, zumindest aber gruppenbezogen so weit hochgezogen, dass Klima-Aktivisten und Corona-Maßnahmen-Befürworter auf der einen Seite der Front stehen, während Klimaleugner und Coronaleugner geschlossen auf der anderen Seite stehen. Es ist ausgeschlossen, öffentlich gegen den Klima-Aktivismus aufzutreten und gleichzeitig den Kurs des Gesundheitsministers gutzuheißen. Es ist ebenso ausgeschlossen, mit Greta den sofortigen Kohleausstieg zu fordern, aber gegen die Masken- und Abstandspflicht zu demonstrieren. Wer das wagt, steht plötzlich als armer Irrer alleine da und wird von beiden Seiten beschossen. (Ich weiß, wovon ich spreche.)

Eingangs habe ich in zwei Absätzen versucht zu erklären, dass, und warum die Vereinzelung der Individuen zur Selbstüberschätzung führt, während gleichzeitig ein tiefes und mit panischer Angst verbundenes Misstrauen gegenüber allen entsteht, die es wagen, an der eigenen Unfehlbarkeit zu rütteln.

Erst das Durchlaufen dieses Vereinzelungs-Prozesses macht es jedoch möglich, dass sich die gleichen Individuen, die sich auf Basis bruchstückhafter und weitgehend unverstandener Informationen ihr Bild von der Welt gemacht haben, gegenseitig suchen und finden, um gemeinsam gegen die gefährlichen Widersacher, die sich aus anderen Bruchstücken ein anderes Bild gemacht haben, vorzugehen und sich in ihren neuen, pseudoreligiösen Gruppen Bestätigung zu holen.

Sollten Sie den Hinweis auf die Unterstützung der Studenten-Unruhen durch die DDR bis hierher im Hinterkopf behalten haben, müsste sich spätestens jetzt die Frage einstellen, wer heute, fünfzig Jahre später, ein Interesse an der Spaltung der deutschen Gesellschaft haben könnte und die Aufwiegelung der Massen anheizt. Und selbst wenn es nicht möglich ist, die Strippenzieher zu identifizieren, sollten wir dennoch in unserem ureigensten Interesse versuchen, die Gräben wieder zuzuschütten, Brücken zu bauen, uns zu versöhnen und gemeinsam getragene Lösungen, zur Not auch Kompromisse anzustreben.

Sollten wir nämlich auf dem derzeitigen intellektuellen Niveau noch lange verharren, wird die einzige Chance des unweigerlich auftretenden Diktators, das Land zu befrieden, darin bestehen, alle, die sich der dann gültigen Herrschaftsmeinung nicht widerspruchslos anschließen, physisch wegzusperren oder sie, sollten dafür die Ressourcen nicht ausreichen, gänzlich auszulöschen.  

Eine Gesellschaft, die nicht mehr fähig ist,
mit den Mitteln konstruktiver Kritik den Konsens zu suchen,
wird sich über kurz oder lang selbst paralysieren und
schließlich untergehen.


Es sei denn,

eine der  Streitparteien schafft es,
alle ihre Gegner vollständig zu neutralsieren.

(Hitler, Stalin, Pol Pot, Mao und viele andere haben dieses Vorgehen gewählt.)

 

Alle bereits geschaffenen Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die anlasslose und lückenlose Überwachung der Bürger ermöglichen letztlich,
so gut sie vorher vielleicht auch immer gemeint gewesen sein mögen, den absolut unmerklichen, und daher nicht mehr aufzuhaltenden Übergang in die Regierungsform der klassischen Diktatur. Gerne auch weiterhin mit Wahlen und Parteien.