Wenn die Regierung ein Gesetz beschließt, ist es noch keines.

Ja, ja. Das sind Haarspaltereien.

Wenn die Regierung ein Gesetz beschließt, in dem steht, dass die Steuern für den Agrardiesel erhöht werden, und dass es sofort in Kraft treten soll, dann ist das so. Dann ist das Gesetz in der Welt, und jeder kann sich darauf einrichten. Das nennt man Planungssicherheit.

Planungssicherheit ist, vor allem für die Regierung, die sich mit Hilfe von Addition und Subtraktion abmüht, einen Haushalt aufzustellen, unverzichtbar, und damit ihre Pläne sicher sind, sichert die Regierung ihre Pläne mit Gesetzen ab, an die sie sich allerdings nur so lange zu halten braucht, bis sie die Gesetzeslage ändert.

Ist Ihnen diese Ungeheuerlichkeit nicht nur bekannt, sondern auch in all ihrer Scheußlichkeit bewusst?


 

L’État, c’est moi!

Ludwig der XIV von Frankreich war überzeugt, er sei der Staat, und nichts und niemand sonst. Er sei ausersehen, die Geschicke des Landes und aller seiner Bürger nach seinem Willen zu bestimmen. Eine solche „Willkür-Herrschaft“ wird zwar zumeist sehr negativ konnotiert, muss aber nicht zwangsläufig negativ sein. Es kommt nur darauf an, mit wieviel Weisheit der Herrscher gesegnet ist.

Bevor die Frage der Vor- und Nachteile der Monarchie nun auszuufern droht, soll eine ganz andere Frage beleuchtet werden. Eine Frage, die Sie bitte nicht rundweg als „lächerlich“ zurückweisen sollten. Sie lautet:

Welche Unterschiede gibt es zwischen der Machtfülle eines deutschen Bundeskanzlers und der Machtfülle Ludwig XIV.?

Das ist keine rhetorische Frage. Die Antwort soll nicht lauten: „Da gibt es keine!“ Die Frage soll zu einem Vergleich anregen, soll Übereinstimmungen festzustellen helfen, aber auch die durchaus vorhandenen Unterschiede erkennen lassen.

Weil es um die Machtfülle geht, ist es vielleicht zielführend, zunächst einmal jene Faktoren zu beleuchten, die in beiden Fällen die Machtfülle begrenzen könnten. Der Einfachheit halber sollen hierbei außenpolitische Aspekte ausgeklammert werden. 

In der Monarchie sehen wir das Problem der Machtenfaltung des Monarchen primär in den Konkurrenten um den Thron, die sowohl aus der eigenen, als auch aus den anderen im Lande existierenden Dynastien erwachsen können. Die Kunst des Monarchen besteht darin, deren Begierden mit materiellen Zuwendungen zu befriedigen und sie damit in Abhängigkeiten zu verstricken, und Konkurrenten, die sich damit nicht abspeisen lassen wollen, unschädlich zu machen.

In der Bundesrepublik Deutschland sehen wir das Problem der Machtentfaltung des Bundeskanzlers primär in den Konkurrenten um das Amt, die sowohl aus der eigenen, als auch aus den anderen im Lande existierenden Parteien erwachsen können. Die Kunst des Bundeskanzlers besteht darin, deren Begierden mit materiellen Zuwendungen zu befriedigen und sie damit in Abhängigkeiten zu verstricken, und Konkurrenten, die sich damit nicht abspeisen lassen wollen, unschädlich zu machen.

Diese beiden Erkenntnisse lassen sich leicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen, mit dem sich zudem noch sehr viel einfacher argumentativ hantieren lässt:

Die Machtfülle eines absolutistischen Herrschers hängt,
ebenso wie die des deutschen Bundeskanzlers,
einzig davon ab, wie viel Geld ihm zur Verfügung steht,

um sowohl seine eigenen Ansprüche als auch die seiner Gefolgschaft befriedigen zu können. Unter „Ansprüche“ dürfen hier allerdings nicht nur Aspekte von privatem Luxus und persönlichem Wohlleben verstanden werden, sondern eben auch alle politischen Zielsetzungen, zu deren Verwirklichung das nötige Geld als Grundvoraussetzung fließen muss.

Je weniger eigene Zielsetzungen der „Herrscher“ mitbringt, umso leichter fällt es ihm, seine Position zu erhalten. Allerdings überträgt er damit weite Teile seiner Macht an seine Gefolgschaft, die sich, im Falle des Bundeskanzlers, aus den Reihen der eigenen Partei, aus den Parteien der Koalitionspartner, aus den Organisationen der so genannten Zivilgesellschaft und aus den Vertretern der Organisationen der Wirtschaft und des Kapitals zusammensetzt. Im Extremfall entwickelt sich unter einem unambitionierten Kanzler, der seine Macht nur daraus bezieht, dass er sie vollständig an jene delegiert, die angetreten sind, in seinem Windschatten ihre Visionen zu realisieren, ein Wildwuchs von unkoordiniertem Aktionismus, der zwar keine nützlichen Ergebnisse hervorbringt, aber dafür immer mehr Geld verschlingt. Die zwangsläufige Folge sind Belastungen der Bevölkerung mit steigenden Steuern, Abgaben, Vorschriften und Auflagen, sowie ein steiler Anstieg der Neuverschuldung.

Ein ambitionierter Herrscher, wie Ludwig XIV., der einerseits zum Herrschen erzogen und ausgebildet wurde, andererseits weise genug war, das Leistungsvermögen der Volkswirtschaft durch Förderung von Wissenschaft, Kunst, Kultur und Wirtschaft zu steigern, hat mehr und Besseres erreicht.

Als er 1661 tatsächlich die Regierungsgewalt erlangte, ließ er als erstes seinen Finanzminister, den „Oberintendanten der Finanzen“ Nicolas Fouquet verhaften, weil sich dieser an den Einnahmen des Staates bereichert hatte. Die folgende Umorganisation des Finanzwesens, mit Jean-Baptiste Colbert, als dem neuen „Generalkontrolleur der Finanzen“ an der Spitze, führte zur Eindämmung der Korruption und zu einer effizienteren Bürokratie. Ohne neue Steuern einzuführen konnte damit das Steueraufkommen mehr als verdoppelt werden, was es Ludwig ermöglichte, schon zu Beginn seiner Regierungszeit die Steuern zu senken und damit wiederum ein schnelleres Wachstum der französischen Wirtschaft zu erreichen. Als Ludwig XIV. 1715 starb, war Frankreich mit über 20 Millionen Einwohnern ein strukturell stabiles und ressourcenstarkes Land und dabei das reichste Königreich Europas. (Ausführlicher hier bei Wikipedia)

Von diesem Ausflug in die Möglichkeiten der Ausübung zur Macht nun zurück zu den Unterschieden in der Machtfülle.

Ein wichtiger Aspekt ist hier die Zeitspanne, die zur Machtausübung zur Verfügung steht. Der König ist lebenslang König. Der Kanzler immer nur für vier Jahre, allerdings stets mit der Möglichkeit der Verlängerung um weitere vier Jahre. Nachfolger des Monarchen ist im Regelfall ein direkter Nachfahre oder Verwandter aus der gleichen Dynastie, Nachfolger des Kanzlers unter Umständen ein Gefolgsmann aus der gleichen Partei, aber unter anderen Umständen auch ein Gegner aus einer anderen Partei.

Der König sieht das Land als sein Eigentum und ist in hohem Maße daran interessiert, dieses Eigentum nicht nur zu erhalten, sondern zu verbessern und zu vermehren. Reformen kann er, unter Berücksichtigung aller Umstände in den jeweils angemessenen Schritten voranbringen, und gegebenenfalls Fehlentwicklungen auch korrigieren, also auch auf dem Weg von Versuch und Irrtum zum Erfolg gelangen.

Der Kanzler weiß, dass ihm das Land nur für kurze Zeit als „Spielwiese“ überlassen ist. Gewinnt das Land unter seiner Herrschaft, hat er persönlich, außer der Anerkennung seiner Leistung nichts davon, und verliert das Land unter seiner Herrschaft, wird er persönlich davon in keiner Weise belastet, außer dass man ihn in weniger guter Erinnerung behalten wird. Sein Interesse, das Land zu erhalten, zu verbessern und seinen Wohlstand zu mehren, ist also, mangels eines Denkens in Eigentumskategorien, schwächer ausgeprägt, während er seine Visionen jeweils unter dem Zeitdruck der Vier-Jahres-Frist vorantreiben muss, wenn sie nach seiner Amtszeit nicht als „Bauruine“ der Willkür seiner Nachfolger überlassen bleiben sollen. Zur Korrektur von Fehlern besteht innerhalb der verfügbaren Frist kaum Gelegenheit, so dass in der Regel darauf nur mit vermehrten Anstrengungen mit den gleichen Mitteln zum gleichen Zweck reagiert wird, zumal der politische Gegner jeden Anflug von Erkenntnis eines Fehlers und jeden Versuch, diesen zu korrigieren, als Anklage gegen einen solchen Kanzler wenden wird.

In diesem Sinne kann gefolgert werden:

Der König ist in seiner Machtausübung frei, der Kanzler ist eher ein Getriebener.

Nun war die bisherige Gegenüberstellung einigermaßen unfair, weil als Vergleichsobjekt für  deutsche Bundeskanzler ein einigermaßen erfolgreicher, vielleicht sogar „weiser“ König herangezogen wurde, dessen Regierungszeit mittlerweile 300 Jahre zurückliegt.

Es gab aber nicht nur weise und erfolgreiche Könige und Kaiser, sondern auch solche, die mit ihrer Machtfülle weit weniger achtsam umgegangen sind. Aus dieser Lehre der Geschichte hat man moderne Staatsformen nicht nur auf der Basis der Demokratie errichtet, sondern innerhalb des Staates eine Teilung der Gewalten vorgesehen, die ich hier einmal so beschreiben will:

  • Ein mündiges und verständiges Staatsvolk wählt aus seiner Mitte ein Parlament, das mit der Gesetzgebung betraut ist, also die Richtung vorgibt, in der sich das Land entwickeln soll.
  • Das Parlament bestimmt den Regierungschef, dieser bestimmt die Minister für die einzelnen Ressorts der Regierung.
  • Volk und Regierung sind an die vom Parlament erlassenen Gesetze gebunden.
  • Die unabhängige Justiz wacht über die Einhaltung der Gesetze und bestraft Verstöße.

Von allen diesen, die Macht einschränkenden Widrigkeiten war Ludwig XIV. frei.

In Deutschland ist diese Gewaltenteilung wie folgt organisiert:

  • Wie auch immer sich die Wahlberechtigten am Wahltag entscheiden, nach Abschluss von Sondierungsgesprächen und Koalitionsvereinbarungen steht dem dann gewählten Kanzler und seinen Ministern eine sichere Kanzlermehrheit im Parlament zur Verfügung.
  • Die Regierung beschließt fortan die Gesetze und die Kanzlermehrheit verabschiedet diese zuverlässig, nicht selten auch ohne Gelegenheit gehabt oder wahrgenommen zu haben, die Regierungsvorlage verständig zu würdigen.
  • Das Volk ist an die Gesetze gebunden.
  • Die Regierung ändert bestehende oder beschließt neue Gesetze, wenn sie diese zur Machtausübung benötigt.
  • Die Justiz wacht entsprechend der Weisungen aus dem Justizministerium über die Einhaltung der Gesetze durch das Volk und bestraft Verstöße.
  • Soweit durch Regierungshandeln die Grenzen der selbst geschaffenen Gesetze oder des Grundgesetzes in seiner jeweils gültigen Fassung übertreten werden, kann sich die Justiz, so sie denn will, damit befassen, muss entsprechende Klagen, bzw. Beschwerden aber nicht zur Entscheidung annehmen. Wird Regierungshandeln von einem zuständigen Gericht beanstandet, bleibt das für die Regierung folgenlos. Selbst vom Gericht angemahnte Korrekturen können jahrelang verzögert oder in erneut verfassungswidriger Form neu aufgelegt werden.

Damit läuft alles auf jene Erkenntnis hinaus, die gleich zu Anfang dieses Aufsatzes formuliert worden ist:

Die Machtfülle eines absolutistischen Herrschers hängt,
ebenso wie die des deutschen Bundeskanzlers,
einzig davon ab, wie viel Geld ihm zur Verfügung steht.


Den Unterschied macht es, auf welche Weise das benötigte Geld beschafft wird. Steuererhöhungen und Neuverschuldung sind dabei nicht unbedingt der Königsweg, wie uns das Beispiel Ludwigs des XIV. lehrt.