Propheten, Hellseher, Wahrsager (Satire)

Wer sich einmal neugierig auf den Komplex der übersinnlichen Wahrnehmungen und Fähigkeiten eingelassen hat, wird zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass neben alledem, was sich letztlich auf natürliche Ursachen zurückführen und naturwissenschaftlich erklären lässt, ein gar nicht so kleiner Rest verbleibt, der sich dem Erkenntnisvermögen des menschlichen Verstandes entzieht.

Während des Kalten Krieges unterhielten sowohl die USA als auch die Sowjetunion Forschungseinrichtungen in denen unter anderem die Phänomene der Telepathie und der Hellsichtigkeit untersucht wurden, mit dem Ziel, daraus kriegstaugliche Systeme – sowohl der Aufklärung/Spionage als auch der mentalen Beeinflussung, der Einflüsterung von „erwünschten“ Gedanken und der Lenkung von Entscheidungen – entwickeln zu können.

Das 1971 im Scherz Verlag, München, auf deutsch erschienene Buch „PSI“ von Sheila Ostrander und Lynn Schroeder, enthält viele Einblicke in den seinerzeit aktuellen Stand der  internationalen Forschung, von der  es heute heißt, sie sei praktisch vollständig eingestellt worden.

In diesem Werk findet sich ab Seite 100 der deutschen Erstausgabe ein Kapitel mit der Überschrift: „Kann die UdSSR den Westen hypnotisch k.o. schlagen?“ Diese Überschrift bezieht sich im Wesentlichen auf Experimente, die Prof. Leonid L. Wassiliew schon in den 1930er Jahren im Bereich der telepathischen Hypnose mit erstaunlichem Erfolg durchführte.

Mehr will ich hierzu nicht ausführen, denn dieser kurze Einblick genügt, um meine nachstehend geäußerten Vermutungen zumindest als Möglichkeit, wenn nicht gar als wahrscheinlich  ansehen zu können. Wer weitergehendes Interesse an diesen Phänomen hat, wird die gesuchten Informationen finden.

Unsere, sich die „Westliche“ nennende Welt, bringt seit geraumer Zeit in einem sich immerfort  verstärkenden Maße Erscheinungen hervor, die sich mit dem normalen Menschenverstand und der Wahrnehmungsfähigkeit unserer fünf Sinne nicht mehr erklären lassen. 

Diese Erscheinungen, die ich unter dem Sammelbegriff „grünstichige Prophetie“ zusammenfasse, gehen aus von Menschen, die  – wie die früheren Propheten und Hellseher – in ihrem rein irdischen Leben mit den Gegenständen ihrer Prophetie weder theoretisch noch praktisch in Berührung gekommen waren. Dennoch sind sie in der Lage, wie einst die Jünger Jesu zu Pfingsten, die Welt zu erklären, die Zukunft zu deuten und zum wohlgefälligen und errettenden Verhalten  aufzufrufen. Es ist, als hätte sich ein fremder Geist ihrer bemächtigt und gäbe ihnen die Worte ein,  die sie aussprechen.

Das alleine wäre allerdings noch keiner Rede wert. Solche Typen findet man in jedem Wirtshaus am Stammtisch, an der Speakers Corner im Hyde Park oder in den Versammlungsräumen obskurer Sekten zu Hauf.

Der Rede wert sind die Reaktionen der Normalos. Anders als am Stammtisch im Wirtshaus, wo provokante und aus dem Rahmen fallende Reden auf lebhaften, oft lautstarken und immer wieder auch mit Fäusten und Stuhlbeinen vorgetragenen Widerstand stoßen, anders als an der Speakers Corner, wo unter tausend Vorübergehend vielleicht einer einmal für ein paar Minuten stehenbleibt, bis er kopfschüttelnd weitergeht, anders als bei den Sektierern, wo trotz aller eifrigen  Missionsarbeit die Zahl der Anhänger eher schrumpft als wächst, ist die Zustimmung der Massen zu den neuen, absonderlichen Propheten überaus groß und zunehmend, so dass sich längst eine Partei gegründet hat, die das Banner ihrer Lehre überall im Lande widerspruchslos hissen konnte und selbst alle anderen Parteien dazu bewegt hat, diese Lehre weitgehend zu übernehmen, um nicht als rückwärtsgewandt und ewiggestrig ganz aus dem politischen Leben zu verschwinden.

Einer der derzeit bekanntesten Propheten dieser Bewegung, der, wie es heißt, „von Hühner, Schweine, Kühemelken“ herkommt, sich auch als Kinderbuch-Co-Autor profilieren konnte, also von Hause aus keinerlei fachliche Expertise im Bereich der Energiewirtschaft mitbringt, treibt seine Anhänger mit seiner Prophetie immer schneller in den Kohleausstieg. Jüngst erklärte er gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, auch mit den Braunkohleländern Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt, müsse der Ausstieg aus der Braunkohle auf das Jahr 2030 vorgezogen werden, weil – und hier bitte aufpassen! – weil sich die Kohleverstromung wegen der Verknappung der CO2-Zertifikate nicht mehr lohne. 

Seine Gefolgschaft – und dazu gehört inzwischen jeder Fünfte in Deutschland – jubelt, weil er sie damit dem gemeinsam verfolgten Ziel der Dekarbonisierung wieder einen großen Schritt näher bringen wird. Die damit verbundenen negativen Folgen werden vollständig ausgeblendet. Ein Zustand der Schmerzfreiheit, den Menschen, die noch über einen freien Willen verfügen, sonst nur unter Hypnose und in Trance erreichen und durchhalten können.

Aber es werden nicht nur die Folgen ausgeblendet, auch die falschen Prämissen werden kritiklos übernommen.

Die Kohleverstromung lohnt sich doch  immer mehr, je weniger Energiequellen überhaupt noch zur Verfügung stehen.

Wo es kein preiswertes Gas mehr gibt, und das teure nur in unzureichenden Mengen mit gigantischem zusätzlichem Investitionsaufwand beschafft werden kann, wo die Kernkraftwerke abgeschaltet werden, da soll sich Kohleverstromung nicht mehr lohnen?

Ja, warum denn?

Doch nur weil die Betreiber von der Politik gezwungen werden, sich die Arbeitserlaubnis durch den Kauf von Zertifikaten zu verschaffen, deren Preis den möglichen Gewinn vollständig auffrisst und am Ende nur noch Verluste in den Büchern erscheinen lässt.

Der Prophet begründet seine Forderung mit einem Problem, das er doch selbst geschaffen hat und – zur Rettung des Staates – eigentlich unverzüglich wieder auflösen müsste. Es wäre doch nicht mehr als eine Unterschrift  erforderlich, um den ganzen Zertifikate-Schwindel wieder in das Reich der grünen Fantasie zu verbannen.

Nach allem, was ich über die Menschen weiß, und mit allem, was ich mir an Wissen über außersinnliche Phänomene erarbeitet habe, kann es sich bei den Äußerungen dieses Propheten nur um Einflüsterungen einer finsteren Macht handeln. Woher sollte er es denn sonst haben? Von „Hühner, Schweine und Kühemelken“ sicherlich nicht. Wer seine Auftritte vor den Kameras beobachtet, kann sich doch des Eindrucks nicht erwehren, dass er oft „wie in Trance“ agiert. Dieses immer wieder zu beobachtende,  lange in sich Hineinhorchen, als warte er (verzweifelt) auf auf die ausbleibende Einflüsterung, und dann, wenn der Rapport unterbrochen ist, einfach dummes Zeug aussprechend, wie z.B. zu behaupten, die Bäcker könnten die Insolvenz vermeiden, wenn sie einfach nur rechtzeitig aufhören zu arbeiten. 

Das Schlimme ist, dass er damit nicht alleine ist. Ich will von den Vielen, die sich aufplustern, als seien sie Wissenschaftler und hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen, nur noch einen gesondert erwähnen, der ebenfalls versucht, das Denken seiner Mitmenschen lahmzulegen, und sie seinem Willen zu unterwerfen.

Der kommt nicht von „Hühner, Schweine, Kühemelken“ her, sondern vom Maoismus. In rückblickender Selbsterkenntnis sagte er dazu in einem ARD-Interview: „Wir bewegten uns immer unter denselben Leuten, entwickelten mit der Zeit einen Tunnelblick und führten hoch ideologisierte Debatten. Man kann froh sein, wenn man da rausgefunden hat.“
Ich frage mich allerdings, ob er da, wo er nun  hineingefunden hat, nicht wieder nur das Gleiche, halt nur mit anderem Anstrich, vorgefunden hat. Seine jüngsten Auslassungen deuten darauf hin. Wie ein Bußprediger verkündet er zum Jahreswechsel: „2023 ist der Kipppunkt für den deutschen Wohlstand. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.“

Klingt wie aus dem Prospekt des Discounters: „Sonderangebot – nur für begrenzte Zeit“. Denken ausschalten per vorgegaukelter Zeitnot.

Um den Kipppunkt zu umschiffen, wie einst die Großsegler die Klippen, müsse Deutschland zeigen, und zwar für alle Welt kopierfähig, dass es mit einer klimaneutralen Wirtschaft wettbewerbsfähig sei und Arbeitsplätze schaffen könne. 

Wieder jubeln die vom grünen Geist infizierten Massen als wollten sie Le Bons Erkenntnisse wieder und wieder bestätigen. Blind für die Realität, anders kann man es nicht nennen, denn wie Deutschland, das in 2023 vor der  schlimmsten Rezession seit Gründung der Republik steht, zeigen (!) soll, dass es, von Klimaneutralität weit entfernt, mit einer klimaneutralen Wirtschaft wettbewerbsfähig ist, erschließt sich niemandem, dessen Lebensweg ihn nicht ebenfalls auf dem Umweg über das Lehramt für Biologie, Chemie und Ethik, zuverlässig an den Klippen der Wirtschaftswissenschaften vorbeigeführt hat.

Es sind da wohl, ich kann es mir nicht anders vorstellen, zwei Arten der telepathischen Hypnose im Einsatz. Einmal die individuelle, auf die jeweiligen Propheten gerichtete, die dann solche Innovationen wie die „feministische Außenpolitik“ oder die „wirksame und nebenwirkungsfreie Impfung mit nicht wirklich erprobten Spritzmitteln“, oder eben den „vorgezogenen Kohleausstieg“ und vieles andere mehr propagieren, und zum anderen jene auf die Masse gerichtete telepathische Hypnose, die eine aufmerksame Zuwendung und gläubige Adaption dieser Lehren hervorbringt, sowie eine selektive Blindheit für sonderbare, nicht ins Bild passende Ereignisse, wie zum Beispiel den Verlust unserer Haupt-Energie-Versorgungsader in der Ostsee. Das ist doch schon vergessen. Das ist doch gar nicht geschehen. Der Hypnotiseur hat eingeflüstert: „Putin hat uns den Gashahn abgedreht“, und schon ist nur noch dies als Wahrheit im Bewusstsein. Und dass wir auf das Gas ja gar nicht angewiesen sind, hat zudem ein anderer Prophet sinngemäß so verkündet: „Es ist doch völlig egal, dass die Pipelines zerstört wurden. Die eine wäre sowieso nie in Betrieb gegangen und die andere war seit Monaten stillgelegt.“

Der Hypnose-Hypothese steht im Grunde nur ein einziges schwaches Argument entgegen, nämlich, dass niemand gegen seinen Willen hypnotisiert werden könne und auch unter Hypnose niemals etwas tun würde, was seinen eigenen tiefen Überzeugungen widerspricht.

Nur greift dieses Argument nicht.

Teil 1, „nicht gegen den Willen“,

setzt voraus, dass ein gegen das Hypnotisieren gerichteter Wille vorhanden ist. Bei der unangekündigten telepathischen Hypnose wird ein gegen die Hypnose gerichteter Wille jedoch nur in ganz seltenen Ausnahmefällen  aktiv sein.

Teil 2, „nicht gegen tiefe Überzeugungen“,

setzt voraus, dass vom Hypnotisierten etwas gefordert wird, was er nicht gutheißen kann. Diese Klippe wird leicht dadurch umschifft, dass ja nur Handlungen gefordert werden, die der Rettung der Welt dienen. Wer wird dies aus tiefer innerer Überzeugung schon ablehnen?

Damit stellt sich nur noch die Frage, wer wohl diesen parapsychologischen Angriffskrieg gegen Deutschland und – mit minderem Erfolg – gegen die halbe Welt vom Zaun gebrochen haben mag. Aspiranten für diese Rolle gibt es viele, solche, die über die notwendigen Mittel verfügen und die Methoden beherrschen, dürften allerdings eher rar gesät sein.

Ich glaube, dieses Rätsel wird sich in nicht allzuferner Zukunft lösen lassen.

Sollte sich dabei wider Erwarten herausstellen, dass niemand per telepathischer Hypnose auf unsere Propheten eingewirkt hat, bleibt mir nichts anderes übrig, als auf den alten Ockham und sein Rasiermesser zurückzugreifen.

Das allerdings wäre für die agierenden und reagierenden Personen um Grade peinlicher als mein Versuch, ihr Verhalten mit der Hypnosehypothese zu entschuldigen.