Die Mieten steigen weiter.

Die sich selbst als „links, marxistisch orientiert und überregional“ bezeichnende Tageszeitung „junge Welt“, auch als die „taz für Hardcore-Linke“ bekannt, kündigt noch härtere Zeiten für Mieter an.

In der Erwartung, die jüngsten innovativen Ideen für noch effektivere Folterwerkzeuge für raffgierige Vermieter zu finden, habe ich den Link angeklickt und den Artikel zu Ende  gelesen.

Ich wurde bitter enttäuscht.

Die marxistisch Orientierten in der Redaktion bezogen sich auf ein Papier der Helaba. Die Helaba, die hessische Landesbank, ist ja praktische „Kapitalismus pur. Sich dort mit Argumenten zu bedienen, statt  den Versuch zu unternehmen, sie zu widerlegen, das grenzt ja hart an stockkonservatives Verhalten. Kann es sein, dass die „junge Welt“ beim ewigen weiter nach links Rücken unbemerkt von hinten in die äußerste rechte Ecke vorgestoßen ist?

Aus der Helaba-Studie hat die „junge Welt“ die Erkenntnis übernommen, dass steigende Kreditzinsen und hohe Baukosten dazu führen, dass viele Obdachlose*) von  ihren Bauprojekten zurücktreten. Viele  davon würden stattdessen auf Mietwohnungen ausweichen, so dass die Mieten wieder kräftig klettern.

*) Bei der „jungen Welt“ steht da nicht „Obdachlose“ sondern „Menschen“. Wenn die aber, statt zu bauen, auf Mietwohnungen ausweichen, können sie bis dahin eigentlich nirgends gewohnt  haben.

Doch mit dem Helaba-Zitat lässt es die „junge Welt“ nicht bewenden. Gleich darauf wird mit der DZ-Bank die zweitgrößte Geschäftsbank Deutschlands zitiert, die herausgefunden hat, dass bei den Neuvertragsmieten ein Zuwachs von fünf Prozent zu verzeichnen sei. Außerdem würden die Wohnungsunternehmen die explodierenden Materialpreise auf die Mieten umlegen.

An dieser Stelle glaubte ich für einen Augenblick, ich lese das Handelsblatt, bis  ich mich erinnerte, dass so weit unten im Artikel beim Handelsblatt längst die Bezahlschranke zugeschlagen hätte.

Nein. Es ist immer noch die „junge Welt“, die da offensichtlich unkommentiert, nicht geframt und wertneutral Nachrichten weitergibt.

Das war aber noch nicht alles. Nun wird auch noch „Michael Voigländer vom kapitalnahen Institut der deutschen Wirtschaft“ bemüht, der es für möglich hält, dass von nun an die Mieten stärker steigen als die Preise, obwohl die Immobilienpreise gleichzeitig fallen.

Doch damit ist die Phase einigermaßen seriöser Wirtschaftsberichterstattung schlagartig zu Ende.

Das Schmähwort „bürgerlich“ kommt zum Einsatz: 

Es sei sicherlich zu erwarten, dass die von „bürgerlichen Ökonomen“ aufgezeigten Entwicklungen die Mieten weiter steigen lassen.

Es sei aber falsch, aus dieser Analyse den Schluss zu ziehen, es herrsche Wohnraum-Mangel.

„In Wahrheit“ sei der Wohnraum laut Statistischem Bundesamt von 1991 bis heute um über 37 Prozent von 35 m² auf 48 m² pro Kopf gewachsen.

Die „Wohnungsnot“ sei also in erster Linie auf Leerstand zurückzuführen.

Damit endet der Artikel – und gleich drunter findet sich ein grau hinterlegter Kasten mit Eigenwerbung der Tageszeitung „junge Welt“ des Inhalts,  die „junge Welt“ liefere Aufklärung statt Propaganda.

Sie glauben das nicht? Überzeugen Sie sich selbst. Ich habe laut lachen müssen. 

Die perfide Aussage hinter diesem Artikel lautet doch, es gäbe eigentlich genug Wohnraum für alle, würden die Vermieter nicht massenhaft Wohnungen leerstehen lassen, um die Mieten der anderen Wohnungen in die Höhe treiben zu können.

 

Die Daten zum Wohnungsleerstand in Deutschland sind dünn gesät und schwer aufzufinden.

Der offizielle, regierungsamtlich erstellte „Deutschland-Atlas“ wartet dazu mit einer 2018 erstellten Karte auf, welche auf der Datenbasis des Zensus 2011, Auswertungsstand 2014, beruht und die damalige Verteilung leerstehender Wohnungen auf das Bundesgebiet ausweist.

Hier verlinkt (Sollte die Karte zu lange laden, hilft es STRG+R zu drücken.)

Es ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass sich der Leerstand seinerzeit auf Sachsen und Sachsen-Anhalt konzentrierte und auch in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, im nördlichenSchleswig-Holstein, im nordwestlichen Niedersachsen, in Nord- und Ostbayern, sowie in Teilen von Rheinland-Pfalz und Saarbrücken Gebiete mit Wohnungsleerständen von 6 Prozent und mehr zu finden sind.

Also genau da, wo auch sonst mehr oder minder „tote Hose“ herrscht. Wo es keine Arbeit, wenig Schulen, zu wenig Ärzte, keinen vernünftigen öffentlichen Nahverkehr und auch sonst nichts gibt, was das Leben lebenswert macht.

An dieser Verteilung dürfte sich bis heute relativ wenig geändert haben, abgesehen davon, dass der Leerstand aufgrund der von Zuwanderung geprägten demografischen Entwicklung und des unzureichenden Wohnungsneubaus insgesamt etwas zurückgegangen sein dürfte.

Die Vermieter, die dort leerstehende Wohnungen haben, leiden unter diesem Leerstand und finden selbst bei Mini-Quadratmeter-Mieten keine Mieter.

Nein. Die Wohnungsnot ist nicht auf Leerstand zurückzuführen. Sie findet nämlich nicht dort statt, wo es Leerstände gibt, sondern dort, wo die Menschen, der Arbeit und dem Einkommen, aber auch der Versorgungssituation folgend, wohnen wollen und müssen.

Ich habe dann noch ein konkretes Beispiel ausgegraben, das noch dazu den Vorteil hat, aktuell zu sein. Am 4. Juni 2022 schrieb die Süddeutsche Zeitung über das Wohnen in Sachsen-Anhalt, speziell bei den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften:

14,4 Prozent, also jede siebte Wohnung der kommunalen Wohnbaugesellschaften in Sachsen-Anhalt, stehen leer.

Der Leerstand steige, vor allem aufgrund der demografischen Entwicklung, unvermindert an und dies insbesondere im ländlichen Raum.

Ein weiterer Grund für den Leerstand sei der Modernisierungsgrad der Wohnungen. Dazu sagt Jens Zillmann, der Direktor des Verbandes der Wohnungswirtschaft Sachsen-Anhalt: „Vermieten lässt sich nur zeitgemäßer und moderner Wohnraum.“

Um Wohnungen zeitgemäß und modern herzurichten, muss jedoch Geld in die Hand genommen werden, das auch langfristig über die Mieten wieder eingenommen werden kann. Wohngsunternehmen, die in problematischen Gebieten arbeiten, nur geringe Marktmieten erzielen können und zudem von Leerstand geplagt sind, haben dieses Geld nicht und bekommen es – wegen schlechter Ertragsaussichten –  auch von den Banken nicht.

Wenn also in Sachsen-Anhalt rund 22.000 Wohnungen (nur) aus dem Bestand der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften leerstehen, dann ist dies vor dem Hintergrund der Wohnungsnot und horrender Mieten andernorts, doch nur der Beweis dafür, dass Sachsen-Anhalt auch weiterhin für Wohnungssuchende, selbst für verzweifelt Wohnungssuchende, nicht der Platz ist, an dem sie sich niederlassen wollen.

Man darf, auch wenn man noch so links und marxistisch orientiert ist, nicht vergessen, dass das Vermietungsgeschäft ein Geschäft ist, wie jedes andere. Es wird investiert, um aus  den laufenden Erträgen die Amortisation des investierten Kapitals und einen Gewinn zu erwirtschaften. Das gilt für die Spedition, die in  Lastkraftwagen investiert ebenso, wie für den Tischler, der sich einen Maschinenpark für die Holzbearbeitung anschaffen muss und für den Stahlproduzenten, der auch erst produzieren kann, wenn der Hochofen errichtet ist, und es gilt für den Vermieter, der in Wohnraum investiert.

Für den Mieter bedeutet das, dass er mit allen anderen Mietinteressenten einer bestimmten Region in Konkurrenz steht. Dass die Situation auf dem Mietmarkt in den attraktiven Regionen so angespannt ist, dass die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung zu einem lange währenden Martyrium werden kann, ist nicht den dort tätigen Vermietern anzulasten, die bewusst Wohnungen leerstehen ließen.

Ein Blick auf die  weiter oben verlinkte Karte genügt, um zu erkennen, dass in den Ballungsräumen, wo die Wohnungsnot groß ist und die Mieten hoch sind, praktisch kein Leerstand anzutreffen ist.

Dass in Dessau massenhaft Wohnungen leerstehen, wird den frisch gebackenen Münchner Braumeister ganz bestimmt nicht dazu animieren, sich außerhalb eines Radius von 50 Kilometern um den Münchner Marienplatz eine Wohnung zu suchen, auch wenn er im Münchner Umland die doppelte Kaltmiete zahlen muss.