Linke Wahrheit

Am 16. November hat sich Roland Rottenfußer auf Konstantin Weckers Blog „Hinter den Schlagzeilen“ über 10 gebräuchliche Un- und Halbwahrheiten zur Flüchtlingsfrage ausgelassen, um an seine Leser zu appellieren:

Wir sollten bei  unserer  Wahrheit bleiben!

So wie Rottenfußer taktisch geschickt zwischen Fakten, die er Narrative nennt, und dogmatischen Lehrsätzen, die er Wahrheit nennt, herummäandert, und damit so  etwas wie „linke Offenheit für Argumente und Ideen“ suggeriert, ist es nicht ganz einfach, ihm nicht auf den Leim zu gehen.

Die Auseinadersetzung mit seinen Punkten 1. bis 10. erscheint mir von daher unvermeidlich, schon alleine deshalb, weil bei ihm die Debatte um die Folgen offener Grenzen und  unkontrollierter Zuwanderung schlicht als „Flüchtlingsfrage“ behandelt wird, wobei gänzlich unabhängig von bestehendem deutschem und EU-Recht faktisch jeder, der erst einmal in Deutschland angekommen ist, als „Flüchtling“ anzusehen ist, dem mindestens ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht mit vollständiger Alimentierung aus der deutschen Staatskasse zugestanden werden muss.

Jeder Versuch, unter diesen „Flüchtlingen“ die „Asylberechtigten“ und die „Schutzbedürftigen“ ausfindig zu machen, um sie von der Schar der sonstigen Migranten zu unterscheiden, gilt als „rechts“ (mit durchweg negativer Konnotation), und wer als Linker solche Gedanken hegt, muss sich von Roland Rottenfußer sagen lassen:

Anpassung an Rechte ist kein Antifaschismus!

Nun zu den Punkten Rottenfußers, von denen er vorgibt, es handle sich um jene Lügen und Halbwahrheiten zur Flüchtlingsfrage, die er zu korrigieren gedenke. Dabei zeigt schon der erste Punkt, dass es gar nicht darum geht, zur Wahrheit in der Flüchtlings/Zuwanderungsfrage zu finden, sondern ausschließlich darum, wie der für Linke offenbar existenzbedrohende „Rechtsruck“ in der Gesellschaft gestoppt werden könne.

1. Un- bzw. Halbwahrheit
Wenn wir mehr Härte gegen Flüchtlinge zeigen, können wir den Rechtsruck stoppen.

RR sieht nur ein Problem, nämlich die für ihn erschreckende Entwicklung, dass mit jedem zusätzlichen Zuwanderer die Zustimmung zu nichtlinken Parteien wächst. Die dem vorangegangenen tatsächlichen Probleme, die ggfs. für eine stärkere  Kontrolle der Zuwanderung sprächen, erkennt er nicht an und diffamiert jegliche Bezugnahme darauf als (unmenschliche) „Härte“. Er hat hinter allen Argumenten, die seiner Wahrheit widersprechen, eine „Schicht sehr gewiefter Rechtsintellektueller“ ausgemacht, die zuwanderungsskeptische Argumente ausbrüten, die zwar selten zu 100 Prozent falsch sind, aber eben doch nur raffiniert konstruierte Halbwahrheiten darstellen.

Solche Halbwahrheiten findet RR in den folgenden  Punkten.

2. Un- bzw. Halbwahrheit
Grenzenloser Kapital- und Warenverkehr sind schlecht und ein Merkmal des Turbokapitalismus. Daraus folgt, dass Grenzen generell gut sind und dass auch dem Flüchtlingszustrom eine Grenze gesetzt werden muss.

Lieber Roland, hier folgt nichts aus nichts.

Das einer Gesellschaft zuträgliche Maß an Zuwanderung lässt sich leicht an harten Fakten bemessen. Es geht nämlich – sieht man von kulturellen Prägungen, divergierenden Wertesystemen und der daraus resultierenden Bereicherungsdebatte einmal ab – nur darum, die Wirkungen der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, der Zuwanderung in den Wohnungsmarkt und der Zuwanderung in die Sozialsysteme zu ermitteln und vernünftig zu bewerten.

Bei einer nüchternen Betrachtung ergibt sich hier eine Skalierung, die vom günstigen Fall, nämlich einem quantifizierbaren Nutzen der Gesellschaft durch Zuwanderung, über den Aspekt des Teilens aus humanitären Gründen, bis hin zur masochistischen Selbstaufgabe der aufnehmenden Gesellschaft reicht.

Wer diese Differenzierung nicht zulässt, sondern unterschiedslos jede Art und Menge von Zuwanderung begrüßt, bringt damit nicht Antifaschismus, wohl aber so etwas wie spätrömische Dekadenz zum Ausdruck.

3. Un- bzw. Halbwahrheit
Es ist viel besser, die Fluchtursachen zu bekämpfen als Flüchtlingen zu helfen.

Das Problem heißt „Migration“. Und es ist weißgott tausendmal besser für Herkunfts- und Zielländer, die Ursachen der Migration zu bekämpfen als mit der Öffnung der Sozialsysteme für Zuwanderer einen Migrationsanreiz zu setzen.

Und was die „Flüchtlinge“ betrifft, so hat die Streichung der Mittel die vom UNHCR für die syrischen Flüchtlinge in den Nachbarländern bis Ende 2014 zur Verfügung gestellt wurden, maßgeblich dazu beigetragen, die Wanderungswelle mit vielfach höheren Kosten erst auszulösen.

4. Un- bzw. Halbwahrheit
Die Unterschicht wird von einer urbanen Bourgeoisie verachtet. Deshalb wendet sie sich den Rechten zu. Wollen wir diese Schicht zurückgewinnen, müssen wir auf ihre Ängste, auf ihr Wut und ihre Vorurteile eingehen.

Mein Gott Rottenfußer! Bloß nicht anerkennen, dass das abgehängte und bildungsferne Proletariat außer Emotionen (Angst und Wut) und Vorurteilen auch über soviel Ratio verfügen könnte, dass es die Kausalität zwischen konkret verspürten Wirkungen und deren Ursachen herstellen könnte.

Da quillt doch auch hier die urbane Bourgeoisie zwischen den Zeilen hervor, wenn der edle Linke meint, es sei „nicht angemessen“ diese Personengruppe jetzt alleine die politische Agenda bestimmen zu lassen, weil sie mit der Wahlentscheidung für die AfD politische Unreife demonstriert habe …

Das ist genau die Vorstellung von Demokratie, die man in sozialistischen Einheitsparteien zu hegen pflegt, verbunden mit der Gewissheit: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!“

5.  Un- bzw. Halbwahrheit
Die Lasten unbegrenzter Zuwanderung haben vor allem die „kleinen Leute“ zu tragen. Es ist daher überheblich, wenn Besserverdienende ihnen dieses Opfer abverlangen, wohl wissend, dass sie selbst nicht betroffen sind.

Warum nicht einfach die unbegrenzte Zuwanderung beenden und stattdessen eine sinnvoll begrenzte Zuwanderung zulassen, statt sich die Köpfe heiß zu reden, ob unter den negativen Folgen unbegrenzter Zuwanderung nun auch die Besserverdienenden oder doch nur die kleinen Leute zu leiden haben?

Das ist doch eine idiotische Diskussion, die nur vom Kern des Problems ablenkt.

6. Un- bzw. Halbwahrheit
Die Forderung nach offenen Grenzen ist naiv. Wir können nicht alle aufnehmen.

Da schwurbelt er wieder herum, der Roland Rottenfußer. Der Satz: „Wir können nicht alle aufnehmen“, sei nicht falsch, meint er – wenn man ihn falsch versteht. Boh-eh!

Bleiben wir doch lieber bei der Forderung nach offenen Grenzen. Diese Forderung ist nicht nur naiv, sie bedeutet das Ende der Staatlichkeit. Wer das nicht zu erkennen vermag, sollte die Finger so lange von bewusstseinserweiternden Drogen lassen, bis er wieder klar denken kann.

 

Die Un- bzw. Halbwahrheiten  7 bis 10 streife ich nur.

Da schreibt Rottenfußer, der Rechtsruck und die rechte Gewalt seien von den Systemmedien nur aufgebauscht, oder auch nicht, der Faschismus müsse aber in jedem Fall bekämpft werden.

Da schreibt er, die Wirtschaft habe den Zuzug gefördert, um an billige Arbeitskräfte zu kommen, weshalb es die Pflicht jedes Linken sei – oder auch nicht – den Ausländer-Zuzug zu begrenzen.

Außerdem schreibt er, dass es richtig sei – oder auch nicht – den schon lange benachteiligten Deutschen zu helfen, man könne aber auch die Rüstungsausgaben begrenzen oder aufhören, die Fleischindustrie zu subventionieren.

Und letztlich schreibt er, was kein Wunder ist, die ganze Moralisiererei ginge vielen nur noch auf die Nerven, aber es sei doch gut, sich gut zu fühlen, wenn man anderen hilft.

Fasst man zusammen, was Rottenfußer in dieser Kritik an Un- und Halbwahrheiten zur Flüchtlingsfrage an eigener, bzw. allgemein linker und antifaschistischer Überzeugung erkennen lässt, dann heißt das:

Der Antifaschist tritt ein für

offene Grenzen,

unbegrenzte Zuwanderung, und die

demokratische Entrechtung der politisch unreifen Unterschicht

Denn, so argumentiert Rottenfußer auf der Zielgeraden seiner Philippika, nur so kommen wir in den Genuss der Vorzüge einer humanen Flüchtlingspolitik, die sich in einem Satz mit drei Wörtern erklären lässt:

Hilfsbedürftigen hilft man.

Dieser Grundsatz sei so einfach und nachvollziehbar, dass man schon gute Gründe brauche um sich dagegen zu stellen, meint Rottenfußer – und dass die Rechten solche guten Gründe hätten, das bestreitet er.

Es ist Blödsinn, Rottenfußer.

Es gibt keinen einzigen guten Grund, weder bei den Rechten, noch bei den Linken, der gegen den Grundsatz spräche: Hilfsbedürftigen hilft man!

Dass es deswegen aber auch keinen guten Grund geben sollte, der gegen offene Grenzen und unbegrenzte Zuwanderung spricht, lässt sich weder an den Fakten ablesen noch durch Logik herleiten.

Damit wird klar, dass die Überschrift von Rottenfußers Artikel  „Anpassung an Rechte ist kein Antifaschismus“ eigentlich lauten müsste:

Im Kampf gegen rechts
darf auf Fakten und Argumente
keine Rücksicht genommen werden.