Leipzig

Es gibt Erzählungen aus der Geschichte, die üblicherweise als Geniestreich gedeutet werden, obwohl es sich dabei keinesfalls um geistreiche Aktionen gehandelt hat, sondern lediglich um die Anwendung roher Gewalt, bei denen der Gegenstand des Interesses danach zerstört war.

Wikipedia erklärt zum Beispiel „Das Ei des Kolumbus“ zu einer Metapher, die eine verblüffend einfache Lösung für ein scheinbar unlösbares Problem beschreibt.

Fakt ist allerdigs, dass es auch Kolumbus nicht gelungen ist, das Ei auf die Spitze zu stellen.

Er hat das Ei kaputt gemacht. Er hat die ursprünglich spitze Seite breitgeschlagen, denn das, was er – der Legende nach – getan hat, war letztlich Betrug.

Nicht anders verhält es sich mit dem Gordischen Knoten. Raffiniert verknotete Seile, die „zu lösen“ gewesen wären, um die Bedingung des Orakels zu erfüllen. Wie später Kolumbus, hielt sich auch Alexander nicht lange mit der Frage auf, wie der Knoten wohl gelöst werden könne, sondern zog sein Schwert und schlug den Knoten durch.

Fakt ist, dass es auch dem großen Alexander nicht gelungen ist, den Knoten zu lösen.

Er hat den Knoten kaputt gemacht und das „kunstvolle Werk“ vollständig zerstört. 

Die Situation in Leipzig stellt sich ganz genau so dar. Es gibt eine scheinbar unlösbare Aufgabe, die in sich verschlungen ist, wie der Gordische Knoten, und deren Schwerpunkt viel zu hoch liegt, als dass sie sich auf die Spitze stellen ließe.

Wenn die Bevölkerungszahl einer Stadt wächst,

  • teils, weil sie zum „Leuchtturm“ der wirtschaftlichen Erholung der neuen Bundesländer auserkoren wurde,
  • teils weil die Stadt als solche für das Prekariat grundsätzlich attraktiver ist als das flache Land, weil sie einfach mehr Gelegenheiten bietet, sich „durchzuschlagen“,
  • teils aber auch, weil der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund seit 2015 um 18.000 auf 90.000 Personen angestiegen ist,

der Wohnungsbestand sich aber nicht wesentlich erhöht, und die Politik, statt konkrete Maßnahmen einzuleiten, lieber mit wolkigen Worten von einer „großen Herausforderung“ spricht, dann rückt eine reguläre Lösung in immer weitere Ferne.

Wenn zugleich ganze Häuser in der Innenstadt leerstehen, obwohl sie – bei niedrigem Anspruchsniveau – durchaus noch bewohnbar erscheinen und in einigen Köpfen eine Geisteshaltung vorherrscht, wie sie allen Eroberern zu eigen war und ist, dann ist der erste Schlag auf den Gordischen Knoten schnell getan, dann ist die Haustür aufgebrochen und das Haus besetzt. Schließlich gibt es ein Menschenrecht auf Wohnung …

Im funktionierenden Rechtsstaat hätte eine solche Hausbesetzung keine Chance, auch nur eine Woche zu überdauern. Aber dann müsste man halt den politischen Willen aufbringen, das Recht durchzusetzen, statt in Sorge um die nächsten Wahlen erst einmal alles zu vermeiden, was die zahlreichen Sympathisanten der Hausbesetzer davon abhalten könnte, ihre Stimmen bei den linken Schutzpatronen der Anarchie abzuliefern.

Die Besetzung eines Hauses ändert an der Gesamtlage ja wenig, aber das Signal, das davon ausgeht, ist für viele naive Bewunderer der Szene ein Zeichen der Hoffnung und ein antikapitalistischer Hassverstärker zugleich. Robin-Hood-Assoziationen werden geweckt und verdrängen den letzten Rest an Unrechtsbewusstsein.

In Leipzig gibt es Randale um die Hausbesetzer-Szene in Connewitz ja schon seit rund dreißig Jahren. Ich habe beim Recherchieren eine interessante österreichische Seite gefunden Anarchismus.at, in der aus links-anarchistischer Sicht die Entwicklung in Connewitz in einigermaßen neutraler Sprache dargestellt wird. Es ist empfehlenswert, diesem Link zu folgen, und auch am Seitenende auf „weiter“ zu klicken, denn erst damit werden die Schlingen des Connewitzer Knotens, wie sie sich von der Besetzerseite her darstellen, einigermaßen sichtbar.

Nun ist dieser Knoten, ausgelöst durch die polizeiliche Räumung des Hauses Ludwigsstr. 72 und eines weitere Objekts, wieder ins Blickfeld gerückt.

Unglücklicherweise tendiert der Zeitgeist weltweit wieder verstärkt zu gewaltsamen Lösungen. Animiert durch die scheinbaren Erfolge der unter der BLM-Flagge segelnden US-Antifa, die inzwischen als terroristische Vereinigung eingestuft ist, wurde am Wochenende in Leipzig drei Nächte lang mit dem Schwert der Anhänger der gewaltsamen Lösung auf das Problem eingeschlagen.

Kolumbus hat das Ei kaputtgeschlagen, Alexander den Gordischen Knoten – und die Connewitzer Linken schlagen jetzt halt Connewitz kaputt.
Folge-Demos mit kaum weniger unfriedlicher Absicht sind fürs nächste Wochenende schon angemeldet.

Die Tagesschau berichtet in vorbildlicher Weise darüber, dass es eine parteiübergreifende Empörung gäbe, die in der Forderung nach härteren Strafen für Angriffe auf Polizisten gipfelt.

Da fällt mir Eppelein von Gailingen ein. Die Moral von der Geschicht: Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn!

Härtere Strafen ins Gesetzbuch schreiben, aber aus unerfindlichen Gründen kaum einmal eine Gelegenheit zu finden, einen solchen Angreifer festzunehmen, geschweige denn anzuklagen oder gar zu verurteilen, das hilft nicht gegen neue Gewaltausbrüche – und vor allem schafft es keinen bezahlbaren Wohnraum!

Da stehen die Stadt Leipzig und das Land Sachsen an der Rückseite des gleichen Gordischen Knotens, und während Connewitz in Anarchie versinkt, wollen sie dessen Zerstörung durch Gesundbeten mit verschärften Strafandrohungen aufhalten.

Denn in der Wohnraumfrage soll eines nicht mehr ans Licht kommen, dass nämlich der Bestand an preiswertem Wohnraum von der Stadt nach dem Beitritt der neuen Bundesländer in großem Umfang verscherbelt wurde, um der in unserem Geldsystem unsinnigen und kontraproduktiven Schuldentilgungsmanie nachzukommen. In 26.000 an Investoren verscherbelten Wohnungen könnten heute durchaus 60 bis 70.000 Menschen einen bezahlbaren Wohnraum finden, und zwar in einem besseren Zustand, als in heruntergekommenen besetzten Häusern.

Das alles ist jedoch keine Rechtfertigung für Gewalt. Zumal die so genannte „linke Szene“ auch hier den Missstand nur als Vorwand nimmt, um ganz andere politische Ziele, nämlich den grundsätzlichen Systemwandel, zu verfolgen.


Ein Leipziger hat mir noch zusätzliche Informationen gesandt:

Hallo Herr Kreutzer, ich bin Leipziger und möchte den Artikel ergänzen.

Die Ludwigstraße liegt nicht im Stadtteil Connwitz,sondern eher im Nordosten von Leipzig.

Die Leipziger Hausbesitzer haben kurz nach der Wende hohe Abrissprämien bekommen. In Grünau wurden ganze Häuserblöcke abgerissen. Das waren sogenannte Plattenbauten. Ich wohne in einen solchem Plattenbau und in meiner Nähe sind 4 Hochhäuser verschwunden.

Dem OB von Leipzig war die Antifa willkommen zur Vertreibung der Legida. Man hat einfache Teilnehmer zusammengeschlagen. In Connewitz werden fast täglich Autos abgefackelt, dort möchte ich nicht wohnen.

Die LWB ist Anfang der 90 ziger Jahre von Wessis ruiniert worden. Meine WBG hatte zwar auch Schulden hat aber überlebt. Übrigens waren die Schulden der WBG und LWB keine Schulden, die Schulden wurden von Herrn Kohl bestimmt. Entweder weil er das System der DDR nicht verstanden hat, oder es war Absicht, beides schlimm genug und immer war der Mieter der Dumme.

Für mich gehören Wohnungen, Wasser, Energie und Grundstücke in staatliche Hände oder wenigsten in Genossenschaftliche Eigentumsformen. Im Norden der ehemaligen DDR haben die Kommunen wieder angefangen z.B. die Müllabfuhr in eigeneHände zu nehmen, weil die Privaten die Preise zu sehr angezogen haben.

Naja, ein Thema ohne Ende.

Viele Grüße aus Leipzig


 

„Andere Abhilfe“ ist ein Roman.

Ein gesellschaftkritischer Roman, der in der nahen Zukunft spielt.

Einer Zukunft, in der das Chaos zunimmt, weil dem Staat die Kraft fehlt,
sich Fehlentwicklungen – wozu auch das Erstarken der gewalttätigen Antifa gehört – entgegenzustellen.

Mehr Info, ein Blick ins Buch, und natürlich Bestellmöglichkeit hier: https://www.bod.de/buchshop/andere-abhilfe-egon-w-kreutzer-9783751913935