Kommt das Ampel-Aus schon nächste Woche?

Nein, ich wärme hier nicht die alte Spekulation auf, dass Scholz Mitte November, wenn die Mitglieder des Kabinetts nach zwei Jahren auf ihren Stühlen ihre Pensionen nicht mehr verlieren können, den Mut finden könnte, die grüne Minister-Riege endlich in die Wüste zu schicken. Das kommt allenfalls als „Geschmacksverstärker“ noch oben drauf.

Es ist auch nicht die frohe Kunde aus Hessen, dass der Wahlgewinner, Boris Rhein, dem zehnjährigen ununterbrochenen Mitregieren der Grünen ein Ende setzen und eine Koaltion mit der SPD anstreben will.

Es ist eine sogar in der Neuen Zürcher noch im zweiten Halbsatz versteckte Information, deren Sprengkraft ausreichen könnte, um Neuwahlen auszulösen.

Die CDU/CSU-Fraktion hat für nächste Woche einen Entschlussantrag auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages setzen lassen. Das kommt hin und wieder mal vor, hat aber nach den parlamentarischen Spielregelungen üblicherweise keine Auswirkungen, weil die Regierungsmehrheit solchen Anträgen nur dann zustimmt, wenn sie ihr in den Kram passen, und das ist – bei Oppositionsanträgen – schon aus Prinzip die ganz große Ausnahme.

Diesmal aber ist es anders.

Die Union will, über eine Mehrheit im Bundestag die Regierung dazu bringen, unverzüglich jene Taurus Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, die Kanzler Scholz der Ukraine partout nicht zur Verfügung stellen will.

Das wird eine ganz enge Kiste.

Im Bundestag sitzt ja nicht nur die SPD als Regierungsfraktion, die der Kanzler – bis auf wenige Abweichler vielleicht – zur Räson bringen könnte. Im Bundestag sitzt als Regierungsfraktion auch die FDP, und dazu gehört nicht nur Christian Lindner, sondern eben auch die lauteste Ukraine-Unterstützerin seit Beginn der Aufzeichnungen, Frau Strack-Zimmermann, und dann gibt es noch die Grünen, die in ihrem gemeinschaftlichem Rufen nach Ukraine-Unterstützung ungefähr ebenso viel Wind zu machen in der Lage sind, wie Frau Strack-Zimmermann alleine.

Scholz, der wohl weniger Angst davor haben wird, dass Russland die Karte mit der „Feindstaatenklausel der UN“ ziehen und Deutschland überfallen könnte, wohl aber überzeugt ist, dass man den großen Nachbarn im Osten in naher Zukunft wieder brauchen könnte, und daher nicht auch noch das letzte diplomatische Tischtuch zerschneiden will, sitzt also in einer Falle, aus der es nur zwei Auswege gibt.

Ausweg 1, Nachgeben und mitmachen

Der Entschließungsantrag der Union wird mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP angenommen, die Marschflugkörper werden in Richtung Kiew in Marsch gesetzt.

Das wäre der Versuch, die drohende Niederlage durch eine Finte noch in einen Sieg zu verwandeln, indem die Denkpause als beendet und die Lieferung der weitreichenden Waffen als nützlich und in der derzeitigen Lage in der Ukraine als unaufschiebbar angesehen wird.

Weit wird das allerdings nicht helfen. Wenn die Union damit einmal durchkommt, und praktisch die Kanzlermehrheit auf ihre Seite zieht, wird  sie es beim nächsten Thema wieder versuchen. Dann ist – grundgesetzwidrig – nicht mehr der Kanzler derjenige, der die Richtlinien der Politik bestimmt, sondern der Oppositionsführer.  Um diesen Fall zu verhindern, sieht die freiheitlich-demokratische Grundordnung zwei Wege vor, nämlich das konstruktive Misstrauensvotum, das in eine Neuwahl des Bundeskanzlers im Bundestag mündet, und die Vertrauensfrage, die der Kanzler selbst aufruft, wenn er sich seiner Mehrheit nicht mehr sicher ist, und die ebenfalls zum Sturz der Regierung und ggfs. sogar zu Neuwahlen führt.

Ausweg 2, Kuhhandel

Einem Bundeskanzler stehen natürlich auch die Mittel zur Verfügung, um Grünen und FDP, sollten sie mit der SPD gegen den Entschließungsantrag stimmen, eine Kompensation bei anderen Themen anzubieten. Was steht so auf der Agenda? Wie war das, mit der Kindergrundsicherung? Könnte die nicht schon 2024 eingeführt werden und in der ursprünglich angedachten Höhe? Wie war das mit dem Sondervermögen für Soziales? Wie ist das mit der angekündigten (kleinstmöglichen) Abschiebungsoffensive, Asylzentren in Afrika, usw.? Würde das den Verzicht auf die Taurus-Marschflugkörper für die Ukraine wettmachen?

Kann und darf sich ein Bundeskanzler die Aufrechterhaltung des Anscheins seiner Richtlinienkompetenz unter Einsatz von Milliarden von Umverteilungs-Steuergeldern wirklich auf diese Weise zusammenkaufen?

Wie auch immer Scholz sich entscheidet. Er kann aus dieser Falle nur – für alle erkennbar – als geschlagener Verlierer herauskommen.

Da dies offenkundig ist, frage ich mich allerdings, warum Merz es nicht wagt, gleich die Karte des konstruktiven Misstrauensvotums zu ziehen. Natürlich gibt es auch dafür Gründe. Einer davon heißt sicherlich Markus Söder, doch daran ändert sich nichts, auch dann nicht, wenn Olaf Scholz seinerseits die letzte Chance nutzen und die Vertrauensfrage stellen würde. Der Streit um den Kanzlerkandidaten der Union bliebe gänzlich unverändert das Problem der Union.

Ein anderer Grund für den halbherzigen Vorstoß könnte auch in der Angst vor vorgezogenen Neuwahlen bestehen, die ja dann drohen, wenn es dem Bundestag nicht gelingen sollte, eine Mehrheit für einen neuen Bundeskanzler zusammenzubringen. Neuwahlen könnten dazu führen, dass die AfD – noch bevor das Verbotsverfahren angeleiert, geschweige denn abgeschlossen sein würde – bundesweit die meisten Stimmen erhält und damit in der Lage wäre vom  Gewohnheitsrecht, die nächste Regierung zu bilden, Gebrauch zu machen.

Wenn aber der eigene Stand so unsicher ist, dass man Angst hat, mit dem Sturz des Kanzlers selbst mit in den Abgrund gezogen zu werden, warum hält man nicht die Füße still, bis sich die Situation verbessert hat?

Daraus ergibt sich dann eine letzte Frage:

Welcher Vorteil ergibt sich für Deutschland, und wenn nicht für Deutschland, dann doch wenigstens für die Union und die übrigen Befürworter der Taurus-Lieferung, wenn die Lieferung nun doch bald erfolgen sollte?

Da fällt es mir dann doch recht schwer, eine Antwort zu finden.