Götterdämmerkrattie

PaD 37 /2020 Götterdämmerkrattie – hier auch als PDF PaD 37 2020 Götterdämmerkrattie

 

Ein cooler Spruch aus meinen jungen Jahren, wenn irgendwo eine gewisse Ratlosigkeit herrschte, lautete:

„Was tun?“, sprach Zeus, „die Götter sind besoffen!“

Dass ich mich Jahrzehnte später wieder einmal an diese Redewendung erinnerte, habe ich dem gestrigen Abend zu verdanken.

Da war für ca. 17.00 Uhr der Livestream von der Pressekonferenz zur Verkündung der künftigen Corona-Regeln angekündigt.  Also war ich auf Empfang, schon eine halbe Stunde vorher. Wer weiß, vielleicht einigen sich die Ministerpräsidenten und die föderale Moderatorin ja schneller.

Um es kurz zu machen: Ich wartete, den Livestream in einem offenen Fenster im Hintergrund, bis 19.45 Uhr. Doch außer dem Laufband, es würde in wenigen Minuten losgehen, und einigen Einspielern alter Podcasts und Videos kam da nichts. Ich wechselte den Platz und den Sender, hoffte um 20.00 Uhr in der Tagesschau genaueres zu hören. Aber Fehlanzeige. Danach auf Arte „Enemy“ angesehen – und um 22.00 Uhr gab es  immer noch keine Pressekonferenz. Wann die Einigung zustande kam, weiß ich nicht. Sicher kann ich nur sagen, dass mindestens acht Stunden so erbarmungslos gestritten worden sein muss, dass Angela Merkel erschöpft nachgegeben hat, jedoch nicht ohne noch einmal öffentlich werden  zu lassen, dass die „laschen“ oder „lascheten“ Maßnahmen das Unheil nicht verhindern könnten.

Ich will weder auf das eingehen, was letztendlich beschlossen wurde, noch auf das, was nicht beschlossen wurde. Für mich ist das Faszinierende am Zusammentreffen der Länderchefs mit der Bundeschefin jene hinter verschlossenen Türen zelebrierte Heillosigkeit des Zerstrittenseins, und die Hektik, mit der ein Kompromiss erzwungen werden sollte, so dass man schließlich, wie zwischendurch überliefert wurde, ohne die Verhandlungen zu unterbrechen, mit vollem Mund Buletten und Krautsalat mampfend, weiterdiskutierte.

Vor meinem inneren Auge spielten sich absonderliche Szenen ab: Hat Söder den Laschet mit einem Fausthieb K.O. geschlagen? Schleift man die Schwesig an den Haaren dreimal rings um den Konferenztisch? Hat Merkel wiederholt mit Tränen in den Augen ihren Rücktritt angedroht?

Soweit ist es nicht gekommen. Warum eigentlich nicht? Wenn das Unheil groß und drohend im Raum steht, alle guten Worte nicht mehr weiterhelfen, muss dann nicht der schiere Überlebenswille dazu führen, dass in der größten Not auch die Gewalt gegen Sachen und Personen den Durchbruch ermöglicht? Ist die körperliche Unversehrtheit der Teilnehmer nicht ein klares Indiz dafür, dass die Lage so ernst gar nicht sein kann?

Oder ist die letztlich doch „friedliche“ Diskussion eher ein Zeichen dafür, dass keiner hundertprozentig überzeugt war und ist, die Situation tatsächlich richtig einzuschätzen, mit seinen Vorschlägen die richtigen Maßnahmen auf den Weg zu bringen, dass es folglich eher die Feigheit war, sich für die Konsequenzen aus den eigenen Ideen verantwortlich machen lassen zu müssen?

Es spricht viel für die letzte Erwägung.

Die länderspezifischen Maßnahmen der letzten Wochen haben das Land in den Zustand der Kleinstaaterei von vor 1871 zurückgeworfen. Die „Untertanen“ waren „verunsichert“, sowohl was die Restriktionen im jeweils eigenen Fürstentum betraf, als auch beim verstörenden Blick  über den eigenen Landes-Tellerrand. Merkel, mit ihrem untrüglichen Gespür für das Knistern im Gebälk ihrer Macht, trommelte also die Häuptlinge zusammen, forderte Präsenz, was so manchem – frei nach Greta – ein „How dare you?“ entlockt haben mag, doch dann reisten sie mit trotzigem Widerstand im Gepäck nach Berlin – und stellten sich quer.

Merkels Vorstellung war wohl, dass alle gemeinsam, sie eingeschlossen, miteinander hinter einem gemeinsamen Ergebnis in Deckung gehen könnten. Für einen gemeinsamen Beschluss war schließlich noch nie jemand verantwortlich, schon gar nicht, wenn es sich dabei um einen mühsam errungenen Kompromiss gehandelt hat. Da, so mag Merkel spekuliert haben, zeigen wir und ich Handlungsfähigkeit und Durchsetzungsbereitschaft.

So, wie es von außen betrachtet aussieht, ist sie damit grandios gescheitert. Das große Streitthema „Beherbergungsverbot“ wurde zuletzt gänzlich ausgeklammert – und ansonsten wird abzuwarten sein, wie die Länder die Beschlüsse für sich interpretieren, verschärfen, mildern oder außer Kraft setzen. Wo man sich nicht einmal auf ein einheitliches Bußgeld bei Verstößen gegen das Maskengebot einigen kann, darf getrost auch alles, was sonst so beschlossen wurde, als Makulatur unter die Tapete geschmiert werden.

Merkel hat verloren. Damit ist sie, was die Innenpolitik betrifft, selbst dann, wenn die Länder dabei offiziell kein Mitspracherecht haben, weg vom Fenster. Das  heißt nicht, dass sich im Bundesrat Koalitionen gegen schwarz-rot bilden könnten, es heißt nur, dass ein Veto aus Sachsen oder Meck-Pomm künftig ebenso wirksam sein wird, wie eines aus Bayern, NRW oder Niedersachsen.

Damit ist die CDU endgültig führungslos. War es bisher noch so, dass der Totalausfall von Annegret Kramp-Karrenbauer von Merkel im Kanzleramt noch mühelos weggelächelt werden konnte, ist nun auch ihre Götterdämmerung hereingebrochen.

Moderieren ist nicht mehr – und diktieren lassen sich die Länder auch nichts mehr. Der Versuch, ihren Lieblings-Nachfolge-Kandidaten – wer auch immer das sein mag – mit Zuckerbrot und Peitsche als Mitstreiter zu gewinnen, wird scheitern, es sei denn, die Rollen werden getauscht, nicht er kämpft mir ihr, sondern sie mit ihm.

Mitten in der Doppelkrise – Pandemiebekämpfung und Wachstumsdelle – steht die Republik führungslos da und wartet auf den Erlöser. Die Stunde der ungeduldigen Heißsporne ist angebrochen. Das Porzellan zum Zerschlagen wird in Windeseile herbeigekarrt.

Wer noch kann, sollte jetzt in Deckung gehen.

Das von Merkel erwartete, nicht mehr abzuwendende Unheil, nimmt seinen Lauf. Vermutlich hat sie aber weniger die weitere Entwicklung der Pandemie gemeint, sondern eher den Zerfall der Machtstrukturen.

Friedrich Schiller, Wallensteins Tod, 5. Akt, 5. Auftritt

WALLENSTEIN.

Kommt da nicht Seni? Und wie außer sich! Was führt dich noch so spät hieher, Baptist?

SENI.

Furcht deinetwegen, Hoheit.

WALLENSTEIN.

Sag, was gibts?

SENI.

Flieh, Hoheit, eh der Tag anbricht. Vertraue dich den Schwedischen nicht an.

WALLENSTEIN.

Was fällt dir ein?

SENI mit steigendem Ton.

Vertrau dich diesen Schweden nicht.

WALLENSTEIN.

Was ists denn?

SENI.

Erwarte nicht die Ankunft dieser Schweden! Von falschen Freunden droht dir nahes Unheil, die Zeichen stehen grausenhaft, nah, nahe umgeben dich die Netze des Verderbens.

WALLENSTEIN.

Du träumst, Baptist, die Furcht betöret dich.

SENI.

O glaube nicht, daß leere Furcht mich täusche. Komm, lies es selbst in dem Planetenstand, daß Unglück dir von falschen Freunden droht.

WALLENSTEIN.

Von falschen Freunden stammt mein ganzes Unglück, die Weisung hätte früher kommen sollen, jetzt brauch ich keine Sterne mehr dazu.

SENI.

O komm und sieh! Glaub deinen eignen Augen. Ein greulich Zeichen steht im Haus des Lebens, ein naher Feind, ein Unhold lauert hinter den Strahlen deines Sterns – O laß dich warnen!

Nicht diesen Heiden überliefre dich, die Krieg mit unsrer heilgen Kirche führen.