Kompensationsgeschäft: Chips gegen Impfstoff

Natürlich ist es kein Kompensationsgeschäft im herkömmlichen Sinne, sondern nackte Erpressung, wenn Taiwan nun anbietet, Deutschland mit den dringend benötigten Chips für die Automobil-Digitalisierung zu beliefern, aber als Gegenleistung Impfstoffe gegen Corona fordert.

Dazu ist zunächst einmal festzuhalten, dass der Engpasss bei den Chips offenbar doch leichter zu beheben ist, als bisher dargestellt.

Ich habe das, als die ersten Informationen über den Chipmangel erschienen, schon einmal thematisiert und fühle mich nun bestätigt:

Auszug aus dem Kommentar „Ifo: Geschäftsklima gut – und andere Widersprüche“ vom 19. Dezember 2020:

Volkswagen muss die Produktion zurückfahren, und das nicht nur bei der Stammmarke, sondern auch bei Seat, Skoda und Audi, berichtet das Handelsblatt. Ursache: Es gibt auf dem Weltmarkt zu wenige Elektronik-Bausteine. Die Chips fehlen VW bei der Produktion folglich nicht nur in Europa, sondern auch in China und Amerika. Die Hersteller hätten wegen der gesunkenen Nachfrage bei den Automobilherstellern deren Chipbedarf in andere Kanäle – Unterhaltungselektronik, z.B. – umgelenkt.  Bis wieder genug Chips für die Fahrzeughersteller zur Verfügung stünden, könnten gut und gerne sechs bis neuen Monate vergehen.

Ich habe an dieser Erklärung gewisse Zweifel anzumelden. Weder ist mir bekannt, dass es im Bereich der Unterhaltungselektronik eine so eklatante Nachfrage-Spitze gegeben habe, dass die freien Kapapazitäten  wegen der vorübergehenden Nachfrageschwäche der Fahrzeughersteller von anderen Branchen hätten aufgesaugt werden können, noch habe ich eine Erklärung dafür, warum es bei wieder anziehender Nachfrage bis zu neun Monate dauern soll, bis die Kfz-Chips wieder in ausreichender Menge aus den Fabriken kommen sollen. Es geht doch nicht um eine vollkommen  neuartige, noch nie gefertigte Technologie, sondern um Chips, für deren Produktion alles fix und fertig zur Verfügung steht. Was es braucht, ist ein Umrüstprozess der Anlagen, und der dauert nicht lange Monate, sondern, wenn es hochkommt, ein paar Tage, vermutlich aber eher nur Stunden.

Die Sache mit der Unterhaltungselektronik halte ich schlicht und einfach für falsch. Entweder es hat jemand den Markt leergekauft und langfristige, großvolumige Kontrakte abgeschlossen, um die Konkurrenz in Schwierigkeiten zu bringen, oder Halbleiterproduzenten versuchen durch die Verknappung ihrer Produkte höhere Preise durchzusetzen, oder es handelt sich um eines der Schlachtfelder des weltweiten Handelskrieges.

Verwunderlich ist, dass es von BMW und Daimler keine gleichlautenden Informationen gibt. Auch Toyota, Nissan, Mitsubishi, und wie sie alle heißen, haben offenbar Chips genug, um fröhlich weiterbauen zu können. Mag sein, dass wir davon erst im neuen Jahr hören werden, kann aber auch sein, dass tatsächlich nur VW betroffen ist

Nun, es hat sich herausgestellt, dass nicht nur VW betroffen ist, was natürlich den Druck erhöht hat und schlussendlich Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf den Plan gerufen hat, dessen Intervention bei seiner taiwanesischen Amtskollegin – vermutlich vom 22. Januar 2021 – binnen einer Woche zum Angebot dieses Kompensationsgeschäftes geführt hat.

Dazu ist nun außerdem festzuhalten, dass es in der Bundesregierung offenbar Kräfte gibt, die sich vermutlich auch durchsetzen werden, welche bei der Abwägung von Kosten und Nutzen lieber Impfstoffmangel als Chipmangel in Kauf nehmen. Dazu werden wir vermutlich in Kürze aus dem Kanzleramt hören: „Ich habe immer schon gesagt, dass wir den Impfstoff nicht eigennützig und egoistisch für uns behalten dürfen, sondern dafür sorgen müssen, dass er auf der ganzen Welt verfügbar ist.“

Daraus dann den Schluss zu ziehen, dass es bei den Impfstoffen primär darum geht, den Umsatz der Pharma-Industrie zu sichern, wobei es sekundär ist, wo und an wen die Gen-Suppe verimpft wird, liegt zumindest nahe, soll aber nicht Gegenstand der weiteren Betrachtung sein.

Stattdessen muss diese neue Form von Kompensationsgeschäften unter die Lupe genommen werden.

Dazu zunächst ein kleiner Ausflug in meine persönliche Vergangenheit. Es war 1984 oder 1985, so genau kann ich es nicht mehr feststellen, als der damalige Unternehmensbereich Fernmeldetechnik der SIEMENS AG in München in den Räumen des SIEMENS Museums, damals noch in der Prannerstraße, eine Messe der besonderen Art veranstaltete.

Die Chinesen waren damals nämlich sehr an moderner Fernmeldetechnik interessiert, verfügten aber nicht über die notwendigen Devisen, um die Gerätschaften ihres Begehrens bezahlen zu können. Statt diesen Habenichtsen die kalte Schulter zu zeigen, kam es jedoch zu einer Verabredung dahingehend, dass man die Möglichkeit von Tauschgeschäften prüfen würde. 

Also lieferten die SIEMENS-Werke Musterstücke von allem an, von dem angenommen wurde, man könne es bedenkenlos aus China beziehen, und das wurde dann auf Messeständen präsentiert. Die Auswahl reichte von (tatsächlich!) Toilettenpapier über diverse Guss- und Stanzteile, Schmelzsicherungen und isolierte Drähte bis hin zu einfachen elektromechanischen Geräten, wie Schaltern oder Relais.

Ja, und dann kam die chinesische Delegation. Ingeniere, Fertigungstechniker und Kaufleute aus mehreren Staatsbetrieben musterten die Muster, stellten ihre Fragen, packten Muster, Zeichnungen und Beschreibungen ein, und nach einer Weile liefen die Angebote ein.

Welchen Umfang die Geschäfte aus dieser ersten Anbahnung erreicht haben, weiß ich nicht mehr. Ein Flop war die Aktion jedenfalls nicht – und diese Gegengeschäfte wurden abgewickelt, ohne dass dabei Geld zwischen China und Deutschland hin und her geflossen wäre.

Diese Form des Warentausches ohne Inanspruchnahme von Zahlungsmitteln ist das Interessante!

Wenn nun tatsächlich Chips gegen Impfstoffe getauscht werden, selbst wenn Pfizer-BionTech den Taiwanern eine Rechnung schreibt und der Chiphersteller TSMC ebenso Bezahlung von VW und den anderen Automobilherstellern fordert, zeigt das doch, dass das Geld bei dieser Transaktion allenfalls noch eine statistische Rolle spielt, aber für den Abschluss des Handels nicht entscheidend war.

Dies wiederum macht die alte Wirtschaftsweisheit: „Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis“, zumindest teilweise obsolet. Schließlich hätten sich die deutschen Automobilhersteller in einem funktionierenden Markt bei schwindendem Chip-Angebot einzig durch die Bereitschaft, höhere Preise zu zahlen als die (angebliche) Konkurrenz der Unterhaltungselektronik-Hersteller, die benötigten Bausteine sichern können. Das wäre sicherlich günstiger gewesen, als den Verlust, der durch den Produktionsausfall entstanden ist, in Kauf zu nehmen. Ich bin überzeugt, dass die Einkäufer der Automobilhersteller mit ihren Preisangeboten über die normale Schmerzgrenze weit hinausgegangen sind, aber dennoch nicht beliefert wurden. 

Es zeigt sich dabei eine bisher nicht einkalkulierte, aber beinahe zwangsläufig zu erwartende Folge der Globalisierung.

Indem bestimmte Fähigkeiten und Produktionsanlagen aus Gründen bestmöglicher Kapazitätsauslastung unter Mitnahme von Effekten der Lohnunterschiede in bestimmten Weltgegenden konzentriert wurden, ist es gelungen, ein Abhängigkeitsgeflecht zu schaffen, das eigentlich dazu hätte führen können, dass die Welt friedlicher wird – und so wurde es ja auch verkauft. Doch wie sich nun herausstellt, sind diese Abhängigkeiten nicht hinreichend ausbalanciert, so dass sich globale Produktionsmonopole zu Erpressungspotentialen entwickeln, die sowohl von Staaten zur Durchsetzung nationaler Interessen, als auch von Konzernen zur Durchsetzung von Gewinninteressen genutzt werden können, weil es auf der jeweiligen Abnehmerseite einfach keinen „Plan B“ gibt, um wenigstens eine Notversorgung aufrecht zu erhalten oder kurzfristig aktivieren zu können.

Dass dabei der „Tauschhandel“ (Barter) wieder zu neuer Blüte gelangt, ermöglicht Transaktionen unter Ausschluss möglicher konkurrierender Anbieter oder Abnehmer und damit auch eine Preisbildung abseits der Marktgegebenheiten, was dem jeweils stärkeren Partner einen erheblichen Einkaufsvorteil verschaffen kann. 

Ich hege die Befürchtung, dass sich diese Fälle in Zukunft häufen werden. Die Gelegenheiten dafür sind in der komplexen internationalen Arbeitsteilung reichlich vorhanden, man muss sie nur aufspüren und dann den Markt entsprechend manipulieren.

 

 

Abschließend will ich eingestehen, dass ich zunächst angenommen, und das auch geschrieben habe, der Chip-Mangel sei auf ein chinesisches Manöver zurückzuführen. Auch wenn ich das immer noch für möglich halte, muss ich diese Annahme einschränken, denn dem steht entgegen, dass die 10 größten Chiphersteller der Welt in den USA (Intel, Texas Instruments, AMD), in Südkorea (Samsung, Hynix), in Japan (Toshiba, Renesas), den Niederlanden (STM, NXP) und in Deutschland (Infineon) sitzen.

Die Halbleiterindustrie in Festland-China ist zwar dabei, technologisch an die Weltspitze vorzustoßen, was unter anderem durch die von Trump verfügten Ausfuhrverbote beschleunigt wurde, und hat dazu erst Mitte letzten Jahres hundert Spezialisten von TSMC in Taiwan abgeworben, kann mit den zehn Großen aber im Bereich der Spitzentechnologie noch nicht konkurrieren. China kann also nur bei weniger komplexen Halbleiterbausteinen den Markt beeinflussen. Ob das die Produkte sind, welche die Automobilindustrie momentan lahmlegen, konnte ich nicht herausfinden.