Einen Krieg gewinnen können

Mister Austin aus den USA, der gemeinsam mit Mr. Blinken in die Ukraine gereist war, hat dort die Überzeugung geäußert, die Ukraine könne  den Krieg gewinnen. Als Voraussetzung nannte  er allerdings, dass die Ukraine dazu über die Waffen und die Unterstützung verfügen muss, die dafür erforderlich sind.

Nun will man ja morgen in Ramstein zu einer Art „Geberkonferenz“ zusammenkommen, um festzustellen, was geliefert werden kann und zu beschließen, dass es geliefert werden soll. Ganz unverhohlen in der Absicht, damit  die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die Ukraine den Krieg gewinnen kann.

Völlig unabhängig davon, wie ich die Chancen der Ukraine im weiteren Verlauf der militärischen Auseinandersetzung einschätze, beschäftigt mich die Frage, was denn konkret damit gemeint sein könnte, wie es in der Realität aussehen müsste, um zum Schluss zu kommen, die Ukraine habe den Krieg gewonnen.

Ist es vorstellbar, dass ukrainische Truppen (irgendwann) ihre Flagge auf dem Kreml hissen, so wie einst russische Soldaten ihre Flagge auf dem Brandenburger Tor gehisst haben? Das wäre so meine Vorstellung  von einem gewonnenen Krieg. Die bedingungslose Kapitulation der gegnerischen Kräfte, Errichtung eines Besatzungsregimes, Erzwingung von Reparationen in Gold und Naturalien …

Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. So kann das Ende des von der Ukraine gewonnenen Krieges nicht aussehen. Das haben weder Napoleon, noch Hitler geschafft, das wird auch Selenski nicht schaffen. Wohl gemerkt: Das direkte Eingreifen der NATO in die Kampfhandlungen bleibt bei dieser Überlegung ausgeschlossen.

Was kann  Mr. Austin also gemeint haben? Hat er an Afghanistan gedacht? Von 1979 bis 1989 waren die Sowjets in Afghanistan unterwegs und wurden von den vom Westen finanzierten, ausgebildeten und ausgerüsteten Mudjahedin so lange mit mehr oder intensiven Nadelstichen bekämpft, bis sie von alleine wieder abgezogen sind. Das wiederholte sich dann von 2001 bis 2021, also immerhin über die doppelt lange Zeitstrecke, bis die USA und ihre Verbündeten ihren War On Terror gegen die Taliban – wie die Mudjahedin dann genannt wurden – durch einen beinahe fluchtartigen Abzug beendeten.

Ich kann nicht erkennen, dass die afghanischen Kämpfer den Krieg gewonnen hätten. Es gab nach meiner Kenntnis in beiden Fällen weder eine Kapitulation, noch einen Friedensvertrag. Die Angreifer haben sich zurückgezogen und das zerstörte Land samt der vielen gefallenen Kämpfer, der Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung und der materiellen Verwüstungen wieder sich selbst überlassen. Gewonnen haben die Afghanen nichts, nicht einmal ihre Freiheit, denn die haben sie ja in beiden Kriegen nie verloren.

Nein. Haben sie nicht. Wenn man in Betracht zieht, dass das, was die Taliban und mit ihnen offenbar eine Mehrheit der Afghanen für „Freiheit“ erachten, dann haben sie ihre Freiheit in 10 plus 20 Kriegsjahren erfolgreich verteidigt, ohne sie je verloren zu haben.

Ich habe auch von keinem US-Politiker gehört, die Taliban hätten den Krieg gewonnen. Und was die USA nicht bestätigen, das hat nicht stattgefunden.

Wenn also nicht absolut mit zweierlei Maß gemessen wird, dann kann Mr. Austin nicht gemeint haben, mit einem  Rückzug der russischen Streitkräfte auf die Linien von vor dem 24. Februar 2022 würde die Ukraine den Krieg gewonnen haben. Der Kleinkrieg mit den Separatisten in Donezk und Luhansk würde weiter leben, die Krim würde weiterhin zu Moskau gehören, der Zustand wäre weniger befriedigend als der Zustand Afghanistans heute.

Ein weitreichender Vorstoß der Ukraine, verbunden mit Landgewinn, z.B. in der Gegend um Rostow am Don, ist ebenfalls nicht vorstellbar, weil hingegen sehr wohl vorstellbar ist, dass sich Russland gegen solche Absichten mit einer Vehemenz und mit militärischen Mitteln zur Wehr setzen würde, die bisher in der russischen Spezialoperation nicht zum Einsatz gekommen sind. Um nur das harmloseste Mittel zu nennen: Russland könnte der Ukraine den Gashahn abdrehen. 

Ich folgere daraus, dass Mr. Austin, wenn er vom Gewinnen des Krieges spricht, das Erreichen der Kriegsziele der USA, samt ihrem NATO-Anhang meint, denn auch die hat er klar ausgesprochen: „Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu so etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist.“

Dafür muss die Ukraine nichts gewinnen. Im Gegenteil. Dafür kann die Ukraine in einem langen Zermürbungskrieg Quadratkilometer für Quadratkilometer an die Russen verlieren und dennoch „bis zum letzten Ukrainer“ tapfer weiterkämpfen. Das Infame an dieser Strategie besteht darin, dass die russische Armee mit dem vorletzten Schuss sogar die ganze Ukraine erobern könnte, dann aber einer Demokratisierungs-Offensive der NATO nichts mehr entgegensetzen könnte.

Dass man parallel dazu die EU auffordert, nicht nur schwere Waffen zu liefern, was durchaus als Kriegseintritt gewertet werden könnte, sondern sich auch von einem ausschlaggebenden Anteil ihrer Energieversorgung zu verabschieden, lässt ein weiteres Kriegsziel erkennen, nämlich die Schwächung der EU, vor allem Deutschlands, und die weitere Vertiefung eines dann kaum mehr zu überwindenden Grabens der Feinschaft zwischen Russland und der EU.

Ist dies alles abgeräumt, steht endlich auch China alleine da, denn wenn die Achse Peking-Moskau faktisch nicht mehr handlungsfähig ist, wird sich auch Indien noch einmal überlegen, ob seine Zukunft nicht doch eher in der „westlichen Wertegemeinschaft“ liegt.

Doch das sind noch keine Fakten, sondern lediglich die Kriegsziele des Pentagon und des militärisch-industriellen Komplexes.

Meine Einschätzung:

So lange Russland noch Gas an die Ukraine liefert,
kann von einem bevorstehenden Sieg der Ukraine
nicht die Rede sein.

Und wenn Russland die Gaslieferungen einstellen sollte,
erst recht nicht mehr.