Die Wiederkehr der Demiurgen

Jeder Mensch, der fähig ist, sein eigenes Dasein forschend zu reflektieren, wird im Laufe seines Lebens auf die Idee des „Demiurgen“ stoßen. Sollte das bei Ihnen bisher nicht der Fall gewesen sein, dann ist der Zeitpunkt genau jetzt.

Einigkeit besteht seit frühesten Überlieferungen darin, dass es sich bei den Demiurgen um so etwas wie „Handwerker“ handelt, durch deren Wirken Dinge entstehen, die es vorher so nicht gegeben hat. Die Gleichsetzung von Schöpfergott und Demiurg war noch zu Platons Zeiten üblich. Aristoteles war es, der den Weg zu einer anderen Analyse wies, und die Gnostiker schließlich erkannten: Der Demiurg scheitert mangels ausreichender Fähigkeiten daran, jene göttliche Vollkommenheit zu erreichen, die er angetreten ist, mit dem eigenen, eigensinnig entworfenen Werke noch zu übertreffen.

Er ist das Gegenstück zu Mephisto, ein Teil von jener Kraft, die stets das volllommene Gute will und doch nur übles Stückwerk schafft.

Wir, die wir so aufgeklärt sind, dass wir göttliches Wirken ins Reich der Märchen und Sagen verbannt haben, und stolz darauf sind, als Menschen, als Krone der Evolution, die einzig gestaltenden Kräfte auf dieser Welt und wahrscheinlich in unserem gesamten Universum zu sein, haben so unsere eigenen Demiurgen hervorgebracht, die mit Eifer darangehen, die alte Ordnung der Welt zu zerstören und daraus Neues zu schaffen.

Das erinnert wieder an die Erkenntnisse der alten Philosophen, die zuletzt von Stuart Mill auf die Formel gebracht wurden: Der Demiurg kann selbst nichts erschaffen (also nichts aus dem Nichts hervorbringen), er muss mit dem arbeiten, was aus der Schöpfung hervorgegangen und vorhanden ist. Das bedeutet aber in letzter Konsequenz, dass Demiurgen zwangsläufig zerstören müssen, um damit die Voraussetzung zu schaffen, aus den Trümmern des einst Bestehenden eine neue Realität und eine neue Ordnung zu schaffen, so sie dies denn vermöchten.

Ein Stück weitergedacht, finden die Demiurgen heute kaum noch etwas vor, was mit der ursprünglichen Schöpfung identisch ist. Sie finden überwiegend das, was die Menschen vor ihnen, aufbauend auf der Schöpfung, in Versuch und Irrtum gestaltet haben. Genau jene Realität, die das auf dem aktuellen Stand von Fähigkeiten und Erkenntnis erreichbare Optimum repräsentiert. Die beste aller Welten, sozusagen.

Der Demiurg, besser: die Masse der sich zur Umgestaltung, zur Transformation berufen fühlenden Demiurgen, ignoriert diesen mühsamen, Jahrtausende währenden Entwicklungsprozess, ignoriert das per Saldo Positive, das zu verzeichnen ist, sieht nur die noch bestehenden Fehler und Probleme und nimmt die zum Anlass, erst einmal alles einzureißen und zur Begründung jene Wunder anzukündigen, zu deren Herstellung sie sich berufen fühlen.

Wo beginnen?

Am besten am Ursprung der Zivilisation.

  • Adam und Eva. Erbärmliche Geschöpfe. Mann und Frau. Das äußerste Maß der Unvollkommenheit. Warum soll nicht auch der Mann gebären, nicht auch säugen können? Warum soll die Frau auf den Samen des Mannes angewiesen sein? Schaffen wir das vollkommene Geschlecht. Nicht als Drittes, als Einziges! Was ist der Verlust der Fruchtbarkeit der Androgynen im Vergleich mit dem Lustgewinn? Nachwuchs kann schließlich in Vitro nach Bedarf, sowohl quantitativ als auch qualitativ in die Welt gesetzt werden. Bis 2040, spätestens 2050 sind die Verfahren perfektioniert und die Segnungen der gentechnisch er-zeugten Vielfalt werden von niemandem mehr geleugnet werden können.
  • Das Volk als Abstammungs- und Schicksalsgemeinschaft, einer Heimat verbunden, geeint in Werten und Zielen, und, sobald sich völkisch Fleiß und Können paaren, eigensinnig darauf bedacht, das Eigene zu wahren und zu verteidigen – welch eine Verschwendung! Wenn erst die Völker und Nationen aufgelöst, die Grenzen niedergerissen sein werden und die Wanderungen den Ausgleich zwischen den Potentialen geschaffen haben werden, wird die Menschheit wirklich Menschheit sein. Bis 2030, spätestens 2040 werden die Segnungen der Vielfalt zu erkennen sein.
  • Prometheus aus dem Geschlecht der Titanen war es, der den Menschen gegen den Willen der Götter das Feuer brachte! Welch ein Frevel! Löschen wir die Feuer! Lehren wir die Menschen, dass jede Art von Feuer Sünde ist, der die Strafe des Verglühens der Erde auf dem Fuße folgen wird. Lehren wir sie, es sei gerade noch ein Augenblick Zeit zur Umkehr, wenn sie nur darauf vertrauen, dass Sonne und Wind in ihrer Vielfalt das Feuer ersetzen werden. Bis 2030, spätestens 2040, wenn jeder mit der Energie auszukommen gelernt hat, die ihm der Himmel zukommen lässt,werden die Segnungen der Rückkehr ins vorprometheische Zeitalter erkennbar sein.
  • Tiere töten um ihr Fleisch zu fressen, welch ein Frevel! Hat nicht sogar schon Esau, der Jäger, uns allen ein Beispiel gebend, um einer veganen Linsensuppe willen auf sein Erbe verzichtet? Lasst uns Städte schaffen, in denen Fleisch und Wurst, Milch und Käse unbekannt sind, so dass die Menschen, die dort leben, schon 2030, spätestens aber 2040 gar nicht mehr wissen können, was bei ihren Vorfahren noch als gesunde und ausgewogene Ernährung galt.

Natürlich wird es alte weiße Männer geben, die sich dem Transformationsprozess im Altersstarrsinn widersetzen. Sie werden unserem Anrennen nicht standhalten können. Der Jugend gehört die Gegenwart. Den Kindern die Zukunft, die als Auferstehung aus Ruinen bis 2030, spätestens 2040 geschaffen sein und niemals wieder einer Erneuerung, einer Reformation bedürfen wird.

Lasst uns nur machen. Wir wissen, was wir tun.

John Stuart Mill, ein Kind des  19. Jahrhunderts, kam zu der Auffassung (sinngemäß):

Der Demiurg ist zwar in der Lage, aus Altem Neues hervorzubringen, doch stößt er auf Hindernisse, die das Erreichen seiner Zwecke und Ziele vereiteln. Diese Hindernisse finden sich sowohl in den Naturgesetzen, über die der Demiurg keine Herrschaft hat, als auch ganz allgemein in der Begrenztheit (der Fähigkeiten) des Demirurgen.

 Heute würde Stuart Mill vermutlich erklären: Der Demiurg ist überhaupt das klassische Beispiel für den Dunning-Kruger-Effekt.