Unternehmerisches Handeln à la Christian Lindner

Geschäftsmodell „Schnelltesteria“

Darum ging es bei Anne Will.

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass es nichts weiter bedurfte, als eines Online-Schnellkurses für die Abstrich-Entnahme und der Beauftragung durch ein Gesundheitsamt, wo man froh war, über jeden, der Schnelltests anbieten wollte, gab es einen wahren Boom von Schnelltestgelegenheiten.

Das erinnert ein bisschen an jenen „‚Goldrausch“, von dem wir gehört und gelesen haben, als sich herausgestellt hatte, dass das Gesundheitsministerium bereit war, für so genannte Mund-Nasen-Bedeckungen jeden geforderten Preis zu zahlen, obwohl sich das Prozedere bei den Schnelltests vom Maskenbeschaffungsprozedere auch geringfügig unterschied.

Masken musste man abliefern, und wenn man das konnte, durfte man jede Menge zu jedem Preis abliefern. Bei den Schnelltests war der Preis festgelegt (18,00 €/Test), aber dafür war es offenbar nicht mehr erforderlich, die Leistungserbringung auch nachzuweisen.

Nun ermitteln Staatsanwaltschaften, um herauszufinden, ob da tatsächlich betrogen wurde, und ob der Betrug vielleicht sogar im großen Stil, also an „organisierte Kriminalität“ erinnernd, durchgezogen wurde.

Bei Anne Will schien das – Unschuldsvermutung hin, Unschuldsvermutung her – bereits erwiesen zu sein, weshalb der Gesundheitsminister, womöglich von Erfahrungen aus dem Bankgewerbe zehrend, zu seiner Entschuldigung vorbrachte: „Wo jemand betrügen will, wird jemand betrügen.“

Eine späte Erkenntnis, denn hätte er sich früher darauf besonnen, wäre es vielleicht gelungen, Betrugsversuche durch organisatorische Maßnahmen zu erschweren, zumal der hier mögliche Betrug um vieles einfacher zu bewerkstelligen war, als der so genannte „Enkeltrick“ oder andere Maschen von Trickbetrügern, und zudem weitaus größere Beutezüge ermöglichte.

Wo Jens Spahn also den Sachverhalt noch einigermaßen richtig darstellte und damit sogar den Eindruck entstehen ließ, dass er  einen Hauch von Mitschuld verspürt haben könnte, überraschte Christian Lindner mit einer gänzlich anderen Interpretation. Er suggerierte:

… dass es schließlich darauf angekommen sei, die Testinfrastruktur schnellstmöglich aufzubauen. Daher könne nicht bemängelt werden, wenn der Staat auch einmal unternehmerisch handle.

Bisher glaubte ich, dass die FDP, als Klientelpartei der Selbstständigen, der Freiberufler und des Mittelstandes, zumindest über eine ungefähre Vorstellung von den Grundlagen unternehmerischen Handelns verfüge. An diesem Glauben werden nun doch erhebliche Zweifel wach.

Ja, ein Unternehmer gibt schon mal mehr Geld aus, um ein bestimmtes Ziel schneller zu erreichen. Er zahlt – bei knapper Verfügbarkeit – schon mal höhere Preise für Material, um seine Produktion nicht stoppen zu müssen, er zahlt auch schon mal ordentliche Prämien, wenn  er seine Mitarbeiter für Überstunden und Wochenendarbeit gewinnen will, um einer Konventionalstrafe wegen verspäteter Lieferung zu entgehen:

Aber er wird nie darauf verzichten, sicherzustellen, dass er für sein gutes Geld auch das erhält, was er bestellt hat!

Ein Bauunternehmer, der  für seine Baustellen Subunternehmer als Fliesenleger anheuert und dann einfach jede Rechnung dieser Subunternehmer bezahlt, ohne sich zu vergewissern, dass tatsächlich auch Fliesen gelegt wurden, müsste damit rechnen, auf Antrag seiner Familie wegen Geschäftsunfähigkeit entmündigt zu werden.

Möglicherweise handelt es sich bei solchen Gelegenheiten aber auch nur um das zu überwindende Denken alter weißer Männer.

Möglicherweise wird das Handeln des Gesundheitsministers demnächst zur Norm für unternehmerisches Handeln erklärt. Ganz nach dem Orwell’schen Motto:

Ignorance ist strength!